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Was sind SLAPP-Klagen?

SLAPP steht für Strategic Lawsuit against Public Participation oder kurz: Schikaneklagen. Gemeint sind Klagen, die darauf abzielen, Einzelpersonen oder Institutionen einzuschüchtern, damit sie zu Themen von öffentlichem Interesse schweigen.

In der Regel sind es Geschichten von Goliath gegen David. Ein Unternehmer möchte beispielsweise nicht, dass eine Information oder eine kritische Recherche veröffentlicht wird. Um das zu erreichen, verklagt er beispielsweise kritische Journalist*innen, Aktivist*innen oder Forschende.
Die Strategie: Das Gerichtsverfahren selbst als Mittel der Einschüchterung. Mit Hilfe möglichst langwieriger Verfahren sollen die in der Regel weitaus geringeren Ressourcen der Beklagten ausgezehrt werden. In einigen Fällen wurden die Betroffenen auch durch eine Flut von Klagen überzogen. Das Ziel: journalistische Recherchen stoppen, Aufklärung verhindern, Kritiker*innen einschüchtern.

Was hat das mit Wikipedia zu tun?

Von der ansteigenden Zahl an SLAPP-Klagen ist zunehmend auch Wikipedia betroffen. Die Adressatin in einem Fall aus dem deutschsprachigen Raum war die rechtlich verantwortliche Wikimedia Foundation (WMF). In anderen Fällen, etwa einem aus Estland, richtete sich die Klage direkt gegen einen Wikipedia-Autor.

Vor dem Landgericht München ging es um den Wikipedia-Artikel über den Wettanbieter Tipico. Der Artikel enthält Informationen, die typischerweise in Unternehmensartikeln zu finden sind: Informationen über den Zeitpunkt der Gründung, die Unternehmensgröße und den Unternehmenszweck. Auch die Gründer des Unternehmens werden dort genannt. Darunter ist Mladen Pavlovic. Wie bei Wikipedia üblich, war diese Information bereits öffentlich in einer etablierten Quelle nachlesbar – im SPIEGEL-Artikel mit dem Titel „Die schmutzigen Geschäfte des Wettanbieters Tipico“. Pavlovic wollte erreichen, dass sein Name aus dem Wikipedia-Artikel gelöscht wird. Er beauftragte eine renommierte deutsche Anwaltskanzlei, gegen die WMF zu klagen.

Das Ergebnis: Eines der aufwändigsten Gerichtsverfahren für die Wikimedia Foundation in Deutschland – und ein anschauliches Beispiel für die Probleme von strategischen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung (SLAPP).

Der Prozess um die Namensnennung im Wikipdia-Artikel über Tipico fand vor dem Landgericht München I statt.
Der Prozess um die Namensnennung im Wikipdia-Artikel über Tipico fand vor dem Landgericht München I statt.

Was macht die Klage zu einem SLAPP-Fall?

Der Verlauf der Klage legt nahe, dass Pavlovics Anwälte auf eine Strategie der Erschöpfung bauten. Sie reichten eine wahre Flut an Schriftsätzen beim Landgericht München ein, die beantwortet werden mussten. Jedes Mal, wenn die WMF sich mit den Argumenten von Pavlovics Anwälten umfassend auseinandergesetzt hatte, ging ein neuer Schriftsatz bei Gericht ein. Dieser wiederholten in der Regel frühere Argumente, ergänzt durch schwache oder aus WMF-Sicht irrelevante neue Argumente. Auch nach der mündlichen Verhandlung reichte Pavlovics Anwaltsteam weiterhin Anträge bei Gericht ein. Die Rechtsabteilung der Wikimedia Foundation und ihre deutsche Anwaltsvertretung schilderten diese Zeit als „besonders intensiv“.

Das Resultat: Das Team der WMF sah sich gezwungen, die immer neuen Anträge in kürzerer Form zu beantworten. Ein riskantes Vorgehen, weil verkürzte Argumentationen leichter anzugreifen sind. Die WMF verfügt jedoch nur über ein begrenztes Budget für lokale Anwaltskanzleien und ein kleines internes Team von Jurist*innen, das sich auch mit vielen anderen rechtlichen Fragen weltweit befasst.

Die Wikimedia Foundation gewann am Ende sowohl das Gerichtsverfahren als auch die Revision. Das Gericht stellte fest, dass die im Artikel enthaltenen Informationen mit Quellen belegt und von öffentlichem Interesse waren. Aber die finanzielle und personelle Erschöpfung war Pavlovic und seinen Anwälten gelungen. Der Fall band wertvolle Kräfte, die an anderer Stelle fehlten und stellte eine finanzielle Belastung dar. Eine Erstattung dafür hat die WMF bisher nicht erhalten.

Was kann der Gesetzgeber tun, um SLAPP-Fälle zu verhindern?

Die Europäische Kommission hat den zunehmenden Trend zu SLAPPs bemerkt und reagiert. Sie verabschiedete im Mai 2024 eine Direktive, die Journalist*innen, Aktivist*innen oder Forschende besser schützen soll. Verbunden damit: Der Auftrag an Mitgliedstaaten, die Vorschläge bis März 2026 in nationales Recht umzusetzen. Diesem Auftrag ist das Justizministerium mit einem Entwurf vom August 2025 nachgekommen. Anfang Dezember beriet dazu das Bundeskabinett. Der Entwurf geht nun in den Bundestag.

Der Entwurf setzt zwar an den richtigen Stellschrauben an – greift aber an zwei Stellen zu kurz und sollte daher noch einmal überarbeitet werden.
Es ist zwar vorgesehen, dass Kläger*innen die Gerichtskosten übernehmen müssen – einschließlich der Anwaltskosten des Beklagten, wenn ein Fall als missbräuchlich abgewiesen wird. Was im Gesetzentwurf jedoch fehlt: das Recht auf eine Entschädigung für entstandene materielle oder immaterielle Schäden der Beklagten. Gemeint ist beispielsweise der Verdienstausfall eines freien Journalisten oder Schadensersatz für psychische Belastung bei unverhältnismäßigen Forderungen wie etwa die 2,1 Millionen, die RWE vom Fotojournalist Jannis Große fordert.

Laut Entwurf sollen Gerichte die Möglichkeit bekommen, missbräuchlich klagende Einzelpersonen oder Unternehmen mit einer Gerichtsgebühr zu sanktionieren. So soll das Risiko eines Verfahrens für finanzstarke Klagende steigen. Das soll Einschüchterungsklagen unattraktiver machen – und klingt erstmal gut. Aber Strafen können nur dann Wirkung entfalten, wenn sie wirklich abschrecken. Das ist nicht zu erwarten, wenn die Sanktionszahlung die gerichtliche Verfahrensgebühr nicht überschreiten darf. Diese liegt regelmäßig zwischen 850 und 1.500 Euro, ist oft sogar deutlich niedriger. Kläger*innen, die umfangreiche Mittel für renommierte Anwaltskanzeleien und langwierige Prozesse aufwenden können, werden sich davon nicht abschrecken lassen. Die Gerichte müssen daher höhere Sanktionsmöglichkeiten erhalten

Der entscheidende Punkt für die Annahme von Missbräuchlichkeit ist das in der Regel auftretende finanzielle Machtungleichgewicht zwischen der klagenden Partei und Beklagten. Während die Kläger*innen über mehr als ausreichende Ressourcen verfügen, um lange aber aussichtslose Gerichtsverfahren zu führen, ist das bei den in der Regel betroffenen Einzelpersonen nicht der Fall.

SLAPPS sind keine Versuche, auf dem Rechtsweg Gerechtigkeit herzustellen. Sie nutzen den Rechtsweg selbst als Mittel, um Druck auf Schwächere auszuüben. In einer Demokratie, die auf eine transparente Öffentlichkeit und einen fairen Rechtsstaat angewiesen ist, müssen solche Missbrauchsmöglichkeiten verhindert werden.

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