Ein Versuch einer Erklärung
Es gibt unendlich viel Wissen, aber frei zugänglich ist bisher nur ein Bruchteil. Dieses in den Kultur- und Gedächtnisinstitutionen zu entdecken, für die Zugänglichkeit zu werben und es u.a. für die Wikimedia-Projekte zu erschließen, darum geht es in der GLAM-Arbeit. Die englische Abkürzung “GLAM” meint Kunstsammlungen, Bibliotheken, Archiven und Museen, d.h. Gedächtnis-Institutionen im Kulturbereich. Das Akronym wird überall dort eingesetzt, wo der Kulturbereich in die digitale Welt eintritt.
Seit zwei Jahren gibt es bei Wikimedia Deutschland (WMDE) den GLAM-Bereich. Zeit für eine etwas längere Zwischenbilanz. Im Zentrum der GLAM-Arbeit steht der Vermittlungsgedanke. Die Institutionen stehen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite stehen alle Wikimedia-Projekte, alias Wikiversum, und die Freiwilligen, die sie tragen. Meine Arbeit betrachte ich als Angebot, Brücken von der einen in die andere Welt zu schlagen. Aus der Sicht der GLAM-Einrichtungen sind die Wikimedia-Projekte eine spannende Plattform, um ihre Inhalte, ihre Arbeit und ihr Wissen in der Welt bekannter zu machen. Das Ziel der Wikimedia-Projekte ist es, Freies Wissen zu schaffen, das möglichst vielen Menschen einfach zugänglich und nachnutzbar ist. Wie diese Zielvorstellungen harmonieren?
Das Wikiversum auf der einen Seite
Das Wikiversum ist eine Welt des ehrenamtlichen Engagement von vielen Individuen. Wikipedianer machen Wissen über die Artikel in der Wikipedia frei zugänglich. Sie erschließen in ihrer Freizeit publiziertes Material und formen es in kooperativer Arbeit in enzyklopädische Wikipedia-Einträge um. Bereichert wird ihre Arbeit durch das Medien-Archiv Wikimedia Commons. Vor allem Bilddateien werden gern genutzt, um Wikipedia-Artikel zu illustrieren. Oft sind es Werke von Fotografen, die ihre eigenen Aufnahmen hochladen, aber auch Abbildungen von gemeinfreien Kunstwerken oder autorisierte Abbildungen von urheberrechtlich geschützten Werken formen das inzwischen über 20 Millionen Dateien umfassende Wikimedia Commons-Archiv. Alle Wikimedia-Projekte leben aus dem gemeinschaftlichen Engagement von Menschen, die sich für die Vision des Freien Wissens einsetzen. Dieses konstante und überwiegend ehrenamtliche Engagement hat die Wikipedia als Ganzes auf weltweit Platz 6 der am häufigsten aufgesuchten Websites gebracht. Eine enorme Leistung, die Begehrlichkeiten weckt und Verantwortung mit sich bringt. Das allein ist aber noch nicht Freies Wissen. Wirklich frei wird es erst, indem Leser und Betrachter zu aktiven Nutzern werden. Sie können aufgrund der im Wikiversum verwendeten Freien Lizenzen, selber mitmachen. Sie können das Wissen weiterverwenden, indem sie es für ihre Bedarfe umformen. Ja, sogar Geld damit verdienen, wenn sie können oder wollen.
Und auf der anderen Seite …
Auf der anderen Seite stehen Institutionen. Die Sammlungen der GLAM-Einrichtungen für das Freie Wissen und damit für das Wikiversum zu gewinnen, ist allein schon Motivation genug, mit ihnen zusammenarbeiten zu wollen. Auch die Mitarbeiter in den Kultureinrichtungen für die Wikipedia-Arbeit zu begeistern, wäre wünschenswert. Und gerade weil die Wikipedia heute zu einem der bedeutendsten Einstiegsportalen im Wissensbereich geworden ist, sind viele GLAM-Einrichtungen an einer Zusammenarbeit prinzipiell interessiert. Doch wenn es konkreter wird, dann ist die Bereitschaft unter den GLAM-Einrichtungen, ihre Digitalisate unter einer Freien Lizenz öffentlich zugänglich zu machen, mit vielen Einwänden behaftet. Oft völlig zu Recht, da ein Museum, eine Bibliothek oder ein Archiv nicht notwendigerweise die Urheber- oder Lizenzrechte an den Gegenständen hält, die es verwahrt, erforscht und ausstellt. Ein weiterer häufiger Einwand ist, dass die Einrichtung für die Infrastruktur, die sie bräuchte, um Digitalisate unter einer Freien Lizenz zugänglich zu machen, keine Ressourcen hat. Der Kulturbereich ist bekanntlich unterfinanziert. Und schließlich spürt man im Dialog mit den GLAM-Einrichtungen auch immer wieder ein gewisses Unbehagen. Was wird denn mit unseren Inhalten geschehen, wenn jeder ohne Kontrolle damit tun kann, was ihm oder ihr beliebt? Ehe die Tore sich öffnen, muss noch Einiges geschehen.
Eine Formel für die GLAM-Arbeit
Es ist ein Prozess der Annäherung über Zusammenarbeit. Und wie soll diese Zusammenarbeit aussehen? Aus der Perspektive der GLAM-Institutionen: Mit wem genau würde die Kultureinrichtung zusammenarbeiten? Und welche Konsequenzen hätte die Zusammenarbeit für die Institution? Wer trägt die Verantwortung? Was kann man überhaupt gemeinsam tun? Aus der Perspektive der Freiwilligen hingegen: Welche GLAM-Einrichtung hat überhaupt Interesse an einer Zusammenarbeit? Mit wem kann ich in meiner Freizeit in Kontakt treten? Wer übernimmt die Klärung der rechtlichen Fragen? Wer kommt für etwaige Kosten auf? Und eben auch: Was kann man überhaupt gemeinsam tun? Die Antworten fehlen oft vor Ort. Denn auf der einen Seite stehen Institutionen mit ihren Hierarchien, Abteilungen, Arbeitszeiten und klaren Projektvorhaben wie Ausstellungen – auf der anderen Seite stehen Ehrenamtliche, die nach Feierabend zum Beispiel Wikipedia-Artikel editieren oder Bilder in Wikimedia Commons hochladen, meist ohne sich zeitlich mit jemandem koordinieren zu müssen. Dazwischen steht Wikimedia Deutschland und versucht, beide Seiten miteinander zu verbinden. In den letzten zwei Jahren habe ich drei Schwerpunkte für die alltägliche Verbindungsarbeit entwickelt: Werben, Begegnen und Zeigen. Da Akronyme aus Vokalen sich meist leichter merken lassen, stehen die englischen Übersetzungen Encounter, Outreach und Exhibit für die Formel EOE.
Encounter
Menschen arbeiten mit Menschen zusammen. Im Zentrum stehen daher die Begegnungen von Menschen. Wikimedianer und Wikipedianer treffen auf Mitarbeiter und Freiwillige aus den GLAM-Einrichtungen und schaffen gemeinsam die Voraussetzungen für Freies Wissen. Eine Möglichkeit für solche Begegnungen sind die GLAM on Tour-Veranstaltungen. Letztes Jahr haben wir ein Wochenende in Braunschweig und eines in Görlitz organisiert. Dieses Jahr sind Stationen im Mai in Bonn, im Juni in Braunschweig mit neuem Thema und im Oktober in Brilon geplant. Und aus der Kooperation in Görlitz ist die Projektidee zu den Umgebindehäusern in der Lausitz entstanden.
Wie kommt es zu diesen Begegnungen?
Meist sind es Aktive der Wikipedia, die mit einer konkreten GLAM-Einrichtung in ihrer Stadt etwas machen wollen, und sich daher an WMDE für die Umsetzung wenden. Was genau und wie, das entsteht im Gespräch konkret vor Ort mit einer Vertreterin der GLAM-Einrichtung. Ein Programm schält sich heraus. Zum Beispiel eine Führung durch das Haus, eine Schreibwerkstatt oder eine Fotoexkursion. Der Veranstaltungstermin wird festgelegt und die Arbeitspakete werden verteilt. Die GLAM-Einrichtung und Wikimedia Deutschland teilen sich die Kosten, bewerben die Veranstaltung in den Medien und kümmern sich um das Organisatorische. Der oder die Wikipedianerin macht die GLAM on Tour-Station unter den Freiwilligen in den Wikimedia-Projekten bekannt. Ergebnis einer solchen Zusammenarbeit sind nicht nur neue Edits in der Wikipedia, neue Bilder und Dateien für Wikimedia Commons, sondern, wenn es gut funktioniert, neue Brücken zwischen dem Wikiversum und der GLAM-Welt. Nach der Veranstaltung wird es einfacher sein, auch als Freiwilliger, gleich die richtige Person in der GLAM-Einrichtung anzusprechen, wenn man wieder z.B. ein Foto für einen Artikel braucht. Oder umgekehrt, wenn die GLAM-Einrichtung überlegt, ihre digitalisierte Sammlung über Wikimedia Commons frei zugänglich zu machen, dann weiß sie, an wen sie sich vor Ort wenden kann. Ideen für weitere GLAM on Tour-Stationen sind herzlich willkommen.
Outreach
Outreach oder Werben meint das Bekanntmachen der Kooperationsmöglichkeiten. Wie die oben beschriebenen GLAM on Tour-Stationen, aber auch Beratung beim Hochladen von Digitalisaten etc. Erst wenn GLAM-Einrichtungen und die Gemeinschaft der Freiwilligen des Wikiversums wissen, was alles möglich ist, entstehen neue Ideen für konkrete Partnerschaften. Daher richtet WMDE zusammen mit Partnern z.B. die Konferenz “Zugang gestalten – Mehr Verantwortung für das kulturelle Erbe” aus; 2014 schon zum vierten Mal und mit wachsendem Zulauf. Auf der Konferenz diskutieren GLAM-Einrichtungen miteinander und mit Vertretern der Open Data-Bewegung die Konsequenzen des digitalen Wandels. Im Konferenzprogramm werden an zwei Tagen vorbildliche Projekte vorgestellt, natürlich immer wieder auch solche aus dem Wikiversum. Als Mitveranstalter sind wir ein gesprächsbereiter Partner für die Konferenzteilnehmer. 2013 nahmen 245 Personen aus fast 50 GLAM-Einrichtungen neben Kulturpolitikern, Netzaktivisten und Juristen teil. Auch Publikationen wie “Kulturgut digital nutzbar machen”, der Werbefilm “Den Zugang öffnen” und der kleine Infoflyer zur GLAM-Arbeit sind Teil der Information und Werbung für die Zusammenarbeit. Erste Anlaufstelle in der Wikipedia ist die GLAM-Seite. Und für die Freiwilligen gibt es zudem die GLAM-Treffen wie gerade in Bremen, auf denen sich Freiwillige und Mitarbeiter von WMDE zur GLAM-Arbeit austauschen und neue Ideen diskutieren.
Exhibit
Partnerschaften brauchen Vorbilder. Im Dialog mit den GLAM-Einrichtungen verweisen wir natürlich immer wieder auf die Ergebnisse der bereits laufenden Partnerschaften, zum Beispiel auf die Dokumentationseiten der GLAM on Tour Stationen. Sie illustrieren die Zusammenarbeit und deren Vorzüge. Für 2014 haben wir uns zusätzlich ein Pilotprojekt ausgedacht, dass GLAM-Institutionen den Wert von Freien Lizenzen auf einer weiteren Ebene deutlich machen soll.
Mit dem ersten deutschen Kulturhackathon “Coding da Vinci”, den WMDE mit Partnern im April zum ersten Mal ausrichtet, ist es uns gelungen, mehr als zwölf GLAM-Einrichtungen zu bewegen, teilweise eigens aus Anlass des Hackathons, Teile ihrer Sammlung unter eine Freie Lizenz zu stellen. Diese Daten stehen ab jetzt unmittelbar den Wikimedia-Projekten zur Nachnutzung offen. Insektenscans aus dem Naturkundemuseum, Stadtansichten aus dem Berlin der Nachkriegszeit der Berlinischen Galerie , Drei-D-Bilder von Musikinstrumenten und Audiofiles aus dem Ethnologischen Museum oder historische Karten aus der Sammlung des Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung, um nur einige zu nennen. Tausende von Dateien frei zur Nachnutzung! Ende April erwarten wir über hundert Hacker, Entwicklerinnen und Designer in Berlin, die mit diesen Daten neue Anwendungen, Apps und Spiele programmieren werden. Zehn Wochen haben die Teams Zeit, dann stellen sie am 6. Juli ihre Ergebnisse öffentlich vor. Eine Jury der vier Veranstalter und die Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Frau Gabriele Beger, wird die Preisträger in fünf unterschiedlichen Kategorien küren. Die Ergebnisse werden wiederum auf der Konferenz “Zugang gestalten” im Herbst vorgestellt und entsprechend dokumentiert. Sie zeigen anderen GLAM-Institutionen, welche Früchte die Öffnung tragen kann, und unterstützen so den Prozess der Annäherung.
Alle drei Schwerpunkte Werben, Zeigen und Begegnen – eben EOE – wirken zusammen, um nach und nach auch in Deutschland ein Verständnis im Kulturbereich zu wecken, dass die Zusammenarbeit mit dem Wikiversum nicht nur eine “schnelle Werbemaßnahme” für die Einrichtung ist, sondern dass die Öffnung des Zugangs zum kulturellen Erbe für die Freiwilligen des Wikiversums und darüber hinaus langfristig hilft, die Bedeutung des kulturellen Erbes zu erhalten. Es ist ein Arbeitsprozess, der von allen viel Geduld und gegenseitiges Verständnis erfordert. Aber es ist eine Arbeit, die Spaß macht.