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Wahlprüfsteine für 17 Parteien in Nordrhein-Westfalen – und ein Ausblick für 2013

WMDE allgemein

18. April 2012

Vor zwei Wochen haben wir in diesem Blog den Entwurf von Wahlprüfsteinen zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen veröffentlicht und Euch im Rückmeldung gebeten. Vielen Dank an alle, die in den Kommentaren, in anderen Blogs und per Email mitgeholfen haben, wir haben alles davon berücksichtig. Heute gehen nun 17 Exemplare der Wahlprüfsteine an die zugelassenen Listen, die am 13. Mai um die Stimmen im 17-Millioneneinwohnerbundesland NRW bitten.

Der Zeitplan ist wegen des vorgezogenen Wahltermins etwas knapper als sonst, wir werden wie gehabt vor der Wahl das veröffentlichen, was bis dahin eingetroffen ist und hoffen, den in NRW Wahlberechtigten damit ein Hilfsmittel bereitszustellen, eine informierte Wahlentscheidung zu treffen.

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, im Herbst 2013 stehen Bundestagswahlen an. Wikimedia Deutschland möchte gerne mit Euch darüber reden, wie wir das Instrument der Wahlprüfsteine weiterentwickeln können und sinnvoll in 17 Monaten einsetzen können. Eure Vorschläge sind dabei herzlich willkommen, so konkret oder nicht sie auch sein mögen. Ganz besonders interessiert uns dabei:

  • Wie eng oder weit sollen die Wahlprüfsteine von Wikimedia Deutschland um die Kernthemen der Arbeit des Vereins gelegt werden?
  • Welche Themen sollen grundsätzlich im Zentrum der politischen Arbeit des Vereins stehen?
  • Ist es angemessen, vor allem Fragen an die zur Wahl stehenden Parteien zu stellen oder sollte Wikimedia Deutschland bereits konkrete Vorschläge an die Parteien während der Redaktionsphase für ein Wahlprogramm artikulieren?
  • Sollen weiterhin vor allem die Parteien gefragt werden oder gibt es auch sinnvolle Fragen, die man Kandidaten einzeln stellen sollte?
  • Welche Maßnahmen sollen wir durchführen, nachdem die Antworten eingetroffen sind?

Hier die finale Fassung der Wahlprüfsteine (auch als PDF):

Bildungspolitik

Auch nach dem nordrhein-westfälischen Schulfrieden bleibt die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit eine zentrale politische Herausforderung. Diese ist an soziale Durchlässigkeit und freie Zugänge zu Wissen geknüpft.

Frage 1: Sind Plattformen mit offener Hardware für Sie Teil eines pädagogischen Konzepts zur Steigerung der Medienkompetenz und wie sieht Ihre konkrete Vorstellung von entsprechenden Lernszenarien aus?

Frage 2: Sehen Sie Chancen dafür, die Schulen technologisch besser auszustatten und Kindern und Jugendlichen einen kompetenten Umgang mit Neuen Medien zu vermitteln?

Freie Bildungsinhalte (Open Educational Resources)

Der §53 UrhG erlaubt die Herstellung von Kopien zur Unterrichtsgestaltung nur mittels photomechanischer Verfahren. Zulässig ist die Zurverfügungstellung von kleinen Teilen des urheberrechtlich geschützten Materials aus Schulbüchern. Bilder und Grafiken dürfen weder eingescannt noch mit anderen digitalen Inhalten verknüpft werden. So aber wird der Schulunterricht künstlich auf dem Stand des 20. Jahrhunderts gehalten.

Frage 3: Wie wollen Sie die Erstellung und Verbreitung von solchen Lern- und Lehrmaterialien fördern, die unter einer Lizenz stehen, welche die freie Nutzbarkeit sicherstellt durch Dritte (z.B. Creative Commons cc-by)?

Frage 4: Der aktuelle Runderlass “Zulassung von Lernmitteln” des Schulministeriums enthält in Punkt 2 die Bedingung, dass nur solche Lernmittel zugelassen werden können, die eine kostengünstige Versorgung der Schulen ermöglichen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, als weiteres Kriterium die zusätzliche Einräumung von analogen und digitalen Nutzungsrechten als Bedingung für die Zulassung von Lernmitteln aufzunehmen?

§53 UrhG und dessen Durchsetzung an Schulen

Der Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG sieht die Entwicklung und den Einsatz einer Software zur Suche nach “digitalen Kopien von für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werken auf Speichersystemen” vor. Parlamentarische Anhörungen in Niedersachsen, Berlin und anderen Bundesländern ergeben, dass diese Software aller Voraussicht nach niemals hergestellt wird, da sie systembedingt unvereinbar mit Datenschutzvorgaben ist.

Frage 5: Welche Lösung im Umgang mit dem §53 UrhG an Schulen soll auf den Gesamtvertrag folgen, der spätestens am 31.12.2014 außer Kraft treten wird?

Frage 6: Die absehbare Nichtlieferung der in §6 Abs. 4 des Gesamtvertrags vereinbarten Software zur Durchsuchung von Speichersystemen wird einen Bruch der Vereinbarung seitens der Verlage darstellen. Welche Konsequenzen werden Sie aus dieser Vertragsverletzung ziehen?

Zugang zu Wissen und kulturellem Erbe

Als Reaktion auf privatwirtschaftliche Massendigitalisierungsinitiativen von Bibliotheksbeständen (wie z.B. Google Book Search) laufen seit einigen Jahren öffentlich finanzierte Projekte mit dem Ziel, die kulturellen Bestände öffentlicher Einrichtungen im Netz zugänglich zu machen. Gleichzeitig fehlt es an einer soliden rechtlichen Grundlage, ebendiese Einrichtungen dauerhaft und bestandserhaltend durch die Kommunen und das Land betreiben zu lassen.

Frage 7: Wie und mit welchem Ziel wollen Sie die durch die verkürzte 15. Legislaturperiode nicht erfolgreich zu Ende geführten Initiativen zu einem Kulturförderungsgesetz bzw. zu einem Bibliotheksgesetz in Nordrhein-Westfalen wieder aufnehmen?

Frage 8: Auf der Europäischen Aggregationsplattform für Digitalisate kultureller Einrichtungen “Europeana” sind Inhalte nordrhein-westfälischer Einrichtungen unterrepräsentiert. Welche Maßnahmen wird eine Landesregierung unter ihrer Beteiligung unternehmen, damit vom Land NRW geförderte Kultureinrichtungen sich verstärkt an Europeana und der Deutschen Digitalen Bibliothek beteiligen?

Gebührenfinanzierte Inhalte

Grundversorgung in der digitalisierten Wissensgesellschaft meint mehr als nur die Bereitstellung eines fixen Programmschemas durch die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Es geht zunehmend auch darum, eine flexiblere und breitere Nachnutzung von gebührenfinanzierten Inhalten zu ermöglichen.

Frage 9: Welche Maßnahmen halten Sie für geeignet, damit die durch den WDR erstellten und von den Bürgern des Landes NRW finanzierten Inhalte auch durch jedermann wieder über die einfache Konsumption hinaus verbreitet, bearbeitet und geremixt werden können?

Frage 10: Werden Sie sich für die Abschaffung der Depublikationsverpflichtung von gebührenfinanzierten Inhalten durch die öffentlich-rechtlichen Sender einsetzen?

Staatliche Werke und offene Regierungsdaten

Open Government Data beschreibt die lizenzpolitische Entscheidung, Rohdaten aus Politik und Verwaltung der Allgemeinheit zur freien Verfügung anzubieten. Auf Länderebene sehen wir für 2012 die Gelegenheit, vom „ob“ zum „wie“ umzusteigen und Open-Data-Portalen aufzubauen.

Frage 11: Welche lizenzrechtlichen Mindestvoraussetzungen im Hinblick auf freie Nachnutzbarkeit (siehe Open Government Principles

(http://www.opengovdata.org/home/8principles) sollen ein künftiges NRW-Open Data Portal und alle seine darin enthaltenen Datensätze erfüllen?

Frage 12: Werden Sie eine Lizenzierung von Luftbildern aus der Landesvermessung unter Creative Commons cc-by, cc-by-sa oder cc0 veranlassen?

Offene Innovationskultur

„Open Innovation“ meint beteiligungsorientierte Prozesse in Wirtschaft oder öffentlicher Verwaltung, um neue Strukturen und Abläufe zu schaffen. Dem liegt die zentrale Erkenntnis zugrunde, dass Innovationen nur dann eine nachhaltige Akzeptanz erfahren, wenn sie auch gemeinsam mit den jeweils Betroffenen bzw. Stakeholdern entwickelt werden.

Frage 13: Innovationstreiber bei der Verwendung von Daten und Werken der öffentlichen Verwaltung kommen sowohl aus dem Bereich nichtkommerzieller Projekte wie auch aus einem hochdynamischen gewerblichen Umfeld der Kreativwirtschaft. Welche Maßnahmen planen Sie, beide Arten von Marktteilnehmern zu unterstützen und die Vermehrung gesellschaftlichen Wohlstands zu fördern?

Frage 14: Wird das Fördercluster Creative.NRW einen zusätzlichen Schwerpunkt zu sich entwickelnden Wertschöpfungsketten um Open Government Data erhalten?

Netzsperren

Über ein Jahrzehnt wurde in Nordrhein-Westfalen und später auch in ganz Deutschland über das Instrument von Internetsperren gegen illegale oder unerwünschte Inhalte gestritten. Diese Diskussion endete letztlich über Bundesebene mit der Außerkraftsetzung und späteren Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes. Seitdem herrscht ein weitgehender Konsens über die Gefährlichkeit und Unsinnigkeit von Netzsperren.

Frage 15: Wird eine Landesregierung unter Ihrer Beteiligung Gesetzesvorhaben im Land oder im Bundesrat unterstützen, die Ermächtigungsgrundlagen für Netzsperren beinhalten (z.B. bei Glücksspiel, Persönlichkeitsrechten, rechtsextremistischen Inhalten)?

Frage 16: Welche Schritte wird eine Landesregierung in NRW unter Ihrer Beteiligung unternehmen, um die einzigen in Deutschland noch bestehenden Sperrverfügungen (der Bezirksregierung Düsseldorf von 2002) zu beenden?

Netzpolitik im Land

Mit der Einsetzung der Enquête-Komission “Internet und Digitale Gesellschaft” schuf der Bundestag ein Forum, um z.B. Fragen des Breitbandausbaus, des Datenschutzes oder der Medienkompetenz zu diskutieren. Auch auf landespolitischer Ebene erscheint eine Bündelung der Kompetenzen zu Folgewirkungen der Digitalisierung dringend erforderlich.

Frage 17: Welche konkreten netzpolitischen Projekte wird eine Landesregierung unter Ihrer Beteiligung in der kommenden Legislaturperiode angehen, welche Erfolgskriterien setzen Sie dabei an und welchen Beteiligungsprozess in der Durchführung stellen Sie sich vor?

Frage 18: Werden Sie – wie in Berlin – die Netzpolitik zu einem eigenständigen Politikfeld mit entsprechenden Kompetenzen innerhalb der Landesregierung aufwerten?

  • Apropo Netzsperren. Solltet Ihr euch da nicht vlcht. selber mal an der Nase fassen?

    Ich habe gerade eine interessante Erfahrung machen müssen mit Netzsperren in der Wikipedia. Die Diskussionsseite zum Artikel Anthroposophie z.B. sperrt laut Warnmeldung große Teile des Bremer Netzes aus (den IP-Bereich 84.137.*). Das sollten potentiell meines Wissens ca. 65.0000 Menschen sein. Gibt es eine konkrete Begründung für solche breit gefächerten Netzbereichssperren? Die Berabeitung der 84.137’er IP dort und auch anderswo in der Wikipedia erklären diesen gewaltige Netzbereichssperre jedenfalls nicht.

    Arcy

    Und hier auch noch der Text, der seinen Eingang in die Diskussion nicht finden durfte:

    An dem Abschnitt “Wissenschaft” ist einiges auffallend. Die Nichtverwendung maßgeblicher Literatur, die Schwerpunktsetzungen die sich mit maßgeblicher Literatur nicht decken. In diesem Falle Diskrepanzen zu ”Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland: Theosophische Weltanschauung”. Ca. 100 Seiten behandelt Zander dort die Thematik “Wissenschaft”.
    *Zum einen. Der ausschweifende “Ahaska Chronik” Bereich hier im Artikel taucht bei Zander nicht auf. Sie ist im Kapitel 9. “Wissenschaft” kein Thema. Lediglich im Rahmen einer Aufzählung in einem Satz findet die Chronik Verwendung.
    *Zum anderen: Zander beginnt sein Kapitel mit dem Satz das Steiner war von der Naturwissenschaft fasziniert gewesen sei. Er schreibt weiter: ”Sein Wissenschaftsbegriff implizierte in weiten Bereichen die normative Geltung naturwissenschaftlicher Methoden und Ergebnisse, wovon sich Steiner vor allem zwei Leistungen erhoffte: Die Theosophie könne zum einen die Geltungs-ansprüche der zeitgenössischen (Natur-) Wissenschaft und die Dynamik ihres Fortschritts integrieren; zum anderen beanspruchte er, den Universalitätsan-spruch sowie die Empirizität der Naturwissenschaften und ihrer Methodologie, auf dem sein weitreichender Erkenntnis- und Handlungsoptimismus gründete, in die Kultur zu übernehmen. Die Verbindung von Naturwissenschaft und »Gei-steswissenschaft« (im theosophischen Wrständnis) war Steiners Lebensthema.”. Der WP Artikel dagegen lässt den Wissenschaftsbegriff Steiners außen vor, kappt die Hälfte ab und ergötzt sich an der Behandlung des Esoterischen.

    Kommentar von Arcy am 22. April 2012 um 12:08

  • @Arcy: Der Ablauf war so wie bei den letzten zwei Wahlprüfsteinen, es gab einen Entwurf, der im Blog zur Kommentierung ausgelegt wurde und über verschiedene Wege (Blogkommentar, Email, Gespräch) verfeinert wurde und dann im Rahmen der Arbeit in der Geschäftsstelle finalisiert wurde. Die Links dazu findest du oben im Blogposting.

    Kommentar von Mathias Schindler am 19. April 2012 um 12:37

  • Hi Mathias,

    betr. Vorbereitung Bundestagswahlkampf – Wahlprüfsteine
    wenn die Ressourcen vorhanden sind, sollte man versuchen sich bereits in den Entstehungsprozess der Wahlprogramme einklinken. Im letzten Landeswahlkampf in Berlin hat selbst die CDU sich von Bürgereingaben leiten lassen. Bei den Grünen sind Werkstätten zu den Kernthemen üblich, externe Referenten sind gern gesehen. Die Piraten arbeiten ja eh offen und online, auch die SPD und die anderen haben sicher Foren, auf denen das Programm entwickelt wird. Hilfreich kann es auch sein, entsprechende Artikel in den Mitgliedermagazinen zu lancieren. Das ist evt. effizienter vom Arbeitsaufwand, aber vielleicht nicht unbedingt effektiver vom Ergebnis.

    Auch das direkte Gespräch mit den relevanten Kandidaten zum Thema Netzpolitik bzw. deren Referenten zu suchen ist absolut der richtige Weg.

    Wahlprüfsteine sind nach meinem Verständnis die letzte Maßnahme, wenn alle Lobbywege erschöpft sind, die Politik durch den aufgeklärten Wähler abzustrafen.

    Barbara

    Kommentar von Barbara Fischer am 19. April 2012 um 10:09

  • Wer ist “wir” ?

    Sind dies nur eine handvoll Personen oder wurden die Prüfsteine in irgendeiner Art und Weise weitergehend “abgesegnet”? Ist dies eine Werk des Vereins-Ressorts “Lobbying” (umbenannt in “Politik und Gesellschaft”). Gab es eine Abstimmung im im Rahmen des Vereins? Wurde die sogenannte Wikipedia Community invollviert?

    Arcy

    Kommentar von Arcy am 19. April 2012 um 09:10

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