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Gemeinwohl quo vadis? Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl (Teil 2)

Im zweiten Teil der Analyse unserer Wahlprüfsteine rückt das Thema Gemeinwohl in der Digitalpolitik in den Fokus. Wir haben CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und DIE LINKE befragt.

Frank Böker

22. September 2021

Wir wollten vor allem wissen, wie es die Parteien mit der Netzregulierung halten. Wikimedia Deutschland setzt sich dafür ein, dass für das sogenannte Public-Interest-Internet, also gemeinnützig getragene Plattformen und Projekte, andere Regeln gesetzt werden als etwa für kommerzielle Plattformen. Auch zum Thema „digitales Ehrenamt“ haben wir die Parteien befragt.

Gesonderte Regulierung für das Public-Interest-Internet

Konkret lautete unsere Frage hierzu:

Gemeinwohlorientierte Plattformen funktionieren anders und oft besser als das übrige Plattform-Internet, u.a. weil es bei ihnen echte Selbstverwaltung der Nutzendencommunitys gibt, durch die soziale Normen entstehen und greifen können. Wie werden Sie dies bei der Netzregulierung berücksichtigen?

Die Union will „den Rechtsrahmen für digitale Dienste mit besonderem Blick für die Plattformökonomie weiterentwickeln“. Dazu brauche es klare Verantwortlichkeiten, inklusive „Melde- und Abhilfeverfahren für illegale Inhalte“. Plattformen, die dafür noch keine Mechanismen hätten, müssten „nachbessern“.

Über Sonderreglungen für das gemeinwohlorientierte Netz, nach denen Wikimedia Deutschland gefragt hatte, sagt das nichts aus.

Die SPD will rein gewinnorientierten Plattformen mit dem NetzDG sowie dem künftigen Digital Services Act der EU klare Vorgaben machen, insbesondere in Bezug auf „content moderation“.

Ein durchaus tauglicher Ansatz: Da es Wikimedia darum geht, dass gemeinwohlorientierte Plattformen anderen Regularien unterworfen sein müssen als Unternehmen, kann die Unterscheidung zwischen kommerziell und nicht-kommerziell zielführend sein. Eine klare gesetzliche Formulierung würde helfen, gemeinnützige Angebote vor untragbaren Haftungsrisiken zu schützen.

Die GRÜNEN versprechen, alternative Plattformangebote zu fördern und neben gemeinwohlorientierten Plattformen auch die Datengenossenschaften im Blick zu behalten. „Bei Entscheidungen darüber, welche Inhalte auf digitalen Plattformen keinen Platz haben dürfen, könnte der gezielte Einsatz von repräsentativen zivilgesellschaftlichen Plattformräten eine Möglichkeit sein“.

Die Idee der Plattformräte ist sicher ein interessanter Impuls – trifft aber nicht den Kern, da sie sich nicht ausschließlich auf gemeinwohlorientierte Plattformen bezieht. Auch eine Förderung von Plattformen, die nicht auf herkömmlichen Geschäftsmodellen aufbauen, ist gut, aber als Antwort zu unspezifisch.

Die FDP verweist darauf, dass Netzregulierung mittlerweile zu großen Teilen EU-Sache sei – korrekt. „Das Gesetzespaket zu digitalen Diensten (Digital Services Act) auf europäischer Ebene, welches derzeit verhandelt wird und auch Regelungen zur Verantwortlichkeit von Plattformen enthält, wird unter anderem die Möglichkeiten effektiver Selbstregulierung betreffen“.

Wenn sich die FDP (bzw. die EU-Fraktion der Liberalen) daran messen lässt, ist das zweifellos gut. Das wäre immerhin ein Bekenntnis dazu, dass Selbstregulierung geschützt werden muss. Aber als Antwort auf unsere Frage nach gemeinwohlorientierten Plattformen ist es dennoch recht unspezifisch.

DIE LINKE fordert: „Marktbeherrschende Monopole müssen zerschlagen werden. Wir setzen auf commonsbasierte öffentliche Alternativen“. In Aussicht gestellt wird ein „Plattformstrukturgesetz“, das die Selbstbegünstigung der IT-Unternehmen verbieten, Datenschutz sicherstellen und die Interoperabilität und Portabilität der Nutzerdaten sanktionsbewehrt garantieren soll.

Auch diese Antwort zielt etwas an unserer Frage vorbei und verhandelt eher Aspekte von Marktmacht, und nicht mögliche Sonderregeln für gemeinwohlorientierte Plattformen.

FAZIT: Am meisten überzeugt hier der Ansatz der SPD. Auch die FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlagen zumindest die richtige Richtung ein, allerdings wenig konkret.

Unter die Lupe genommen

Zusätzlich haben wir den Parteien Fragen gestellt, die sich auf konkrete Punkte in ihren Programmen beziehen:

CDU/CSU

Digitales Ehrenamt

Die Union will das Ehrenamt fördern, etwa in Form von Anlaufstellen in Kreisen und Gemeinden. Wir haben gefragt:

Gilt dies ohne Abstriche auch für das digitale Ehrenamt und wie sieht ggf. dessen Förderung dann konkret aus?

„Vorhaben, die das Ehrenamt unterstützen und auch in strukturschwachen und ländlichen Regionen von besonderer Bedeutung sind, werden wir fördern. Das gilt auch für das digitale Ehrenamt“, so die CDU/CSU. Man sehe schon heute viele Aktivitäten, bei denen Menschen sich etwa ehrenamtlich an Hackathons beteiligten, die von staatlichen Stellen unterstützt würden. „Diesen Weg werden wir weitergehen“.

FAZIT: Die Union will offenbar keinen Unterschied zwischen digitalem und nicht-digitalem Ehrenamt machen, was wir begrüßen. Was die konkrete Förderung des digitalen Ehrenamts angeht, sind Hackathons nur eine unter vielen denkbaren Wegen der Unterstützung. Hier hätten wir mehr konkrete Ideen erwartet.

Netzregulierung

Hinsicht der Netzregulierung strebt die Union eine Gesetzgebung an, die „nutzerzentriert“ ist und „einen Beitrag zur Online-Sicherheit und zum Schutz der Grundrechte leistet“. Wir wollten wissen:

Umfasst dies ein Recht der User ggü. Plattformen auf sichere Verschlüsselung und ggü. dem Staat auf Nichtausnutzung von Sicherheitslücken?

„CDU und CSU wollen, dass User sichere Methoden zur Verschlüsselung ihrer Kommunikation zur Verfügung haben und es möglichst starke Sicherheitsarchitekturen der Systeme gibt“. Deutschland solle „Weltmarktführer für sichere IT-Lösungen“ werden, auch will die Union das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie besser ausstatten.

FAZIT: Die Antwort, welche Rechte Nutzer*innen haben sollen, bleibt aus. Da die Union hier nicht ausdrücklich von einem „Recht auf Verschlüsselung“ spricht, kann die Antwort nicht als Bekenntnis gegen Hintertüren für Strafverfolgungsbehörden gelesen werden. Das ist aus unserer Sicht misslich, bestätigt aber die bisherige Linie der Union.

Auf EU-Ebene wird derzeit ein neuer Rechtsrahmen für große Plattformen erarbeitet. Bislang haben sich die Parteien in Deutschland nicht oder nur am Rande damit beschäftigt, welche besonderen Bedürfnisse Community-basierte Plattformen dabei haben. Digitales Ehrenamt muss stärker gefördert werden.

Mehr Infos zu den Wahlprüfsteinen und zur Bundestagswahl:

Wahlprüfsteine Teil 1

Wie stehen die Parteien zum Grundprinzip „Öffentliches Geld – Öffentliches Gut“? Mehr dazu im ersten Teil unserer Wahlprüfsteine.

Bundestagswahl 2021

Wikimedia Deutschland engagiert sich für eine gemeinwohlorientierte Digitalpolitik. Mehr Infos rund um die Bundestagswahl 2021 gibt es hier.

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