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Etappensieg fürs freie Internet

Das EU-Parlament hat gegen einen umstrittenen Entwurf zur Urheberrechts-Richtlinie gestimmt. Bis zum Schluss spannend, standen am Ende 328 gegen 278 bei 31 Enthaltungen. Wie war das möglich? Wie geht es jetzt weiter?

WMDE allgemein

5. Juli 2018

Wird es jetzt keine EU-Urheberrechtsreform geben?

Es wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach geben. Sie ist sinnvoll. Heute wurde erreicht, dass der Vorschlag des Rechtsausschusses nicht ohne transparente parlamentarische Debatte direkt per Schnellverfahren in den Trilog, den Vermittlungsausschuss der EU-Institutionen, durchgewinkt wird. Wir und viele andere finden, dass dieser Vorschlag zu viele Schwachstellen hatte. Ausführliches dazu in diesem Blogbeitrag.

Geht die heutige Entscheidung nun zu Lasten des Auskommens von Kreativen?

Diesen Konflikt gibt es so nicht. Kreative sollen angemessen an den Einnahmen von Verwertungsunternehmen beteiligt werden, seien es nun die klassischen Verwertungsindustrien oder neue Akteure wie Plattformen. Die Marktdominanz einzelner Unternehmen sollte mittels Instrumenten wie Kartell-, Wettbewerbs- und Steuerrecht zurückgedrängt werden. In Zeiten des Internets reicht das Urheberrecht extrem weit in den Alltag der Menschen hinein und die gesellschaftlichen Kollateralschäden neuer Regelungen dürfen der Politik nicht egal sein.

Wie wurde diese Mehrheit erreicht?

Es gab 850.000 Zeichnungen der Petition und eine in dieser Stärke selten dagewesene Flut von Mails. Vor allem auch individuelle Mails (vorname.nachname@europarl.europa.eu) und Anrufe bei den Abgeordneten, von denen uns aus den Büros berichtet wurde, haben viel bewirkt. Auch die Aktivität auf Twitter und in den Medien hat geholfen. Leider gab es auch unschöne persönliche Angriffe und Beleidigungen, seitens der Befürworter des jetzt abgelehnten Textes aber auch Diffamierungen und haltlose Vorwürfe. Das muss nicht sein. Es geht um die Sache. Wir hoffen, jetzt an guten Wegen für die Stärkung der Rechtsdurchsetzung von Urheberinnen und Urhebern zusammenarbeiten zu können.

So haben die deutschen EU-Abgeordneten abgestimmt:

Die Abgeordneten, die das Mandat (wie von WMDE gefordert) abgelehnt und für eine Wiedervorlage im Plenum im September gestimmt haben, haben wir orange markiert. Die blaue Markierung zeigt, wer seine Zustimmung zum JURI/Voss-Entwurf und dem Verhandlungsmandat inklusive Leistungsschutzrecht und Upload-Filter gegeben hat (Daten: Protokoll Europaparlament. Bild: WMDE, CC0-Lizenz).

Haben die Wiki-Communitys zum heutigen Ergebnis beigetragen?

Es gab zahlreiche Aufrufe und Initiativen, an vielen waren wir als Wikimedia Deutschland und andere Wikimedia-Chapter beteiligt. Auch hinter den Kulissen haben wir Bilder geschaffen, sprachlich wie grafisch, Gespräche geführt und Informationspapiere verschickt. In den letzten Tagen vor der Abstimmung aber war der Protest vor allem in vielen Wikipedien unübersehbar geworden. Die jeweiligen Communitys haben damit ein Zeichen gesetzt, das viele sehr beeindruckt hat.

Original picture Rodrigo Tetsuo Argenton and Wikimedia foundation, Modifications by Mattes and Bernd Fiedler (WMDE), CC BY-SA 3.0

Bannerkampagnen liefen hier:

* Deutschsprachige Wikipedia (bereits im Mai)

* Polnische Wikipedia

* Englischsprachige Wikipedia

* Slowenische Wikipedia

Blackouts:

* Lettische Wikipedia

* Estnische Wikipedia

Blackouts mit Banner-Erläuterung:

* Italienische Wikipedia

* Spanische Wikipedia

Dies hat klar zum Ergebnis beigetragen. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen: Wir können diverse Abgeordnete benennen, die nach Start der Banner und Blackouts ihre Positionen zugunsten des heutigen Ergebnisses klar bekannt oder sogar geändert haben. Viele Gegenspieler in diesem Prozess gingen explizit auf uns und auf die Wikipedien ein – leider auch mit dem Vorwurf, da laufe eine Desinformationskampagne. Unsere ausführliche Replik darauf ist hier online.

Was muss besser werden?

Am Ende darf es in keinem Falle eine Pflicht zur flächendeckenden Durchleuchtung des Internetverkehrs geben. Außerdem müssen die Regelungen zukunftsfest sein. Wir wollen gute Regeln statt vieler Ausnahmen. Wir hoffen, dass das Parlament vor allem die Artikel 3 (Text- und Data-Mining), Artikel 11 (Leistungsschutzrecht), Artikel 13 (Haftungsregieme und Upload-Filter) angeht sowie die Panoramafreiheit endlich europaweit harmonisiert.

So geht es besser:

Der Kompromissformel der für Artikel 13 zuständigen Berichterstatterin MEP Catherine Stihler haben der Binnenmarktausschuss (IMCO) sowie der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE-Ausschuss) bereits zugestimmt. Das Gleiche sollte nun auch das Plenum des Europäischen Parlaments tun. Der Artikel 13 wäre dann deutlich weniger problematisch formuliert, ohne jedoch die Plattformen aus der Verantwortung zu entlassen.

Noch besser wären alternative Ansätze, die die Urheber-Position verbessern, ohne das Haftungssystem des Netzes zu verändern. Ein Beispiel: Eine API-Verpflichtung für marktdominante Plattformen. Diese ganz Großen (YouTube, Facebook und andere) müssten dann zwingend spezielle Schnittstellen zu ihren Systemen anbieten, die es Rechteinhabern ermöglichen, direkt auf Datenbankebene nach Urheberrechtsverletzungen zu suchen und – nach dem Upload, nicht davor – gefundenes Material zur Löschung zu markieren.

Wer entscheidet jetzt wann was genau?

Nachdem das Parlament im September über die IMCO-Fassung des Gesetzesvorschlags oder über einzelne Änderungen oder einen ganz neuen Text entschieden haben wird, geht das Gesetz in die Verhandlungen mit dem Rat der EU und der EU-Kommission, in den sogenannten Trilog. Beide Institutionen haben sich bereits für ein Leistungsschutzrecht und Upload-Filter ausgesprochen. Bei zwei gegen einen kann das Ergebnis der Trilog-Verhandlungen am Ende nochmal deutlich schlechter werden als der Vorschlag, der heute im Parlament durchgefallen ist. Anschließend entscheidet wieder das Parlament, dann in zweiter Lesung, über dieses Verhandlungsergebnis aus dem Trilog. Zwar sind dann theoretisch erneut Änderungen möglich, aber sehr sehr unwahrscheinlich. Eher wird es auf ein Hopp oder Topp hinauslaufen – dann wird die Reform entweder wie sie aus dem Trilog kommt verabschiedet oder ganz verworfen. Auch eine weitere Runde Trilog wäre denkbar, aber ebenfalls eher unwahrscheinlich. In diesem Video wird der Gesetzgebungsprozess anschaulich erklärt.

Contribution of EDRiCC-BY 4.0 

  • So ganz kann ich die Argumentation welche Partei wählbar wären und welche nicht, nicht nachvollziehen:
    * CDU/CSU = 28 Ja und 6 Enthaltungen (82% Zustimmung)
    * SPD = 25 Nein und 2 Enthaltungen (0 % Zustimmung)
    * B90/Grüne = 3 Ja, 6 Nein und 2 Enthaltungen (27 % Zustimmung).
    * ÖDP = 1 Nein (0% Zustimmung)
    * Piraten = 1 Nein (0% Zustimmung)
    * Linke = 5 Nein, 2 Enthaltungen (0% Zustimmung)
    * Die Partei = 1 Nein (0% Zustimmung)
    * Freie Wähler = 2 Nein (0% Zustimmung)
    * LKR = 3 Ja, 2 Nein (60% Zustimmung)
    * AfD = 1 Nein (0% Zustimmung)
    * Blaue Partei = 1 Nein (0% Zustimmung)
    * FDP = 3 Nein (0% Zustimmung)
    * Rest/Parteilos = 3 Nein (0% Zustimmung)

    D.h. die einzige wirklich (relativ) geschlossene Zustimmung kommt aus CDU/CSU sowie LKR und der Rest ist (mehr oder weniger) dagegen. Einige vermutlich “aus Prinzip” (= Fundamentalopposition weil Vorschlag von CDU/CSU kommt) und andere haben sich möglicherweise wirklich mit dem Inhalt beschäftigt und sind (aus unterschiedlichen Gründen) im Abstimmungsergebnis gespalten.

    Ich würde hier kein Wahlergebnis für/gegen eine _Partei_ ableiten sondern mich eher mit den jeweiligen _Personen_ beschäftigen um herauszufinden _warum_ der eine oder andere dafür/dagegen gestimmt hat. M.E. ist ein “ehrliches” Abstimmungsergebnis ohne Fraktionszwang viel interessanter als irgendwelche parteitaktischen Überlegungen, die aber nur bei den größeren Fraktionen wirklich interessant bzw. mit entsprechendem Gewicht sind.

    Kommentar von Christian M. am 12. Juli 2018 um 18:58

  • Das ist leicht zu erklären. Der Entwurf stammt von einem CDU-Abgeordneten und folglich sind (fast) alle in der Fraktion dafür, ohne sich groß um Details zu kümmern

    Kommentar von Peter Werner am 12. Juli 2018 um 09:21

  • Herr Weber hat sich wenigstens enthalten. Mich würde interessieren, warum die “Volkspartei der Mitte ” ( CDU / CSU ) sich fast geschlossen hinter die Internetgiganten stellt.

    Kommentar von Peter Weber am 12. Juli 2018 um 01:40

  • Da kann ich mich dem Herrn Meincke nur anschließen! Für mich sind B/90-Grüne schon seit einger Zeit nicht mehr wählbar. Und jetzt habe ich noch ein Argument mehr.

    Kommentar von Peter Wagner am 11. Juli 2018 um 20:28

  • Für mich wieder ein Beweis, Bündnis Grüne sind nicht wählbar. Linke und SPD weiter so.

    Kommentar von Hans-Olaf Meincke am 11. Juli 2018 um 19:56

  • Bemerkenswert ist das Abstimmungsergebnis der SPD- Fraktion: geschlossene Ablehnung des Entwurfs bei nur zwei Enthaltungen. Zur Nachahmung dringend empfohlen.

    Kommentar von Peter Werner am 11. Juli 2018 um 17:34

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