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Wir lassen uns das freie Netz nicht nehmen! [Update]

Im Europäischen Parlament wird ein Reformvorschlag abgestimmt, der das Internet für alle verändern kann. Am 05.07. wird es einen Showdown im Plenum geben. Worum es geht, warum die Wikipedia in Gefahr ist und warum du jetzt aktiv werden solltest:
Annkathrin Weis (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Straßenaktion_gegen_die_Einführung_eines_europäischen_Leistungsschutzrechts_für_Presseverleger_31.jpg), https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode

WMDE allgemein

20. Juni 2018

Mit der laufenden Urheberrechtsreform sollen Regeln für Online-Dienste EU-weit vereinheitlicht werden. Außerdem sollen Rechteinhaber gegenüber großen Plattformen gestärkt werden. Das ist an sich eine gute Idee – die Instrumente, die diese Rechte durchsetzen sollen, würden aber die Meinungsvielfalt und Informationsfreiheit im Internet massiv einschränken.

Wikimedia-Straßenaktion gegen die Einführung eines europäischen Leistungsschutzrechts für Presseverleger. Foto: Annkathrin Weis, CC BY-SA 4.0

Leistungsschutzrecht (Artikel 11): Jede Nutzung von Pressepublikationen muss genehmigt werden. Wer Inhalte aus einem Artikel übernimmt, und sei es auch nur eine Überschrift, müsste dann um Erlaubnis fragen – und im Zweifelsfall zahlen. (Mehr dazu bei Golem.) Das knappe Votum im Rechtsausschuss: 13:12 Stimmen dafür.

Community kann Kontext. Filter nicht. Foto: Christian Schneider, CC BY-SA 4.0

Upload-Filter (Artikel 13): Damit Urheberrechtsverletzungen online verhindert werden, wird jeder (!) deiner Uploads durchleuchtet – inklusive Bilderkennung. Wenn geschütztes Material auftaucht oder der Algorithmus schlicht etwas falsch erkennt, wird der Upload verhindert. Das trifft besonders (nicht-wissenschaftliche) Zitate, Satire oder auch generell Memes, wie der YouTuber lefloid in seinem Beitrag gut zusammenfasst. Mehr auch in unserem Offenen Brief. Votum im Rechtsausschuss: 15:10 Stimmen dafür.

Beim Europäischen Parlament kannst du nachsehen, welche Abgeordneten für oder gegen die Reform in ihrer jetzigen Form gestimmt haben, bebildert und differenziert nach Artikel 11 und 13 findest du es auf der Seite der Abgeordneten Julia Reda (Piraten, Fraktion Grüne/EFA). Die Fraktionen PPE (EVP, christdemokratisch), ENF (Nationalisten) und ALDE (Liberale) haben geschlossen für den Reformvorschlag gestimmt. Diese Reform gefährdet das freie und offene Internet, wie die Wikimedia Foundation und europäische Akademikerinnen und Akademiker in ihren Statements vom 29.06. feststellen.

Wer entscheidet? Der Rechtsausschuss will das Plenum umgehen

Es bleibt Hoffnung. Nicht im Ausschuss werden Gesetze entschieden, sondern im Plenarsaal. Üblicherweise geben Ausschüsse des Europaparlaments ihre Entwürfe und ihr Votum an das Plenum zurück und lassen damit alle Abgeordneten insgesamt entscheiden, und zwar sowohl vor als auch nach dem oft als viel zu intransparent kritisierten Trilog (erste und zweite Lesung). Dort im Trilog handeln die drei EU-Institutionen EU-Kommission, Europaparlament und Rat der EU in einer Art offiziellem Hinterzimmer das Endergebnis eines Gesetzgebungsvorhabens aus, wenn sie sich vorher nicht einig waren. Und bei dieser Reform war mehr Uneinigkeit als bei den meisten anderen Vorhaben der letzten Jahre, auch zwischen verschiedenen Ausschüssen des Europaparlaments:

Eingebunden waren neben dem Rechtsausschuss (JURI) auch die Ausschüsse IMCO (Binnenmarkt und Verbraucherschutz), LIBE (bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres), CULT (Kultur und Bildung) und ITRE (Industrie, Forschung und Energie), von denen sich einer (CULT) zum Beispiel für Upload-Filter, zwei andere (LIBE, IMCO) gegen Upload-Filter ausgesprochen haben. Es wollen viele mitreden, denn das Gesetz ist für alle wichtig. Und jetzt kommt der Kniff mit der Umgehung; und deswegen solltest du direkt deine/n Abgeordnete/n anschreiben:

Die Mehrheit im Rechtsausschuss will vermeiden, dass es ein Plenums-Votum gibt, bevor das Gesetz in den Trilog geht. Nach dem Trilog aber gibt es für das Plenum fast keine Einflussnahmemöglichkeiten mehr. Dann gilt alles oder nichts, Gesetz komplett annehmen oder komplett ablehnen. Mit einem Beschluss nach der Geschäftsordnungsregel Nr. 69c versucht der JURI-Ausschuss nun, die Trilogsverhandlungen sofort und ohne vorheriges Plenums-Votum zu beginnen. Der Grund ist recht klar: Es soll vermieden werden, dass die Kontroversen das Plenum erfassen und damit vielleicht das ganze Gesetzgebunsvorhaben scheitert.

Wir sagen: Diese Umgehung darf nicht durchgehen, gerade weil das Gesetz so umstritten ist. In seiner Sitzung am 5. Juli kann das Plenum den 69c-Beschluss kippen, und das muss es unserer Ansicht nach auch, wenn die Legitimität des Vorhabens nicht stark beschädigt werden soll.

[Update 29.06.]

Aber Wikipedia soll doch ausgenommen werden?

Leider nein. Für die Wikipedia haben wir zwar erfolgreich eine Ausnahme von der Filterpflicht erwirkt, die in der Wikipedia eingebundenen Bilder liegen aber auf Wikimedia Commons. Wikimedia Commons wiederum ist zwar eine nicht-kommerzielle Plattform, für die es ebenfalls eine Pauschalausnahme geben soll, aber alle auf Wikimedia Commons liegenden Bilder, Videos, Buch-Scans, Musikstücke und mehr sind unter freien Lizenzen wie CC BY oder CC BY-SA und damit auch für kommerzielle Nutzung freigegeben. Ein Gericht könnte das dahingehend interpretieren, dass Wikimedia Commons im Wettbewerb etwa mit kommerziellen Foto-Plattformen steht und in Sachen Filterpflichten deshalb als kommerzielle Plattform anzusehen sei.

Wer betroffen ist, wird sich im Zweifel vor Gericht klären, wie sogar Berichterstatter Axel Voss (CDU, EPP) bei ZAPP zu Protokoll gibt. Unser Geschäftsführender Vorstand Abraham Taherivand erklärt dazu:

“Upload-Filter wären das Aus für unsere Bilder in der Wikipedia, die alle auf Wikimedia Commons liegen. Selbst wenn wir ausgenommen werden und diesen Schlag überstehen: Wir wollen keine Oase in der Wüste sein. Wir wollen, dass das Internet insgesamt funktioniert.”

Wie stehen die Parteien im Bundestag dazu?

Die Reform liegt im Europäischen Parlament. Der Bundestag entscheidet jetzt nicht über die Reform. Trotzdem sprechen die Abgeordneten in Berlin auch mit den Fraktionen in Brüssel und äußern sich öffentlich:

CDU/CSU Pro Uploadfilter und Leistungsschutzrecht: “Kreativleistungen auch im digitalen Zeitalter fair vergüten”

CSU-Landesgruppe Contra Uploadfilter: “Einführung von Upload-Filtern ist unverhältnismäßig”

Grüne Contra Uploadfilter und Leistungsschutzrecht: “Urheberrechtsreform: Kein faires und sinnvolles Gesamtkonzept”

FDP Contra Uploadfilter inklusive Hammelsprung

Linke Contra Uploadfilter und Leistungsschutzrecht: “Gefahr für das freie Internet statt modernem Urheberrecht” 

AfD Contra Uploadfilter und Leistungsschutzrecht: “Für ein freies Internet – die AfD lehnt Uploadfilter ab”

Die SPD-Fraktion hat sich noch nicht abschließend geäußert, aber der von ihr und der SPD-Basis angenommene Koalitionsvertrag sagt dazu

“Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu ‘filtern’, lehnen wir als unverhältnismäßig ab. Negative Auswirkungen auf kleinere und mittlere Verlage müssen vermieden werden.”

Die deutschen SPD-Europa-Abgeordneten hatten gegen den Reformvorschlag in dieser Form gestimmt, das SPD-geführte Justizministerium jedoch spricht sich mit Einschränkungen für Upload-Filter aus, handelt also dem Koalitionsvertrag entgegen. Letzteres vollzieht sich aber im Rat der EU und hat mit dem jetzt anstehenden Showdown im Europaparlament formell nichts zu tun.

Auch deswegen schreiben die netzpolitischen Vereine verschiedener Parteien (D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt e.V., cnetz – Verein für Netzpolitik e.V., Load e.V. – Verein für liberale Netzpolitik, CSUnet) jetzt sehr dringlich in einem offenen Brief an die deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament:

“Wir bitten Sie, bei der Abstimmung zum Richtlinienvorschlag über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt nicht dem Votum des Rechtsausschusses zu folgen, sondern gegen die Einführung von Upload-Filtern und auch gegen das Leistungsschutzrecht zu stimmen. Der Schutz des Urheberrechts und eine angemessene Beteiligung von Journalistinnen und Journalisten an Erträgen im Internet sind selbstverständlich auch für uns wichtige Anliegen. Doch die von der EU-Kommission erarbeiteten und im Rechtsausschuss verabschiedeten Instrumente werden diese Ziele nicht nur verfehlen, sondern zudem enorme Kollateralschäden mit sich bringen, vor denen wir nachdrücklich warnen.”

Aktiv werden:

https://saveyourinternet.eu/de/

Bild: European Digital Rights (EDRi)

 

Wie geht es weiter?

https://edri.org/next-steps-copyright-directive-article-13/

Zumindest Flagge zeigen?

https://www.change.org/p/stoppt-die-zensurmaschine-rettet-das-internet-uploadfilter

Zusammenfassung lesen – was bisher geschah?

http://fm4.orf.at/stories/2919181/

Der Nachbericht von Netzpolitik.org:

https://netzpolitik.org/2018/schlag-gegen-die-netzfreiheit-eu-abgeordnete-treffen-vorentscheid-fuer-uploadfilter-und-leistungsschutzrecht/

  • Die Beschränkung der Arbeit von “Wikimedia” würde einen enormen Verlust von Wissen für die Allgemeinheit bedeuten. Es würde einen großen Verlust von Informationen mit sich bringen. Ich hoffe, dass diese Maßnahme nicht durchgeführt wird.

    Kommentar von Wolfgang Licht am 13. Juli 2018 um 19:48

  • Bildung dient dem Fortschritt und Wohlstand. Wir Wissenschaftler, Gutachter und Ingenieure (WGI) sind die Urheber des Wohlstandes auf der ganzen Erde. Um diesen Status zu erreichen, ist dringend Bildung erforderlich und das nicht zu wenig. Wer Bildung hemmt, macht sich moralisch strafbar. Das trifft auch für das Internet zu. Wir sollten dankbar dafür sein, wenn sich Menschen mit einem bestimmten Ziel und Riesenaufwand weiterbilden.
    Es lebe das freie Internet!
    Wikimedia leistet einen enormen Betrag zur Weiterbildung unserer Bürger und darf nicht durch das Internet und erst recht nicht durch “faule” Gesetze mit bestimmten Zielen eingeschränkt werden.

    Kommentar von Gerald Schlung am 5. Juli 2018 um 18:12

  • Betreff: Geben sie Gedankenfreiheit, Sire!

    In Zukunft so wahr wie damals.

    Ohne freien Informationsfluss wird es keine
    Weiterentwicklung und damit keine tragfähige Zukunft geben. Genau genommen gibt es nicht einmal eine Gegenwart: auf welcher Grundlage sollen freie Spezialisten wie Übersetzer, Patentrechtler arbeiten?
    Nicht freies Wissen ist in der benötigten Breite nicht bezahlbar. Und der Kunde wundert sich dann, wenn er keine Qualität mehr bekommen kann. Die geringste Folge sind Extrakosten.

    Zurück zur Zukunft:
    Natürlich kann man vom Internet hier ein Stückchen und da ein Stückchen und noch ein Stückchen abknapsen.
    Aber hier ein Hindernis und da ein Hindernis nimmt jede Lust auf Kommunikation. Ohne Kommunikation keine Weiterentwicklung – weder gesellschaftlich noch wirtschaftlich (s.o.).

    So einfach, so dauerhaft, so gründlich kaputt.

    mfg

    J. Müller

    Kommentar von J. Müller am 3. Juli 2018 um 15:09

  • Keine Angst vor dem Gesetz, sondern dass das Grundgesetz viele Jahre nicht mehr angewandt wird. Die EU versucht die Inkonsistenzen in den Rechtsstrukturen der betroffenden Staaten zu maskieren, indem mam bewusst die Rechtsnormenhierarchie auszuhebeln versucht, um zu verhindern, dass sich Gesetzeslücken verbreiten können. Weg von einer objektiven Bindung an Recht und Gestez, hin zu einer personenorientierten Macht. Juristenoligarchie statt Rechtsstaat. Die DSGVO widerspricht Art.1 Abs.3 GG.und daher ist die völkerrechtliche Absprache nicht bindend in Deutschland. – Boing!!!

    Kommentar von Claus am 3. Juli 2018 um 10:42

  • Hallo Peter,

    das ist der Vorschlag der Kommission. Das, was jetzt im Parlament auf dem Tisch liegt, ist ein anderer Text – wir kennen die einzelnen Paragraphen, aber es gibt derzeit leider noch nirgendwo ein zusammenhängendes Dokument in irgendeiner Sprache online. Das steckt wohl noch im Parlaments-Redaktions-Apparat. Zwischen diesen Versionen (der von dir gefundenen der Kommission und der noch zu veröffentlichenden des Parlaments) wird dann der finale Gesetzesentwurf ausgehandelt. Außerdem hat der Rat auch noch ein Wort mitzureden. Es ist kompliziert. Rückfragen beantworten wir gerne, Updates liefern wir hier im Blog.

    mit den besten Grüßen
    Bernd

    Kommentar von Bernd Fiedler am 28. Juni 2018 um 13:42

  • Es wäre schön, wenn man auch mal im Originaltext nachlesen könnte, gegen was man seine Stimme erheben soll. Habe den Link nach einigem Suchen gefunden:
    https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52016PC0593&from=EN

    Kommentar von Peter am 27. Juni 2018 um 10:24

  • Ja, 2013 wurde in Deutschland ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger eingeführt. Dies gilt allerdings weithin als gescheitert. Eine vom Ausschuss Digitale Agenda einberufene Expertengruppe nannte es schlicht eine “Katastrophe”. Die aktuell zur Diskussion stehenden Entwürfe auf europäischer Ebene gingen noch viel weiter als das deutsche Gesetz und drohen schon kleinste Auszüge aus Presseartikeln mit einzuschließen. Mehr dazu zum Beispiel hier: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/leistungsschutzrecht-fuer-presseverleger-so-ein-quatschgesetz-a-1212697.html

    Upload-Filter kennt man von YouTube, das Googles automatische Filter schon seit einiger Zeit einsetzt (und zahlreiche Beispiele falscher Sperrungen liefert). Gesetzlich verpflichtend sind diese Filter bisher nicht.

    Kommentar von Lisa Dittmer (WMDE) am 22. Juni 2018 um 09:09

  • Das Leistungsschutzrecht gibt es auf Deutscher Eben ja quasi schon, richtig?
    Dieser quasi Upload-Filter aber noch nicht?

    Kommentar von Georg am 21. Juni 2018 um 01:46

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