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Wikipedia

Wikipedia, die Exotin unter den digitalen Riesen

Was haben X, Instagram, LinkedIn und Wikipedia gemeinsam? Sie alle sind Very Large Online Platforms (VLOPs). Der Digital Services Act (DSA) definiert für diese Plattformen besondere Sorgfalts- und Transparenzpflichten. Dazu gehört auch, dass sie regelmäßig offenlegen müssen, wie sie Inhalte moderieren oder gegen illegale Aktivitäten vorgehen. Die ersten Transparenzberichte liegen nun vor. Sie zeigen: Die Wikipedia ist die Exotin unter den VLOPs.
Das Foto zeigt einen Mondfisch, lateinisch mola mola, der in dunkelblauem Meerwasser schwimmt. Die Bildunterschrift dazu lautet: Haben auch etwas gemeinsam: Der Mondfisch und die Wikipedia. Beide sind riesig und exotisch. Foto: Yohann Cordelle, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons

Franziska Kelch

22. November 2023

Das Ziel, das die Europäische Union mit dem DSA erreichen will, ist ein „sicheres und vertrauenswürdiges Online-Umfeld“. Die VLOPs werden durch das Gesetz stärker in die Pflicht genommen Inhalte zu moderieren. Sie müssen Meldemechanismen einrichten und gemeldete Inhalte binnen festgelegter Zeiträume zu prüfen. Und sie müssen regelmäßig Risikobewertungen durchführen sowie in Transparenzberichten über ihre Moderation oder auch Anfragen von Behörden zu illegalen Inhalten Auskunft geben. Zu den digitalen Angeboten, die der DSA als sehr große Plattform definiert, gehören soziale Netzwerke, Suchmaschinen und digitale Marktplätze.

Grafik: Franziska Kelch (WMDE) / CC BY-SA 4.0

Die Definition bedeutet aber auch, dass die Betreiberin der nicht-kommerziellen, community-moderierten und freien Enzyklopädie Wikipedia, die Wikimedia Foundation (WMF), juristisch in eine Kategorie mit den Betreiber*innen von Instagram, X oder LinkedIn einsortiert wird. Für die ehrenamtlichen Editor*innen der Wikipedia sollte dies möglichst keine Konsequenzen haben. Dafür setzt sich Wikimedia Deutschland in der weiteren Ausgestaltung des Digitale Dienste Gesetzes ein. Und auch die WMF will Konsequenzen für die Community verhindern. Aber sie muss, wie alle anderen VLOPs auch, regelmäßig Transparenzberichte veröffentlichen. Ein Vergleich ausgewählter Berichte macht deutlich: Die Wikipedia ist ein Kuriosum unter den digitalen Riesen.

Wikipedia versus X: 0 zu 1.728

Artikel 10 des DSA verpflichtet die VLOPs dazu – unter bestimmten Voraussetzungen – mit Strafverfolgungsbehörden aus der EU zu kooperieren. Wenn es eine begründete Anfrage zu vermuteten illegalen Aktivitäten gibt, müssen Plattformen Informationen erteilen.

Ein Blick in die Berichte von Wikipedia und LinkedIn sowie X und Instagram zeigt: Die Wikipedia sticht hervor! 0 Auskunftsanordnungen haben die Wikimedia Foundation von Ende August bis Ende September 2023 erreicht. 1.728 Anfragen hingegen bekam der Betreiber von X vom 28. August bis 20. Oktober 2023.  Alleine 795 davon kamen von deutschen Behörden. Sie betrafen mehrheitlich den Verdacht auf Verbreitung sogenannter Hassrede auf dem Microbloggingdienst. Instagram berichtet für den Zeitraum vom 25. April bis 20. September von 666 Anfragen (604 davon aus Deutschland), die vor allem Verdachtsfälle von Betrug oder sexueller Nötigung betrafen. LinkedIn erhielt vom 25. August bis zum 30. September hingegen nur 78 Anfragen von EU-Ermittlungsbehörden. 55 von ihnen wurden von dem Karrierenetzwerk als berechtigt eingestuft.

Communitybasierte versus professionelle Moderation

Die VLOPs LinkedIn, X oder Instagram moderieren Inhalte nach den Plattform-Richtlinien, die von den Unternehmen vorgegeben werden. Sie beschäftigen professionelle Content Moderator*innen und nutzen zudem automatisierte Systeme, die etwa von Nutzenden gemeldete Inhalte überprüfen. Zur Anzahl der Moderator*innen, den gemeldeten und den entfernten Inhalten sowie den Gründen für die Meldungen machen sie Angaben in ihren Transparenzberichten.

Grafik: Franziska Kelch (WMDE) / CC BY-SA 4.0

Der Transparenzbericht der WMF macht keine Angaben zur Anzahl der professionellen Moderator*innen – es gibt sie schlicht nicht. In der Wikipedia sind es die Ehrenamtlichen, die Richtlinien wie etwa die Relevanzkriterien oder die Regeln enzyklopädischen Schreibens miteinander aushandeln. Wer wissen möchte, wie viele aktive Editor*innen in der deutsch-, englisch- oder polnischsprachigen Wikipedia Inhalte erstellen oder überprüfen, kann diese Daten selbst aufrufen. In den seltenen Fällen, in denen die WMF selbst moderierend aktiv wird, handelt es sich vorwiegend um Fragen des Urheberrechts. Im Berichtszeitraum August bis September hat die WMF allerdings keine Meldungen wegen vermuteter Urheberrechtsverletzungen erhalten. Zwei Hinweise auf mögliche Datenschutzverletzungen haben die WMF erreicht, die sie an die Community zur Überprüfung weitergegeben hat und die noch in Bearbeitung sind.

Auch zur Anzahl entfernter Inhalte, etwa wegen Hassrede, Gewaltdarstellungen oder Nötigung, macht der Transparenzbericht der Wikimedia Foundation keine Angaben. Das heißt nicht, dass es keine Auseinandersetzungen in der Wikipedia gibt. Aber in Auseinandersetzungen zwischen Editor*innen geht es im Großen und Ganzen darum, welche Inhalte den Wikipedia-Regeln entsprechen. Die Diskussionsseiten von einzelnen Artikeln sind Zeugnisse einer lebendingen, kontrovers diskutierenden Community, der es vor allem um überprüfbares und faktenbasiertes Wissen geht. In kommerziellen sozialen Netzwerken oder Plattformen teilen die Nutzenden auch Wissen und Informationen. Vor allem geht es aber darum, Meinungen und Erfahrungen auszutauschen auf einer Plattform, auf der andere, nämlich die betreibenden Unternehmen, die Regeln bestimmen. In diesen sozialen Netzwerken begegnen sich fast immer Nutzende, die einander fremd sind. In der Wikipedia hingegen finden Aushandlungsprozesse über Regeln und Inhalt innerhalb einer eigenverantwortlichen Community statt. Häufig kennen sich Editor*innen, zumindest digital, die zu bestimmten Themen schreiben. Und es gibt Treffen, bei denen sich Teile der Community auch persönlich austauschen.

Die ersten Transparenzberichte der größten digitalen Plattformen in der EU zeigen daher nicht nur, wie diese mit den neuen Regelungen aus dem DSA umgehen. Sie verdeutlichen auch, dass die Wikipedia und die übrigen Plattformen wenig miteinander verbindet – außer die Definition als Very Large Online Platform.

Kommentare

  1. Martin Hardt
    24. November 2023 um 06:56 Uhr

    Wikipedia bleibt ein Leuchtturm im Netz! Meine kleine Dauerspende läuft seit Jahren. Tut wirklich nicht weh, macht sogar Freude.

    1. Franziska Kelch
      24. November 2023 um 09:50 Uhr

      Lieber Herr Hardt, wie schön von Ihnen zu lesen – also von jemandem, der spendet und damit die Wikipedia oder viel mehr die vielen Ehrenamtlichen fördert. Wir freuen uns jedes Jahr sehr, wenn von überall her Stimmen laut werden die sagen warum sie spenden oder seit wann, manchmal mit kleinen Anekdoten verbunden, wo ihnen die Wikipedia genützt hat oder welche Artikel sie besonders gerne gelesen haben, oder, oder, oder.

  2. Alexander Imig (Ai24)
    24. November 2023 um 03:28 Uhr

    Super Artikel, ich würde den gerne WikipedianerInnen in Japan zugänglich machen und fertige dafür eine englische Übersetzung davon an und dann eine japanische. Vielleicht gibt es schon eine englische Fassung, was bei Übersetzungen manchmal ganz hilfreich ist.

    1. Franziska Kelch
      24. November 2023 um 09:52 Uhr

      Hallo Herr Imig, danke für das Feedback – und natürlich für das Lob :-) Den Artikel gibt es tatsächlich „nur“ auf Deutsch, weil unsere Leser*innen unsere Wissens nach eben deutschsprachig sind. Ich frage mal ganz naiv: Wenn Sie eine japanische Version anfertigen wollen, warum brauchen Sie denn eine englische Version, bevor Sie eine japanische anfertigen können? Übersehe ich da etwas?

      1. Alexander Imig (Ai24)
        25. November 2023 um 04:38 Uhr

        Vielen Dank für Ihre Antwort. In der Tat ist eine englische Version für die Übersetzung nicht notwendig, aber hilfreich. Manche Wörter oder Begriffe haben nicht nur eine Bedeutung und wenn man 2 Sprachversionen für eine Übersetzung zur Verfügung hat, kann das die Prägnanz der Übersetzung verbessern.

        1. Franziska Kelch
          30. November 2023 um 16:34 Uhr

          Hallo Herr Imig und danke für die Erklärung. Ich freue mich natürlich, dass Sie den Artikel übersetzen wollen, aber leider habe ich im Moment keine Kapazitäten ihn zu übersetzen. Ich hoffe, Sie halten trotzdem an Ihrem Vorhaben fest.

  3. Wolf-Dietrich Wildegans
    23. November 2023 um 22:13 Uhr

    An alle WIKI Nutzer und Mitarbeitende, ich unterstütze (mit einem kleinen, mir möglichen Betrag) die wertvolle Arbeit. Hier geht es um Vermittlung von unabhängig erfaßtem Wissen und das weltweit. Alleine diese Idee etwas derartiges zu gründen ist wunderbar und wertvoll. Ein soziales Netzwerk welches wirklich sozial ist. Danke!

    1. Franziska Kelch
      23. November 2023 um 22:44 Uhr

      Hallo Herr Wildegans und herzlichen Dank für Ihre Unterstützung! Wir bei Wikimedia schätzen jede und jeden, der oder die dem Verein und den Ehrenamtlichen, die Wissen in der Wikipedia teilen, etwas zurück gibt wirklich sehr. Und wir freuen uns vor allem jedes Jahr wieder auch von den Menschen zu lesen, die etwas spenden. Interessant finde ich, dass Sie von Wikipedia als soziales Netzwerk sprechen, denn das ist es tatsächlich in zweifacher Hinsicht. Einmal natürlich wegen der Grundidee, Wissen frei zu teilen, ohne kommerzielle Absichten. Aber es ist ja auch ein soziales Netzwerk aus tausenden und für tausende Editoren und Editorinnen, die über Redaktionen oder Gruppen oder gemeinsam bearbeitete Themen miteinander verbunden sind.

  4. Michael Gütter
    23. November 2023 um 18:11 Uhr

    Wikipedia halte ich für eine großartige Sache, weshalb ich eine Fördermitgliedschaft seit 2019 besitze. Die Anwendung der Gender-Sprache in Eurem Newsletter stört mich ungemein. Respektiert bitte die Nichtempfehlung des Deutschen Rechtschreibrates zu dieser – nach meiner Meinung – sprachlichen Verirrung, die von der großen Mehrheit der normalen Bevölkerung gründlich abgelehnt wird. Es wäre ein Gewinn für das Ansehen von Wikipedia, wenn aus Respekt vor den Millionen Nutzern bzw. Abrufen und deren alltäglichen Sprachkultur Verzicht auf Gendersprache geübt wird. Auch die Autoren sollten in der Zukunft nicht zu dieser “Rechtschreibung” sanft gedrängt oder motiviert werden. Dem Volk lieber aufs Maul schauen, anstelle elitären Ansprüchen zu huldigen.

    1. Franziska Kelch
      24. November 2023 um 09:45 Uhr

      Lieber Herr Gütter, was die Wikipedia betrifft sind wir offensichtlich vollkommen einer Meinung, das ist schön. Was die Sprache betrifft gehen unsere Ansichten offenbar auseinander. Man muss ja auch nicht in allen Fragen einer Meinung sein. Aus unserer Sicht ist es eine Frage des Respekts, Menschen gendergerecht und sensibel anzusprechen – wozu sich übrigens auch der Rat für deutsche Rechtschreibung bekennt. Uns ist bewusst, dass es verschiedene Wege gibt dies zu tun. Wir als Verein haben uns dafür entschieden, dies mit dem Sternchen bzw. mit geschlechtsneutral-inklusiven Formen in unserem Newsletter oder Blog zu tun. Unseren Newsletter lesen Menschen mit verschiedenen geschlechtlichen Identitäten und wir möchten über Sprache keine Identitäten ausschließen.In der Wikipedia wird nach wie vor das generische Maskulinum verwendet.

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