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Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!

Freie Lizenzen für das Gemeinwohl

Am 18. Januar erschien in der FAZ ein gegenüber Wikimedia und seinen Projekten scharfer, kritischer Gastbeitrag von David Bernet, dem Dokumentarfilmer und Ko-Vorsitzenden der AG DOK. Eine Antwort von Dr. Christian Humborg, Geschäftsführender Vorstand von WMDE, wurde daraufhin von der FAZ abgedruckt und hinter einer Bezahlschranke online angeboten. Da diese Antwort weiterhin nicht öffentlich zugänglich ist, veröffentlichen wir den Artikel hier, um eine öffentliche Debatte zum Thema zu ermöglichen.

Dr. Christian Humborg

22. März 2022

Öffentliches Geld – Öffentliches Gut! Mit dieser Formel setzt sich Wikimedia Deutschland dafür ein, dass Wissensinhalte, die mit Steuermitteln oder dem Rundfunkbeitrag finanziert werden, für alle zur Verfügung stehen. Manche sehen durch diese Forderung ihr Geschäftsmodell bedroht. „Das ruiniert die Filmschaffenden“, heißt es in dem am 18.01.2022 in der FAZ erschienen Meinungsbeitrag „Wikimedia pervertiert das Gemeinwohl“* des Dokumentarfilmers und Ko-Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK), David Bernet.

Eine Sichtweise, die sich der Möglichkeit neuer Finanzierungsmodelle gerade für Film- und Medienschaffende verschließt – und vor allem der unbedingten Notwendigkeit, das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem in Deutschland endlich an die Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts anzupassen. Denn dass sich etwas tun muss, haben Politik und die Rundfunkkommission der Länder selbst längst erkannt. Inhalte nur über die althergebrachten Kanäle Funk und Fernsehen zu verbreiten, wird dem Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr gerecht. Wer gute, verlässliche Inhalte für alle schaffen möchte, muss diese auch so anbieten, wie sie heute genutzt werden: Jederzeit abrufbar, teilbar, anpassbar.

Dass in dieser Gemengelage die Kreativen in der Auseinandersetzung zwischen Inhalteverwertern wie Filmgesellschaften oder Verlagen, Plattformen, den Öffentlich-Rechtlichen und der Politik zerrieben werden, ist bedenklich. Dass David Bernet mit dem Finger ausgerechnet auf Wikipedia und Wikimedia zeigt, ist aber unverständlich.

Die mit Steuermitteln und Rundfunkbeitrag finanzierten Wissensinhalte sind mannigfaltig, aber Zugriff und Nutzung alles andere als selbstverständlich: Warum liegen öffentlich finanzierte Forschungsdaten hinter Paywalls privater Fachverlage? Warum wird der Axel-Springer-Verlag für die Ausstrahlung der zeithistorisch bedeutsamen Elefantenrunde am Wahlabend dazu verdonnert, Rechte zu erwerben? Warum stellen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten diese Rechte nicht von vornherein zur Verfügung, gerade wenn es sich um reine Eigenproduktionen handelt? Wikimedia geht es dabei nicht um Unterhaltung oder wöchentliche Sportereignisse. Aber öffentlich finanzierte Wissensinhalte sollten frei sein. Sie sollten dauerhaft auffindbar, verwendbar und ortsunabhängig verfügbar sein.

Frei lizenziert – und angemessen finanziert

Immer noch verdienen Kreative – von einigen Superstars abgesehen – viel zu wenig Geld mit ihrer wertvollen Arbeit. An ihrer fairen Entlohnung müssen Interessenvertretungen und die arbeitgebenden Organisationen, allen voran der öffentlich-rechtliche Rundfunk, dringend arbeiten. Gleichzeitig geht es auch um eine stärkere öffentliche Wertschätzung ihrer Leistung. Ich kenne kaum Kreative, denen es nur um das Geld und nicht auch um Beachtung geht. Freie Lizenzen können, eine faire Vergütung vorausgesetzt, an beiden Punkten ansetzen.

Wenn Kreative für ihre Inhalte fünf Euro erhalten und für zwei Nachnutzungen jeweils noch einen Euro, was wäre dann so schlecht daran, wenn sie stattdessen gleich sieben Euro erhalten würden und das Werk dafür frei ist? Auch im Sinne einer planbaren Finanzplanung wäre mir letzteres lieber. Tatsächlich werden Kreative regelmäßig mit sogenannten Total-Buyout-Klauseln als einzigem Vertragsmodell konfrontiert, aber ohne freie Lizenzierung und ohne Nachnutzungsmöglichkeiten.

Unabhängig von der Finanzierung scheitert die freie Lizenzierung von Inhalten oft schon am Fehlen geeigneter Vertragsvorlagen. Wer sich bei jedem Projekt erneut – und teilweise gegen Widerstände – um die notwendigen Formalitäten kümmern muss, gibt erfahrungsgemäß schnell auf. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten müssen deshalb dringend Vertragsvorlagen entwickeln, die es Redaktionen und den beauftragten Kreativen ermöglicht, unkompliziert und rechtssicher Inhalte unter freien Lizenzen zu produzieren.

Eines ist klar: Ob Kreative von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten angemessen für ihre Leistungen entschädigt werden, darf nicht von der Lizenzierung abhängen. Mit freien Lizenzen gehen für Sender und Gesellschaft große Vorteile einher, wie einfachere und dauerhafte Nutzbarkeit, simplere Rechteklärung und potenziell größere Sichtbarkeit. Diese Vorzüge sollten auch entsprechend vergütet werden. Jedenfalls aber müssen Kreative und Redaktionen in die Lage versetzt werden, ohne Furcht vor Einkommenseinbußen freie Lizenzen zu verwenden.

Ein Grund für die schwierige Verhandlungsposition von Kreativen ist auch das Fehlen einer starken Interessenvertretung. Denn den vielen Kreativen wären Verhandlungen auf Augenhöhe nur dann möglich, wenn nicht Einzelne ausscheren. Wie schwierig kollektive Handlungsfähigkeit gegenüber Monopolisten ist, hat sich beispielsweise erst letzte Woche wieder im Zeitungsmarkt gezeigt, als bekannt wurde, dass Madsack mit Google einen Vertrag zu Showcase geschlossen hat. Die Absicht, die Verhandlungsmacht auf Seiten der Inhalteverwerter in Corint Media zu bündeln, ging an der Stelle nicht auf. Die Rolle der Verwertungsgesellschaften ist außerordentlich wichtig und es ist zu begrüßen, dass sie in manchen Sektoren nicht mehr nur ihre Mitglieder vertreten dürfen.

Es geht auch um Reichweite

Wikimedia hat immer die Rechteeinhaltung angemahnt und gleichzeitig die Modernisierung des Urheberrechts dort eingefordert, wo es in einem digitalen Zeitalter nicht mehr vernünftig funktioniert. Es waren hingegen die großen Werbeplattformen wie Youtube, deren Aufstieg und Wachstum ohne Missachtung rechtlicher Standards kaum denkbar gewesen wäre. Gerade weil Wikimedia das Urheberrecht respektiert, wird auf freie Lizenzen gesetzt, die eine Nutzung und Bearbeitung von Inhalten für alle Menschen dauerhaft und rechtssicher ermöglichen.

Darüber hinaus begrüßt Wikimedia alle Überlegungen zu einer nichtkommerziellen, europäischen Medienplattform als Grundlage für den Austausch öffentlich finanzierter Inhalte. Stattdessen beschränken sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in den EU-Mitgliedsstaaten meist auf kurzfristige Kooperationen, limitiert auch durch nationale Verwertungslizenzen, während gleichzeitig Inhalte auf den global verfügbaren kommerziellen Plattformen wie Youtube hochgeladen werden.

Das Beispiel Terra X vom ZDF zeigt, dass es Verbreitungsalternativen gibt, etwa die Wikimedia-Plattform Commons. Allein die dort eingestellten Terra-X-Clips erreichen aktuell über zwei Mio. Aufrufe pro Monat. Das sind, um es in Relation zu setzen, zwei Mio. Aufrufe mehr, als wenn sie für ein Jahr nur in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender erscheinen würden.

Die Bereitstellung von Terra-X-Clips nutzt der Qualität von Wikipedia, keine Frage. Es nutzt aber in erster Linie den Zuschauern – und es ist gut für die nachhaltige Reichweite von Terra X. Viele Menschen zu erreichen ist Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Ganz abgesehen davon sind einem neutralen Standpunkt verpflichtete Wikipedia-Artikel mit Sicherheit ein passenderes Umfeld für öffentlich-rechtliche Informationsinhalte als YouTube und andere kommerzielle Plattformen.

Die Zusammenarbeit von ZDF und Wikipedia bei der Terra-X-Sendung geht von einer ehrenamtlich arbeitenden Gruppe aus. Diese Gruppe „Wiki Loves Broadcast“ weist in ihrer Reaktion auf David Bernets Beitrag darauf hin, dass es einzig und allein der ehrenamtlichen Community vorbehalten ist, Inhalte wie die Clips des ZDF in die Wikipedia einzuarbeiten. Weder Wikimedia Deutschland noch die Wikimedia Foundation können darauf Einfluss nehmen.

Wissen, das allen gehört

Wikimedia ist finanziell unabhängig. Wikimedia finanziert sich durch die Spenden und Mitgliedsbeiträge der Millionen von Menschen, die Wikipedia und andere Wiki-Projekte nutzen. Konkret stehen hinter Wikimedia Deutschland knapp 100.000 Vereinsmitglieder. Insgesamt haben im vergangenen Jahr über 500.000 Menschen Wikimedia Deutschland finanziell unterstützt. 2021 gab es tatsächlich Geld von Plattformen. Während der Wert 2020 bei 0% lag, hat er im Jahr 2021 ca. 0,2% der Einnahmen ausgemacht. Ich sehe in dieser Größenordnung keine Gefährdung der Unabhängigkeit.

Auch international sichern Millionen von Kleinspenden eben diese Unabhängigkeit. Wir erwarten für das kommende Jahr – wie in den Vorjahren – , dass Zahlungen von Firmen und Spenden über 1.000 US-Dollar insgesamt weniger als 20% der Einnahmen der Wikimedia Foundation ausmachen.

Zwei Dinge sind sicher: Inhalte kann Wikimedia gar nicht verkaufen, denn Wikimedia gehören keine Inhalte, anders als jedem Kreativen. Von Wikimedia fließt kein Profit an Einzelne, sondern alle Einnahmen dienen einzig und allein den gemeinnützigen Projekten. Ich persönlich bin froh, dass es unter den großen Internet-Plattformen der Welt wenigstens eine gibt, der es nicht um den Profit geht.

* Der Artikel ist derzeit öffentlich abrufbar, ggf. muss hierzu ein kostenfreies Konto bei faz.net eingerichtet werden. (Stand: 22.03.2022)

Christian Humborg
Geschäftsführender Vorstand
Wikimedia Deutschland e. V.

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