zurück

Datentracking

Datentracking: Die schöne neue Welt der Wissenschaftsverlage

Datentracking und Gebühren für Open Access etablieren sich im Wissenschaftsbetrieb. Große Verlage erheben immer intensiver Nutzungsdaten von Wissenschaftler*innen. Eine Debatte darüber, was mit den Daten passiert und welche Schwierigkeiten das neue Geschäftsmodell der freien Wissenschaft bescheren könnte, muss breiter geführt werden.

Dr. Dominik Scholl

7. Dezember 2021

Schon seit vielen Jahren haben die großen internationalen Wissenschaftsverlage ein äußerst lukratives Geschäftsmodell etabliert. Sie profitieren davon, dass die öffentliche Hand einen Großteil der Arbeit bezahlt: An öffentlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen angestellte Wissenschaftler*innen schreiben in den allermeisten Fällen nicht nur honorarfrei über ihre Forschung. Sie übernehmen außerdem auch im unabhängigen Begutachtungsprozess des Peer-Review kostenlos für die Verlage die Qualitätssicherung wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel. Eine jüngst veröffentlichte Studie geht davon aus, dass sich der Gegenwert des durch öffentlich bezahlte Wissenschaftler*innen geleisteten Peer-Reviews weltweit auf einen Milliardenbetrag summiert. Und auf einem dritten Weg fließen öffentliche Gelder in eine Veröffentlichung: Die Bibliotheken abonnieren oder kaufen die Zeitschriften und Bücher von den Verlagen, so dass die Angehörigen ihrer Einrichtungen sie nutzen können. 

Verlage wie Elsevier, Springer Nature und Wiley haben sich inzwischen ein Oligopol erarbeitet – in Deutschland flossen an sie bis 2015 über die Hälfte der Ausgaben der deutschen Universitätsbibliotheken. Mit immer weiter steigenden Preisen erzielen sie Gewinnmargen von bis zu 30 Prozent, die sonst auf legalem Wege wohl nur in der Pharmabranche zu erreichen sind. Gleichzeitig sind die Etats der Bibliotheken stagniert oder gesunken, was seit Mitte der 1990er-Jahre zu einer regelrechten Zeitschriftenkrise geführt hat. Die hohen Subskriptionspreise sorgen dafür, dass der Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen für immer mehr Menschen nicht frei möglich ist. 

Open Access wird zum Geschäftsmodell für Verlage
Daher richteten sich große Hoffnung auf die Transformation hin zu Open Access. Die digitale Transformation versprach neben dem freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen und anderen Materialien im Internet auch kostengünstigeres Publizieren. Doch dem Ziel einer nachhaltigen Forschungsinfrastruktur, die einen freien Zugang zu Texten, Daten und Code für alle ermöglicht, sind wir dabei nur einen kleinen Schritt näher gekommen. Die großen internationalen Verlage haben das Open-Access-Prinzip längst in ihre Geschäftsmodelle eingebaut. Autor*innen bezahlen nun vorab Publikationsgebühren (bei Zeitschriften sogenannte Article Processing Charges), die in vielen Fällen von ihren Institutionen übernommen werden. Gleichzeitig bezahlen Universitäten und Bibliotheken weiterhin hohe Subskriptionspreise, um Zugang zu Verlagsveröffentlichungen zu erhalten, die für alle anderen hinter einer Bezahlschranke liegen. Diese Praxis des „double dipping“ – also des doppelten Griffs in die öffentlichen Kassen – wird seit Jahren kritisiert. Durch ihre marktbeherrschende Stellung diktieren die großen Verlage auch hier weiterhin die Preise

Um in dieser Situation Handlungsfähigkeit zurückzuerlangen, wurde 2014 von der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen das Projekt DEAL ins Leben gerufen. Unter Federführung der Hochschulrektorenkonferenz verhandelt die DEAL-Gruppe im Auftrag aller deutschen wissenschaftlichen Einrichtungen mit Elsevier, Springer Nature und Wiley bundesweit neue Vertragsmodelle. Diese Verhandlungen blieben nicht reibungslos. So liegen die Verhandlungen mit Elsevier aktuell auf Eis, nachdem vorangegangene Verlagsangebote nach Überzeugung der Allianz nicht den Prinzipien von Open Access und einer fairen Preisgestaltung entsprachen. Seit Oktober 2017 haben zahlreiche namhafte Wissenschaftler*innen ihre Herausgeberschaft für Zeitschriften von Elsevier niedergelegt. Ende 2016 bzw. 2017 haben rund 200 wissenschaftliche Einrichtungen ihre Lizenzverträge mit Elsevier nicht verlängert.

Vorbild Facebook: Wie Datentracking die freie Wissenschaft gefährdet
Mitten hinein in diese zugespitzte Situation, in der eine Ablösung des bestehenden Zeitschriftensystems wieder stärker diskutiert wird, platzt nun ein neues Thema, das so neu gar nicht ist: Datentracking. Schon 2017 zeigte eine Untersuchung auf, dass sich das Geschäftsmodell der wissenschaftlichen Großverlage erneut verändert – in diesem Fall noch grundlegender als je zuvor. Mit gut gefüllter Kasse haben sie in den letzten Jahren damit begonnen, ihr Geschäftsmodell weg von wissenschaftlichen Inhalten und hin zu Datenhandel und Datenanalyse zu entwickeln, analog zu den großen Internetkonzernen. Hierfür haben Elsevier, Springer Nature und Wiley gezielt Tools und Services eingekauft, um komplette technologische Infrastrukturen zu schaffen, die alle Aspekte des wissenschaftlichen Forschungszyklus abdecken. Dazu gehören auch verschiedene Anbieter und Tools, die noch vor wenigen Jahren als unabhängige Open-Science-Projekte gestartet sind. Hierbei geht es nicht nur darum, neue Einnahmequellen zu generieren. Vielmehr ist das Ziel, Wissenschaftler*innen mit all ihren Aktivitäten in verlagseigenen Plattformlösungen und Ökosystemen zu binden und so den gesamten wissenschaftlichen Arbeitsprozess zu monopolisieren

So wird es möglich, Daten über Wissen, wissenschaftliche Entwicklungen und wissenschaftliche Akteur*innen zu sammeln, zu aggregieren und zu monetarisieren. Dabei geht es nicht länger nur um die Inhalte der Veröffentlichungen selbst, sondern um das Nutzungsverhalten einzelner Wissenschaftler*innen. So sind beim Aufruf eines Aufsatzes der Zeitschrift Nature beispielsweise rund 70 verschiedene Trackingtools aktiv, die sowohl vom Verlag selbst als auch von Drittunternehmen, die selbst als Data Broker aktiv sind. Mit welchen Daten diese Daten zusammengeführt und an wen solche personalisierten Profile am Ende weiterverkauft werden, das weiß man nicht. Was man weiß ist, dass zum Elsevier-Mutterkonzern RELX auch Lexis Nexis gehört. RELX kann daher quasi berufliche Daten mit privaten Daten kombinieren und verkauft diese beispielsweise an Strafverfolgungsbehörden, die solche Daten selbst nicht sammeln dürfen. Nicht nur die Deutsche Forschungsgemeinschaft befürchtet daher, dass nicht nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt wird, sondern Wissenschaftler*innen auch direkt gefährdet werden können, wenn solche personalisierten Daten von autoritären Regimes gekauft und ausgewertet werden, die bewusst in die Freiheit von Forschung und Lehre eingreifen und unliebsame Perspektiven bekämpfen wollen.
In ihrem Informationspapier problematisiert die Deutsche Forschungsgemeinschaft dieses Geschäftsmodell außerdem auf gesellschaftlicher Ebene: “Es besteht ein Risiko, dass die Wissensgesellschaft durch diese Verschiebung des kommerziellen Geschäftsmodells hin zur Datenanalytik privatisiert wird und letztlich nicht mehr die öffentliche Hand, sondern zunehmend private Unternehmen über das Wissen über Forschungsinhalte und -tendenzen, ihre Institutionen und Akteure verfügen. Wissenschaft als öffentliches Gut wird der Logik der Privatisierung von Infrastrukturen und ihren Folgen unterworfen.”

Podiumsdiskussion
„Wenn Du nicht für das Produkt bezahlst, bist du selbst das Produkt?“
Über diese Privatisierung von öffentlichem Gut und die Kommerzialisierung von Wissenschaft möchten wir am Donnerstag, 9. Dezember, 16.30-18.30 Uhr diskutieren. Die Podiumsdiskussion mit dem Titel “Wenn du nicht für das Produkt bezahlst, bist du selbst das Produkt?” wird von Wikimedia Deutschland und dem Open-Access-Büro Berlin organisiert. Das Center for Open and Responsible Research (CORe) der Berlin University Alliance (BUA) und der Deutsche Bibliotheksverband (dbv) unterstützen diese Veranstaltung.

Zugang ohne Anmeldung per Zoom.

Unsere Gäste sind:

Björn Brembs, Professor für Neurogenetik an der Universität Regensburg,

Andreas Degkwitz, Direktor der Universitätsbibliothek der Humboldt Universität zu Berlin und Bundesvorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv),

Angela Holzer, ist Referentin in der DFG Gruppe Wissenschaftliche Literaturversorgung und  Informationssysteme,

Julia Reda, Politikerin und Expertin für Urheberrecht und Kommunikationsfreiheit und leitet seit 2020 bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte das Projekt control © – Freie Kommunikation verwirklichen.

Die Podiumsdiskussion wird moderiert von Jan Martin Wiarda.

Kommentare

  1. Christine-Dorothea Sauer
    15. Dezember 2021 um 14:27 Uhr

    Leider ist der Hinweis auf die Podiumsdiskussion bei mir erst heute, 15.12.2021 in der Mailbox gelandet. Ich hätte gerne teilgenommen. Gibt es eine Aufzeichnung?

    1. Tjane Hartenstein
      15. Dezember 2021 um 14:42 Uhr

      Die Aufzeichnung der Veranstaltung ist unter diesem Link verfügbar: https://av.tib.eu/media/55690

Schreibe einen Kommentar zu Tjane Hartenstein Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert