Heute ist Valentinstag und Liebe liegt in der Luft. Auch bei Wikimedia Deutschland, denn heute ist zudem auch ein ganz besonderer Tag für freie Software. Der Free Software Day wurde von der Free Software Foundation etabliert und wir wollen dem Ruf auch dieses Jahr folgen und unsere Liebe gestehen.
Ein Interview geführt von Julia Schuetze mit Lucie-Aimée Kaffee, Lydia Pintscher, Adam Shorland, Gabriel Birke und Nicole Ebber von Wikimedia Deutschland.
Freie Software Liebesgründe:
Lucie: Einerseits ist es bei Freier Software so, dass sie viele Möglichkeiten und Chancen für Menschen eröffnet, Computer zu benutzen, man andererseits aber auch mit der Software wächst. Freie Software bedeutet nicht nur, dass ich etwas kostenlos herunterladen und benutzen kann, sondern eben auch den Source Code angucken kann.
Nicole: Freie Software kann ich im Gegensatz zu nicht-freier z. B. auf all meinen Geräten installieren, verwenden und sogar weitergeben, ohne dass ich Angst haben muss, eine Urheberrechtsverletzung zu begehen. Bei proprietärer Software muss ich ständig damit rechnen, dass die Entwicklung eingestellt wird oder horrende Preise genommen werden, die mir eine Weiternutzung unmöglich machen. Außerdem steckt hinter Freien-Software-Projekten meist eine sehr engagierte und qualifizierte Community, deren Arbeit unterstützenswert ist.Lydia: Weil freie Software Menschen empowered und ihnen Möglichkeiten gibt, die ihnen sonst verwehrt blieben. Konkret bei Wikidata geben wir mehr Menschen Zugang zu Wissen, den sie sonst nicht hätten, zum Beispiel wegen Sprachbarrieren.
Lucie: Ich stoße auf ein Problem und habe die Möglichkeit mir anzugucken, wie andere, die an dem selben Punkt standen, es gelöst haben.
Adam: The ability to actually see what the software is doing, and to be able to freely modify and improve the software.
Nicole: Besonders charmant finde ich den Copyleft-Gedanken vieler freier Software-Lizenzen: Die Freiheit der Software muss stets erhalten bleiben, und wird auch an Modifikationen und neu entstehende Programmen vererbt.
Über die Relevanz von freier Software:
Lydia: Freie Software hat nicht zum Ziel, dir Dinge zu verwehren oder schwieriger zu machen. Zum Beispiel, Apple, die ganz bewusst Software restriktiv bauen, sodass du nicht damit tinkern [zu Deutsch: basteln oder werkeln] kannst, sondern es so nehmen musst, wie es dir gegeben wird. Freie Software im Gegenteil ist da, um damit zu tinkern.
Nicole: Freie Software hat Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft: Sie steht für Vielfalt, Dezentralisierung und auch für den Abbau von Hierarchien. Im Idealfall verhindert sie die Abhängigkeit von einzelnen Hard- und Softwareherstellern sowie Monopolstellung einiger weniger Anbieter. Freie Software zu benutzen, ermöglicht außerdem, sie zu studieren, damit zu experimentieren und somit auch die eigene Computerkompetenz zu steigern.
Lucie: Je mehr Leute an einem Source Code arbeiten desto diverser wird der Code. Also ist er nicht mehr zugeschnitten auf nur eine bestimmte Gruppe.
Adam: You get to see how it works.
Lydia: Aus dem Grund, dass wir für mich erschreckende Trends sehen. Neue Technologien kommen auf uns zu in unheimlicher Rate – neue coole Sachen, die Dinge ermöglichen. Das ist fantastisch. Gleichzeitig sehen wir aber, dass die neuen Technologien und Innovationen sehr begrenzt sind, beschränkt, proprietär und nicht offen, was dazu führt, dass immer mehr Menschen gerade was Consumer Technology angeht, diese Technologien benutzen und sich einfach in ihr Schicksal ergeben und akzeptieren, dass sie eben zum Beispiel das Buch auf ihrem Kindle nicht mit ihrem Freund teilen können. Oder, um es weiter zu treiben, dass man sein eigenes Auto nicht mehr reparieren kann. Diesen Gedankenwechsel in unserer Gesellschaft finde ich sehr schlimm, weil wir immer mehr akzeptieren, dass viele Technologien heute Blackboxes sind, die wir nur noch konsumieren und (…) man nicht das Gefühl hat, dass man die Welt beeinflussen, verändern und gestalten kann. Und da ist freie Software extrem wichtig.
Nicole: Für mich als Nutzerin bietet freie Software insofern Sicherheit, als dass mehr Menschen den Code einsehen und dann nicht nur nach Hintertüren, Schadsoftware und Bugs suchen, sondern diese auch selber ausbessern können.
Freie Software und Community:
Lucie: Der Unterschied ist, dass es Communities sind, die gemeinsam an dem Projekt arbeiten und Spaß dran haben, was ich sehr schön finde. Bei vielen Projekten weiß ich zumindest, wen ich ansprechen kann oder an welchen IRC Channel (Chat) ich mich wenden muss. Aber es gibt natürlich auch die Möglichkeit, die Software einfach zu benutzen, wie man auch closed source software benutzt.
Gabriel: Leider gibt es bei einigen Open-Source Projekten jedoch “kulturelle Hürden”, die meiner Meinung nach vor allem dadurch entstehen, dass die Community rund um die Software zu sehr von weißen, männlichen Software-Entwicklern dominiert wird. Das führt dazu, dass andere wichtige Aspekte von Software (Dokumentation, Usability, User Experience, Projektplanung, Marketing, Design, Community-Support, Koordination der Teams) zu kurz kommen, weil das Fähigkeitsspektrum der Kern-Community nicht divers genug ist.
Freie Software und dann nie wieder zurück:
Lucie: Ich glaube, das erste Mal so richtig Linux benutzt habe ich, als ich mit einem Freund spontan entschieden hatte, Arch Linux zu installieren. Da saßen wir eine ganze Nacht dran, aber ich hatte keinen Window Manager. Daran bin ich gescheitert als ich auf einer Konferenz stand und mir niemand sagen konnte, wie ich an das WLAN ohne Passwort rankomme. Ich konnte es nur für WLANs mit Passwort. Ich glaube, dass war so das erste Mal, dass ich mich mit Linux so richtig auseinandergesetzt habe. Ich habe dann einen Freund angerufen und der konnte mir über Ferndiagnose mit dem WLAN helfen. Daran habe ich gemerkt, auch wenn es manchmal “tricky” ist, dann ist es immer noch eine gute Herausforderung und auch toll, dass du Leute um 10 Uhr wachklingeln kannst, die dir dann weiterhelfen. Und das ist nicht ihre Arbeit, sondern die beschäftigen sich einfach gerne damit.
Adam: While initially learning how to program I felt like I was simply developing pointless applications to jump through hoops. So instead of continuing down this path I started looking into learning how to program while writing code that was new and had real world uses. I started developing scripts for Wikipedia, then moving onto Wikidata and from there to contributing code to MediaWiki, Wikibase and other applications throughout the open source world.Lydia: Ich hatte eine lange Zeit ein proprietäres Betriebssystem und dann, als Ubuntu aufkam, habe ich mich entschieden umzusteigen. Und seit dem habe ich nie wieder zurückgeschaut.
Gabriel: Ich habe im Jahr 2001 angefangen, mit der Programmiersprache PHP Webseiten zu bauen, um die bis dahin statischen Web-Seiten schneller und besser pflegen zu können. Der Web-Server Apache, die Datenbank MySQL, die Programmiersprache PHP und später die verwendeten Content-Management-Systeme waren alle freie Software und gut dokumentiert. Das hat die Einstiegshürde für “einfach mal ausprobieren” enorm gesenkt.
Nicole: 2007 haben ich meine Diplomarbeit über Creative-Commons-Lizenzen geschrieben und fand es nur konsequent, einen Text über freie Lizenzen auch mithilfe freier Software zu verfassen.
Ist freie Software auch etwas für Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher?
Lucie: Ich glaube es ist schon mehr mainstream. Es ist dann vielleicht eine andere Art, sich damit zu beschäftigen und ich glaube auch, dass viele Leute nicht wissen, wieviel freie Software sie eigentlich benutzen.
Adam: Of course free software is for everyone (even if they do not realise it).
Lydia: Ja, um es zu benutzen und mitzumachen, muss man kein technisches Genie sein. Ganz im Gegenteil, wenn jemand gut darin ist, Fragen von Benutzenden zu beantworten, dann ist das hilfreich. Oder wenn jemand gut darin ist, Bug Reports zu organisieren, ist das toll. Wenn jemand mit dem Auge eines Neulings ein Programm benutzt und dazu Dokumentationen schreibt, dann ist das extrem hilfreich für Menschen, die das Programm entwickeln, denn denen fällt es oft schwer, den Blickwinkel einer Person einzunehmen, die das Programm noch nicht benutzt hat. Oder auch immer sehr willkommen sind Testende. Wenn jemand sehr begabt darin ist, Dinge zu tun, die das Entwicklungsteam nicht antizipiert hat. Dann ist es gut zu wissen, was das Programm tut und wo es Fehler gibt.
Gabriel: Eigentlich ja, das impliziert für mich schon der Name. “Frei” bedeutet für mich, dass es keine finanziellen oder juristischen Hürden gibt, die Software so zu nutzen, wie man möchte.
Nicole: Absolut. Mittlerweile sind die meisten Anwendungen recht intuitiv und ohne “Gefrickel” zu benutzen (z. B. Android, Firefox und einsteigerfreundliche Linux-Distributionen), sie sehen hübsch aus und es gibt viele Hilfeseiten im Netz und sicher auch Hilfemenschen im Umfeld, die selbst auf die speziellsten Fragen eine Antwort wissen. Zudem verwenden wir alle täglich Freie Software, ohne es zu merken: fast jedes Mal, wenn wir eine Webseite aufrufen zum Beispiel.
Freie Software: eher ein Produkt oder Projekt?
Lucie: Projekt! Da der Aspekt der Community bei einem Produkt einfach fehlt.Lydia: Projekt! Beruflich und persönlich wäre ich nicht da, wo ich bin ohne freie Software. Vor 10 Jahren, als ich angefangen habe, etwas für freie Software zu machen, hätte ich nie gedacht, dass ich heute hier bin. Natürlich habe ich auch während meines Informatikstudiums unheimlich viel gelernt, aber alles, was mir wirklich für meinen Job heute hier hilft, habe ich in freien Software-Projekten gelernt.
Nicole: Das kommt auf die Perspektive an. Als Endnutzerin blicke ich eher aufs Produkt, während die Community dahinter ihre Arbeit vermutlich eher als Projekt versteht.
Lobhymne auf bestimmte Projekte:
Lucie: Oh es gibt so viele, aber wenn ich mich festlegen muss, dann muss ich sagen, dass mir natürlich Wikibase sehr am Herzen liegt. Inventaire finde ich ein ganz tolles Projekt. Die Linux Kernel Entwicklung finde ich beeindruckend.
Gabriel: Die allgemein “beste” Nutzung von freier Software ist für mich GNU/Linux – vom Handy, über Laptop bis hin zu Großrechnern, das anpassbare Betriebssystem ist für mich DIE Erfolgsstory schlechthin. Meine persönlichen Lieblinge sind zur Zeit Kodi und OpenHAB. Kodi ist eine Mediaplayer-Software, die aus PCs oder Kleinstrechnern wie dem Raspberry Pi eine echte Alternative zu AppleTV und Co. macht und das Fernsehvergnügen enorm steigert. OpenHAB ist eine Integrationssoftware für das viel beschworene “Internet of Things” bzw. “Smart Home”. Die Geräte-Hersteller kochen alle ihr eigenes Süppchen, mit OpenHAB kann ich die Komponenten von verschiedenen Herstellern unter einer Benutzeroberfläche vereinen und die sensiblen Sensordaten der Geräte bleiben in meinem Netzwerk und werden nicht in irgend eine “Cloud” gepustet.
Nicole: Erwähnte ich bereits, dass ich großer Wikidata-Fan bin?
Wieso sind noch nicht alle verknallt?
Adam: Probably because they don’t know enough about it. Why it is so great, what it can do, and in-fact what they use in an every day situation that uses and relies on it. Of course companies that sell software spend lots of money on selling said software. Open source companies don’t really spend the same amount of money trying to get people to use their software!
Lydia: Das ist ein Mix aus ganz vielen Dingen. Zum einen sind viele proprietäre Applikationen sehr convenient und machen das Leben erheblich einfacher. Das führt natürlich dazu, das Leute das wollen. Das andere ist ein nicht Bekanntsein von Alternativen und manchmal auch ein Vergessen, dass es auch anders geht.
Gabriel: Das Haupt-Feature der freien Software, das “jeder kann mitmachen und sich einbringen” ist für die meisten Nicht-Programmierer kein
Kriterium, nach dem sie ihre Software aussuchen. Sie wollen einfach, schnell und möglichst kostengünstig ihr Problem lösen. Die meiste freie Software lässt sich nicht einfach finden und ohne technisches Verständnis in wenigen Schritten installieren und ausprobieren. Das Modell “App-Store” macht einerseits vor, wie einfach der Kauf und die Installation von Software sein kann, ist eine zentrale Anlaufstelle für Software und hat Prüfprozesse, die sicher stellen, dass keine Schadsoftware installiert wird. Andererseits sind die App-Stores aber auch in der Hand kommerzieller Unternehmen, die systematisch Open-Source Software benachteiligen.
Nicole: Ich vermute, wegen der Lock-in-Effekte der proprietären Anwendungen (“Alle meine Freund*innen nutzen das doch auch!”), aus purer Unwissenheit und weil freier Software – zu Unrecht – noch immer ein verstaubtes und kompliziertes Image anhängt. Der heutige Tag trägt hoffentlich dazu bei, dieses Bild gerade zu rücken!
Ein Blick in die Zukunft:
Adam: Free software is a constantly expanding realm. This can be seen as big companies slowly open source more and more of their code.
Lydia: Freie Software besser machen und somit für Konsumertechnologien eine gute Alternative zu haben und zum anderen auch verständlich machen, dass “free as in beer” nicht “free as in freedom” ist. Das eben, wenn ich Facebook benutze, obwohl es kostenlos ist, es aber nicht wirklich kostenlos ist, weil ich es mit bestimmtem Dingen bezahle – mit Interaktion, Werbung und meine Daten. Es kommt mit unsicherbaren Kosten und wir als Gesellschaft hinterfragen diese Kosten in meinen Augen nicht genug. Freie Software kann da gegenhalten.
Gabriel: Ich hoffe, dass aktuelle Ansätze zum Erhöhen der Diversität in den Free-Software-Communities Früchte tragen und mehr Personen mit einem umfangreicheren Fähigkeitsspektrum mitarbeiten. Ich hoffe, dass die Begeisterung und Leidenschaft, die Programmierer dazu bringt, ihre Zeit anderen zu schenken und dafür jede Menge Zeit-Geschenke von anderen Programmierern zu bekommen, alle Berufszweige erfasst und irgendwann zu einer gangbaren Alternative wird.
Feiert den Free Software Day mit uns und teilt eure Begeisterung mit dem Hashtag #ilovefs.
Danke an alle Befragten für ihre Zeit und Begeisterung!
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