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Soziale Hängematte oder kreatives Utopia? Das ABC des Freien Wissens “G=Grundeinkommen.”

Lilli Iliev

2. April 2015

Die Podiumsdiskussion verknüpfte die Diskussion über bedingungsloses Grundeinkommen mit der digitalen Krise des Urheberrechts.

Der Abend begann eindeutig ohne Abschiedstränen für das Urheberrecht, als das Publikum bei Bernadette la Hengst und ihrer Performance mitsang: “Copy me, copy me, copy me, I want to travel!” Das 2003 geschriebene Lied erzählt vom Glauben an das Heilsversprechen Digitalisierung. Vom Geist einer kommenden Ära des kollektiven geistigen Eigentums.

Dass heute Ernüchterung eingekehrt ist und über Regulierungsmaßnahmen angesichts offensichtlicher und schmerzlich ungerechter Urheber-Verwerter-Verhältnisse gesprochen werden muss, sagt die Künstlerin im Interview, ist inzwischen klar.

Was passiert mit uns, wenn die Knappheit wegfällt?

Grundfragen von Urheberrecht und -unrecht, gerade hinsichtlich der Bezahlung kreativer Arbeit, bestimmten das Gespräch zwischen Olaf Zimmermann, Adrienne Goehler, Ilja Braun und Michael Bohmeyer.

Der Künstler als Prototyp einer deregulierten Arbeitswelt wurde zum Patienten erklärt. Die Frage: Welche Medizin kann helfen? Die radikalste Variante vertritt Michael Bohmeyer, der mit seinem Crowdfunding-Projekt mein-grundeinkommen.de Jahres-Grundeinkommen generiert und verlost. Inzwischen seien inzwischen sogar mehr Menschen auf der Plattform angemeldet, die Geld geben möchten, als Leute, die an der Verlosung des Grundeinkommens teilnehmen.

Ob die Gewinner tatsächlich in der berühmten sozialen Hängematte ausruhen oder, wie Bohmeyer annimmt, wieder mehr vertrauen in sich und ihre individuellen Begabungen gewinnen, bleibt vorerst fraglich. Grundlegend müsse sich das soziale Gefälle in der Gesellschaft radikal ändern, da es das größte Hemmnis für Innovationen und neue Entwicklungen darstelle. Das alte System der Verwaltung von vermeintlicher Knappheit sei mit der vernetzten Gesellschaft hinfällig, hoheitliche Machtverteilungsmittel überkommen. Was passiert mit uns, wenn die Knappheit einfach nicht mehr da ist, alle die gleichen Grundvoraussetzungen haben? Das ist für Bohmeyer die spannende Frage.

(Existenz-) Angst essen (Schöpfer-) Seele auf?

Vieviel Energie und Kraft gesellschaftlich in chronische Existenzangst fließt, und wieviel Wissen und schöpferische Tätigkeit dadurch verdrängt wird, machte Adrienne Goehler deutlich. Die einzig Möglichkeit, würdig arm zu sein, sei in Deutschland die Berufsangabe: Künstler. Sie hält eine soziale Grundsicherung für alle für nötig, weil sie als Basis für die Entfaltung eines neuen Miteinanders und neuer Dimensionen von Arbeit dienen könne. Bindet Zwang zur Arbeit tatsächlich alle kreativen Impulse der Gesellschaft? Goehler fordert seit Jahrzehnten zumindest eine Umverteilung von Arbeit und gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Allein schon, da mit einem Grundeinkommen zum ersten Mal wirklich gleiche Voraussetzungen für Frauen und Männer geschaffen würden.

Digitale Krise vs. gesellschaftliches Verteilungsdesaster

Eine digitale Krise des Urheberrechts sah Olaf Zimmermann nicht. Eher eine gesellschaftliche Krise des Urheberrechts, bei der die Digitalisierung eine Rolle unter vielen spiele. Leistungsbezogene, angemessene aber auch unterschiedliche Bezahlung sei wichtig und auch in kreativen Berufen nicht falsch, sagte Zimmermann. Er betonte die Unverbrüchlichkeit der Bindung vom Urheber zu seinem Werk, die das Urhebereigentumsrecht ausdrückt. Die derzeitige Ungleichverteilung von Gewinn an die Urheber sei zwar ein Problem. Wie es zu lösen sei, blieb ungewiss, für Zimmermann jedenfalls nicht durch radikale Umverteilungsmodelle, sondern allenfalls durch moderate Anpassungen. Grundlegend, so das Plädoyer, müsse auch darüber nachgedacht werden, ob und wie die konkrete Umsetzung möglich ist, statt nur Forderungskataloge zu entwerfen.

Selbst den Job bei der Sparkasse kriegt man nur noch mit “kreativer Problemlösungskompetenz”

 

Gerade im Rahmen der Urheberrechtsdebatte von 2012 wurden Rufe nach einer Stärkung des Urheberrechts in der Annahme laut, dass es Kreativen nun einmal ihr Einkommen garantiere. Ilja Braun wies darauf hin, dass dabei das eigentliche Problem ausgeblendet bleibe. Urheberinnen konnten und können eben in den seltensten Fällen wirklich vom Urheberrecht leben. Am Verteilungsproblem auf kulturellen Märkten sei das Urheberrecht zwar nicht ursächlich Schuld, so Braun, es ändere aber auch nichts an der Lage. Da dieser Zustand auch der kulturellen Vielfalt abträglich sei, müsse man über neue Umverteilungsmodelle wie Beitragsfinanzierung nach dem Vorbild des öffentlich rechtlichen Rundfunk oder eben das bedingungslose Grundeinkommen als radikalste Variante nachdenken.

Fotos der Veranstaltung auf Wikimedia Commons

Video der Veranstaltung

Kurz-Interviews der Gäste

Das nächste ABC des Freien Wissens findet am Freitag, den 08. Mai zum Thema “H=Harmonisierung. Bringt Lobbying 2.0 in Brüssel die Urheberrechtswende?” statt. Kontakt: salon@wikimedia.de

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