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Leistungsschutzrechte, Remix-Kultur und Freies Wissen – Zur kreativen Nachnutzung seit dem Sampling-Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Christopher Schwarzkopf

2. November 2016

Logo Fellow-Programm, leomaria designbüro, CC BY-SA 4.0

Dies ist ein Gastbeitrag von Marion Goller, Stipendiatin im Fellow-Programm Freies Wissen. Das Fellow-Programm wurde 2016 von Wikimedia Deutschland und dem Stifterverband initiiert, um junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei zu unterstützen, ihre eigene Forschung und Lehre im Sinne von Open Science zu öffnen und damit für alle zugänglich und nachnutzbar zu machen.

Kunstfreiheit schlägt Eigentum“ titelte Ende Mai dieses Jahres die Online-Ausgabe der Legal Tribune, als das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seine Entscheidung in Sachen „Metall auf Metall“ bekanntgab. In der Musik- und vor allem in der HipHop-Szene war das Urteil im Streit zwischen Moses Pelham und der Band Kraftwerk mit Spannung erwartet worden, sollte es doch ein für allemal regeln, ob Sampling – das Verwenden von Tonausschnitten aus fremden Werken in der eigenen Produktion – erlaubt ist oder nicht.

Aber nicht nur für professionelle Musiker:innen ist das Urteil interessant, sondern auch für Musikfans, die aus den Werken ihrer Idole neue Tracks zusammenschneiden und so neue Kunst schaffen wollen. Technische Fortschritte, insbesondere Digitalisierung und Internet, haben Herstellungs- und Grenzkosten in Ton und Film stark gesenkt, wie ich in meinem letzten Beitrag ausführte. Das hat eine neue Form der Remix-Kultur entstehen lassen, die wohl niemand so eloquent, passioniert und enthusiastisch beschrieben hat wie der Rechtswissenschaftler und Creative Commons-Mitgründer Lawrence Lessig.[1] Die Remix-Kultur lässt die Grenzen zwischen Produzent:innen und Konsument:innen verschwimmen oder hebt sie sogar ganz auf und schafft den neuen Typus der Prosument:innen: Personen, die sich der Werke anderer bedienen, um sich selbst kreativ auszudrücken.

Anstatt hier das Sampling-Urteil selbst im Detail zu analysieren, möchte ich es in den größeren Kontext der kreativen Nachnutzung einordnen, weil es meines Erachtens zu kurz greift, das Urteil allein an der Kunstfreiheit zu messen. Die alte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ordnete für leistungsschutzrechtlich geschützte Inhalte[2] ein strengeres Schutzniveau an als für urheberrechtlich geschützte Werke. Durch seine Auslegung, auch kleinste Tonfetzen seien vom Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers[3] umfasst, verkürzte der BGH aber nicht nur die Kunstfreiheit nachfolgender Urheber, sondern schmälerte allgemein die Domäne Freien Wissens, die Ursprung aller Kreativität ist.[4] Das Urteil des BVerfG könnte nun zu einer Änderung dieser Bewertung führen; das ist jedoch keineswegs sicher.

Formen der kreativen Nachnutzung

Mit kreativer Nachnutzung meine ich die Verwendung von Werken, Inhalten oder Teilen davon zur Erstellung eines neuen Werks. Das deutsche Urheberrechtsgesetz (UrhG) kennt, bzw. reguliert, drei Formen: das Zitat, die Bearbeitung und die freie Benutzung.[5]

Ein Zitat gemäß § 51 UrhG ist nur die unveränderte Übernahme eines Werkteils oder Medienteils zu Zwecken der inhaltlichen Auseinandersetzung. Die Quelle muss genannt werden und der Zweck die Nutzung in ihrem Umfang rechtfertigen. Man darf also nicht einfach einen kompletten Zeitungsartikel übernehmen und mit einer eigenen Überschrift versehen. Ebenso wenig darf man eigene Musik- oder Filmproduktionen einfach mit Ausschnitten aus fremden Aufnahmen garnieren, ohne dass dabei eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfindet. Als rechtliche Grundlage für Remixes taugt das Zitatrecht also nicht.

Eine Bearbeitung gemäß § 23 Abs. 1 UrhG meint die Veränderung oder Umgestaltung des Werks, z.B. eine Übersetzung oder Dramatisierung. Grundsätzlich ist die Bearbeitung ohne Genehmigung möglich; allein ihre Veröffentlichung bedarf der Erlaubnis der ursprünglichen Urheber.[6] Ausnahmen sind z.B. die Ausführung von Plänen für bildende Kunst, der Nachbau von Baukunstwerken und auch die Verfilmung. Bei diesen Nutzungen ist der Gesetzgeber bei Schaffung des UrhG davon ausgegangen, dass sie nur im kommerziellen Rahmen betrieben werden, also nicht Privatpersonen, sondern nur Wettbewerber betreffen würden, und ordnete ein Verbot an. Angesichts der Tatsache, dass es heute möglich ist, mit einem Telefon Videoaufnahmen herzustellen, ist diese Regelung für Verfilmungen nicht mehr zeitgemäß.

Eine freie Benutzung gemäß § 24 UrhG liegt vor, wenn ein:e Künstler:in sich bei der Schaffung eines Werks von anderen Werken inspirieren lässt. Das wird für Rezipient:innen allerdings gar nicht immer erkennbar sein. Ob eine Krimiautorin eher von Elizabeth George oder von Agatha Christie beeinflusst wird, ist ihren Geschichten nicht unbedingt zu entnehmen.

Nachnutzung und Urheberrecht

Um das Urheberrecht an einem Werk überhaupt zu berühren, muss ein bei der Nachnutzung verwendeter Teil dieses Werk über eine freie Benutzung hinaus gehen. Abstrakte Ideen sind nicht vom Urheberrecht umfasst. Sie müssen schöpferisch konkretisiert worden sein und die Nachnutzung muss auf diese schöpferische Konkretisierung zugreifen. Ist das der Fall, so handelt es sich um eine Bearbeitung, deren Veröffentlichung von der Genehmigung der Urheber des früheren Werks abhängt. Die unveränderte Übernahme kann als Zitat zulässig sein.

Für Sprachwerke gilt, dass nicht der Inhalt eines Textes geschützt ist, sondern die konkrete Formulierung. Auch die Bausteine des Textes können nicht vom Urheberrecht umfasst sein. Alle Texte bestehen aus Wörtern und diese müssen für die Allgemeinheit verwendbar bleiben, dürfen nicht monopolisiert werden. Nur Formulierungen von ausreichender Länge und Kreativität rechtfertigen Urheberrechtsschutz. Den Satz „Bei einem Wohnhausbrand in Weimar wurden zwei Menschen verletzt.“ darf ich hier ohne Quellenangabe veröffentlichen, weil er so generisch ist. Die Zeilen „Und leiden nicht, daß sich die letzten Kohlen; Von unsers Hauses Schreckensbrande still; In mir verglimmen“ dagegen sind so individuell und schöpferisch, dass sie Schutz verdienen. Sie dürfte ich nicht ohne Weiteres verwenden, wenn Johann Wolfgang von Goethes Urheberrecht auf seine Iphigenie auf Tauris nicht mittlerweile abgelaufen wäre.

Wer solch kreative Formulierungen verwenden will, darf sie zitieren, aber eben nur zum Zweck des Belegs und nur in einem Umfang, den dieser Zitatzweck rechtfertigt. Hierzu fällte das BVerfG im Jahr 2000 eine Grundsatzentscheidung. Der Fall betraf die Verwendung von Texten Bertolt Brechts im Drama „Germania 3“ des Autors Heiner Müller. Dieser hatte die Erben Brechts vor der Veröffentlichung nicht um eine Genehmigung ersucht. Sie ließen daher den Vertrieb des Stücks verbieten, wogegen Müllers Verlag schließlich Verfassungsbeschwerde erhob.

Das BVerfG entschied, das Verbot verletze die Kunstfreiheit. Die Zitatschranke aus § 51 UrhG sei im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verfassungsgemäß auszulegen. In diese „kunstspezifische Betrachtungsweise“ müsse die Kollision zwischen der Kunstfreiheit und der Eigentumsgarantie aus Art. 12 Abs. 1 GG mit einbezogen werden. Die Verwertungsinteressen der Brecht-Erben seien hier nicht beschädigt. Daher müsse ihr Urheberrecht hinter die Kunstfreiheit bzgl. des neuen Werks zurücktreten.

Als Musikwerk geschützt sind Noten und ggfs. Text eines Musikstücks. Auch bei Musikwerken sind Zitate zulässig, sie bedürfen aber ebenfalls eines Zitatzwecks. Der kann z.B. in einer Hommage liegen, muss aber den Umfang des Zitats rechtfertigen. Melodien sind zudem besonders geschützt; gemäß § 24 Abs. 2 UrhG darf eine Melodie nicht „erkennbar dem Werk entnommen und einem neuen Werk zugrunde gelegt“ werden. Ab wann eine Tonfolge eine Melodie darstellt, ist wiederum Auslegungssache.

Keine kreative Nachnutzung sind sog. Cover von Liedern. Wer sich – wie ich – beim Anhören einer Coverversion schon einmal gefragt hat, warum die Urheber etwas erlauben, das entweder völlig grauenhaft ist und ihr Lied entstellt oder sogar besser ist als das Original und ihren Gewinn schmälern wird, der/dem sei gesagt: Das müssen sie gar nicht. Das unveränderte „Nachsingen“ eines Liedes ist nämlich keine Bearbeitung, sondern eine Vervielfältigung. Und die Vervielfältigungsrechte haben Musikurheber in den allermeisten Fällen an eine Verwertungsgesellschaft abgetreten – in Deutschland an die GEMA. Diese ist gemäß § 11 Urheberrechtswahrnehmungsgesetz verpflichtet, „jedermann auf Verlangen zu angemessenen Bedingungen Nutzungsrechte einzuräumen“. Wer covert, zahlt an die GEMA, und diese schüttet die Einnahmen nach den Bedingungen ihres Verteilungsplans an Musikurheber und Musikverlage aus.[7]

Beim Filmwerk wird die Sache kompliziert. Als Urheber gelten dort immer die Hauptregisseurin, die Komponistin der Filmmusik, die Drehbuchautorin und – sofern abweichend – die Dialogautorin. Je nach Kreativität ihrer Beiträge können auch Cutter, Kameraleute und andere ein Urheberrecht erwerben.[8]

Für die Nachnutzung von Drehbuch, Dialog und Musik gelten die soeben erläuterten Regeln. Ob der Schnitt einer Szene, eine bestimmte Einstellung oder Kamerafahrt so eindeutig ein anderes Werk nachahmen, dass sie als Bearbeitung gelten und damit genehmigungspflichtig sein sollten, hängt wiederum vom Einzelfall ab.

Als abstrakte Idee grundsätzlich nicht schützbar ist die erfundene Geschichte, die einem Sprachwerk, Film, Theaterstück oder Videospiel zugrunde liegt. Ausnahmsweise können jedoch schon einzelne Elemente einer Geschichte so kreativ sein, dass Dritte sie nicht ohne Genehmigung verwenden dürfen. Die Abgrenzung zwischen Bearbeitung und freier Benutzung fällt hier besonders schwer. So ist für manche Filmfans der Plot von John WoosMission: Impossible 2 bloß eine Hommage an Alfred Hitchcocks Notorious, für andere dagegen klarer „Ideenraub“.

Insbesondere erfundene Charaktere können Schutz genießen. Sogenannte „Fan Fiction“ – das Weitererzählen der Erlebnisse beliebter Figuren durch Fans – berührt daher stets das Urheberrecht. Einige Autor:innen dulden die Praxis, solange die Fans kein Geld damit verdienen und das Original am Markt nicht verdrängt wird. Der Veröffentlichung von Fan Fiction in privaten Internetforen oder auf nicht kommerziellen Webseiten ist ohnehin praktisch kaum beizukommen.

Auf die Verwendung des jeweiligen Namens kommt es nicht an. Auch Charaktereigenschaften und besondere äußerer Merkmale können Gegenstand des Urheberrechts sein, wenn sie einer Figur eine unverwechselbare Persönlichkeit verleihen. Dabei ist laut Rechtsprechung des BGH aber ein strenger Maßstab anzulegen.[9]

Insgesamt gilt im Urheberrecht stets und für alle Werkarten: Nicht die einzelnen Bausteine sind geschützt, sondern das Gesamtgefüge; nicht Wörter, sondern Texte, nicht Töne, sondern Melodien, nicht Tanzschritte, sondern Choreographien, nicht Farben, sondern Bilder, nicht Ideen, sondern deren konkrete kreative Ausführung. Eine klare Grenze, wo das eine aufhört und das andere beginnt, gibt es selten. Aber es ist wichtig, dass die Bausteine der Kreativität frei verfügbar bleiben. Sie gehören zur Domäne des Freien Wissens, zur public domain, ohne welche Kreativität nicht möglich wäre.

Nachnutzung und Leistungsschutzrechte

Während das BVerfG im Jahr 2000 in „Germania 3“ eine Kollision zwischen der Kunstfreiheit und dem Urheberrecht lösen musste, befasste sich der BGH etwas zur selben Zeit im Fall „Mattscheibe“ mit einer Kollision zwischen der Kunstfreiheit und dem Leistungsschutzrecht des Film- und Laufbildherstellers. Der Komiker Oliver Kalkofe hatte Ausschnitte aus Fernsehprogrammen unverändert übernommen und sich dann kritisch mit diesen auseinandergesetzt. Diese Kritik ließ der BGH genügen, um die Nutzung als Satire für zulässig zu erklären. Anders als das BVerfG stützte er sich dabei nicht auf das Zitatrecht, sondern ordnete die Verwendung der Ausschnitte als freie Benutzung analog[10] § 24 Abs. 1 UrhG ein.

Wie ebenfalls in meinem letzten Beitrag ausgeführt, sollen Leistungsschutzrechte nicht Kreativität schützen, sondern Investitionsanreize setzen. Die große Frage, welche die Gerichte zuletzt in „Metall auf Metall“ beschäftigte, lautet daher: Kann es angesichts der unterschiedlichen Zielsetzung von Urheberrecht (das die Urheber schützt) und Leistungsschutzrecht (das Investitionen der Hersteller und Verwerter schützt) eine der Schöpfungshöhe vergleichbare Mindestschwelle geben, unterhalb derer das Schutzrecht gar nicht berührt wird? Gibt es auch in diesem Bereich Bausteine, die frei verfügbar bleiben sollten?

Für die Rechte der Hersteller von Filmen, Laufbildern und Tonträgern verneinte der BGH diese Frage. In „Mattscheibe“ waren die Ausschnitte so lang, dass er sich nicht dazu hatte äußern müssen. Im Jahr 2007 urteilte er im Fall „TV Total“, auch kleinste Teile einer Videoaufnahme seien vom Recht des Film- bzw. Laufbildherstellers aus §§ 94, 95 UrhG umfasst.

Ein Jahr später wandte der BGH diese Wertung auch auf das Recht des Tonträgerherstellers an. Bei der Produktion des Songs „Nur Mir“ hatte Moses Pelham im Jahr 1997 zwei Sekunden aus der Aufnahme des Lieds „Metall auf Metall“ von Kraftwerk geloopt und als Beat verwendet. Kraftwerk sind selbst Inhaber des Herstellerrechts und klagten gegen den Vertrieb des neuen Songs. Der BGH entschied, das Herstellerrecht umfasse auch „kleinste Tonfetzen“. Anders als das Urheberrecht schütze § 85 Abs. 1 UrhG keine besondere Kreativität, sondern die wirtschaftliche, organisatorische und technische Leistung, die zur Festlegung von Tönen auf Trägern erforderlich sei.

Da der Tonträgerhersteller diese unternehmerische Leistung für den gesamten Tonträger erbringt, gibt es keinen Teil des Tonträgers, auf den nicht ein Teil dieses Aufwands entfiele und der daher nicht geschützt wäre.[11]

Anders als das Urheberrecht schützen Leistungsschutzrechte nach dieser Ansicht also sehr wohl die Bausteine. Sie wären demnach stärker als das Urheberrecht, was dem Urteil viel Kritik eingebracht hat.[12]

Pelham erhob schließlich Verfassungsbeschwerde gegen die Urteile – und bekam Recht. Wieder rügte das BVerfG, der BGH sei hier dem Erfordernis der „kunstspezifischen Betrachtungsweise“ nicht nachgekommen. In „Mattscheibe“ habe er – im Ergebnis richtig – einen satirischen Zweck ausreichen lassen. Dieser sei aber nicht nötig; auch Sampling zu „tongestalterischen Zwecken“ müsse erlaubt sein, solange es nicht zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen für den Tonträgerhersteller führe. Ansonsten wäre eine ganze Musikrichtung praktisch verboten, nämlich der HipHop, der viel auf Sampling setzt.

Das BVerfG hat den Fall an den BGH zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen und angemerkt, dass die gebotene Abwägung nicht im Rahmen der freien Benutzung gemäß § 24 Abs. 1 UrhG zu erfolgen habe. Statt dessen könne sich der BGH auch auf das Zitatrecht aus § 51 UrhG stützen oder bloße Tonfetzen von vornherein aus dem Anwendungsbereich des Leistungsschutzrechts des Tonträgerherstellers nach § 85 Abs. 1 UrhG herausnehmen. Für diese Auslegung hatte sich während des Verfahrens sogar die Bundesregierung(!!) in einer Stellungsnahme ausgesprochen.[13]

Für Texte existierten bis 2013 keine Leistungsschutzrechte; aus gutem Grund, denn es fehlt an einer der Ton- oder Filmaufnahme vergleichbaren Fixierung. Das neue Leistungsschutzrecht des Presseverlegers nimmt deshalb „einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte“ ausdrücklich von seinem Anwendungsbereich aus. Es will augenscheinlich nicht die Bausteine der Sprache monopolisieren. Dennoch bleibt es ein Fehlgriff, denn was „kleinste Textausschnitte“ sind, müssen nun die Gerichte klären. Fassen sie den Rahmen weit, bleibt das Recht wirkungslos, fassen sie ihn eng, wird es zu einem Monopol auf Sprache.

Dessen ungeachtet versucht die EU-Kommission gerade, das Leistungsschutzrecht, das in Deutschland als so gut wie gescheitert gilt, auf europäischer Ebene einzuführen.

Fazit

Für welche Lösung sich der BGH in Sachen „Metall auf Metall“ entscheidet, bleibt nun abzuwarten. Den Interessen der Leistungsschutzberechtigten wäre auch dann ausreichend Rechnung getragen, wenn ein Eingriff in ihre Schutzrechte erst dann angenommen würde, sobald das Sampling von Musik- oder auch Filmausschnitten ihre eigene Verwertung spürbar beeinträchtigt. Ein entsprechendes Urteil des BGH könnte die Remix-Kultur mit dem deutschen Urheberrecht ein gutes Stück kompatibler machen. Weitere Anpassungen oblägen dann dem Gesetzgeber.[14]

Die Leistungsschutzrechte wurden ursprünglich zum Schutz vor kommerziellen Wettbewerbern geschaffen. Je mehr der technische Fortschritt die Mittel zur Produktion und Veränderung von Kulturgütern in die Hände von Privatpersonen legt, desto mehr greifen die Schutzrechte in deren Privatleben ein und machen die Kreativität der Prosument:innen illegal. Ihr schöpferisches Potential bleibt ungenutzt. Solange Sampling den Investitionsschutz nicht spürbar schmälert, indem es das ursprüngliche Werk verdrängt, sollten auch bei Aufnahmen die Bausteine frei benutzbar bleiben.

Wie schon in „Germania 3“ betont das BVerfG ausdrücklich die Bedeutung des intellektuellen Gemeineigentums, des Freien Wissens, der public domain:

[E]in Werk [steht] mit der Veröffentlichung nicht mehr allein seinem Inhaber zur Verfügung, sondern tritt bestimmungsgemäß in den gesellschaftlichen Raum und kann damit zu einem eigenständigen, das kulturelle und geistige Bild der Zeit mitbestimmenden Faktor werden.[15]

Mehr noch als reale Eigentumsrechte haben Immaterialgüterrechte eine Sozialbindung. Ihre Existenz soll nicht allein ihren Inhaber:innen dienen, sondern Anreize für neue Kreativität setzen und damit letztlich der Allgemeinheit zugute kommen. Richtig eingesetzt, werden sie nach ihrem Ablauf die public domain vergrößert haben. Wenn sie Kreativität unterdrücken statt fördern, verfehlen sie ihr Ziel und verlieren ihre Berechtigung.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen auf www.oabooks.de unter der Lizenz CC BY-SA 4.0


Zur Autorin:

Marion Goller ist Juristin, hat in Mainz und Leicester studiert und in Rheinland-­Pfalz und London ihr Referendariat absolviert. Derzeit promoviert sie an der Universität Münster im Bereich Immaterialgüterrecht. In ihrer Dissertation erforscht sie die Mechanismen der Privatisierung von Wissen und die Gegenbewegungen hin zu einer Wissensallmende. Sie analysiert, wie die Verschärfung von Urheber­ und Patentrecht sowie die Einführung neuer Schutzrechte Kreativität und Innovation hemmen statt fördern und inwieweit Konzepte zur Freien Lizenzierung dieser Entwicklung entgegenwirken könne. Seit September 2016 ist sie Stipendiatin im Fellow-Programm Freies Wissen.


 

1 Lawrence Lessig: „Remix, Making Art and Commerce thrive in the Hybrid Economy“; Lessigs wunderbarer Vortrag desselben Titels ist online zu finden unter YouTube: Lawrence Lessig – Remix.

2 Zur Erinnerung: Werk ist nur, was die Schöpfungshöhe erreicht, siehe mein letzter Beitrag.

3 Im Text verwendete generische Maskulina sind dem Wortlaut des Gesetzes geschuldet.

4 Der Filmemacher Kirby Ferguson demonstriert in seiner exzellenten Webserie Everything is a Remix, wie nahezu unsere gesamte Kultur und Technologie aus der Kopie, Transformation und Rekombination bekannten Wissens besteht.

5 Das Copyright der USA hat eine „fair use“ genannte, sehr offene und flexible Schranke; dazu vielleicht in einem späteren Beitrag mehr.

6 Erreicht die Bearbeitung die notwendige Schöpfungshöhe, so entsteht an ihr wiederum ein Urheberrecht. Auch ungenehmigt ist sie nicht urheberrechtsfrei. Das neue Urheberrecht ist jedoch wieder nur ein Verbotsrecht. Es berechtigt nicht zur Nutzung, wenn dadurch Urheberrechte an den Quellen verletzt werden.

7 Ob die Ausschüttung an die Musikverlage nach dem Urteil des BGH in Sachen VG Wortnoch als rechtmäßig gelten kann, darf bezweifelt werden.

9 Vergleiche das Urteil Pippi Langstrumpf, Randnummer 29.

10 Die Analogie war nötig, weil § 24 direkt nur für Urheberrechte gilt, nicht auch für das hier betroffene Leistungsschutzrecht am Laufbild.

11 Siehe Randnummer 14 im Urteil des BGH.

12 Das Sampling sollte laut dem BGH trotzdem als freie Benutzung analog § 24 Abs. 1 UrhG erlaubt sein, wenn es nicht möglich sei, die verwendete Tonfolge selbst einzuspielen. Mit dieser Einschränkung wollte der BGH die Nachnutzung doch noch ermöglichen. Er verkannte aber, dass es beim Sampling gerade darum geht, Tonausschnitte unverändert zu übernehmen, sodass diese für den Zuhörer erkennbar sind. Trotz dieser Kritik bestätigte der BGH sein Urteil vier Jahre später, als der Fall erneut zu ihm gelangte; siehe Urteil Metall auf Metall II.

13 Siehe Randnummer 53 im Urteil des BVerfG.

14 Die Initiative Recht auf Remix fordert seit einigen Jahren entsprechende Änderungen des Urheberrechts. Die Berichterstatterin im Europaparlament, Julia Reda, forderte im Jahr 2014 in ihrem Entwurf eines Berichts über die Umsetzung der relevanten Richtlinie ebenfalls ein solches Recht. Leider gehen die Pläne der EU-Kommission teilweise in die entgegengesetzte Richtung.

15 Siehe Randnummer 87 im Urteil des BVerfG.

  • Deutsche Gesetze verwenden immer noch das generische Maskulinum. Für Begriffe, die ich in ihrer juristischen Bedeutung gebrauche, bin ich also ebenso verfahren.
    Steht übrigens auch in der dritten Fußnote.

    Kommentar von Marion Goller am 8. November 2016 um 10:50

  • Da dieser Text offensichtlich viel Wert darauf legt Frauen und Männer getrennt auszuweisen und daher stets beide Formen betont (Produzent:innen und Konsument:innen) – gehe ich daher richtig in der Annahme, dass Urheber stets männlich sind? Oder warum wurden keine Urheberinnen benannt? Alternativ auch als “Urheber:innen”?

    Kommentar von Ralf L. am 7. November 2016 um 17:21

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