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Tech for Good? Nur mit offenen Daten!

Aktuell entstehen zahlreiche technologische Initiativen für den Umgang mit der Corona-Krise. Durch die Verwendung von offenen Daten werden die Programme, die dabei entstehen, transparent und für alle zugänglich. So wird sichergestellt, dass das Gemeinwohl von den Innovationen profitiert. Eine solche Wissensplattform mit offenen Daten ist Wikidata.

WMDE allgemein

9. Mai 2020

Zur englischen Version.

“Um Corona zu beenden, klicken Sie hier!” – Technologie erhält in der Corona-Krise eine neue Rolle. Die große Teilnehmerzahl an Hackathons wie dem WirVsVirus-Hackathon der Bundesregierung zeigt den Willen vieler, mit eigener technologischer Expertise Positives beizutragen. In der aktuellen Situation bringt es ein gutes Gefühl der Selbstwirksamkeit, anderen zu helfen. Bürgerinnen und Bürger, öffentliche Institutionen und Unternehmen entwickeln Prototypen für Programme wie digitale Nachbarschaftshilfe, bessere Organisation von Online-Unterricht oder Anti-Hamster-Apps. 

Alle diese Anwendungen haben eines gemeinsam: Sie versprechen die Lösungen gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und gesundheitlicher Auswirkungen von Covid-19 durch technologische Innovation. Doch das führt zu einem Problem, das Evgeny Morozov in seinem Klassiker der Technologiekritik “To Save Everything, Click Here” als “Tech-Solutionismus” beschrieben hat: nur selten haben vielschichtige gesellschaftliche Probleme eine so einfache und klar bestimmbare Ursache, als dass sie durch einen Algorithmus oder eine App bewältigt werden können. 

Natürlich können viele Schwierigkeiten durch digitale Technologien verbessert werden, in dem Prozesse einfacher und effektiver gestaltet werden. Doch soziale Benachteiligung und Diskriminierung, der Zugang zu Bildung und Ressourcen wie gesundheitlicher Versorgung ist von vielen komplexen Umständen abhängig. Auch die Corona-Krise und die Kontaktsperre treffen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlicher Härte. Die langfristigen Folgen von technologischen Interventionen sind daher schwer vorherzusehen. 

Um diese Prozesse der technologischen Innovation auch tatsächlich sozial zu gestalten, müssen Technologien partizipativ produziert werden. Open Data und Open Source Code können Transparenz bei der Entwicklung von digitalen Werkzeugen garantieren. Sie tragen außerdem dazu bei, dass Innovationen von allen genutzt und weiterentwickelt werden können.

Die beschränkte Welt der Daten

Ein Großteil der Apps basiert auf der Ansammlung und Auswertung von persönlichen Daten. Denn Daten versprechen einen objektiven Blick auf Wahrheit und Fakten. Das führt zu der Annahme, dass die Nutzung von Algorithmen soziale Krisen bewältigen kann. Die so erfasste Wahrheit der Daten ist aber nie vollständig, sie bildet immer nur einen kleinen Teil unserer Realität ab, viele Perspektiven sind stark unterrepräsentiert. Immer häufiger merken wir, dass unsere Technologien Menschen ausschließen. Die Autorin Caroline Criado-Perez hat in ihrem Buch “Unsichtbare Frauen” gezeigt, dass Daten über Frauen seit Jahrzehnten in Designprozessen von Alltagsgegenständen, der Infrastruktur und auch von Technologie unterrepräsentiert sind. Ebenso werden soziale Minderheiten wie zum Beispiel People of Color und die Kulturen des Globalen Süden in unserem eurozentrischen Weltbild ignoriert.

Das kann dazu führen, dass bereits marginalisierte Menschen benachteiligt und deren Lebensstile stärker sanktioniert werden. Können wirklich alle von digitalem Unterricht profitieren, oder werden Kinder von finanziell schwachen Familien nun erst recht abgeschnitten? Welche neuen Probleme ergeben sich im Homeoffice für die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Beruf? Wie wird sich das verstärkte Anhäufen von Location- und Kontaktdaten auf das Leben von Geflüchteten und Menschen mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung auswirken?

Datensilos und die Krise

Tech-firmen und Start-ups präsentieren technologische Innovation in Form von Tracking-Anwendungen und Bürgerinnen und Bürger geben ihre Daten bereitwillig frei. Das verstärkt die Abhängigkeit von den Unternehmen, die geschlossene Daten-Silos aufbauen. Gleichzeitig haben die Bevölkerungsgruppen, die die Technologien am Ende nutzen sollen, vollkommen unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Situationen. Doch Daten, die proprietär – also geschlossen und für die kommerzielle Verwendung – auf der Seite eines Unternehmens liegen, sind immer auch ein Mittel der Kontrolle. Firmen nehmen immer mehr Raum ein in Feldern, die grundlegende Teile des gesellschaftlichen Lebens sind. Im Gesundheitswesen, der Wissenschaft, im digitalen Unterricht. Doch was verlieren wir, wenn wir essentielle Bestandteile des gesellschaftlichen Lebens in die Hände von Unternehmen geben?

Auch die Regierung will von den technologischen Innovationen profitieren und sie für den Schutz der Bevölkerung nutzen. Unter dieser Prämisse steigt auch die Bereitschaft, der Exekutive mehr Spielraum zu geben. Es stellt sich also zusätzlich die Frage, welche Auswirkungen die Krise auf unser demokratisches System hat. 

Privatsphäre gegen Freiheit: Eine falsche Dichotomie

Gleichzeitig wird die Diskussion über den Nutzen der Technik auf Basis einer vereinfachten Dichotomie, also zwei sich scheinbar ausschließender Alternativen geführt. Oft wird im Umgang mit persönlichen Daten das Argument für die Privatsphäre gegen ein Streben nach Innovation und Freiheit ausgespielt. In dieser Diskussion scheint es, als ob es nur diese beiden Optionen gäbe. Dabei müssen wir uns gar nicht entscheiden. Offenheit und Transparenz ermöglichen Standards für Privatsphäre und Innovation zugleich und damit einen selbstbestimmten Umgang mit Technologie. Diese Technologien basieren zu einem Großteil auf Linked Open Data. 

Linked Open Data für Tech for Good

Linked Open Data ist die Verknüpfung aus Linked Data und Open Data: die Daten sind verbunden und haben offene Quellen. Linked Open Data ist einer der Grundpfeiler des Semantic Web. Diese Idee stammt von Tim Berners Lee, dem Erfinder des World Wide Web. Beim Semantic Web geht es darum, Verknüpfungen zwischen Datensätzen herzustellen, die nicht nur für Menschen, sondern auch für Maschinen verständlich sind. Mit anderen Worten: Linked Data beschreibt eine Reihe von Designprinzipien für die gemeinsame Nutzung maschinenlesbarer, miteinander verknüpfter Daten. So werden Dinge, Ereignisse, Menschen, Orte im Semantic Web verknüpft. 

Das Linked-Open-Data-Projekt Wikidata ist mit inzwischen über 80 Millionen Datensätzen die weltweit größte offene und frei editierbare Datenstruktur ihrer Art. Das Schwesterprojekt der Wikipedia dient schon vielen zentralen Programmen und Apps als wichtige Grundlage. Das Wissen, das auf Wikidata vorliegt, ist verknüpft und maschinenlesbar. Es wird von Stadtteil-Initiativen oder dem Katastrophenschutz genutzt, kann zur Erstellung von Bildungsmaterialien dienen und wird in der Corona-Krise für Visualisierungen und zur Übersicht über Verbreitung und Forschung zu Covid-19 verwendet. Und das ohne kommerzielle Verwertung der Daten von Seiten Wikidatas. Linked Open Data auf Wikidata steht allen zur Verfügung, nicht nur den Unternehmen und staatlichen Institutionen. Das Semantic Web von Wikidata ist gleichzeitig global und lokal.

Auch der Staat spricht sich immer häufiger für die Verwendung von offenen Daten aus. Vor wenigen Wochen fand die Umfrage zur Datenstrategie der Bundesregierung statt, an der alle Bürgerinnen und Bürger teilnehmen konnten. Wikimedia Deutschland fordert deshalb für das digitale Ehrenamt leichteren Zugang und mehr Rechtssicherheit beim Umgang mit Daten. Bürgerschaftliches Engagement benötigt außerdem stetige Förderung von Experimentierräumen, wie sie derzeit etwa die Initiative Jugend hackt oder die Code for Germany-Labs bieten. Möglich ist das nur, weil in diesen Initiativen miteinander gearbeitet wird statt gegeneinander. 

Bei der Schaffung neuer digitaler Werkzeuge ist es zentral, die Vielfalt der Gesellschaft im Blick zu behalten und die unterschiedlichen Zielgruppen bei der Entwicklung miteinzubeziehen. Sonst besteht die Gefahr „Lösungen“ vorzuschlagen, die soziale Dynamiken ignorieren und Ungleichheiten vergrößern. Offene Daten brechen Informationssilos auf, die zwischen verschiedenen der Zivilgesellschaft, Firmen und Institutionen bestehen. Durch Linked Open Data wird Zusammenarbeit ermöglicht, statt Daten in proprietären Silos anzuhäufen. Gruppen, die traditionell von der Entwicklung von Technologie ausgeschlossen werden, erhalten so eine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Open Data und Open Source-Code garantieren außerdem Transparenz bei der Entwicklung und führen dazu, dass die Innovationen von jedem und jeder genutzt und weiterentwickelt werden können.

Kommentare

  1. Mautpreller
    3. Juli 2020 um 22:02 Uhr

    Ich hab wohl schon lang nicht mehr einen derart komplett unreflektierten Text gelesen. Als ob “offene Daten” nicht erst recht Mittel der Kontrolle wären! Dass man es heute allen Ernstes schafft, den Begriff der Transparenz ohne jede kritische Note als schattenloses Ideal hochzuhalten, ist beachtlich – aber leider nur als Symptom dafür, dass WMDE alle Debatten ignoriert, die ihnen nicht in den Kram passen. (Tipp: Mal Rosanvallon lesen.)

    M.

  2. […] an das Motto unserer Blogparade titelte nun Elisabeth Giesemann von Wikimedia Deutschland „Tech for Good? Nur mit offenen Daten“ und machte damit bereits ihre Kernforderung deutlich: Wer sicherstellen wolle, dass das […]

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