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Wikimedia & Wikipedia in der Ukraine

Wikimedia Ukraine in Zeiten des Krieges

Wie schafft es Wikimedia Ukraine, unter dem Einfluss des Krieges die Arbeit aufrecht zu erhalten und die Wiki-Community vor Ort in diesen Zeiten zu unterstützen und zu bestärken? Darum geht es im zweiten Teil der Doppelfolge unseres Ukraine-Blogs.

Patrick Wildermann (freier Redakteur)

28. September 2022

Teil 2: Gegenwart

Am 20. Februar 2022 wurde bei Wikimedia Ukraine noch die Auswertung des Fotowettbewerbs „Wiki Loves Monuments (WLM) 2021“ vorgenommen. Vier Tage später begann die russische Invasion, die die Arbeit von WMUA – wie das gesamte Alltagsleben des Landes – jäh unterbrach. „Natürlich war ein Gefühl der Gefahr schon in den Monaten zuvor präsent“, so Anton Protsiuk, „aber an eine solche Ausweitung des Krieges im Europa des 21. Jahrhundert konnten die wenigsten glauben“. 

Viele Editierende der ukrainischen Wiki-Community haben in der Folge ihre Heimat verlassen. Nach Ergebnissen einer Umfrage unter Mitgliedern von WMUA musste jede*r Dritte den Wohnort wechseln, nicht wenige Wikipedianer haben sich der Armee angeschlossen und riskieren gegenwärtig ihr Leben im Kampf gegen die russische Armee. 

Nachdem sich das Chaos der ersten Wochen etwas gelegt hatte und die Belagerungstruppen um Kyiv abgezogen waren, konnte das Team von WMUA seine Arbeit wieder aufnehmen – obwohl das Büro (das sich in einem Gebäude der nationalen Rundfunkanstalt befunden hatte) gewechselt und Pläne angepasst werden mussten. „Natürlich erschwert der Krieg die Bedingungen“, so Protsiuk, „in erster Linie, weil viele Freiwillige nicht mehr so viel Zeit und Ressourcen in Wikipedia und andere Wikimedia-Projekte investieren können – auch aus ökonomischen Gründen“. Sie müssten sich um sich selbst oder ihre Familien kümmern, in manchen Fällen den Job wechseln wegen des wirtschaftlichen Niedergangs, den die Invasion mit sich bringe. „Die Zeiten sind härter für die Community – was bedeutet, dass sie auch härter für Wikimedia Ukraine sind“. 

Entsprechend liegt der Fokus von WMUA auf der Unterstützung der Mitglieder und Ehrenamtlichen. Es entstand das „Wikipedia: War-Portal“, wo Hilfsbedürftige sich mit Helfenden vernetzen konnten. Hier wurden Essens- oder Hygienepakete angeboten, auch finanzielle Hilfen. „Wir haben auch großzügige Unterstützung von Chaptern aus anderen Ländern bekommen“, erzählt Protsiuk. 

Zudem veranstaltet WMUA bereits seit Ende Februar regelmäßige Online-Meetings  mit der Community, bei denen nicht spezielle Themen im Vordergrund stehen, „vielmehr geht es darum, den Menschen ein Gemeinschaftsgefühl zu geben“, so der Programmkoordinator von WMUA.

Bedrohtes Kulturerbe

Um die Reichweite der Wikipedia als eine der meistbesuchten Seiten in der Welt und auch in der Ukraine zu nutzen, wurde zudem eine Reihe inhaltlicher Kampagnen initiiert – beginnend mit einem Projekt zum Widerstand gegen die russische Invasion. Die Benutzer*innen wurden aufgefordert, Informationen über Zerstörungen und Feindseligkeiten beizutragen. Veranstaltet wurden spezielle Themenwochen zu Charkiv oder Mariupol, in deren Rahmen unter anderem Vorher-Nachher-Bilder die Verheerungen durch den russischen Beschuss dokumentierten. Ein eigenes Thema war die Bedrohung des kulturellen Erbes. Im April 2022 erfolgte ein Aufruf an die Community, Informationen und Fotos von bereits zerstörten oder von Zerstörung bedrohten historischen oder kulturellen Denkmälern und Kulturerbestätten hochzuladen. 

Zudem wurden die Wikipedianer*innen auch gebeten, Artikel auf Fälschungen oder unzuverlässige Quellen zu überwachen. Wobei in der Wikipedia wirksame technische Schutzwälle gegen offensichtliche Informationsangriffe existieren. Bestimmte Artikel können für die Bearbeitung gesperrt werden, zudem besteht die Möglichkeit, IP-Adressen oder registrierte Benutzer*innen, die Desinformation verbreiten wollen, schnell zu identifizieren und zu blockieren. Wichtige Tools in Zeiten eines Krieges, der auch an der Informationsfront geführt wird.    

Wiederaufleben der Projekte 

„Während die russischen Angriffe andauern, konzentrieren wir uns auch wieder verstärkt auf die Frage, wie wir unsere zuvor implementierten Projekte und Programme umsetzen können“, erzählt Protsiuk. 

Unter anderem hatte WMUA für die Jahre 2020 bis 2022 eine strategische Ausrichtung bestehend aus fünf Hauptpunkten entwickelt  – darunter „Anreicherung von Inhalten“, „Erhöhung der Beteiligung“ oder „Unterstützung und Entwicklung der Wikimedia-Projekte in der Community“ –, die den gegenwärtigen Umständen angepasst werden muss. 

Andere Projekte sind bereits realisiert. Erstmals hat sich die Ukraine 2022 am Internationalen Museumstag beteiligt und bei der Anzahl der meisten Beiträge zur freien Datenbank Wikidata einen fünften Platz belegt. Im Rahmen einer „Woche der Museen“ wurde die ukrainische Wikipedia mit Artikeln über Institutionen und Persönlichkeiten befüllt (darunter ein Museum, das dem ukrainischen Politiker, Journalisten und Dissidenten Vyacheslav Chornovil gewidmet ist), zudem wurden in Wikidata auch Informationen über Museen hochgeladen, die sich in russisch besetzten Gebieten befinden und ebenfalls von Zerstörung bedroht sind. 

Im Herbst leben zudem einige traditionelle Formate wieder auf: Vom 1. bis 31. Oktober 2022 findet der ukrainische Part des internationalen Fotowettbewerbs „Wiki Loves Monuments (WLM)“ statt, vom 1. bis 9. Oktober wird die jährliche WikiConference in der Ukraine abgehalten, in einem hybriden Format: Zur Eröffnung gibt es für die Teilnehmenden ein Online-Meeting, anschließend werden mehrere lokale Wiki-Meetings in verschiedenen Städten der Ukraine ausgerichtet, insbesondere in Kyiv und Lviv. 

Blick in die Zukunft 

Programmkoordinator Anton Protsiuk richtet derweil den Blick auch in die etwas fernere Zukunft: „Natürlich möchte ich Wikimedia Ukraine als Organisation gern wachsen sehen. Wir haben viel Background, eine lebendige Community, viele Projekte. Aber wir wollen einen nächsten Schritt in unserer institutionellen Entwicklung gehen, darüber nachdenken, wie wir unser Funding ausweiten und diversifizieren können, welche strategischen Ziele nötig sind“. Bei all dem, schränkt Protsiuk ein, sei für WMUA wie für das gesamte Land die oberste Priorität, dass der Krieg gewonnen werden müsse. „In jedem Fall steht der Ukraine ein langer Prozess des Wiederaufbaus bevor – es ist wichtig für uns zu schauen, welche Rolle wir als Organisation dabei spielen können“. 

Weiterlesen:

Dies ist der dritte Teil unserer Blog-Reihe „Wikimedia & Wikipedia in der Ukraine“. Hier geht es zu den weiteren bisher veröffentlichten Teilen:

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