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GLAMcamp London: Zwei Tage in der größten Bibliothek der Welt

Kilian

24. September 2012

Am 15. und 16. September fand in der British Library in London das GLAMcamp 2012 statt. Aus Deutschland reisten Peter Weis, Daniel Mietchen (Wikimedian in Residence on Open Science, Open Knowledge Foundation Deutschland) und Kilian Kluge (Wikipedian in Residence bei der Stiftung Stadtmuseum Berlin, Wikimedia Deutschland) in die britische Hauptstadt.

Die British Library ist mit mehr als 15 Millionen Sammlungsobjekten die größte Bibliothek der Welt

Photograph by Mike Peel (mikepeel.net), CC-BY-SA 2.5

Das GLAMcamp fand als Ersatz für eine GLAM-Konferenz statt, die ursprünglich zu diesem Termin geplant war, im Sommer allerdings auf April 2013 verschoben wurde. Das Camp diente zwar auch der Vorbereitung dieser Konferenz, im Mittelpunkt stand aber der interne Austausch der Community.

So kamen etwa 35 GLAM-Aktivisten aus den USA und Europa in London zusammen, darunter insbesondere auch viele „Wikipedians in Residence“, die zurzeit in einer kulturellen Einrichtung aktiv sind. Die Summe an Erfahrungen und Expertise, die in London zusammenkam, war außergewöhnlich, so dass um das Tagungsprogramm herum immer wieder spannende und vor allem für die Beteiligten lehrreiche Gespräche entstanden.

Das Conference Center der British Library (die mit Andrew Gray selbst einen „Wikipedian in Residence“ beschäftigt) erwies sich als hervorragender Veranstaltungsort, nicht nur durch die ideale Lage im Herzen der britischen Hauptstadt. Die Gruppe konnte sich flexibel auf drei Tagungsräume und ein großes Foyer verteilen, die technische Ausstattung und besonders die zahlreichen im Boden eingelassenen Steckdosen ließen keine Wünsche offen.

Wo steht die GLAM-Community?

Nach der Begrüßung durch Ashley Van Haeften, Mitglied des Boards von Wikimedia UK, und der Ankündigung, dass es im Rahmen des Tagungsprogramms keine Präsentationen und Projektberichte geben werde, ging es direkt mit einer Runde „Lightning Talks“ los. Thema war beispielsweise der Mangel an Audiomaterial in der Wikipedia, fast gänzlich fehlen etwa Höreindrücke von Orten („Wie hört es sich Mittwochmorgen am Piccadilly Circus an?“), Verkehrsmitteln oder Tieren. Insbesondere für Sehbehinderte und Blinde wären solche Ergänzungen zum Text äußerst wertvoll.

Nach diesem Einstieg teilte sich die Gruppe, um in kleinerer Runde inhaltlich zu arbeiten. Ein Diskussionsthema war hierbei die Frage, was eine internationale GLAM-Organisation, also ein imaginärer Dachverband der GLAM-aktiven Wikipedianer, leisten sollte. Dieses Brainstorming brachte schnell die Stärken und Schwächen der jetzigen „GLAM-Bewegung“ zutage. So ist zwar der interne Austausch gut organisiert, aber es fehlt an zentralen Anlauf- und Beratungsstellen sowohl für Wikipedianer als auch für kulturelle Einrichtungen. Gewünscht wurde beispielsweise ein „GLAM-Callcenter“, das bei kleineren Problemen selbst Unterstützung bieten und andernfalls an die richtigen Ansprechpartner verweisen kann.

Eine weitere Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit den unzähligen Aktionsformen, die im GLAM-Bereich genutzt werden und versuchte, diese auf möglichst greifbare, grundlegende Konzepte zu reduzieren. Zahlreiche Veranstaltungen haben beispielsweise zum Ziel, in einer konzertierten Aktion vor Ort eine Stadt oder Region zu dokumentieren, ein ähnliches Konzept wurde sowohl im Zusammenhang mit Wiki Loves Monuments als auch mit Museen schon erfolgreich umgesetzt. In London wurde nun versucht, aus den zahlreichen Erfahrungen die wesentlichen Schritte zu extrahieren und zu möglichst übersichtlichen Anleitungen zusammenzustellen. Diese Arbeit soll fortgesetzt werden, als Musterbeispiel sei hier auf das Edit-a-thon How-to verwiesen.

Erfolge messen

Der Nachmittag stand ganz im Zeichen der statistischen Auswertung von GLAM-Aktivitäten. Unter dem Schlagwort „Metrics“ wurden in kleiner Runde vorhandene Werkzeuge und Methoden gesammelt und diskutiert, die zur Bewertung von Aktionen, Wettbewerben oder auch einer Residency genutzt werden können. Ziel war es auch hier unter anderem, fehlende oder nur schlecht nutzbare Anwendungen zu identifizieren, wobei mehr als nur einmal deutlich wurde, dass viele nützliche Werkzeuge zwar vorhanden, aber weitestgehend unbekannt oder nur schlecht dokumentiert sind.

Am Samstag spontan erstellte Statistik: Alle Wikimedians in Residence seit Juli 2010

Maximilian Klein, CC-BY-SA

Im Rahmen dieses Programmteils stellte unter anderem Daniel Mietchen seine Bemühungen um die bessere Dokumentation der Nutzung von Open-Access-Publikationen in Wikimedia-Projekten vor. Am Beispiel der nur wenige Tage zuvor erstmals wissenschaftlich beschriebenen Affenart Cercopithecus lomamiensis zeigte er, wie schnell auf Grundlage einer frei verfügbaren Veröffentlichung Wikipedia-Artikel  entstehen und wie schwierig es ist, diesen Prozess über die verschiedenen Sprachversionen hinweg zu verfolgen.

Ebenso Thema waren die Möglichkeiten, die das System QRpedia insbesondere für Museen bietet. Die bereits vielfach eingesetzte Anwendung erzeugt QR-Codes, die Besucher mit einem Smartphone oder Tablet-PC einscannen können. Der so verlinkte Wikipedia-Artikel wird dann, sofern vorhanden, in der Sprache des mobilen Endgeräts angezeigt. Andernfalls wird eine Liste mit Sprachen angezeigt, in denen der Artikel verfügbar ist und zusätzlich die Option, Google Translate zu verwenden, angeboten. Nutzt ein Museum (oder eine Stadt wie Monmouth) das System flächendeckend, lassen sich aus der Anzahl der Aufrufe eines bestimmten QR-Codes und einer Karte, in der die Standorte der Codes verzeichnet sind, wertvolle Informationen über Besucherströme gewinnen. Eine ausführliche Fallstudie ist hier zu finden.

Ungezählte Möglichkeiten zur quantitativen Analyse bietet auch der Fotowettbewerb Wiki Loves Monuments. So lässt sich beispielsweise messen, wie viele der neu registrierten Benutzer auch über den Wettbewerbszeitraum hinaus zu Wikimedia-Projekten beitragen. Auf großes Interesse unter den Teilnehmern stießen auch die Nutzerzahlen der neuen App, wobei diese deutlich über der Anzahl der mit ihr hochgeladenen Fotos liegen: Viele Fotografen verwenden zwar die App, um ein Denkmal zu finden, fotografieren dann aber mit ihrer Digitalkamera. Die Befürchtung, durch die App würden viele schlecht aufgelöste Fotos ihren Weg ins Medienarchiv Wikimedia Commons finden, scheint sich also nicht zu bestätigen – vielmehr ist sie für viele Teilnehmer eine willkommene Arbeitserleichterung.

Schon diese ausgewählten Beispiele zeigen, dass die (automatisierte) statistische Auswertung von GLAM-Projekten notwendig und aufschlussreich ist. Gerade bei Kooperationen mit Einrichtungen wird die Frage nach Abrufzahlen und Reichweite gestellt. Viele Werkzeuge existieren bereits, allzu oft – da waren sich alle Teilnehmer einig – stellen jedoch die langsamen Datenbankabfragen ein großes Hindernis dar. Hier wurde allgemein gewünscht, dass die Chapter oder die Foundation in eine bessere Performance des Toolservers investieren.

Die GLAM-Community soll wachsen

Neben der Vorbereitung der GLAMconference stand am Sonntag ein Thema im Fokus, das viele GLAM-Aktive umtreibt und bisher noch nicht systematisch diskutiert worden war: Eine handvoll sehr aktiver und erfahrener Wikipedianer ist der Dreh- und Angelpunkt vieler Projekte. Sie sind zum jetzigen Zeitpunkt häufig treibende Kraft hinter neuen Ideen, werden oft als Berater konsultiert und sind unersetzlich geworden. Während ihr herausragendes Engagement gar nicht genug Wertschätzung erfahren kann, stellen sie doch zunehmend einen sprichwörtlichen Flaschenhals dar: Wenn viel Arbeit auf nur wenigen Schultern lastet und die To-Do-Listen wachsen, bleibt allzu vieles liegen.

Acht Wikipedians in Residence waren in London dabei, darunter auch Daniel Mietchen (2. von links) und Kilian Kluge (4. von rechts).

Rock drum, CC-BY-SA 3.0 Unported

Die offensichtliche Lösung besteht darin, mehr Wikipedianer für GLAM-Projekte zu begeistern und ihnen das nötige Rüstzeug an die Hand zu geben. Hierzu wurden am Nachmittag Konzepte erarbeitet, die in den kommenden Monaten erprobt und bei Erfolg weltweit umgesetzt werden sollen.

Um die GLAM-Community insgesamt zu vergrößern, wurden sogenannte „GLAM-Bootcamps” vorgeschlagen. Eine kleine Gruppe Wikipedianer, die zwar schon Erfahrung mit den Wikimedia-Projekten gesammelt haben, aber noch nicht im GLAM-Bereich aktiv sind, sollen über drei Tage die Grundlagen der GLAM-Arbeit lernen. Die praktische Arbeit wird dabei im Vordergrund stehen, beispielsweise sollen die Teilnehmer Werkzeuge wie Cat-a-lot, GLAMourous oder BaGLAMa ausprobieren. Ebenso soll es um Wiki-Projektmanagement und die Kommunikation mit kulturellen Einrichtungen gehen, selbstverständlich sind auch Urheberrecht und Freie Lizenzen Bestandteile des Curriculums. Bei Letzteren steht die Frage im Vordergrund, wie diese zuweilen doch komplizierten Themen für Kooperationspartner und -teilnehmer verständlich vermittelt werden können. Die Absolventen des Bootcamps sollen anschließend in der Lage sein, selbst Kooperationen und Projekte anzugehen.

Für die Weiterbildung und -qualifikation der bereits im GLAM-Bereich aktiven Wikipedianer wurden in London vielfältige Vorschläge gemacht, der Schwerpunkt liegt hier aber deutlich auf Einzelschulungen, die exakt auf die Bedürfnisse und Interessen der jeweiligen Person zugeschnitten sind. So wurde ein Mentorenprogramm vorgeschlagen, bei dem erfahrene GLAM-Aktivisten projektbezogen ihre Fähigkeiten weitergeben. Ebenso kam der Wunsch auf, dass die Chapter die Teilnahme an externen Schulungen und Workshops unterstützen, bei denen sich aktive Mitglieder der GLAM-Community professionell fortbilden und qualifizieren können.

Da insbesondere Softwareentwicklung und Bot-Programmierung als Flaschenhals identifiziert wurde, soll zudem versucht werden, mehr Entwickler für GLAM-Projekte zu gewinnen. Viele der notwendigen Verbesserungen bestehender Werkzeuge sind wenig zeitaufwändig, den damit arbeitenden Wikipedianern fehlen aber die nötigen Kenntnisse. Eine große Schwierigkeit liegt auch in der Kommunikation, so dass nach Wegen gesucht wurde, wie für beide Seiten verständliche Lastenhefte erstellt werden könnten. Eine Möglichkeit, die viel Zuspruch fand, wäre beispielsweise die Verwendung von Techniken des Behaviour Driven Developments.

Ein Blick zurück, ein Blick nach vorne

Die Teilnehmer des GLAMcamps vor dem Haupteingang der British Library.

Peter Weis, CC-0

Der interne Austausch der GLAM-Community war sowohl für die einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer als auch für die Weiterentwicklung des Bereichs insgesamt wichtig. Vom GLAMcamp und ähnlichen Veranstaltungen gehen wichtige Impulse aus, viele lose Diskussionsfäden können zusammengeführt, viele Probleme auf den Punkt gebracht und Lösungen erarbeitet oder angestoßen werden.

Aus Sicht der deutschsprachigen Community wurde deutlich, dass die internationale Vernetzung noch deutlich besser werden kann. Sicherlich ist die vorherrschende Kommunikationssprache Englisch für einige Wikipedianer eine Hürde, allzu oft wird auch mehr oder weniger bewusst auf den Austausch verzichtet. Das dabei dann einerseits bereits andernorts gemachte Fehler wiederholt oder vorhandene Hilfsmittel nicht genutzt werden, sich andererseits tolle und erfolgreiche Ideen nicht verbreiten, liegt auf der Hand.

Insgesamt – dieses Fazit lässt sich trotz aller diskutierten Probleme ziehen – kann die GLAM-Community entspannt in die Zukunft blicken. Das Interesse von kulturellen Einrichtungen an Kooperationen steigt, viele Felder sind noch gänzlich unbestellt und laden zu Engagement und Kreativität ein. Die große Herausforderung besteht darin, die Community der einzelnen Wikimedia-Projekte für GLAM zu aktivieren. Viele Kooperationen stehen und fallen mit dem Engagement einzelner Personen – ohne den Rückhalt aus der Community kann dies auf Dauer nicht funktionieren. Von den Chaptern ist neben dem institutionalisierten Austausch mit potentiellen Partnern, wie sie im Oktober die Konferenz Zugang gestalten! in Berlin und die GLAM-WIKI im April 2013 bieten werden, auch die unbürokratische und flexible Unterstützung der ehrenamtlichen Aktiven gefragt. Es bleibt spannend.

Dieser Bericht von Kilian Kluge entstand in Zusammenarbeit mit Peter Weis und Daniel Mietchen. Er steht unter der Lizenz CC-BY-SA 3.0 Deutschland. Die vollständige Dokumentation des GLAMcamps ist im Wiki von Wikimedia UK zu finden.

(Wikimedia Deutschland unterstützte die Teilnahme am GLAMcamp.)

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