Offene Wissenschaft ist ein Ziel, auf das sich viele einigen können. Mit der praktischen Umsetzung hapert es allerdings oft noch. Oft sind es technische Kleinigkeiten, die unklar sind, manchmal aber auch Grundbegriffe. Und dann gibt es noch jede Menge Mythen und Irrtümer, die aufgeklärt werden müssen. Open Science Q&A ist eine Community aus Wissenschaftlern und anderen Interessierten (von SchülerIn bis ProfessorIn), die sich gefunden hat, um eine Wissenssammlung zu dieser Thematik in Form von Fragen und Antworten zusammenzutragen. Eine Zeit lang bemühten sie sich, beim StackExchange-Netzwerk unterzukommen, das inzwischen nicht mehr nur von ProgrammiererInnen zum Erfahrungsaustausch genutzt wird. Jetzt befindet sich die Frage-und-Antwort-Website Open Science Q&A bei der Universität Bielefeld. Wie kam es dazu, Christian Pietsch?
Christian Pietsch: In der privaten Beta-Phase bei StackExchange war ich noch gar nicht beteiligt. Eines Tages sah ich einen Tweet, in dem Daniel Mietchen bedauerte, dass es keine öffentliche Beta-Phase geben würde und dass die private Beta-Site am kommenden Freitag gelöscht würde. Ich konnte nachfühlen, was das bedeutet, weil ich mich vor zwei Jahren eifrig an einer anderen privaten Betaphase (Digital Preservation) beteiligt hatte, die auch eingestampft wurde – einschließlich meiner Antworten. Daher wusste ich noch, dass die Fragen und Antworten in Form einer XML-Datei weiter existieren, die StackExchange nach Schließung einer Beta-Site zum Download anbietet. Diese müsste sich woanders importieren lassen, um die Frage-und-Antwort-Website wiederzubeleben. Ich bot meine Hilfe an, und kurz darauf brachte mich Daniel mit den Betreibern von PhysicsOverflow zusammen, die das schon mal gemacht hatten. Mit ihrer Hilfe und der freundlichen Erlaubnis meiner Vorgesetzten an der Universitätsbibliothek Bielefeld konnte ich nach wenigen Tagen den archivierten Inhalt als https://openscience.uni-
Sind dann auch alle, die sich an der Open-Science-Testphase auf StackExchange beteiligt hatten, zur neuen Website in Bielefeld mitgekommen?
Christian Pietsch: Leider nein. Manche wollten lieber einen neuen Versuch bei StackExchange starten oder etwas ganz anderes machen. Aber technisch gesehen, ja: Alle 338 dort angelegten Nutzerprofile waren im XML-Dump enthalten und wurden in Bielefeld importiert. Aber davon waren nur 22 Nutzer regelmäßig aktiv gewesen („avid users“). Das Problem war, dass wir die Nutzer nicht informieren konnten, da im XML-Dump keine E-Mail-Adressen enthalten waren. Wer sein altes Profil bei uns wieder benutzen möchte, kann auf der Website auf „reclaim your user account“ klicken; dann führen wir Mensch und Konto wieder zusammen. Wir würden uns freuen, wenn noch mehr von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden. Inzwischen hat Open Science Q&A 370 angemeldete Nutzer.
Wie aufwändig ist es, so eine Frage-und-Antwort-Website zu betreiben?
Christian Pietsch: Wenn man weiß, wie man einen Linux-Server aufsetzt und pflegt, ist der rein technische Aufwand minimal. Das mache ich nebenher. Finanzieller Aufwand entsteht in unserem Fall gar nicht, weil das inhaltlich verwandte DFG-Projekt CONQUAIRE, in dem ich mitarbeite, die Hardware bereitstellt und alle anderen ehrenamtlich arbeiten. Wir sind drei AdministratorInnen (Dilaton von PhysicsOverflow, Cord Wiljes vom Bielefelder Exzellenzcluster CITEC und ich) sowie vier weitere NutzerInnen aus den Weiten des Internets, die sich bereit erklärt haben, als ModeratorInnen mitzuwirken. Das ist mehr als genug Arbeitskraft bei der bisher gemächlichen Aktivität unserer Community.
Welche Fragen brennen den Forschenden besonders unter den Nägeln?
Christian Pietsch: Das kann ich tatsächlich objektiv beantworten, weil Fragen wie Antworten von den NutzerInnen Plus- und Minuspunkte bekommen können, und Q2A kann die Fragen nach Punkten sortieren:
- An der Spitze steht die Frage „How much does it cost to publish an academic article?“, auf die es z.Z. fünf Antworten gibt, die teilweise aufwendig illustriert sind. Eine neuere, erst nach dem Umzug beantwortete Frage zu Finanzen mag ich besonders: „What should I do if I cannot afford a journal Article Processing Charge?“ An ihr kann man gut sehen, wie eine Antwort die vorige ergänzt, und wie Kommentare zu Antworten hilfreich sein können. Zuerst gab es den Rat, den Verlag um einen Nachlass zu bitten. Dann gab ich den Rat, sich an die nächstgelegene Hochschulbibliothek zu wenden. Meine Antwort konnte ich nur mit Links zur DFG und zum Publikationsfonds der Universität Bielefeld unterfüttern, aber dann kommentierte Peter Suber meine Antwort mit einem Link auf eine Liste von OA journal funds auf der ganzen Welt. Problem gelöst, dachte ich. Es traf aber noch eine weitere Antwort ein, um die falsche Annahme auszuräumen, Open-Access-Publizieren sei immer mit Publikationsgebühren verbunden.
- „What criteria does a research project need to match to be called open science?“. Noch keine Antwort. Auch ein Blick in die rechte Spalte, wo „related questions“ aufgelistet werden, hilft momentan nur wenig, denn auch auf die verwandte Frage „What does “open” mean in science?“ hat noch niemand eine Antwort gewagt.
- „How to protect scientific open research from being patented?“ hat zwei Antworten, in denen auf prior art und die Möglichkeit einer defensive publication hingewiesen wird. Letzeres wird in den Antworten zu einer verwandten Frage vertieft: „Is obtaining a patent consistent with open science?“
- „How to deal with sensitive individual data in open science?“ Die Antworten ermutigen den Fragesteller, Sekundärdaten und Methoden offenzulegen, wenn die Primärdaten selbst in anonymisierter Form nicht veröffentlicht werden dürfen.
- „How can one share data for open science?“ hat im Moment zehn Antworten und viele Kommentare.
- „An example of a researcher being ‘scooped’ as a result of working openly?“ setzt sich mit der Befürchtung auseinander, durch eine offene Arbeitsweise anderen die Gelegenheit zu geben, zuerst zu publizieren. In der am besten bewerteten Antwort wird argumentiert, dass eine offene Arbeitsweise die beste Versicherung gegen solche Vorkommnisse ist, weil man so nachweisen kann, wann man wie weit war. Lesenswert in diesem Zusammenhang sind auch die Antworten auf die Frage „How can I protect open research from being plagiarised?“. Zusammengefasst: Wer plagiiert schon Publikationen, die man mit jeder Suchmaschine finden kann?
- „How do I get a DOI for a dataset?“ ist eine der praktischen Fragen, auf die man hier schnell Antworten bekommt.
- „Why do tenured professors still publish in pay-walled venues?“ ist eine etwas polemische Frage, die vier sehr unterschiedliche Antworten provoziert hat, die zusammen genommen ein buntes Bild des aktuellen Wissenschaftsbetriebs liefern.
- „Why do many researchers choose not to publish code and data alongside their articles?“ hat acht verschiedene Antworten bekommen. Die vom Fragesteller als beste markierte Antwort ist in diesem Fall nicht diejenige mit den meisten Punkten, sondern eine, die eine empirische Studie von Victoria Stodden referenziert und knapp zusammenfasst.
- „Why aren’t Creative Commons licenses appropriate for data?“ bezieht sich auf eine Aussage in den Panton Principles aus dem Jahr 2010. Dass sie mit dem Erscheinen von Version 4 des Creative-Commons-
Lizenzbaukastens noch berechtigt ist, hätte ich nicht gedacht, aber die beiden Antworten legen das nahe.
Wie finden Ratsuchende den Weg zu Ihrer Website?
Christian Pietsch: Die Suchmaschinen sind fleißig dabei, alle Inhalte zu erfassen. Frage-und-Antwort-Websites sind durch Websuchen sehr gut auffindbar, indem man einfach die ganze Frage ins Suchfeld eingibt – am besten auf englisch. Oder Teile der Antwort, soweit bekannt. Damit diese Website weiter vorn aufgelistet wird, braucht sie noch mehr Links von außen. Das wird mit der Zeit kommen. Die neue Website der AG Open Science der Open Knowledge Foundation Deutschland (OKFN) verweist schon auf uns.
Christian Pietsch studierte Allgemeine Sprachwissenschaft und Informatik in Leipzig, Künstliche Intelligenz in Edinburgh und Computerlinguistik in Saarbrücken, bevor er mit einem Diplom in der Tasche nach England zog, um an der Open University in einer Forschungsgruppe über Textgenerierung zu arbeiten. Nach einer Phase am Bielefelder Exzellenzcluster CITEC hat er seine wahre Berufung in der Abteilung Bibliothekstechnologie und Wissensmanagement (LibTec) der Universitätsbibliothek Bielefeld gefunden. In seiner Freizeit fördert er nicht nur offene Wissenschafskommunikation, sondern setzt sich z.B. mit Digitalcourage e.V. für Demokratie und Grundrechte ein, fährt bei jeder Gelegenheit Rad und sammelt billige alte Gitarren.
Mehr aus der Reihe „Freies Wissen und Wissenschaft
- Freies Wissen und Wissenschaft (Teil 01): Science 2.0 – Die Digitalisierung des Forschungsalltags (Interview mit Prof. Dr. Klaus Tochtermann, Leibniz-Forschungsverbund Science 2.0)
- Freies Wissen und Wissenschaft (Teil 02): Offene Bildungsressourcen (OER) an Universitäten und Hochschulen: Plädoyer für eine didaktische Sicht (Gastbeitrag von Dr. Sandra Hofhues, Universität zu Köln)
- Freies Wissen und Wissenschaft (Teil 03): Open Access und seine Wirkung in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft (Gastbeitrag von Ulrich Herb,Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek)
- Freies Wissen und Wissenschaft (Teil 04): Über die Notwendigkeit für mehr Offenheit und Transparenz in der Qualitätssicherung und Evaluierung: Open Peer Review und Open Metrics (Gastbeitrag von Dr. Peter Kraker, Know-Center)
- Freies Wissen und Wissenschaft (Teil 05): Wikipedia als Instrument der Forschungskommunikation (
Interview mit Prof. Dr. Patrick Franke, Universität Bamberg) - Freies Wissen und Wissenschaft (Teil 06): „All of Open Access on a stick“, oder: Wie überwinden wir die Open-Silos? (Gastbeitrag von Lambert Heller,Open Science Lab der TIB Hannover)
- Freies Wissen und Wissenschaft (Teil 07): Eine Enzyklopädie mit frei verfügbarem Wissen schreiben – in einer Welt der verschlossenen Inhalte (Gastbeitrag von Jake Orlowitz und Alex Stinson, The Wikipedia Library)
[…] Freies Wissen und Wissenschaft (Teil 08): Open Science Q&A – selbstorganisierte Handreichu… – In der kleinen Serie von Wikimedia gibt's ein Interview mit Christian Pietsch über das Community-Projekt Open Science Q&A, dass er initiiert hat. Nicht nur lesenswerter Beitrag, sondern auch ein wertvolles und cooles Projekt! […]