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100 Jahre Frauenwahlrecht: Ein guter Anlass mit dem Editieren in der Wikipedia anzufangen!

Freiwillige der Wikipedia-Community haben das 100-jährige Jubiläum des Frauenwahlrechts zum Anlass genommen, mit einer Schreibwerkstätten-Reihe historische Persönlichkeiten und Themen wie politische Teilhabe sichtbarer zu machen. Ein Gastbeitrag von Wikipedianerin Leserättin, die gemeinsam mit anderen Aktiven aus der Region Stuttgart einen ganz besonderen Edit-a-thon organisierte.

WMDE allgemein

20. Dezember 2018

Sie berichtet in diesem Beitrag von ihren Erfahrungen mit dem Format, das aus externen Vorträgen und Wikipediaeinführung bestand und ihrer ganz persönlichen Sicht auf die Veranstaltung. Wer sich die Stimmen vor Ort dazu noch live anhören will, der kann sich den Radiobeitrag der Jugendpresse Baden Württemberg anhören.

Das Thema „Frauenwahlrecht“ kam im November anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts für Frauen und Männer endlich einmal „groß“ heraus. Auch in der Wikipedia-Community waren Autorinnen und Autoren schon Monate vorher auf das Thema aufmerksam geworden, hatten einen kritischen Blick auf die bestehenden Artikel zum Kampf um das Frauenwahlrecht und zur politischen Teilhabe von Frauen geworfen und sich gesagt: „Das könnten und sollten wir ausbauen!“

Gleich an mehreren Orten – Frankfurt, Stuttgart, Potsdam, Bonn – wurden Edit-a-thons geplant, so dass eine ganze Reihe zu 100 Jahre Frauenwahlrecht zustande gekommen ist. Wir Stuttgarter planten unseren Edit-a-thon auf den 30. November. 100 Jahre zuvor war die Wahlordnung in Kraft getreten, die Frauen das aktive und passive Wahlrecht gab. Monatelang bereiteten wir die Veranstaltung vor. Anders als sonst wollten wir bei unserem Edit-a-thon Schreibwerkstatt, Einweisung in die Wikipedia für Neue und Unerfahrene und ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Vorträgen, Ausstellungsführung und Stadtspaziergang verbinden, für das wir als Kooperationspartnerinnen die Stadtbibliothek Stuttgart, die Landeszentrale für politische Bildung und das Haus der Geschichte Baden-Württemberg gewinnen konnten.

Fünf Mitglieder vom «Verein für Frauenstimmrecht». Von links nach rechts/Left to right: Anita Augspurg, Marie Stritt, Lily von Gizycki, Minna Cauer und Sophia Goudstikker, um 1896. https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:GLAM/100_Jahre_Frauenwahlrecht#/media/File:Anita_Augspurg_(1896).jpg. CC0.

Nach drei Tagen Edit-a-thon konnten wir mit Freuden feststellen, dass das Konzept aufgegangen war. Über 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer trafen sich in der Stuttgarter Stadtbibliothek, um sich über die revolutionären Vorgänge der Zeit um 1918 in Hinblick auf das endlich erreichte Frauenwahlrecht, den damit verbundenen geschichtlichen Kontext und die Folgen bis heute zu informieren und auszutauschen.

Die Präsidentin des baden-württembergischen Landtags, Muhterem Aras MdL, erdete die Veranstaltung zu Beginn mit einem Vortrag zu „Ist politische Beteiligung (k)eine Frage des Geschlechts?“, in der sie aufzeigte, dass wir auch 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts von einer gleichberechtigten politischen Teilhabe der Frauen weit entfernt sind. Noch immer ist der Anteil von Frauen in den Parlamenten erschreckend gering und liegt in Stuttgart sogar bei nur knapp 25 %. Im Bundestag ist der Frauenanteil nach der letzten Wahl sogar zurückgegangen. Zuvor hatte Muhterem Aras einen Bogen gespannt von Ausradierung des Namens der Pharaonin Hatschepsut, über die Unterschlagung der historischen Würdigung der Leistungen der Frauen durch die männlichen Historiker in den zurückliegenden Jahrhunderten bis zum viel zu niedrigen Frauenanteil in der heutigen Wikipedia.

Muhterem Aras, Landtagspräsidentin Baden-Württembergs, (3. von r.) eröffnete den Edit-a-thon mit der Frage: „Ist politische Beteiligung (k)eine Frage des Geschlechts?“. Foto: Affenpost, Editathon 100 Jahre Frauenwahlrecht Stuttgart – Organisation 2, CC BY-SA 3.0

Im zweiten Vortrag demonstrierte die Kulturwissenschaftlerin Kerstin Hopfensitz die „Unfreiheit“, die allein schon die Kleidung um die Jahrhundertwende den Frauen auferlegte. Nur wenige Tage davor hatte ich das köstliche Scheinduell mit Regenschirm statt Degen zwischen Emmeline Pankhurst und ihrer Tochter im Fernsehdokudrama Die Hälfte der Welt gehört uns! gesehen. Nun realisierte ich: Niemals hätten die beiden die Bewegungsfreiheit dafür gehabt, auch nicht in Reformkleidung.

In der ganz praktisch gehaltenen Wikipediaeinführung (Motto: „Einfach anfangen! Direkt loslegen!“) am Freitag und Samstag machten sich die in großer Zahl erschienenen Wikipedia-Interessierten – vor allem Frauen – mit großer Begeisterung an die vorbereiteten Aufgaben. Auf kleinen Aufgabenzetteln gab es Anregungen, welche bestehenden Artikel von den Neuen ganz konkret verbessert werden konnten. Die Stuttgarter und angereisten Wikipedianerinnen und Wikipedianern unterstützten sie mit großem Engagement.

Frauenrechte sind Bürgerrechte, was in der Ausstellung Vertrauensfragen. Der Anfang der Demokratie 1918-1924 im Haus der Geschichte Baden-Württemberg deutlich wurde. Besonders eindrücklich war dort die von einer Schauspielerin nachgesprochene erste Rede einer Frau in einem deutschen Parlament. Nein, nicht die in den letzten Wochen immer wieder angeführte Rede von Marie Juchacz am 19. Februar 1919 im Reichstag, sondern die Rede der Abgeordneten Marianne Weber in der badischen verfassunggebenden Nationalversammlung schon am 15. Januar 1919:

Blick in die Ausstellung Vertrauensfragen Der Anfang der Demokratie 1918-1924. Foto: Medea7, Blick in die Ausstellung Vertrauensfragen, CC BY-SA 3.0

„So sei mir gestattet, nicht als Parteiangehörige, sondern als Frau einige Worte zu Ihnen zu sprechen […] Millionen von uns haben seit vielen Jahrzehnten draußen außerhalb des Hauses ihren Unterhalt selbst erwerben und auf eigenen Füßen stehen müssen, und sie haben sich die harte Luft des Draußenlebens um ihren Kopf wehen lassen. Tausende von uns haben während des Krieges Männerarbeit geleistet, mit geringeren leiblichen Kräften als der Mann. Tausende von uns Frauen haben ein Heimatheer gebildet, ohne welches das Frontheer keine Munition und keine Kleidung gehabt hätte. Und tausende von uns, die nicht gezwungen waren, den harten Kampf ums Dasein zu führen, haben doch seit vielen Jahrzehnten, durchdrungen von tiefem sozialem Verantwortungsgefühl, mitgewirkt an der Lösung der schweren sozialen Aufgaben.“

Die Veranstaltungsergebnisse können sich sehen lassen, sowohl bei den neuen und ausgebauten Artikeln als auch bei der Rückmeldung von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. „Es waren interessante Begegnungen, viele tolle Gespräche und natürlich haben wir viel gelernt“, lobte die Wikipedianerin Medea7 und ergänzte: „Viele Frauen erreichten Erstaunliches und sind kaum bekannt. Der Edit-a-thon war ein Auftakt, um dieses Wissen verfügbar zu machen und darüber nachzudenken, wo wir heute in der Demokratie stehen.“ Johanna, eine Feminismus-interessierte Neuautorin, betonte, sie sei wegen der Kombination aus Information, Wikipediaeinführung und praktischem Tun gekommen, gerade weil ihr das Thema Frauenwahlrecht und -bewegung am Herzen liege: „Die Mischung aus Vortrag und Input und was selber machen, das fand ich gut.“ Es habe ihr viel Spaß gemacht.

Solche Rückmeldungen bestärken uns: Ja, solche Veranstaltungen wollen wir in der Zukunft wieder anbieten!

 

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