Öffentliches Geld – Öffentliches Gut? Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl (Teil 1)
Frank Böker
21. September 2021
Die Parteien haben für die Wahlprüfsteine in diesem Jahr zum ersten Mal ein standardisiertes Einreichungsverfahren gestartet. Pro Partei konnten über ein Formular 8 Fragen à 300 Zeichen gestellt werden. Die AfD hat sich daran nicht beteiligt.
Wir haben unsere Fragen aus den Bereichen Freies Wissen, offene Daten, Zugang zum digitalen Raum oder digitale Bildung entsprechend an folgende Parteien gerichtet: CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und DIE LINKE.
Wir stellen die Antworten in drei Teilen vor. In diesem ersten legen wir den Fokus auf das Thema:
Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!
Zunächst haben wir die Parteien mit zwei Fragen gebeten, sich in der Debatte „Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!“ zu positionieren.
Dass im Auftrag der öffentlichen Hand erstellte immaterielle Güter wie Werke, Datensammlungen und Register für die Allgemeinheit frei nutzbar sein sollten, weil / wo sie maßgeblich mit Steuergeld finanziert wurden, liegt nahe. Welche Wege sehen Sie, diesen Grundsatz gesetzlich zu verankern?
Überwiegend fallen die Antworten hier ausweichend aus oder fokussieren sich auf Aspekte, auf die unsere Frage nicht abgezielt hat.
Die CDU/CSU fassen ihre Antwort mit der Entgegnung auf zwei weitere unserer Fragen zusammen, darunter diese speziell auf das Programm der Union abgestimmte Frage: „Sie wollen einen ‚App-Store für die Verwaltung’, aus dem Software für alle öffentlichen Stellen beziehbar ist. Es werde ‚die gesamtstaatliche Nutzung in allen Verträgen gewährleistet’. Sind Sie also dafür, dass sämtliche im Auftrag der öffentlichen Hand erstellte Software Open-Source-Software wird?“
Die Antwort: Es soll „ein Open-X-Gesetz“ eingebracht werden, „um offene Schnittstellen, offene Standards, offenen Quellcode und offene Dokumentationen bei Softwareentwicklung des Staates verbindlich zu machen“.
Das ist zwar ein konkretes Gesetzesvorhaben. Aber kein Bekenntnis zum Grundsatz „Öffentliches Geld – Öffentliches Gut“. Es geht uns ja um einen allgemeinen Grundsatz, also nicht lediglich Regeln für Software.
Die SPD schränkt zunächst ein, dass öffentliche Aufträge nicht immer exklusive Nutzungsrechte umfassen würden. Die öffentliche Hand müsse jedoch darauf bestehen können, dass Daten, die im Rahmen des Auftrags erhoben werden, an sie zurückfließen. „Wir werden uns dafür einsetzen, diesen Grundsatz im Vergaberecht zu verankern“.
Auch diese Antwort richtet den Blick nur auf Daten und zielt damit ein wenig an unserer Frage vorbei, die alle Arten von Inhalten meint. Das Vergaberecht ist zweifellos ein geeigneter Ort für Regelungen in unserem Sinne.
Die GRÜNEN versprechen, die staatlichen Datenbestände der Allgemeinheit nach den Prinzipien von Open Data zur Verfügung zu stellen. „Das Datenportal GovData bauen wir zu einem zentralen und nutzerfreundlichen Open- und E-Government-Portal aus. Wir führen eine aktive Veröffentlichungspflicht der Behörden und einen individuellen Rechtsanspruch ein“.
Zugänge zu schaffen ist zwar begrüßenswert – aber auch hier fehlt die klare Haltung zu einem gesetzlichen Grundprinzip „Öffentliches Geld – Öffentliches Gut“. Die vorgeschlagene Veröffentlichungspflicht schließt nicht automatisch ein, dass Inhalte auch umfassend unter passenden Lizenzen freigegeben werden.
Die FDP will sich dafür einsetzen, das Informationsfreiheitsgesetz zu einem „echten Bundestransparenzgesetz weiterzuentwickeln.“ Angepasst werden soll auch das Vergaberecht für Ausschreibungen der öffentlichen Hand – Datensammlungen und daraus abgeleitete Daten, die bei der Durchführung der Aufträge entstehen, seien nach eben diesem Bundestransparenzgesetz auch zu veröffentlichen.
Ein guter Ansatz – aber hier geht es eben nur um Transparenz, nicht um die Nachnutzbarkeit, auf die wir mit unserer Frage gezielt haben. Immerhin wird hier eine gesetzliche Änderung im Vergaberecht in Aussicht gestellt.
DIE LINKE schließlich will „die Definition amtlicher Werke in § 5 UrhG erweitern, so dass sie tatsächlich alle Werke erfasst, an denen die öffentliche Hand andernfalls Rechte halten würde“. Wo das nicht möglich sei, weil die Rechte bei Dritten lägen, müsse die öffentliche Hand sich schon bei der Vergabe von Aufträgen um eine möglichst freie Lizenzpolitik bemühen.
Ein Ansatz, der zwar nicht leicht umsetzbar sein dürfte, im Vergleich aber am meisten überzeugt. Der genannte Paragraf nimmt „amtliche Werke“ weitgehend vom Urheberrechtsschutz aus, sodass seine Erweiterung umfassende Nachnutzung auch ohne Freigabe per Lizenzen ermöglichen würde. Und auch hier wird das Vergaberecht erwähnt, was für viele der von uns gemeinten Inhalte der richtige Ort für eine neue Grundsatzregel ist.
FAZIT: In dieser Frage kommt DIE LINKE den Forderungen von Wikimedia am weitesten entgegen.
Behördenpublikationen als „andere amtliche Werke“
Ob Behördenpublikationen nach § 5 II UrhG „andere amtliche Werke“ und damit weitgehend gemeinfrei sind, hängt meist von den Intentionen der Behörde ab, die wiederum für Außenstehende oft nicht erkennbar sind. Werden Sie sich dafür einsetzen, dieses Erkenntnisdefizit zu beheben?
Die CDU/CSU verweist auch hier auf das von ihr geplante „Open-X-Gesetz“.
Die Frage beantwortet sie damit nicht.
Die Sozialdemokraten schicken voraus, der Begriff „amtliches Interesse“ werde basierend auf einer 140 Jahre alten höchstrichterlichen Rechtsprechung restriktiv ausgelegt. Man werde prüfen, ob die Regelung „im Lichte des angestrebten und im Gange befindlichen Wandels hin zu Transparenz / Open Data“ noch zeitgemäß sei.
Immerhin – einer der zentralen Rechtsbegriffe wird genannt und eine Überprüfung in Aussicht gestellt. Allerdings wird hier nichts direkt zum Problem gesagt, dass dieses „amtliche Interesse“ so schlecht erkennbar ist.
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN verspricht, über die EU-Reform hinaus weitere Anpassungen im Urheberrecht vorzunehmen. „Regelungen für amtliche Werke im öffentlichen Interesse passen wir so an, dass sie nicht gegen das öffentliche Interesse genutzt werden können und für freie Zugänglichkeit sorgen“. Auch soll das „Änderungsverbot“ angepasst werden, damit mehr Material öffentlicher Stellen open-data-fähig gemacht werden könne.
Obwohl nicht genau gesagt wird, wie so eine Anpassung aussehen würde, entspricht diese Antwort – gerade auch bezüglich des Änderungsverbots – den Forderungen von Wikimedia.
Die FDP will das Portal „gov.data“ zu einem „Datenatlas“ ausweiten, der eine Übersicht über alle verfügbaren staatlichen Daten bieten und die veröffentlichungspflichtigen Daten zugänglich machen soll. Wir haben allerdings nicht nur nach Daten, sondern nach allen Behördenpublikationen gefragt: auch Broschüren, Ratgeber etc. Inwiefern solche Inhalte hier mitgemeint sind, bleibt offen, denn grundsätzlich kann GovData.de auch allgemeine Publikationen bereitstellen.
Die Freien Demokraten setzen sich zudem dafür ein, dass staatliche Informationen nicht länger mit Verweis auf das Urheberrecht, „quasi als Geheimschutz durch die Hintertür“, der Öffentlichkeit vorenthalten werden können.
Dies ist nur indirekt eine Antwort auf die Frage nach Auslegungsproblematik des §5 UrhG in Bezug auf amtliche Werke. Mit etwas gutem Willen kann aber auch hier ein positives Signal im Sinne unserer Frage gesehen werden, allerdings eines ohne jegliche Details.
Die LINKE schließlich verweist einmal mehr auf die von ihr geplante Änderung des § 5 II UrhG – wodurch es „auf die Intention der Behörde nicht mehr ankommt“. Unabhängig davon sollten alle durch Behörden publizierten Dokumente im Sinne des Open-Data-Prinzips maschinenlesbar veröffentlicht werden, wozu auch die Anreicherung mit relevanten Metadaten wie Urheberrechts- und Lizenzierungsstatus gehöre.
Eine solche Änderung würde das Problem vollständig lösen, denn worauf es nicht mehr ankommt, braucht auch nicht mehr erkennbar zu sein. Die Ideen zu Maschinenlesbarkeit und Metadaten sind begrüßenswert – aber eher Nebenaspekte.
FAZIT: Beim Thema „Behördenpublikationen als ‚andere amtliche Werke’ setzen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE den Maßstab.
„Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!“ Die Parteien scheinen sich diesem Grundprinzip langsam anzunähern. Ein echtes Bekenntnis zu einer gesetzlichen Grundregel fehlt jedoch bislang, klare Maßnahmen zur Umsetzung sind fokussiert auf „Daten“ und stellen noch zu oft bloße Veröffentlichung(spflichten) in Aussicht, wo echte Nachnutzbarkeit gebraucht wird. Wie die Parteien zu den Themen Gemeinwohl in der Digitalpolitik und Digitalisierung in Bildung und Kultur stehen, erfahren Sie in den nächsten Tagen.
Wahlprüfsteine Teil 2
Im zweiten Teil der Analyse unserer Wahlprüfsteine rückt das Thema Gemeinwohl in der Digitalpolitik in den Fokus. Wir haben CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke befragt.
Bundestagswahl 2021
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