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FemNetzCon 2024

Machtkritik und queeres Wissen – das war die FemNetzCon 2024

Die Wikipedia noch diverser zu machen – das ist das Ziel der Autor*innen und Gruppen, die sich zum „FemNetz“ zusammengeschlossen haben. Bei der mittlerweile 4. „FemNetzCon“ wurden dazu jetzt in Hamburg neue Strategien debattiert. Im Vorfeld der Konferenz fand zudem eine Diskussion zum Thema „Queere KI“ statt.
Foto: Elena Ternovaja creator QS:P170,Q110906093, FemNetz Wikipedia Übersicht, CC BY-SA 3.0

Patrick Wildermann

2. Mai 2024

Wie kann marginalisiertes Wissen leichter Eingang in die Wikipedia finden? Das war eine der zentralen Fragen, die auf der FemNetzCon 2024 in Hamburg diskutiert wurden. Das Netzwerktreffen der verschiedenen Wikipedianer*innen und Schreibgruppen, die sich als FemNetz für Diversität und Willkommenskultur in der Wikipedia einsetzen, fand zum vierten Mal statt.

Rund 40 Teilnehmer*innen kamen für drei Tage in den Räumen des Projekts Bildwechsel und im Freiraum des Museums Kunst und Gewerbe (MK&G) in Hamburg zusammen, um sich in Formaten wie „FemNetz-SpeedDating“, „Blick über den Tellerrand“ oder „Quo vadis, FemNetz?“ auszutauschen, untereinander noch enger zu vernetzen – und die Weichen für mehr Wissensgerechtigkeit zu stellen. „Die Stimmung war offen und produktiv“, beschreibt Wikipedianerin Helga Wiki, die das Netzwerktreffen mitorganisiert hat.

Lücken verstehen und füllen

In Arbeitsgruppen und in gemeinsamen Foren wurden nicht zuletzt auch die Gründe beleuchtet, weshalb bestimmtes Wissen in der Wikipedia ganz oder in einzelnen Artikeln fehlt. „Teilweise hat das historische Ursachen“, sagt Helga Wiki: „Beispielsweise waren queere Lebensweisen lange kriminalisiert und besaßen entsprechend keine gesellschaftliche Sichtbarkeit.“ Gerade vor diesem Hintergrund sollte die Wikipedia stets auch neues Wissen in bestehende Artikel aufnehmen, betont die Wikipedianerin. Sie nennt als Beispiel eine jüngst erschienenen arte-Dokumentation über den Musiker Little Richard, die erstmals dessen lange verschwiegene Homosexualität thematisierte – ein Aspekt, der im „ansonsten sehr guten und differenzierten Wikipedia-Eintrag“ über den Künstler entsprechend noch fehle.

Überhaupt findet Helga Wiki, dass die Community stets „den jüngsten Stand der Diskussionen“ abbilden sollte: „Im Zusammenhang mit Transidentität von historischen Personen wird beispielsweise oft noch fälschlich das Schlagwort ‘Travestie’ verwendet.“

Was ist relevant für die Wikipedia?

Im Zusammenhang mit marginalisiertem Wissen wurde auf der FemNetzCon auch über die Relevanzkriterien der Wikipedia diskutiert. Diese von der Community ausgearbeiteten Kriterien legen fest, was in der Online-Enzyklopädie Platz findet und was nicht. Eine Arbeitsgruppe verhandelte dazu in Hamburg einige Leitfragen. Darunter zum Beispiel: Werden die bestehenden Relevanzkriterien auf alle Geschlechter gleichermaßen angewendet? Oder: Wie können die Kriterien verändert werden, um Frauenleistungen umfassender abzubilden?

Wikipedianerin ScheWo, die Teil der Arbeitsgruppe war, hält fest: Die Relevanzkriterien seien zwar grundsätzlich neutral, alledings zeige sich aufgrund der jahrhundertelangen Diskriminierung von Frauen, „dass deren Leistungen durch die bestehenden Relevanzkriterien weniger anerkannt werden.“

Wikipedianerin Alpenhexe nennt als Beispiel die „Liste bedeutender Bergsteiger“ in der Wikipedia. Dort sei unter anderem behauptet worden, dass es keine bedeutenden Bergsteigerinnen gebe. Alpenhexe hat das korrigiert. Den Umstand, dass weibliche Leistungen in der Wikipedia vielfach ausgeblendet würden, beschreibt sie als ihre Hauptmotivation, überhaupt als ehrenamtliche Autorin mitzumachen.

Queeres Wissen, Wissen queeren

Wissen ist nicht nur Macht – Wissen bildet immer auch Machtverhältnisse ab. So wiederum beschreibt Helga Wiki eine der zentralen Erkenntnisse aus der Veranstaltung „Queere KI und Wikipedia“, die am Vorabend der FemNetzCon ebenfalls in Hamburg stattfand. Mit dabei waren die Kultur- und Medientheoretiker*innen Sara Morais dos Santos Bruss und Lotte Warnsholdt. Diskutiert wurde darüber, wie verhindert werden kann, dass KI-Systeme, die auch mit den Datensätzen der Wikipedia trainiert werden, Gender-Stereotype reproduzieren, die in diesen Daten enthalten sind.

KI, so Helga Wiki, „ist nie ahistorisch oder neutral, sondern eingebettet in die Machtverhältnisse unserer Gesellschaft.“ Wissen zu „queeren“ bedeute entsprechend, genau diese Herrschaftsgefälle kritisch zu durchleuchten. Was auch für die Bestände vieler Archive oder Museen gelte, die oftmals auf gewalttätige koloniale Sammlungspraxen zurückgingen – und nicht unhinterfragt bleiben dürften.

Offen und lebendig bleiben

Last but not least wurde auf der FemNetzCon auch darüber debattiert, wohin sich das Netzwerk in Zukunft entwickeln soll, um wirksam zu bleiben. Das Schlagwort: „Quo vadis, FemNetz?“. Die Teilnehmer*innen überlegten, ob FemNetz eine neue Organisationsform für den geschlossenen Auftritt braucht – etwa als User Group, wie es viele im Wikiversum gibt.

Dafür fand sich allerdings keine Mehrheit: „FemNetz möchte offen bleiben“, fasst Helga Wiki das Ergebnis dieser Diskussion zusammen. „Wir wollen unsere fluide Struktur beibehalten und weiterhin neue Impulse von Individuen und Gruppen aufnehmen – kurz gefasst: FemNetz soll lebendig bleiben!“

FemNetz ist ein Netzwerk von unterschiedlichen Wikipedianer*innen und Schreibgruppen mit feministischen Anliegen. FemNetz möchte den Anteil der schreibenden und repräsentierten Frauen sowie von inter, trans und nonbinären Personen auf Wikipedia nachhaltig erhöhen. Aktive Gruppen des Netzwerks sind: WomenEdit, Who writes his_tory? mit Verbindung zu Art+Feminism, wiki:wo:men und weitere Gruppierungen sowie einzelne engagierte Autor*innen vorwiegend aus Deutschland, Österreich und der Schweiz (D-A-CH).

Für Einsteiger*innen, die gern bei Wikipedia mitmachen würden, aber nicht genau wissen, wie das funktioniert, gibt es das FemSupport-Netzwerk – die Ansprechpartner*innen leisten hier gern Hilfe.

An jedem 4. Montag im Monat von 19 bis 20 Uhr veranstaltet FemNetz den Online-Workshop 60 Minuten zu Gender & Diversity in der Wikipedia. Auch hier sind Einsteiger*innen willkommen!

Diese weiteren Initiativen und Projekte machen sich ebenfalls für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Wikipedia stark – und zwar ganzjährig:

  • WomenEdit

    Bei regelmäßigen Treffen von Wikipedianerinnen wird gemeinsam editiert – vor Ort und online. In Berlin jeweils am ersten Mittwoch im Monat in der Geschäftsstelle von Wikimedia Deutschland und am dritten Mittwoch im Lokalen Wikipedia-Raum WikiBär. In Erlangen trifft sich WomenEdit üblicherweise am zweiten Montag im Monat in der Stadtbibliothek.

  • Women in Red

    Der deutschsprachige Teil des internationalen kollaborativen Projekts „Women in Red“ hat zum Ziel, so viele rote Links auf fehlende Frauenbiografien in der Wikipedia wie möglich in blaue umzuwandeln.

  • wiki:wo:men

    Der Arbeitskreis wiki:wo:men trifft sich monatlich in Stuttgart. Eingeladen sind alle Menschen, die Interesse am Thema „Frauen in der Wikipedia“ haben – egal, ob Wikipedianer*innen oder Neulinge. Die Treffen finden in der Regel an jedem 3. Freitag im Monat statt.

  • Workshop-Reihe 60 Minuten – Gender & Diversity in der Wikipedia

    Die Online-Workshop-Reihe dient dem länderübergreifenden Austausch (Deutschland, Österreich, Schweiz) zu Fragen rund um Gender und Diversity in der Wikipedia – an jedem 4. Montag im Monat von 19 bis 20 Uhr.

  • Mentorinnennetzwerk FemSupport

    Das feministische Support-Netzwerk bietet kollegiale Unterstützung für Frauen, die bei Wikipedia aktiv werden wollen, sich aber im Dschungel der Hilfeseiten und Video-Tutorials (noch) nicht zurechtfinden.

  • Berlinale FilmFrauen Edit-a-thon

    Der Edit-a-thon findet jährlich am ersten Berlinale-Wochenende in Berlin statt und bringt mehr Biografien über Filmfrauen aller Sparten in die Wikipedia: von der Regisseurin bis zur Tonmeisterin. Hier gibts einen lesenswerten Rückblick auf den Berlinale Edit-a-thon 2024.

  • Wiki Riot Squad Berlin

    Im Rahmen von Schreibwerkstätten und Edit-a-thons werden beim Projekt Wiki Riot Squad Wikipedia-Artikel diskutiert und bearbeitet – der Fokus liegt dabei auf möglichen Gender Bias, also einer verzerrten Wahrnehmung durch sexistische Vorurteile und Stereotype.

  • Art+Feminism

    Diese Gemeinschaft von Aktivist*innen setzt sich dafür ein, Informationslücken im Zusammenhang mit Geschlecht, Feminismus und Kunst zu schließen, beginnend mit Wikipedia.

  • Who writes his_tory?

    Dieses Schweizer Projekt hinterfragt die Reproduktion von Wissen und struktureller Diskriminierung im Internet und vor allem auf Wikipedia. In der Schweiz sind außerdem Les sans pagEs (französischsprachig) und die Künstler*innengruppe Femme Artist Table FATart aktiv.

  • TypIn*frauen*schreiben*wiki

    In Österreich gibt es die TypIn*frauen*schreiben*wiki – eine Schreibwerkstatt für Frauen in Graz.

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