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Wem gehört der digitale Wagner? Im Wikimedia-Salon wurde über Kunst- und Gemeinfreiheit diskutiert

Im ZKM | Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe wurde ausgelotet, ob digitale Reproduktionen die Bedeutsamkeit des Originalwerks und die Interessen der Museen beschädigen, ob Gemeinfreies auch im Digitalen gemeinfrei bleiben muss - und wie der Bundesgerichtshof diese Fragen beantworten wird.

Lilli Iliev

7. Juni 2018

Rolf Sachsse, Barbara Fischer, Bernd Fiedler, Ellen Euler und Peter Weibel auf dem Podium. Foto: Denis Schroeder (WMDE), CC BY-SA 4.0

Trotz hochsommerlicher Temperaturen dachten am vorvergangenen Wochenende knapp 100 Gäste im düster-blauen Schein des Medientheaters im ZKM in Karlsruhe über Kunst- und Gemeinfreiheit und deren Grenzen im Digitalen nach. Der Wikimedia-Salon am 26.5.2018 im Rahmen der 22. Mitgliederversammlung von Wikimedia Deutschland warf die große Frage auf: „Wem gehört die Kunst?”

Groß auch die Besetzung des Podiums: Peter Weibel, berühmt-berüchtigt nicht nur für seinen assoziativen Erzählstil, sondern auch für einen radikalen Digital-Enthusiasmus, mit dem er das ZKM | Zentrum für Kunst und Medien seit 1999 zu einem weltweit führenden Ort der Erforschung, Produktion und Vermittlung von Medienkunst erhoben hat, saß neben Ellen Euler, Professorin für Open Data und Open Access an der Fachhochschule Potsdam, Rolf Sachsse, Professor für Photographie, Designgeschichte und -theorie und Mitgründer der Verwertungsgesellschaft Bild – Kunst, sowie Barbara Fischer, langjährige Open Culture-Expertin bei Wikimedia Deutschland und inzwischen an der Deutschen Nationalbibliothek in der Arbeitsstelle für Standardisierung tätig.

„Das Gefängnis des analogen Raums muss durch die Mittel des Digitalen durchbrochen werden”, so stützte Peter Weibel dann auch gleich zu Beginn die Erwartungen an seine offene Haltung zum digitalen Wandel.

„Gemeinfreies sollte auch digital gemeinfrei bleiben. Dafür können Museen Sorge tragen.”

Valerie Schandl (Wikimedia Deutschland e. V.), CC BY-SA 4.0

Der Rechtsstreit zwischen Wikimedia und den Reiss-Engelhorn-Museen um ein Digitalisat eines Richard-Wagner-Gemäldes, der in Karlsruhe am Bundesgerichtshof verhandelt wird, weist weit über den Einzelfall hinaus; er wirft wichtige gesellschaftliche Fragen auf.

Der Zugang zu Bildung und Kultur für alle Menschen, unabhängig von Status und Geldbeutel, wird in der Politik, in Wissenschaft, Kultur und Bildung stets zur Priorität erklärt. Doch wie steht es bei konkreten Anwendungsfällen wie der Frage, ob Reproduktions-Fotos von gemeinfreien Gemälden der Allgemeinheit frei zur Verfügung stehen sollten, eben etwa zu Bildungszwecken? Dafür müsste rechtlich geklärt werden, ob neue Rechte an digitalen Reproduktionen entstehen dürfen, oder nicht.

Dass gegenwärtig neue Rechte bei der Digitalisierung gemeinfreier Werke entstehen, sieht Ellen Euler problematisch. Museen könnten durchaus dafür Sorge tragen, dass Gemeinfreies auch digital gemeinfrei bleibt.

 

Beispielsweise kann bei Leihgaben für Ausstellungen durchaus nachgefragt werden, warum die ganze Sammlung unter Fotoverbot steht, wenn gemeinfreie Werke darunter sind. Vielfach kann man sich durchaus fragen, woher das Festhalten an solchen Gewohnheiten oder am Hausrecht rührt, das in Konsequenz über den Beitrag zur Wissensallmende und das Gemeinwohl gestellt wird. Prozesse wie Reiss-Engelhorn gegen Wikimedia führten dazu, meinte Peter Weibel, dass der Wind langsam in die richtige Richtung wehe – Richtung Öffnung des Zugangs zu Kunst. Ob diese Prognose stimmt, bleibt abzuwarten.

Das Plakat zur Veranstaltung fragte daher bildsprachlich: Wem gehört der digitale Wagner? Das Urteil war für den Sommer angekündigt, verzögert sich aber. Wir sind gespannt, da sich hier weitreichende Fragen zur Wissensverbreitung und ganz konkrete Auswirkungen für Wikipedianerinnen und Wikipedianer verschränken.

Museen haben einen Bildungsauftrag – auch im Digitalen

„Wem gehört die Kunst?” – Eigentlich eine Suggestivfrage; denn wer würde schon bestreiten, dass Kunst uns allen gehören sollte, als Inspirationsquelle, als Basis, um Neues zu schaffen? Ob Kunst mit Bildungsanspruch oder dilettantischer Quatsch dabei herauskommt, wichtig sei, dass Menschen Zugang zu Kunst haben und Neues aus ihr schaffen können”, meinte Barbara Fischer. Kunst sei auch ein Mittel der Auseinandersetzung, des Dialogs, den man eben nicht allein führen könne. Darum müsse die Kunst, nachdem die Schöpferin oder der Schöpfer davon profitieren konnte, letztlich wieder in die Wissensallmende zurückkehren. Denn alle Kunst basiere auf dem schon Bestehenden, wie die alltägliche Praxis des MashUp und Remixing im Netz zeigt.

Mit Skelex virtuell Schlangen entdecken. Foto: Lisa Dittmer, WMDE. CC BY-SA 4.0

Die Digitalisierung öffnet vielfältigste Möglichkeiten für Kultur- und Gedächtnisinstitutionen, vom analogen Bewahrer des Originals zum lebendigen Ort der Austausches innerhalb der vernetzten Gesellschaft zu werden. Gerade die Beziehung zum Publikum sei nicht mit einem Selbstverständnis als Schaufenster von Kulturerbe zu erreichen, meinte Barbara Fischer. Als Beispiel, wie plastisch und körperlich Kulturerbe durch digitale Mittel erlebt werden kann, wurde der Kultur-Hackathon Coding da Vinci angeführt. Skelex, eine Virtual-Reality-Anwendung und preisgekröntes Coding da Vinci-Projekt, gab im ZKM einen Einblick in das Museum der Zukunft, in dem Anfassen sehr wohl erlaubt ist.

„Es reicht nicht, im Digitalen präsent zu sein, in dem man das Analoge ins Digitale überführt“, sagte Ellen Euler über die Digitalisierung von Kulturgütern. Das digitale Kulturgut muss auch erlebbar und nachnutzbar sein. Es werden durch die Digitalisierung neue Strategien der Kunstvermittlung und Zugänglichmachung nötig, die die eigentliche Herausforderung darstellten.

Original und Reproduktion – ein glückliches Paar?

Beschädigt die Möglichkeit zur massenhaften digitalen Reproduktion die Bedeutsamkeit des Originals? Im Gegenteil: „Die digitale Reproduktion stärkt das Original!”, meinte Peter Weibel unter Zustimmung des Podiums. Wenn die Bekanntheit eines Werks durch die Zirkulation im Netz steigt, macht dies das Original wertvoller, da die Nachfrage, die buchstäbliche Sehnsucht danach steigt, und damit auch die Besuchszahlen von Museen vor Ort. Kunst sei aber nichts für Massen, wandte Rolf Sachsse ein. Die Vermittlung, die auch Wikipedia und Wikimedia Commons leistet, könne ein Interesse an Kunst wecken. Man müsse sich Kunst allerdings körperlich aussetzen, um sie wahrhaftig zu erfahren.

Viele Museen legen Wert auf die Anfertigung hochqualitativer Reproduktions-Fotos durch ihre Hausfotografen und argumentieren mit entsprechenden Gewinnen aus Motivverkäufen, auf die sie auch angewiesen seien. „Mit dem Erlös aus Reproduktionen gewinnen Institutionen den einen oder anderen Euro, aber sie vergraben letztlich ihr Tafelsilber, wenn sie ihre Schätze nicht der Allmende weitergeben”, kommentierte Barbara Fischer. Doch Kunst ist aus guten Gründen urheberrechtlich geschützt, wandte Ellen Euler ein, Professorin für Open Data an der Fachhochschule Potsdam. Ein Werk gehört zunächst seiner Schöpferin oder seinem Schöpfer, der oder die eine gewisse Verfügungsgewalt über die Kunst hat. Sobald das Werk aber an die Öffentlichkeit gelangt, gehöre Kunst uns allen.

Zum Schluss outete sich Peter Weibel als echter Wikipedia-Fan: „Wikipedia und Wikimedia – das ist quasi eine parastaatliche Wissensbewegung, ein Sturm aus Hunderttausenden, die Wissen verbreiten, was der Staat eben nicht schafft, das finde ich sehr bewundernswert”. Wir bedanken uns für die Gastfreundschaft! 

Die gesamte Veranstaltung zum Nachschauen:

Der nächste Wikimedia-Salon findet am 15. September 2018 zum Thema “S=Sprachgewalt. Frauen im Netz.” im Rahmen der Feministischen Sommeruni 2018 in der Humboldt-Universität Berlin statt, näheres siehe Salon-Webseite.

Links:

  • Ich bin ehrenamtlicher Mitarbeiter des Virtuellen Brückenhofmuseums Dollendorf in D 53639 Königswinter.
    Träger des Museums ist der gleichnamige gemeinnützige Verein.
    In diesem Internetmuseum, das sich gemeinsam mit drei weiteren Virtuellen Museen als Internetgedächtnis der Region für Jedermann versteht, sind bisher rund 10.000 Fotos und Dokumente gespeichert, beschrieben und der Öffentilchkeit zugänglich gemacht. Täglich verzeichnen wir mehr als 1.500 Zugriffe weltweit.

    Bei dem Versuch, die Genehmigung zur Veröffentlichung von Bildern mit Heimatbezug aus staatlichen Archiven zu veröffentlichen, stoßen wir immer wieder auf Verweigerung oder Einschränkung.
    So verlangt das Bundesarchiv eine Sicherung der Fotos gegen Kopie durch Rechtsklick, obwohl diese Sicherung im Browser aufgehoben oder durch Screenshot umgangen werden kann.

    Das Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland har einen Antrag auf Veröffentlichung von mehr als 70 Jahre alten Gebäudegrundrissen und Gebäudefotos mit der Begründung abgelehnt, “eine Zugriffs- und Speichermöglichkeit durch unbekannte Internetuser (sei) seitens des Archivs des LVR ausdrücklich nicht gewünscht.”

    Kommentar von Dieter Mechlinski am 8. Juni 2018 um 13:54

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