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Welche Leistung? Welcher Schutz? Welches Recht?

WMDE allgemein

1. März 2013

Heute um 9 Uhr wird (live übertragen) der Parlamentspräsident oder eine seiner Stellvertreterinnen die 226. Sitzung des 17.  Deutschen Bundestages eröffnen und den Tagesordnungspunkt 36 aufrufen, ein Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes. Die vereinbarte Redezeit für die Abgeordneten ist eine Stunde, es werden dann noch einige Zwischenfragen und vielleicht ein Geschäftsordnungsscharmützel dazukommen. Nach dem Ende der Debatte werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in namentlicher Abstimmung in Zweiter und Dritter Lesung darüber entscheiden, ob Deutschland ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger (LSR) einführt. Den bisherigen Äußerungen auf Twitter nach verfügt die Koalition aus CDU/CSU und FDP über eine eigene Mehrheit für die Annahme dieses Gesetzes. Eine Zustimmung des Bundesrates ist nicht erforderlich, es ist unklar, ob sich die Bundesländer für die Anrufung des Vermittlungsausschusses entscheiden werden.

Die Abstimmung heute ist das vorläufige Ende der (von uns innig verfolgten und kommentierten) hiesigen Diskussionen und parlamentarischen Beratungen über ein Leistungsschutzrecht, für das bis heute keine überzeugendere Begründung existiert, die über “Aber Google hat so viel Geld und die Verleger haben so wenig” hinausgeht. Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger wird in der vorgeschlagenen Form von allen namhaften Urheberrechtsexperten abgelehnt, Industrieverbände haben sich dagegen ausgesprochen, zuletzt auch die bis dahin herumeiernden Journalistenverbände (Wenn man ihnen taktisches Verhalten zubilligen möchte, war ihre Aussage ein “Wir sind nicht dafür, aber wenn es kommt, dann wollen wir 50% der Einnahmen”).

Bislang unbekannte Dimensionen der Farce erreicht das Leistungsschutzrecht, als vor zwei Tagen der (federführende) Rechtsausschuss einen Halbsatz in den neu zu schaffenden § 87f Absatz 1 Satz 1 Urheberrechtsgesetz einfügte, der den Geltungsbereich verkleinern wird und – das werden die Gerichte entscheiden – das Anzeigen von Snippets durch “gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen” nun doch wieder erlauben wird. Wenn diese Formulierung tatsächlich so wie beschrieben funktioniert, wird es schlichtweg keinen nennenswerten Anwendungsbereich mehr für das LSR geben, der nicht bereits durch das klassische Urheberrecht abgedeckt wurde. Es wird vermutlich einige Jahre dauern, Rechtssicherheit zu dieser Frage zu erzielen, bis dahin funktioniert das LSR nicht als Schutzrecht für presseverlegerische Leistung.

Sind Wikipedia und ihre Schwesterprojekte diesem LSR direkt und unmittelbar betroffen? Nein, vermutlich nicht. Der Wortlaut des Gesetzes ist in diesem Punkt eindeutig und es kann nach heutigem Stand eigentlich verneint werden, dass Wikimediaprojekte in das Schutzrecht der Presseverleger eingreifen. Ob dennoch ein Verlag Anstoß an einer Handlung nimmt und versucht, sein Verbotsrecht durchzusetzen, weiss auch unsere Glaskugel nicht.

Und was gilt das auch für alle Nachnutzer der frei lizenzierten Inhalte, darunter gewerbliche Anbieter von Spiegeln der Enzyklopädie oder die Anbieter von Mashups von Wikipedia- und anderen Inhalten? Das wird die Zeit zeigen, wir werden über Ereignisse disbezüglich berichten.

Besteht auch nur die abstrakte Hoffnung, dass dieses Gesetz dazu beitragen wird, die wirtschaftliche Situation deutscher Presseverlage zu stabilisieren? Das glaubt niemand mehr. In wenigen Tagen wird es mit Sicherheit gemeinsame Pressemitteilungen von Aggregatoren und Verlagen über Lizenzabkommen geben, deren Reichweite über den eines Leistungsschutzrechts hinausgeht und die Handlungen umfassen wird, die auch nach geltender Gesetzeslage mehr als problematisch waren. Das “Leistungsschutzrecht” gibt es dann für die Lizenznehmer kostenfrei obendrauf und der schöne Nebeneffekt solcher Einigungen wird sein, dass die vom Gesetz geforderte angemessene Beteiligung an der Vergütung für die Urheberinnen ins Leere greift. Es ist zu erwarten, dass beide diese Punkte (kein Geld für Journalisten und Einigung zu Fragen, die weit über ein LSR hinausgehen) in der Berichterstattung der Tagespresse ebensowenig Erwähnung finden werden wie die komplette Leistungsschutzrechtsdebatte selbst.

Folgt jetzt nicht noch auf der Zielgeraden dieser Legislaturperiode ein mittlerer gesetzgeberischer Kraftakt, wird das urheberrechts- und netzpolitische Erbe dieser Koalition fast völlig aus der Einführung eines unsinnigen, entkernten, weltweit einzigartigen und rechtssystematisch problematischen Gesetzes bestehen, dessen Diskussion über drei Jahre lähmende Wirkung bei allen anderen Baustellen entfaltete. Der andere Teil des Erbes ist die Abschaffung eines von der Vorgängerregierung eingeführen unsinnigen, entkernten, weltwelt leider nicht einzigartigen und rechtssystematisch problematischen Gesetzes zur Sperrung von Webseiten (anstelle ihrer Löschung). Wir erwarten Gleiches von der Bundesregierung der 18. Legislaturperiode.

Kommentare

  1. […] sollen. Wozu also dieses hochumstrittene Gesetz? Eine Folgenabschätzung gibt Mathias Schindler im Blog. Bereits am 20.2. veröffentlichte das BMJ einen Referentenentwurf für die künftige Behandlung […]

  2. […] Wikimedia Deutschland habe ich eben ein Blogposting verfasst, das man getrost in die Rubrik “abschliessende Worte zu einem verkorkten Gesetzgebungsverfahren” ablegen kann. Kann man ja vielleicht in den Werbepausen auf bundestag.de […]

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