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“My beautiful life thanks to PLV” bei 91 Dezibel

WMDE allgemein

13. August 2013

Auf der diesjährigen Wikimania in Hongkong war die Zukunft der Wikipedia eines der großen Themen. Unter dem Titel “Imagine the Wikipedia in 2022” luden Dirk Franke und die Autorin die anwesenden Zukunftsforscher unter den Wikipedianern ein zu visionieren.

Rote Plüschsitze, goldene Tressen, Marmor und auf Hochglanz lackiertes Holz. Wir befinden uns im kühlen Jockey Auditorium der Politechnischen Universität in Hongkong. So scheint es. In Wirklichkeit ist dies die geheime Starbahn der Wikimania Zeitmaschine. Denn 10 Sekunden nach Beginn des Countdown landen geschätzt 200 Menschen im Jahr 2022.

Drei dominante Trends prägen die Online Welt: Personalisierung, Vernetzung und Visualisierung. Dabei steht Personalisierung für die tatsächliche oder scheinbare am User orientierte Ausrichtung aller IT gestützten Dienstleistungen und Produkte. Vernetzung umfasst nicht nur Personen und Institutionen, sondern auch in exponentieller Weise die Vernetzung mit dem Internet der Dinge. Ob Auto oder Fernseher, alle Dinge um uns interagieren mit uns. Sie senden Informationen, die wiederum unmittelbar auf unsere Umgebung zurückwirken. Schließlich wird das unbedingte Visualisierungsdiktat dazuführen, dass die Wikipedia in 10 Jahren 70% Bildanteil zu 30% Textanteil aufweisen und die Fähigkeit sich auf Texte einzulassen, die zwei Tweetlängen überschreiten, gegen Null tendieren wird.

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P für Personalisierung. Als einer der großen Online-trends.

Die Vision des Organisationssoziologen Benjamin Mako Hill

Das große Online Projekt in 2022 ist die NEWPEDIA. Nachdem in der Wikipedia ein siebenstufigen Wizard eingeführt wurde, dem jeder folgen muss, bevor er/sie  einen Artikel editieren darf, starteten ein paar Open Knowledge Fans ein neues Projekt: die NEWpedia. Hier kann jeder beitragen in der Art, wie er will. Die Wikipedia ist in die Bedeutungslosigkeit abgesunken und alle nutzen nur noch NEWpedia. Etwaige Parallelen zur Nupedia sind ganz zufällig.

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The Wikipedia Ltd. nach Christophe Henner

Als Reaktion auf sinkenden Spendeneinnahmen in Folge der steigenden Lebensmittelpreise nach den Turbulenzen auf den Finanzmärkten und Mißernten im Zuge der globalen Klimaveränderung beschloss die Wikimedia Foundation sich in ein kommerzielles Unternehmen umzuwandeln und verkaufte Werbeflächen in der Wikipedia. Dies war erst der Anfang des erfolgreichsten Medienunternehmens des vergangen Jahrzehnts. Im Jahr 2022 zahlt man nicht nur dafür, die Wikipedia werbefrei zu lesen, man zahlt auch dafür in der Wikipedia editieren zu dürfen, man zahlt für die Nutzung der Wikipedia und natürlich sind die Möglichkeiten der Werbung viel ausgefeilter als einfache Clips am Rande der Artikel. Der Börsengang steht unmittelbar bevor.

“Back to the Roots and have fun” meint Melissa Parisi

Die Wikipedia ist zu ihren Anfängen zurückgekehrt. Jeder kann einfach sich auf das Editieren konzentrieren, die Edit-Wars haben aufgehört und man hat einfach wieder Spaß daran in der Wikipedia mitzuarbeiten.

L für Linking up, der 2. große Online Trend. Hier dargestellt durch eine Kunstinstallation im Stromnetz von San Franzisko.

Alle Museen sind wikifiziert orakelt Glambora

GLAM Institutionen im Jahr 2022 begrüßen längst keine Besucher mehr, sondern interagieren mit Usern über die präsentierten Inhalte. Die gesellschaftliche Relevanz des kulturellen Erbes definiert sich nahezu ausschließlich über die Publikumsinteressen. Sinneserfahrungen, emotionale Narrative und Authenzitität sind zentrale Motive für einen Ausstellungsbesuch. Raumerfahrung und Kontextualisierung sind die entscheidenden Kriterien zum Erleben der Sammlungen vor Ort. Unterstützen lässt sich der emanzipierte User hierin durch einerseits seine sozialen Netzwerke, die ihm / ihr Orientierung im enormen Kultur- und Informationsangebot versprechen, andererseits durch Wissensaggregatoren wie die Wikipedia, die ihn / sie über geeignete Schnittstellen auf seine /ihre Bedarfe zugeschnittene Hintergrundinformation zum Objekt bieten. Im Netz stellt er / sie ganz individuell digitale Inhalte zusammen und generiert daraus neue Interpretationsansätze. Die Mitarbeiter der GLAM-Einrichtungen diskutieren in den jeweiligen Foren diese Interpretationen mit den Usern. Forschung im akademischen Sinne stellt nur einen Bruchteil der Arbeit dar, das Befüllen der Wikipedia Plattformen ist in das Zentrum gerückt. Entscheidend für die Wikipedia war es, dass interaktive Anwendungen sich einfach in die Wikipedia integrieren ließen.

Die Wikipedia wandert in den Untergrund glaubt Dirk Franke

In zehn Jahren editiert nur noch eine Elite tatsächlich in der Wikipedia. An der quirligen Oberfläche buhlen unzählige Apps ( ) und APIs um die Gunst des Lesers. Sie alle speisen sich aus der Wikipedia. Zum Beispiel: Bots lesen Artikelinhalte aus und lesen sie vor, wenn man etwa vor einem Denkmal steht. Den meisten Anwendern ist gar nicht bewusst, dass sie die Wikipedia-Inhalte nutzen und die meisten Wikipedia-Autoren sind darüber auch nicht unglücklich. So können sie ungestört von den immer wilderen und schrilleren Inhalten ihren Mikrokosmos der komplexen Regularien der Wikipedia pflegen. Es ist nur eine kleine Schar von Savants, die so zusagen im Keller des Wissens die Wikipedia in Reinkultur fortführen.

Stimmen aus dem Auditorium

Aus Indien: Es gibt nur noch eine Wikipedia und ein Übersetzungsprogramm für alle Sprachen dieser Welt.

Aus Hongkong: Wiki wird zum allumfassenden Lebensstil. Selbst das reale Leben ist wikifiziert.

Aus Südafrika: Der Regionalität des Wissens wird mehr Rechnung getragen und aus der Gegenwart fallendes Wissen wird multimedial in der Wikipedia konserviert.

Aus Deutschland: Wikipedia wird es zwar noch geben, aber der Bildungsaspekt wird sehr viel wichtiger sein als heute.

Aus Niederlanden: Wikipedia findet Eingang in die Grundschulen. Das Problem der nur kurzzeitig relevanten Artikel, die nicht aktualisiert werden, wird gelöst sein.

Aus Hongkong: Durch exzessives Crowd Sourcing werden alle verfügbaren Daten in die Wikipedia integriert und über entsprechende Schnittstellen so aufgearbeitet, dass ich mich über jedes Ding oder Thema meiner Wahl auf dem Niveau informieren kann, wie ich es in diesem Augenblick wünsche.

Aus den USA: Das Vorbild der Wikipedia als riesiges globales Projekt der Zusammenarbeit strahlt auf andere gesellschaftliche Bereiche aus.

Aus Deutschland: In der Zukunft werden nicht aktualisierte Artikel automatisch gelöscht.

Aus Argentinien: In zehn Jahren gibt es entweder eine chinesische Wikipedia oder gar keine mehr.

Aus Südafrika: Die Wikimedia Foundation muss gegebenenfalls in eine Region umziehen, wo Pressefreiheit wirklich garantiert wird.

Aus unbekannt: In der Zukunft können wir auch das verborgene Wissen auf den Diskussionsseiten für die Wikipedia nutzen.

V für Visualisierung. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, sprach Napoleon. Der 3. der Online Trends.

Jetzt kam der Applausometer zum Einsatz. Zwei Tendenzen standen zur Wahl.

Option A: Die Wikipedia bewahrt ihre Qualität und ihre Grundsätze.

Option B: Die Wikipedia öffnet sich. Sie wird bunt, multimedial und schließt interaktive Anwendung ein.

Ein Brausen, Trampeln, Klatschen und Johlen ließ den Staub der Ehrwürdigkeit des Jokey Auditoriums im Saal tanzen und dann stand das Ergebnis fest. 91 Dezibel wurden für die Option B gemessen. Das war doppelt so laut wie für Option A. Eine Mehrheit der Zukunftsforscher im Saal sieht die Zukunft der Wikipedia demnach in der Öffnung.

Und wie sehen Sie die Zukunft der Wikipedia? Schreiben Sie uns Ihren Kommentar oder nehmen Sie teil an der Umfrage “Predict Wikipedia’s future”.

Bildnachweise:

Bild 1: Katja Ullrich via Wikimedia Commons CC BY SA
Bild 2 Katja Ullrich vie Wikimedia Commons CC BY SA
Bild 3 Napoleon traversing the Alpes. Painting by J.L. David, Schloss

Charlottenburg Berlin via Wikimedia Commons CC BY SA

 

Kommentare

  1. Arjuna Rao Chavala
    9. Oktober 2013 um 15:15 Uhr

    Thanks Barbara for the blog post. I am able to understand thanks to Google Translate. As mentioned in the discussion, I do hope that translationtechnology improves so that we have a good quality single wikipedia with live summary of content translated from the content in various languages.

  2. […] on his website. You can get more context about his motivation for writing it here. Und für noch mehr Kontext. […]

  3. southpark
    27. August 2013 um 16:31 Uhr

    Marcus,

    ” ich bin noch nie so demotiviert, so demoralisiert, aus einer Wikimedia-Veranstaltung gekommen wie aus dieser” – welcome to my world. immerhin leide ich auf hohem niveau an wikipedia ;-)

    aber um mal hurra-iger in die zukunft zu schauen:

    ich weiß nicht. In quasi allen Visionen ist “das Projekt” doch flexibel. Manchmal so flexibel, dass man es nicht mehr erkennt, aber keine Version ist doch statisch. Am konservativsten ist Melisa, bei der Wikipedia wieder zu sich selbst findet, bei Benjamin tut sie das auch, nur über Umwege.

    Bei den anderen existiert Wikipeida ja noch. Die Frage ist eher: ist es noch Wikipedia? Und: was macht Wikipedia zur Wikipedia und wann wird sie etwas anderes? Um mal Benjamins Beispiel zu nehmen: inhaltlich ist das Wikipedia 2003, es heißt nur anderes. Bei mir ist es Wikipedia 2013, nur gibt es noch ein großes Ökosystem drumherum. Bei Barbara hat die Integration Wikipedia/Ökosystem besser geklappt.

  4. Marcus Cyron
    15. August 2013 um 18:28 Uhr

    @ Pavel: das habe ich einigen der Referenten persönlich nach der Veranstaltung gesagt. Ich finde kaum eine der Visionen angenehm. Im Gegenteil. Die Meisten sind erschreckend, weil sie von einer völligen Unflexibilität unseres Projektes ausgehen, was zu dessen Ende in der aktuellen Form führt und bestenfalls als Steinbruch für Anderes dient. Keine der Zukunftsvisionen gibt mir einen Grund weiterzumachen, da es alles ja eh untergehen MUSS.

    Daß es Weiterentwicklungen geben muß, ist klar. Und daß unsere Communitie(s) unflexibel sind, ist auch klar. Aber ich hoffe doch, daß wir doch noch nicht dem Untergang geweiht sind, sondern uns mitwandeln und weiter entwickeln. Aber das kam letztlich in keiner der Utopien – oder wohl eher Dystopien – vor. Erst die Diskussion wurde vor allem dank des Inders und einiger anderer Beiträge zur Rettung. Ich fand die Veranstaltung verstörend schlimm.

  5. Pavel Richter
    15. August 2013 um 11:00 Uhr

    Hallo Marcus, oh, wie kommt es denn? Bzw. wo hast Du dazu schon etwas geschrieben?

    Pavel

  6. Marcus Cyron
    14. August 2013 um 21:16 Uhr

    Ich kann nicht anders als es hier noch einmal zu schreiben: ich bin noch nie so demotiviert, so demoralisiert, aus einer Wikimedia-Veranstaltung gekommen wie aus dieser.

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