Ronja Lamberty
15. Juni 2022
Vier Winde, vier Krisen
Die vier Krisen bildeten auch den thematischen Kern des Festivals und kamen mal direkter, mal unterschwellig in allen Vorträgen und Sessions zum Vorschein. Gemeint sind die Klimakrise, die Corona-Pandemie, der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sowie die Gefahr durch Desinformationen und mögliche Einschränkungen des freien Zugangs zu gesicherten Informationen und Fakten.
Teil der Lösung sein
Diese Krisen nur zu benennen und zu analysieren, reiche allerdings noch lange nicht aus, so Johnny Haeusler am Ende der Eröffnungsansprache. Die “re:publica people”, wie Sascha Lobo das Publikum in seinem Vortrag anspricht, müssen mit ihrem Wissen und Know-how ein Teil der Lösung werden – die re:publica ein Raum zur Lösungsfindung. Dazu hat Wikimedia Deutschland mit Vorträgen, Diskussionen und Gesprächen beigetragen und war mit dem Park des Freien Wissens sowie drei Sessions rund um die Themen Freies Wissen, Partizipation und Wissensgerechtigkeit auf der re:publica 2022 vertreten.
Public Value Broadcasting: Any Way the Content Flows
Mehr Wissen für alle
Eine Herangehensweise für mehr Wissensgerechtigkeit diskutierten Christian Humborg (Geschäftsführender Vorstand von Wikimedia Deutschland) und Nadine Bilke (Programmdirektorin des ZDF) in der Session “Public Value Broadcasting: Any Way the Content Flows” unter der Moderation von Anna von Garmissen (Journalistin und Medienforscherin). Sie sprachen über eine Kooperation, bei der das ZDF Erklärvideos der Reihe Terra X unter Creative Commons Lizenzen zur Verfügung gestellt hat, um sie auf Wikipedia zu integrieren. Die Videos können seitdem von dort gedownloadet und unter Nennung der Urheber*innen weitergenutzt werden. Mittlerweile gebe es ein Archiv mit über 250 Clips auf Wikipedia, die bisher ungefähr 40 Millionen Views haben, so Bilke, außerdem gebe es sehr positives Feedback, vor allem von Schulen und Museen. In Bezug auf den Erfolg des Projekts spricht das für sich. Warum also nicht mehr davon, wenn gemeinsam finanziertes Wissen so für alle öffentlich zugänglich gemacht werden kann? Eine große Hürde in Bezug auf dieses und ähnliche Projekte bleibt das Urheber*innen-Recht, welches vor allem bei Archivmaterial eine Verwendung unter einer Creative-Commons-Lizenz erschwert. Um diese Thematik weiter voranzubringen gibt es einen Runden Tisch, bei dem Vertreter*innen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, politische Entscheidungsträger*innen und weitere mit Freiwilligen des Projektes Wiki Loves Broadcast und Vertreter*innen Wikimedia Deutschlands zusammenkommen, um gemeinsam neue Wege und Einigungen zu finden, die langfristig zu einer gerechteren Verteilung von Wissen beitragen.
In Bewegung bleiben: Wie man eine globale, offene, und partizipative Strategieentwicklung navigiert – und überlebt.
Geschick, Vertrauen und eine Portion Spaß
Wie aber möchte das globale Wikimedia Movement sich selbst weiterentwickeln und der Krise der Desinformation entgegenstellen? Darauf ging Nicole Ebber, Leiterin Movement Strategy & Global Relations bei Wikimedia Deutschland, in ihrem Vortrag “In Bewegung bleiben: Wie man eine globale, offene, und partizipative Strategieentwicklung navigiert – und überlebt” ein. Sie erzählte offen und mit viel Humor von dem zweijährigen Strategieprozess des Wikimedia Movements für eine Welt, in der alle Menschen an der Summe des gesamten Weltwissens teilhaben sollen. Bis 2030 will Wikimedia die essenzielle Infrastruktur im Ökosystem des Freien Wissens sein und alle, die diese Vision teilen, sind willkommen, sich dem anzuschließen. Dass ein zweijähriger Strategieprozess mit einem internationalen Gremium und neun Working-Groups aus Freiwilligen und Hauptamtlichen nicht immer ein Zuckerschlecken ist, verwundert dabei kaum. Dafür, so Ebber, habe sie in den zwei Jahren mehr gelernt als in ihrem gesamten Berufsleben. Um Partizipation umzusetzen, brauche es ihrer Meinung nach eine große Portion Geschick sowie Vertrauen und eine offene Fehlerkultur. “Habt auch mal Spaß, das lockert und bringt neue Impulse”, ist ihr abschließender Tipp. Aber nach der Theorie kommt die Umsetzung, und die wird vermutlich mindestens genauso spannend und herausfordernd wie der erste Schritt.
Die Politik der Bildungsplattform: Werte und Standards in digitalen Lerninfrastrukturen
Auf dem Serviertablett
“Wie kann es sein, dass wir hier alle so still herumsitzen, während dort auf der Bühne gerade so ein großes und wichtiges Projekt für das Bildungssystem in Deutschland vorgestellt wurde?” lautete die letzte Frage aus dem Publikum nach der Session “Die Politik der Bildungsplattform: Werte und Standards in digitalen Lerninfrastrukturen” von Felicitas Macgilchrist (Professorin für Medienforschung), Ulrike Lucke (Informatikerin) und Michael Seemann (Kulturwissenschaftler und Autor) moderiert durch Heike Ekea Gleibs (Leitung Bildung, Wissenschaft & Kultur bei Wikimedia Deutschland), die mit großem Beifall aus dem Publikum bestärkt wurde. Die Wissenschaftler*innen verglichen die Idee der Nationalen Bildungsplattform mit einem Serviertablett, das aktuell noch in der Prototypisierungsphase stecke. Insgesamt wird es vier Prototypen geben, von welchen eine das BIRD (Bildungsraum Digital) Projekt ist, an dem unter anderem die Informatikerin Ulrike Lucke mitarbeitet. Es soll eine Plattform entwickelt werden, die Angebote unterschiedlicher Akteur*innen bündelt und ein Interface besitzt, das es den Nutzer*innen ermöglichen soll, sich voll auf die Lerninhalte zu konzentrieren. BIRD entwickelt auf Basis von Open Source Daten einen ersten Prototyp für ein technisches Grundgerüst dieses digitalen Bildungsraums. Um sicherzustellen, dass wirklich alle Menschen Zugang zu der Plattform haben werden, analysieren die Wissenschaftler*innen alle digitalen Pfadentscheidungen wie die Geschlechtsauswahl-Möglichkeiten bei der Erstellung eines Nutzerkontos, um sicherzustellen, dass diskriminierenden Strukturen kein Raum gegeben wird. Damit das Lernen darüber hinaus nicht nur individuell passiert, sondern vor allem kollaborativ, werden bereits bei den Prototypen umfangreiche Kommunikationsfunktionen mitgedacht. Eine finale Entscheidung seitens des Bundes darüber, wer den Zuschlag für die Nationale Bildungsplattform bekommt und wie sie final aussehen wird, erfolgt erst am Ende der laufenden Prototypisierungsphase.
Is this the real life?
Die erste Digitalkonferenz im real life nach zwei langen Jahren Pause wird noch eine Weile für Gesprächsstoff sorgen und hat für spannende Begegnungen mit alten Bekannten und neuen Gesichtern gesorgt. Wie Maja Göpel in ihrer Session so passend formulierte „Ich, ich, ich steht immer auf den Schultern vieler“ können die vier großen Krisen, denen wir gegenüberstehen, nicht in Eigenregie gelöst werden, sondern beruhen darauf, dass eine gesellschaftliche Transformation stattfindet. Im Physischen wie im Digitalen. Dass die digitale Welt dazu beitragen kann, das umzusetzen, ist längst keine Entdeckung mehr, jedoch präsentierte die re:publica wie jedes Jahr neue Blickwinkel, Herangehensweisen, Diskurse und Ideen wie die re:publica people mit ihren Skills und ihrem Wissen zu dieser Transformation beitragen können. Wir freuen uns jetzt schon auf die #rp23 und verlassen diese Tage zwar mit noch mehr Fragen als vorher, aber auch vielen Antworten und allem voran mehr Haltung!
WMDE auf der re:publica – „3 Fragen an…“
Im Rahmen der re:publica 2022 in Berlin haben wir Twitter-Interviews mit Anke Domscheit-Berg, Tabea Rößner und weiteren Politiker*innen zu den Themen Bildung, Öffentliches Geld – Öffentliches Gut und Daten geführt. Hier geht’s zum Blogbeitrag.