Wenn der vorliegende Entwurf so zum Gesetz wird, dann wäre vermutlich bereits der erste Satz dieses Blogbeitrags abmahnfähig. Denn ich verbinde das wörtliche Zitat eines Bloggers mit einem hinterlegten Link auf den Autorenblog CARTA, der in seiner journalistischen Textqualität und periodischen Veröffentlichungsweise “bei Würdigung der Gesamtumstände als weitgehend verlagstypisch” (so das krude Juristendeutsch) anzusehen ist. Zudem tue ich dies in einem Kontext, der durch den Einsatz der Creative-Commons-Lizenz CC-BY-SA eine freie Weiternutzung auch zu kommerziellen bzw. gewerblichen Zwecken erlaubt.
Das gewählte Beispiel kommt nicht von ungefähr. Denn seit gestern ist klar, dass das geplante neue Leistungsschutzrecht mitnichten nur auf die Snippet-Praxis bei Suchmaschinen (namentlich: Google) zielt, sondern durch das ausschließliche Nutzungsrecht selbst kleinster Teile eines Presseerzeugnisses auch die gesamte Blogosphäre, Social Networks oder User-Generated-Content-Plattformen tangiert. Ordnungspolitisch war eine Kollision mit dem Zitatrecht und der Informationsfreiheit keinesfalls gewollt, faktisch wird sie aber eintreten und eine neue Abmahnwelle heraufbeschwören.
Falsches Vorbild: Schutzrechte bei Tonträgern
Im Begründungsteil zieht der Entwurf die Analogie zum berühmt-berüchtigten BGH-Urteil “Metall auf Metall” heran. Damals war entschieden worden, dass selbst die Verwendung von kleinsten Tonfetzen bzw. Samples schutzfähig und damit vergütungspflichtig ist. Nun ist es aber so, dass z.B. allein die Überschriften oder “Anreißer” eines journalistischen Texts für sich genommen nicht schutzfähig sind. Der Schutzgegenstand des neuen Leistungsschutzrechts schließt dies aber ein, denn er soll “die redaktionell-technische Festlegung” eines journalistischen Beitrags (und damit aller seiner Teile) sein. Wie in der Praxis der Nachweis geführt werden soll, dass etwa eine bestimmte Wortfolge über Cut&Paste aus dem html-Code einer Verlagswebsite übernommen, oder einfach nur händisch nachgeschrieben wird, weiß niemand. Nur eines ist klar: Im Unterschied zu den langen Schutzfristen bei Tonaufnahmen soll bei Bestandteilen aus Presseerzeugnissen die Schutzfrist von einem Jahr gelten.
Falscher Fall: eine beliebte Online-Enzyklopädie
Obwohl im Begründungsteil des Referentenentwurfs ein gehöriger Aufwand betrieben wird, um zulässige Nutzung z.B. in privaten Blogs von justiziablen Vorgängen zu unterscheiden, ist davon auszugehen, dass die gängige Bequellungspraxis der Wikipedia ein riesiges Einfallstor darstellt. So ist bei den Weblinks mit weiterführenden Informationen immerhin fraglich, ob sie unter das Zitatrecht fallen und damit außen vor bleiben. Nach vorliegendem Kenntnisstand ist daher unklar, ob diese Links, die regelmäßig die Überschriften von Presseartikel enthalten, nicht eine Verletzung des neuen Leistungsschutzrechts darstellen würden.
Zudem liefert der Entwurf keine ausreichende Trennschärfe zwischen privater und kommerzieller Nutzung. Wikipedia ist ein ehrenamtliches Gemeinschaftsprojekt, das auf freiwilliger Zusammenarbeit von Menschen auf der gesamten Welt beruht. Die dort angewandten Creative Commons-Lizenzen erlauben eine freie Bearbeitung und Weiterverwendung der Wikipedia-Inhalte für alle Nutzer, selbst wenn diese damit eine wirtschaftliche Gewinnerzielungsabsicht verbinden. Somit besteht die Gefahr, dass sich auch die kostenfreie Wikipedia als Wissensaggregator künftig Unterlassungsansprüchen ausgesetzt sieht, die aus dem neuen Leistungsschutzrecht abgeleitet werden.
Falscher Feind: Was haben sie bloß gegen Aggregatoren?
Über das Leistungsschutzrecht für Presseverlage kursierten, befeuert durch immer neue Positionspapiere, jahrelang die wildesten Gerüchte. Niemand wusste so recht, was dieses verwandte Schutzrecht denn über die existenten urheberrechtlichen Ansprüche (die ja zumeist von Journalisten an Verlage übertragen werden) zu “leisten” im Stande wäre. Jetzt wissen wir es: Es führt zur Konfusion von Internetnutzern und der Ungleichbehandlung von Akteuren im Netz. Denn ordnungspolitisch will nicht einleuchten, warum Presseverlage im Verhältnis zu etwa Aggregationsplattformen besser gestellt werden. (Eigentlich müssten ja die Presseverlage die Leistung der Aggregatoren, die ihnen die Nutzer allererst zuführen, vergüten. Restaurants bitten ja auch nicht die Stadtmagazine für deren Gastro-Tipps zur Kasse.)
Falsche Folge: Mehr statt weniger Rechtsunsicherheit
Die CDU hatte in einem in Teilen sogar progressiven Diskussionspapier zum Urheberrecht, das sie am Dienstag veröffentlichte, noch folgende Bedingung an das neue Leistungsschutzrecht geknüpft:
Dabei dürfen Privatpersonen, ehrenamtlich organisierte Vereine und Blogger ohne Gewinnerzielungsabsicht nicht erfasst werden. Auch Links müssen frei bleiben, damit in Abwägung mit dem Grundrecht auf Eigentum die Informationsfreiheit gewahrt bleibt.
Dass dieses selbst gesteckte Ziel nun so fundamental verfehlt wurde, ist ärgerlich. Sehenden Auges riskiert der Gesetzgeber, die ohnehin große Rechtsunsicherheit in urheberrechtlichen Fragen sogar noch zu erhöhen. Anwaltskanzleien wird es freuen, uns führt es zu großer Sorge. Gerade im Hinblick auf die gemeinschaftliche Erstellung von Wissensplattformen ist ein Chilling Effect unausweichlich. So fasst etwa der Law-Blogger Udo Vetter bündig zusammen: “Neben dem finanziellen Aderlass dürfte die absehbare Shock & Awe-Strategie ja auch den Effekt haben, dass sich weniger Menschen trauen, selbst Inhalte ins Netz zu stellen.”
Wikimedia Deutschland e.V. wird deshalb in den nächsten Tagen nochmal mit einer ausführlichen Stellungnahme auf die möglichen Kollateralschäden des Leistungsschutzrechts für Presseverlage hinweisen. Auf der Webseite des Vereins findet sich die Pressemitteilung zum Gesetzentwurf.
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