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Zwischen Datensätzen, Währungswechseln und Weltverbesserung

Seit 2021 koordiniert Wikimedia Deutschland das Projekt „Software Collaboration for Wikidata“, das bis Juni 2025 vom Arcadia Fund gefördert wurde. Das Ziel: lokale Sprach-Communitys darin unterstützen, marginalisierte Sprachen ins Internet zu bringen. Wikidata, das ist eine offene, mehrsprachige Datenbank, die Wikipedia mit freien Daten unterstützt. Eine weltweite ehrenamtliche Community fügt beständig Informationen hinzu und pflegt sie. Das hat Wikidata inzwischen zu einem wertvollen Datenschatz für Softwareentwickler*innen gemacht.

In diesem Interview blicken die Wikimedia-Projektverantwortlichen Maria Heuschkel und Maria Lechner zurück auf vier bewegte Jahre. Auf organisatorische Hürden, kulturelle Lernprozesse und technische Highlights. Sie erzählen, wie Sprachgerechtigkeit mit Wikidata entstehen kann und was sie an den Software-Tools, die im Rahmen des Projekts entstanden sind, begeistert.

Insgesamt sind im Rahmen des Projekts drei Tools und eine Trainingsreihe entstanden: Das indonesische Team hat das Tool Lexica entwickelt, das es leichter macht Sprachdaten zu Wikidata hinzuzufügen. Bei OneClickInfo, einer Entwicklung aus Ghana, handelt es sich um eine Browsererweiterung, die auf einen Klick die Bedeutung von Begriffen in beliebigen Internettexten mit Hilfe von Wikidata erklärt – und das in bevorzugter Sprache. QuickStatements ist eine bereits existierende Anwendung, die die Bearbeitung mehrerer Einträge in Wikidata erleichtert. Eine Gruppe von Wikimedia Brasil hat dem Tool nun ein großes Update verpasst. Außerdem hat ein Team aus Nigeria mit Wiki Mentor Africa eine große Trainingsinitiative umgesetzt. Sie haben Workshops und Hackathons in ganz Afrika durchgeführt – sowohl online als auch hybrid. Damit hat das Team viele Menschen befähigt, mit Wikidata zu arbeiten, um ihr Wissen in ihrer Sprache ins Internet zu bringen.

Hallo ihr zwei! Wie kam es zu dem Projekt “Software Collaboration for Wikidata”?

Maria Heuschkel: Das Projekt startete 2021 mit dem Ziel, Softwareentwicklung im internationalen Wikimedia Movement breiter aufzustellen. Das Movement, das ist die Gesamtheit aller Organisationen und Gruppen, die sich weltweit für Wikipedia, die Schwesterprojekte, wie Wikidata oder Wikimedia Commons und damit für Freies Wissen einsetzen.

Die Softwareentwicklung für die Projekte übernehmen bisher jedoch nur zwei Organisationen: Die Wikimedia Foundation in San Francisco und Wikimedia Deutschland. Wir wollen, dass auch andere Wikimedia Organisationen und Gruppen aktiv mitentwickeln.

Maria Lechner: Denn wir sind der Meinung, dass Software besser wird, wenn die Menschen, die sie nutzen, sie auch mitgestalten. Das ist ein Grund dafür, dass wir die Softwareentwicklung stärker dezentralisieren wollen.

Warum wurde das Thema Sprachenvielfalt zum Fokus des Projekts?

Maria Heuschkel: Weil es einen großen Bedarf gibt. Aktuell ist die am stärksten vertretene Sprache im Internet Englisch. Mit Werkzeugen für kleine Sprach-Communitys können Unternehmen wenig Profit machen. Deshalb gibt es für manche Sprachen keine Technologie und schlimmstenfalls keinen Zugang zu Informationen im Internet. Umso wichtiger ist es, dass man da einen dezentralen Ansatz verfolgt und lokale Communitys stärkt.

Maria Lechner: Unser Ziel ist es, das Wissen der Menschheit allen Menschen zugänglich zu machen. Das geht nicht, wenn große Teile der Welt sprachlich ausgeschlossen werden.

Warum spielt die offene Wissensdatenbank Wikidata eine so zentrale Rolle in dem Projekt?

Maria Lechner: Wikidata ist nicht nur eine offene Wissensdatenbank, es ist ein Wissensgraph – die Daten sind so strukturiert, dass Maschinen sie verstehen und verschiedene Informationen miteinander in Beziehung setzen können. Das ist entscheidend, um unterrepräsentierte Sprachen digital sichtbar zu machen. Alles steht unter freier Lizenz, sodass andere die Daten für ihre Softwareentwicklungen weiterverwenden können.

Maria Heuschkel: Und ganz praktisch: Wikimedia Deutschland ist für die Entwicklung von Wikidata zuständig. Das heißt, wir können leichter Entscheidungen treffen und frei mitgestalten.

Wikidata Team mit Tochi Precious, mittig in der ersten Reihe und ganz oben Benedict Nnaemeka Udeh  – Projektkoordinator*innen von Wiki Mentor Africa.
Wikidata Team mit Tochi Precious, mittig in der ersten Reihe und ganz oben Benedict Nnaemeka Udeh – Projektkoordinator*innen von Wiki Mentor Africa.

Wie habt ihr eure Projektpartner gefunden oder wie wurdet ihr gefunden?

Maria Heuschkel: Zu Beginn haben wir einen offenen Aufruf im Wikimedia Movement gemacht. Daraufhin entstanden relativ schnell unsere ersten Partnerschaften mit Wikimedia Indonesia und der Igbo Wikimedians User Group aus Nigeria. Die hatten sofort großes Interesse.

Maria Lechner: Wikimedia Indonesia war ein perfekter Partner. Dort gibt es rund 700 Sprachen und Dialekte! Aus dieser Zusammenarbeit hat sich später das Team Wikicollabs entwickelt, mit dem wir seit 2023 zusammenarbeiten. Später kamen dann Wikimedia Brasil und die Gruppe OneClickInfo aus Ghana dazu.

Wie sah die Zusammenarbeit mit den Partnern konkret aus? Welche Aufgaben hat Wikimedia Deutschland übernommen? Welche die lokalen Teams?

Maria Lechner: Zu Beginn haben wir eng mit beiden Teams aus Indonesien und Nigeria zusammengearbeitet, um ihre Projektziele zu verstehen und herauszufinden, wie wir sie am besten unterstützen können. Die Ansätze waren sehr unterschiedlich. Zum Beispiel wollte Wikimedia Indonesia ein Tool zur Sprachenvielfalt entwickeln – da halfen wir bei der Projektidee, Zielgruppenanalyse und UX-Methoden.

Von Wikimedia Deutschland waren unsere UX-Researcher, Engineering Manager und auch Lydia Pintscher, Wikidata-Portfolio Lead, involviert, um Know-how zu vermitteln – sowohl zur technischen als auch sozialen Struktur von Wikidata. Am Ende ist dabei das Tool Lexica entstanden.

Das Team aus Nigeria, die Igbo Wikimedians User Group, wollte Capacity Building betreiben. Das heißt, sie wollten Menschen in ganz Afrika das Knowhow zur Arbeit mit Wikidata vermitteln. Wir und der Community-Manager von Wikidata haben das Team bei der Gestaltung und Durchführung des Programms von Wiki Mentor Africa begleitet.

Und wir haben zudem den administrativen Teil der Arbeit übernommen: Kommunikation mit den Geldgebern, Stakeholder-Management, Buchhaltung.

Wikidata Team und Wikicollabs-Teammitgliedern. Vordere Reihe von rechts nach links: Kenny Tjahjadi, Raisha Abdillah, Harri Rahdian. Nicht auf dem Bild, aber auch Teil des Teams: Kartika Sari.
Wikidata Team und Wikicollabs-Teammitgliedern. Vordere Reihe von rechts nach links: Kenny Tjahjadi, Raisha Abdillah, Harri Rahdian. Nicht auf dem Bild, aber auch Teil des Teams: Kartika Sari.

Was waren eure größten Learnings in der Zusammenarbeit mit den lokalen Teams?

Maria Heuschkel: 2021, mitten in der Pandemie, war persönliche Zusammenarbeit kaum möglich. Erst als wir 2024 nach Jakarta reisen konnten, wurde mir so richtig klar, wie wichtig echte Treffen sind – fürs Vertrauen, die Kommunikation, das gegenseitige Verständnis. Wenn man sich kennt, kann man offener und konstruktiver zusammenarbeiten. Außerdem sind unsere Bedingungen in Deutschland oft deutlich privilegierter bei Themen wie Visa oder Reiserichtlinien.

Maria Lechner: Ich habe viel über digitale Barrieren gelernt: In Nigeria stellte sich z. B. die Frage, wie man an einem Online-Event teilnimmt, wenn man nur ein Handy und instabiles Internet hat. Auch finanzielle Unterstützung für Teilnehmende muss organisiert und koordiniert werden – das ist nicht trivial, wenn Internet-Gutscheine an 500 Leute aus ganz Afrika gesendet werden sollen. Spannend fand ich auch die Entwicklung des indonesischen Tools. Dort gibt es einige Gamification Fans – die Community hatte über mögliche Highscore-Ansichten und spielerische Elemente bei der Entwicklung von Lexica diskutiert. Das zeigt, wie unterschiedlich Community-Bedürfnisse weltweit sein können und wie herausfordernd es sein kann, diese mit etablierten Standards in Einklang zu bringen.

Welche größten Herausforderungen sind euch in der ersten Projektphase begegnet?

Maria Lechner: Eine große Herausforderung war die Sprachbarriere. Wir wollen divers und lokal sein, aber viele Projektanforderungen setzen Englisch auf hohem Niveau voraus. Das schränkt potenzielle Partner und Talente ein. Wir müssen da unbedingt besser werden, wenn wir wirklich dezentral und inklusiv arbeiten wollen.

Maria Heuschkel: 2023 zog sich Wikimedia Indonesien aus der Partnerschaft zurück, aber das Software-Team gründete sich als Wikicollabs neu – zum Glück, so konnte die Arbeit weitergehen.Trotzdem: Als außenstehende Organisation, die geografisch und kulturell weit weg ist, ist es schwer, die Lage vor Ort richtig einzuschätzen und zu unterstützen. Glück hatten wir damit, dass Arcadia als Förderer verstand, dass es für jeden Projektplan auch noch die Realität da draußen gibt.

Mitglieder von Wikimedia Brasil.
Mitglieder von Wikimedia Brasil.

Was sind die Ergebnisse aus der ersten Projektphase? Auf welche Entwicklungen seid ihr besonders stolz?

Maria Heuschkel: Es gibt jetzt echte Software-Teams, die Wikidata und das Wikimedia Movement mit technischer Kompetenz voranbringen. Das war vor Jahren noch eine Vision, jetzt ist es Realität! Und die Tools, die entwickelt wurden, sind toll! Zum Beispiel Lexica, das Spaß macht, weil es leicht wird, Sprachdaten in Wikidata hinzuzufügen. Die Igbo Wikimedians User Group mit ihrem Wiki Mentor Africa Programm erreicht viele Leute, die ihre Wikidata-Skills erweitern wollen. Auch QuickStatements, das durch Wikimedia Brasil stark verbessert wurde, hat jetzt Nutzerzahlen, die durch die Decke gehen – einfach beeindruckend.

Maria Lechner: Ich finde großartig, wie selbstbewusst und motiviert die Teams sind. Sie bringen viele neue Ideen, haben Freude und einen Entdeckergeist, den wir unbedingt stärken wollen. Das macht das Wikimedia Movement insgesamt resilienter und ich freue mich, dass wir das wirklich unterstützen konnten.

Der Fördervertrag mit Arcadia lief im Juni 2025 aus – was sind nun die nächsten Schritte?

Maria Lechner: Wir planen gerade eine zweite Phase mit viel mehr Erfahrung und noch klareren Zielen. Unsere Partner – Wikimedia Brasilien, Wikicollabs und die Igbo Wikimedians User Group – wollen weiter mit uns arbeiten und haben Interesse daran, weitere Software-Teams zu etablieren. Jetzt sitzen wir alle zusammen und überlegen, wie wir die Projekte weiter ausbauen wollen. Das OneClickInfo-Team hat sein Projekt fürs erste erfolgreich abgeschlossen.

Derzeit läuft vor allem die Suche nach finanziellen Mitteln. Dabei suchen auch unsere Partner nach kleineren Förderungen für ihre Projekte, wobei wir sie ebenfalls unterstützen. Wir sind optimistisch, weil wir überzeugt sind, dass das Projekt wirklich einen Unterschied macht.

Wo wärt ihr mit dem Projekt in zehn Jahren am liebsten?

Maria Lechner: Ich träume von eigenständigen, finanziell unabhängigen Software-Zentren weltweit, die eng vernetzt sind und sich gegenseitig inspirieren.

Maria Heuschkel: Genau, auf jedem Kontinent ein Software-Center, das Tools baut, um Freies Wissen und Open Data zu pushen. Damit hätten wir eine stabile technologische Infrastruktur, die das Movement auch in schwierigen Zeiten trägt.

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