Das Fellow-Programm Freies Wissen wurde 2016 von Wikimedia Deutschland und dem Stifterverband initiiert, um junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei zu unterstützen, ihre eigene Forschung und Lehre im Sinne von Open Science zu öffnen und damit für alle zugänglich und nachnutzbar zu machen. In diesem Gastbeitrag berichtet die Stipendiatin Lena Reibelt über ihr Forschungsprojekt, das sie im Rahmen des Fellow-Programms durchführt.
Jetzt, gegen Ende des Fellow-Programmes ‚Freies Wissen‘ schaue ich auf ein spannendes halbes Jahr zurück und freue mich schon auf den Austausch mit den anderen Fellows und Mentoren während der nahenden Abschlussveranstaltung. Open Science war für mich zu Beginn noch ein großer Begriff mit unklarer Kontur, beladen mit den abstrakten Bereichen Open Data, Open Source, Open Peer Review, Open Access, Open Methodology, Open Educational Resources, und Citizen Science. Nach und nach gewann ich im Rahmen des Programmes einen Überblick über die konkrete Bedeutung der Bausteine von Open Science. Alle vereint das Ziel, wissenschaftliche Prozesse und Ergebnisse frei zugänglich, nachvollziehbar und nutzbar zu machen.
Aber wie funktioniert das konkret? Während der letzten 6 Monate durfte ich verschiedene Methoden ausprobieren, um Community-Feedback zu erhalten. Durch mein Promotionsthema, welches sich mit hemmenden und fördernden Faktoren der Umweltbildung auf Madagaskar auseinandersetzt, wurde ich mit der Realität vieler Nichtregierungsorganisationen auf Madagaskar konfrontiert, welche oft nicht ausreichend Material und Expertise vereinen, um Umweltbildung auf einem nachhaltigen und wirkungsvollen Niveau zu realisieren. Mein Projekt im Rahmen des Fellow-Programmes fokussierte sich daher auf Möglichkeiten eines verbesserten Austausches zwischen den aktiven NGOs in der Umweltbildung. Mein langfristiges Ziel ist es, durch mehr Openness eine Ausweitung und Professionalisierung der Umweltbildung auf Madagaskar zu unterstützen.
Um Handlungsoptionen offen zu sammeln, zu diskutieren, und zu bewerten, wurde zunächst ein Diskussionsforum eröffnet. Um zu verhindern, dass technische Probleme, Unkenntnis oder Gewohnheiten eine Teilnahme bestimmter Community-Mitglieder verhindern könnte, wurde das Forum parallel auf drei ‚Plattformen‘ angeboten: Etherpad, Google Docs, und Wikipedia. Die parallele Erfassung sollte – neben der Minderung der genannten potentiellen Hemmnisse – einen Methodenbeitrag zu Open Science liefern; auf welcher Plattform würde am meisten Feedback generiert, gäbe es Unterschiede in der Art der Beiträge, und aus welcher Community würden die Teilnehmenden stammen? Im gleichen Sinne wurde eine Liste mit Fachliteratur zu Inter- und Intra-Organisationskommunikation erstellt und auf den drei Plattformen zur Mitarbeit zugänglich gemacht.
Mein Mentor Gregor Hagedorn hatte mich schon darauf vorbereitet, dass die Resonanz vermutlich eher gering ausfallen würde; die gänzlich fehlende Beteiligung war jedoch für uns beide enttäuschend. Dennoch war das ‚Experiment‘ lehrreich; die drei Plattformen unterschieden sich zwar in Grundlagen, Editier- und Formatierungsmöglichkeiten, sowie in der Nachvollziehbarkeit von Änderungen anderer Nutzer, waren aber allesamt schnell erlernbar; meine Selbstwirksamkeits-erwartung bezüglich des Erlernens neuer ‚Programme‘ stieg dadurch rapide an. Während Etherpad die geringste Systemleistung verlangt (was insbesondere bei der Arbeit in einem Entwicklungsland relevant sein kann), erlaubt es zwar die farbliche Zuordnung neuer Nutzereinträge, zeigt jedoch gelöschte Textpassagen nicht mehr an, was ein Ausschlusskriterium für bestimmte Arten der Zusammenarbeit sein kann. Auch komplexere Darstellungsformen wie Tabellen sind hier nicht möglich, sondern müssen durch Listenformatierung umgangen werden. Google Docs hat formatierungs- und designtechnisch mehr zu bieten als Etherpad, Ist jedoch bei schlechter Internetverbindung oder alten Rechnern nicht empfehlenswert. Dafür sind Überarbeitungen bei Google Docs gut erkennbar, insbesondere die Kommentar- und Klären-Optionen sind hilfreich, wenn mehrere Teilnehmer mit unterschiedlichen Meinungen oder Ideen ein Dokument gemeinsam bearbeiten wollen. Auf Wikipedia nutzte ich mangels besseren Wissens meine Userseite zur Bereitstellung des Diskussionsforums und der Literaturliste, die jedoch bald darauf gelöscht wurden (Grund: ‚Missbrauch als Web Host‘); wie ich hieraus lernte, empfiehlt sich für Forschungsprojekte je nach Inhalt z.B. Wikiversity oder Meta Wiki. Der Aufbau und die Bearbeitungsoptionen folgen hier bei allen Schwesternprojekten dem gleichen Prinzip: jeder kann Artikel editieren, entweder als registrierter User, oder indem die IP öffentlich geteilt wird. Verschiedene Reiter bieten die Möglichkeit des Betrachtens (Read), des Editierens (Edit), sowie der Kontrolle (View history), die den Abgleich voriger Versionen ermöglicht. Für möglichen Diskussionsbedarf oder Ergänzungsvorschläge steht ebenfalls ein eigener Reiter zur Verfügung (Discuss). Mit der Formatierungsanleitung für Wikipedia et al. wird jedem ein einfacher Zugang ermöglicht.
Wie erwähnt, blieb eine Beteiligung am Diskussionsforum und der Literaturliste trotzdem aus, daran hinderte auch die Bewerbung der Initiative über Twitter und Email nichts. Mit der Annahme, dass die Einstiegshürde der Diskussionsplattform doch zu hoch angesetzt worden war, starteten wir einen weiteren Versuch: eine Umfrage, welche mit der kostenfreien Version von Survey Monkey erstellt wurde. Mittels 10 (überwiegend multiple-choice) Fragen wurde erhoben, wie Aktive der Umweltbildung die Notwendigkeit einschätzen, eine zentrale Sammlung von Bildungsmaterialien zu erstellen, wieviel Austausch die eigene Organisation bezüglich Umweltbildung praktiziert, und ob ein erweiterter Austausch wünschenswert wäre, wer solch ein Angebot voraussichtlich nutzen würde, etc. Die Umfrage wurde ebenfalls über Email und auf Twitter @BandroAlert beworben und war drei Wochen lang sowohl auf Englisch als auch auf Französisch online zugänglich; erfreulicherweise wurden 30 Umfragebögen ausgefüllt, wobei beide Sprachen etwa hälftig vertreten waren. Die Erhebung zeigte, dass viele NGOs tatsächlich keine Informationen und Einblicke bezüglich der Programminhalte ihrer Kollegen haben, und schon dies verhindert, dass Austausch von Material oder Erfahrungen überhaupt stattfinden kann. Um diese grundlegende Anfangshürde zu adressieren, wurde bei Wikiversity eine Seite zu Umweltbildungsaktivitäten in Madagaskar eingerichtet, wo sich bereits 11 NGOs mit Details zu Programminhalten, Zielgruppe, sowie Interventionsregion eintragen ließen! Dies ist eine erste Öffnung der NGOs, die erstmals öffentlichen Einblick in ihre gesammelten Programminhalte und Aktivitäten der Umweltbildung erlauben. Dieser erste Schritt macht Hoffnung, dass eine weitere Öffnung und ein verbesserter Austausch in der Zukunft erreicht werden können; ein dreiseitiger Entwurf für ein mögliches Folgeprojekt wurde bereits entwickelt.
Im Rahmen meines Projektes des Fellow-Programmes wurde deutlich, dass nicht nur die Wissenschaft(ler) Vorbehalte gegenüber Openness haben, sondern dass solche ebenso in der Praxis der Umweltbildner, NGOs, und Naturschützer auf Madagaskar existieren; Konkurrenz zwischen Organisationen und Individuen, und vermeintliche Wettbewerbsvorteile unterbinden manchen Austausch. Wahrscheinlich kann jeder diese Vorbehalte nachvollziehen; es benötigt Vertrauen, den ersten Schritt zu gehen, und sein Wissen zu teilen. Man gibt etwas, ohne zu wissen was man dafür bekommt, und macht sich möglicherweise angreifbar. Wer sich jedoch von Konkurrenzgedanken und Unsicherheit einschränken lässt, denkt zu kurz, und versäumt die Chancen kollektiven Vorankommens. Wir sollten uns nicht davon abhalten lassen, Informationen zu teilen, unser Wissen und unsere Erfahrungen zusammenzuführen, und so bestmögliche Ergebnisse zu erzielen – sei es zwischen Wissenschaftlern und Praktikern in der Umweltbildung auf Madagaskar um eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen, oder in anderen Kontexten; gemeinsam erreicht man mehr, und dies ist auch der Geist den ich in Open Science sehe und schätze.
Zur Autorin
Lena Reibelt beschäftigt sich im Rahmen ihrer Promotion an der Universität Hildesheim mit den hemmenden und fördernden Aspekten von Umweltbildung auf Madagaskar. Seit September 2016 ist sie Stipendiatin im Fellow-Programm Freies Wissen.