Christopher Schwarzkopf
27. April 2018
Das Fellow-Programm Freies Wissen geht in die dritte Runde! Noch bis zum 15. Mai können sich interessierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aus allen Fachrichtungen bewerben. Zur aktuellen Ausschreibung geht es hier entlang.
Das Fellow-Programm Freies Wissen ist eine Initiative von Wikimedia Deutschland, dem Stifterverband und der VolkswagenStiftung, um junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei zu unterstützen, ihre eigene Forschung und Lehre im Sinne Offener Wissenschaft zu öffnen und damit für alle zugänglich und nachnutzbar zu machen. Denn: Wir glauben an das Potential offener und kollaborativer Forschung. In unserem Blog stellen die Fellows einige ihrer Projekte vor und berichten über ihre Erfahrungen im Umgang mit offener Wissenschaft in der Praxis. Hier schreibt Stipendiatin Caroline Fischer über die Frage, ob es vermehrter Anreize bedarf, um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu motivieren, ihre wissenschaftliche Arbeit stärker zu öffnen.
Eine Diskussion aus motivationspsychologischer Sicht
Offene Wissenschaft kann als proaktive Arbeitstätigkeit von Forschenden bezeichnet werden. In der Regel wird der Aufwand, der mit offenem Forschen und Publizieren verbunden ist, zusätzlich zur “ordentlichen” Arbeitstätigkeit erledigt. Obwohl viele Open-Science-Begeisterte hier sicherlich entgegnen: stimmt nicht, Wissenschaft muss per se offen sein, ist es doch so, dass wissenschaftliche Handlungsroutinen nach wie vor eher geschlossen sind. Die Veränderung von eingeschliffenen geschlossenen Routinen hin zu offenen Arbeitsweisen bedeutet jedoch Mühe und Aufwand. Wer beispielsweise bisher mit einer geschlossenen Literaturdatenbank wie Citavi gearbeitet hat, für diejenigen ist es mit Aufwand verbunden zu offenen Varianten wie Zotero zu wechseln. Wer bisher mit geschlossener Statistiksoftware wie Stata gearbeitet hat, für die ist es aufwändig, sich offene Software wie R anzueignen und entsprechende Routinen zu verändern. Was kann Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dennoch motivieren, diese Transaktionskosten in Kauf zu nehmen?
Wir brauchen mehr Anreize
Eine Diskussion zwischen Forschenden im Rahmen des Fellow-Programms Freies Wissen spitzte sich genau auf diese Frage zu: was braucht ihr als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eigentlich, damit ihr offen oder offener werdet – was würde euch zu offener Wissenschaft motivieren, fragte die Wiener Wissenschaftsforscherin Katja Mayer. Als eine der ersten Antworten fielen Anreize. Das können materielle Incentives, wie die finanzielle Förderung im Fellow-Programm Freies Wissen oder ein Preis für Offene Wissenschaft sein. Es fielen aber auch eher indirekt materielle Anreize, wie Karrierechancen. Offene Wissenschaft müsse in Stellenbesetzungen stärker honoriert werden. Wieder andere nannten immaterielle Anreize, wie Anerkennung durch die Fachgemeinschaft oder die eigene Führungskraft.
Es darf keine Anreize geben
Einige widersprachen aber auch vehement: es darf keine Anreize geben! Dies würde nichts nützen und eh nur die falschen Leute anlocken, diejenigen nämlich, die nicht für die Sache brennen, sondern gegen Entlohnung dann halt auch mal offene Wissenschaft machen. Beide Positionen spiegeln die klassische Unterscheidung zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation, ausgehend von der sogenannten Self-Determination-Theorie von Deci und Ryan, wider. Wer aus eigenem Antrieb und Interesse handelt, ist hierfür intrinsisch motiviert. Extrinsisch motiviert ist hingegen, wer eine bestimmte Handlung (vor allem) aufgrund äußerlicher Anreize vornimmt.
Das Dilemma ist nun, und das beschreibt die Motivation Crowding-Theorie, dass durch extrinsische Anreize, wie finanzielle Boni, eine intrinsische Motivation ausgehöhlt werden kann. Auf offene Wissenschaft übertragen heißt das: denjenigen, die anfangs für das Thema gebrannt haben und einfach so, ohne Anreize, offen geforscht und publiziert haben, geht diese intrinsische Motivation möglicherweise verloren, wenn sie dafür zusätzlich extrinsisch entlohnt werden. Hat man einmal Fördergelder für Offene Wissenschaft erhalten, erwartet man das in Zukunft möglicherweise auch und macht nur noch die Projekte offen, in denen es sich durch Anreize lohnt.
Das ist aber zunächst einmal eine Hypothese, die aus anderen Settings des Arbeitslebens abgeleitet ist und möglicherweise für offene Wissenschaft nicht gilt. Ganz im Gegenteil könnte man argumentieren, dass mit ersten Anreizen Menschen angelockt werden können, die zunächst nicht für die Sache brennen, sich für diese aber im Ausprobieren begeistern und ein Feuer entfacht wird. Genau das liegt dann beispielsweise in der Verantwortung der Mittelgebenden und der Ausgestaltung der Förderung. Wenn Förderung nachhaltig gestaltet ist und darauf hinwirkt, dass während der Förderung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weitergebildet und Routinen verändert werden, können solche Mitnahmeeffekte und Folgewirkungen beispielsweise vermieden werden.
Motive und Bedürfnisse
Doch abgesehen von solchen äußeren Anreizen: welche menschlichen Motive und Bedürfnisse wirken dennoch hin zu offener Wissenschaft? Was treibt Forschende an, offen zu publizieren oder eigene Daten zu teilen, auch ohne äußere Anreize? Nach McClelland sind Leistung, Macht und soziale Anerkennung die drei menschlichen Grundbedürfnisse, die jedwedes Handeln bestimmen. Menschliche Bedürfnisse können, wie beispielsweise in Maslows oft verwendeter, empirisch aber nicht nachweisbarer Hierarchie, in verschiedene Stufen unterschieden werden. Beginnend mit grundlegenden Bedürfnissen, wie physiologischen Bedürfnissen oder Sicherheit, darauf aufbauend soziale Bindung und Selbstachtung und schließlich sogenannte Wachstumsbedürfnisse, wie Selbstverwirklichung. Aus diesen Motiven und Bedürfnissen können mögliche Dimensionen einer “Motivation zu offener Wissenschaft” abgeleitet werden.
It‘s all about recognition?
Soziale Bindung und Anerkennung scheint ein Aspekt bei der Motivation zu Offener Wissenschaft zu sein: Ich möchte als Forscherin in meiner Disziplin und meiner Institution anerkannt werden und öffne meine Forschung, damit alle sehen können, wie toll ich meine Arbeit mache, und mich dafür wertschätzen. Allerdings erscheint es zumindest möglich, dass die Gefahr besteht, eine solche soziale Anerkennung eben wegen Offener Wissenschaft nicht zu erhalten, weil man dafür beispielsweise in einer skeptischen Disziplin eben nicht ausreichend anerkannt wird. Das bedeutet, dass eine Förderung Offener Wissenschaft immer auch mit Anerkennung und Wertschätzung offener Forschung einhergehen muss. Dabei kann beispielsweise die symbolische Führung durch die Leitung einer Organisation (Teamleitende, Lehrstuhlinhabende, Dekane und Dekaninnen, Rektoren und Rektorinnen o. Ä.) oder führende Gremien in einer Fachgemeinschaft eine große Rolle spielen. Ebenso ist hier aber das Arbeitsklima in einem Team und einer Organisation im Ganzen entscheidend. Beispielsweise müssen Fehler erlaubt und Zeit zum Ausprobieren neuer Wege sein.
Persönliche Entwicklung und Selbstverwirklichung
Auch die eigene Entwicklung und Verwirklichung motiviert Menschen zusätzliche Arbeit zu leisten. In Bezug auf Offene Wissenschaft dürften diese Handlungsmotive zunächst die Forschenden antreiben, die von dieser Idee sowieso schon überzeugt sind. Wenn aber aufgezeigt wird, dass offenes Forschen auch der eigenen Entwicklung dient, kann dies sicher als Anreiz dienen. So bedeutet es zwar zusätzlichen Aufwand in einem offenen Labortagebuch über die eigenen Arbeitsschritte zu berichten. Wenn über diese Offenlegung von Methoden aber eine Interaktion mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entsteht und Feedback gegeben wird, kann dies die eigene Arbeit verbessern und damit die eigene Entwicklung voranbringen. Schließlich forschen viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ja vor allem für die eigene Erkenntnis.
Wie also weiter mit den Anreizen für Offene Wissenschaft? Meiner Ansicht nach ist die Anerkennung in den jeweiligen Fachdisziplinen der wichtigste Schritt. Hier muss ausgehandelt werden, welche Aspekte offenen Forschens in den jeweiligen Disziplinen vertretbar und möglich sind. Setzt sich Offene Wissenschaft, und dafür sind Teile der Natur- und Humanwissenschaften ein gutes Beispiel, erst einmal in einer Disziplin durch und wird zum Standard, dann ist Offene Wissenschaft auch kein proaktives Handeln mehr, das zusätzlich zum üblichen Rollenverhalten als Wissenschaftler erfolgt und zusätzliche Arbeitsmotivation erfordert. Dann gehört Offene Wissenschaft zum alltäglichen Arbeitshandeln, dann ist Wissenschaft “open by default”.
Die Originalversion dieses Beitrags ist zuerst erschienen auf dem Blog von Caroline Fischer.
Zur Autorin:
Caroline Fischer ist Doktorandin am Lehrstuhl für Public und Nonprofit Management der Universität Potsdam. In ihrer Promotion erforscht sie wie und warum Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung ihr Wissen am Arbeitsplatz teilen. An der Universität Potsdam engagiert sie sich zudem für die Weitergabe der Prinzipien Offener Wissenschaft an die Studierenden und deren Erprobung in der Lehre. Seit Oktober 2017 ist sie Stipendiatin des Fellow-Programms Freies Wissen.
Weitere Gastbeiträge unserer Fellows im Wikimedia Deutschland Blog:
- Isabel Steinhardt: Kollaborativ online-Interpretieren
- Tobias Steinhoff: Auf Expedition mit dem Forschungsschiff FS Poseidon
- Aleksej Tikhonov: Trainingsdaten einer Systementwicklung als Stoff für öffentliche Lesungen
- Hans Henning Stutz: Open Hardware in den Ingenieurwissenschaften
- Vanessa Hannesschläger: Open Science als Ansatz in den Geisteswissenschaften
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