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Diskussionsrunde auf dem 34C3: Warum haben wir aufgehört, Dinge ins Internet zu schreiben?

Jens Ohlig

10. Januar 2018

Auf dem 34. Chaos Communication Congress in Leipzig beteiligte sich auch Wikimedia Deutschland an einer Assembly mit einem kleinen selbstorganisierten Programm von Workshops und Vorträgen zu Themen wie Wikidata und SPARQL.

Am letzten Tag organisierten wir eine kleine Diskussionsrunde mit der bewusst provokativen Frage nach dem (gefühlten?) Rückgang von Benutzendenbeiträgen beim Freien Wissen oder einfach gesagt: Was wurde eigentlich aus dem Wikipedia-Account, den du 2007 hattest? Warum schreibst du nichts mehr auf dein Blog?

Beiträge aus der Diskussion haben wir notiert und möchten sie hier zusammenfassen.

Immer wieder wurde Facebook als der Ort genannt, wohin die Aufmerksamkeit und Produktivität abfließt. Kommerzielle Webseiten seien gut darin, Aufmerksamkeit zu binden. Möglicherweise hat ein kultureller Wandel hin zu (Bewegt-)Bildern und weg vom Text im Web stattgefunden, was sich auf die Produktion von Texten für Wikipedia oder auch das eigene Blog auswirkt.  Facebook sei auch der Ort, wo die selbst gemachten Fotos am Ende landen, anstatt sie unter freien Lizenzen auf Wikimedia Commons oder auch Flickr zu veröffentlichen.

Ein Diskussionsteilnehmer aus Taiwan merkte an, dass auf Facebook dort auch Politikerinnen und Politiker oder allgemein Influencer zu finden seien. Das mache die Beteiligung alternativlos, wenn man zum Diskurs beitragen möchte. Dazu käme die Möglichkeit, direkt Feedback zu bekommen — auf Facebook gäbe es Likes und Kommentare, bei Wikipedia manchmal gar keine Reaktion oder Inhalte würden entfernt. Einstiegshürden beschäftigten die Runde ebenfalls — selbst bei großer Motivation fiel es einem Teilnehmer schwer zu erkennen, was genau er beitragen kann und ob seine Beiträge wertvoll sind.

Technologische Gründe wurden auch angeführt: Seitdem sich der Internetzugriff auf das Smartphone verlagert hat, sei es weniger attraktiv, Texte beizutragen — die winzige On-Screen-Tastatur sei viel weniger praktisch bei der Eingabe von Texten als eine richtige Tastatur auf einem ausgewachsenen Computer. Ein Teilnehmer gab einen praktischen Grund für den Rückgang seiner Beiträge zu OpenStreetMap an: Seitdem die Abdeckung in Deutschland nahezu komplett ist, blieben nur noch Änderungen wie Ladenöffnungszeiten von Geschäften übrig.

Die Tatsache, dass Benutzendenbeiträge im Web eine eindeutige Adresse haben (einen Uniform Resource Locator, URL) verschwimmt immer mehr; zwar haben auch Facebookbeiträge einen Link, aber dieser ist kompliziert zu finden und wird selten geteilt — es verschwimmt alles im Strom der Nachrichten. “Facebook killed the Hyperlink”, brachte es ein Teilnehmer auf den Punkt. Vielleicht brauche es eine Kampagne, um eindeutige Webadressen für Inhalte neu zu beleben.

Technische und gesellschaftliche Aspekte scheinen beide eine Rolle dabei zu spielen, warum weniger selbst produziertes Wissen im offenen und freien Web landet. Die Lösung für dieses Problem konnte in der einstündigen Diskussion nicht gefunden werden — was auch nicht zu erwarten war — aber etliche interessante Aspekte konnten gesammelt werden. Eine Fortsetzung oder Wiederholung dieser Diskussionsrunde mit einem anderen Publikum ist auf jeden Fall wünschenswert, um noch mehr Sichtweisen zu sammeln.

  • K.Naut, das kann ich so nicht bestätigen. Wenn Bilder nicht wirklich sehr schlecht sind, werden sie genommen )ausser vielleicht, es gibt vom Objekt schon sehr viele ausgesprochen Bessere) und Relevanzhürden gibt es bei Objekten von Geografie und Infrastruktur gar keine. Die Aussage ist so also nicht haltbar.

    Kommentar von Marcus Cyron am 12. Januar 2018 um 05:50

  • Meines Erachtens ein völlig rationales und folgerichtiges Verhalten in der heutigen Zeit. Ganz trivial: Bevor man sich ausschweifende Gedanken dazu macht, was man mit der ganzen Welt (UND Facebook) teilt, postet man doch lieber in einem “geschützten” Umfeld (NUR bei Facebook), in dem einem die Adressaten im Einzelnen auch bekannt sind.
    Dennoch interessant, wie sich das Private in die Öffentlichkeit herauswagt, nur um nun wieder zurückzukehren ins (vermeintlich) Private. Am Ende profitieren die Konzerne, was jedoch anscheinend nur den wenigsten bewusst ist. Doch selbst wenn, was wäre die Alternative?
    “Vielleicht brauche es eine Kampagne, um eindeutige Webadressen für Inhalte neu zu beleben.” Das wäre auf jeden Fall schonmal ein Schritt in eine andere Richtung.

    Kommentar von Eau am 12. Januar 2018 um 00:02

  • Ich habe früher vor/nach dem Schnappschuss häufiger noch mal ein bild von Brücke, Kirche, Statue,… gemacht, für Commons. Leider ist die Schwelle sehr groß (Schlechtwetter, Beleuchtung, nicht bekannt genug, und und und) anstatt wie z.b. ein Google einfach alles schluckt wobei nachher (Algorithmisch?) die bessere Bildern nach vorne kommen. Nichts würde dagegen sprechen x Zeit später ein besseres Bild von irgendeinem Monument zu benutzen und mittlerweile dieses mittelmäßiges Bild zu nehmen.

    Kommentar von K.Naut am 11. Januar 2018 um 14:05

  • Richtiger Hinweis, Marcus Cyron. Natürlich soll Commons nicht mit beliebigen Schnappschüssen geflutet werden und es gibt einen Scope und Regeln. Aber soll es der Default sein, dass Beiträge in einem walled garden verschwinden, statt sie unter freien Lizenzen zur Verfügung zu stellen, etwa auf dem eigenen Blog oder Flickr?

    Kommentar von Jens Ohlig am 11. Januar 2018 um 12:40

  • “Facebook sei auch der Ort, wo die selbst gemachten Fotos am Ende landen, anstatt sie unter freien Lizenzen auf Wikimedia Commons oder auch Flickr zu veröffentlichen.” – aber mal ehrlich, 98% dieser Bilder wollen wir auch nicht auf Commons, da sie gar nicht unter unseren Project scope fallen. Und der ist auf Commons schon weit gefasst. Aber persönliche Schnappschüsse gehören nunmal nach Facebook, Twitter und Instagram, nicht auf Commons. Wir sprechen doch etwas Anderes an. Wollen anderes. Die Bilder, die wir wollen, machen auch vergleichsweise wenig Leute.

    Kommentar von Marcus Cyron am 11. Januar 2018 um 05:22

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