Wikidata
Digitale Stolpersteine – Wie die Wiki-Community Erinnerungskultur voranbringt

Patrick Wildermann
5. März 2025
Der erste Stolperstein wurde in Deutschland 1992 verlegt. Eine Messingtafel auf einem Betonwürfel ins Straßenpflaster vor dem Kölner Rathaus eingelassen. Damit begann das ambitionierte, inzwischen enorm gewachsene und immer noch andauernde Gedenk-Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Er möchte damit an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Die Stolpersteine werden meist vor dem letzten frei gewählten Wohnsitz oder der letzten Wirkungsstätte von Opfern des Nationalsozialismus verlegt. Inzwischen existieren europaweit etwa 116.000 Stolpersteine.
Der Stolperstein für Teresa Savino im Parco del Quintino in der italienischen Stadt Bergamo ist einer der vielen Stolpersteine außerhalb Deutschlands. Savino versorgte mit einer Freundin Menschen, die aus der Haft der Faschisten und Nationalsozialisten geflohen waren. Sie wurde deswegen von einem deutschen Militärgericht zu einer Haftstrafe verurteilt und kam 1944 nach Hagenau. Sie musste Zwangsarbeit für die deutsche Industrie in Ebersbach leisten und wurde am 22. April 1945 von alliierten Streitkräften befreit. Teresa Savio starb nach einem Autounfall am 27. Mai 1945 im Göppinger Krankenhaus.
Natürlich gibt es zu den einzelnen Verlege-Orten in Deutschland und Europa zahlreiche Listen in der Wikipedia. Im Medienarchiv Wikimedia Commons sind viele der Gedenksteine fotografisch dokumentiert, in der freien Wissensdatenbank Wikidata existieren Einträge, die unter anderem Angaben zu den Personen, Verlege-Daten oder den geografischen Koordinaten enthalten. Die Stolpersteine scheinen gut dokumentiert zu sein.

Ein Projekt mit Botschaft
Allerdings waren diese Informationen bislang nicht oder nur teilweise miteinander verknüpft. Daher hat eine Gruppe von Wikipedianer*innen um die Initiatoren Nortix08 und Cookroach das kollaborative Projekt mit dem Arbeitstitel „Stolpersteine goes Wikidata“ angeschoben. Die Vision des Vorhabens ist es, alle Stolpersteine und die Informationen zu Personen und Lage sowie die Bilder digital verfügbar zu machen und miteinander zu verbinden. Und zwar „indem wir die drei Welten Wikipedia, Commons und Wikidata thematisch zusammenführen“, so Cookroach. Startschuss war eine Präsentation des Themas auf der WikiCon 2024.
Als einen der Impulse für das Vorhaben beschreibt er den Zukunftskongress 2024 in Nürnberg. Dort hätten viele Teilnehmende beklagt, dass die einzelnen Communitys der Wikimedia-Projekt oft mit Tunnelblick nebeneinander her arbeiten. „Wir wollen mit unserem Projekt auch zeigen, dass es einen Mehrwert für alle ergibt, in den drei Schwester-Projekten parallel ein Thema voranzubringen“, erklärt Cookroach.
Wobei natürlich auch die Bedeutung der Stolpersteine eine Rolle spielt: „Wenn man so ein Projekt angeht, sollte es eine klare Message haben“, betont der Wikipedianer. Die Auseinandersetzung mit dem Erbe des Nationalsozialismus, Erinnerungskultur im digitalen Zeitalter und dem Gedenken an die Opfer sei gerade angesichts eines zunehmend rechtspopulistischen Zeitgeistes auch ein Statement.
Die Dringlichkeit eines solchen Zeichens wurde Cookroach zuletzt noch deutlicher bewusst bei Besuchen in der Gedenkstätte Buchenwald, oder im Museum Auschwitz-Birkenau während der Wikimania 2024 in Katowice: „Wir wollen vermitteln, dass wir Verantwortung für die Geschichte tragen – we must never forget all these victims“. Zum Plan gehört es, in einer späteren Projektphase jeder Person, der mit einem Stolperstein gedacht wird, einen biografischen Eintrag in den Wikis zu widmen – damit die Geschichten der Opfer nicht vergessen werden.
Fortschritt dank Technik & Community
Cookroach – dessen Leidenschaft es ist, „in Wikidata Objekte mit Koordinaten zu versehen“ – begann schon vor einigen Jahren, die Einträge der Stolpersteine in der freien Datenbank zu vervollständigen. Über einen Kontakt zum lokalen Raum Wikipedia:Hannover lernte er Nortix08 kennen, der sich in Niedersachsen mit den dortigen Stolpersteinen beschäftigt. Aus dieser Begegnung entstand die Idee zum Projekt der digitalen Verfügbarmachung der Messingtafeln – und zur Vernetzung von Informationen zu den Steinen und den Menschen, an die sie erinnern. Eins ist den Initiatoren wichtig: Es soll ein gemeinsames Community-Projekt werden. Vorgestellt haben die beiden es erstmals auf der WikiCon 2024.
„Stolpersteine goes Wikidata“ soll in drei Phasen verlaufen. Im ersten Schritt geht es darum, sämtliche Stolpersteine als Objekte in der freien Datenbank anzulegen. „Damit wir diese Arbeit nicht komplett händisch erledigen müssen, nutzen wir das Tool OpenRefine, mit dem sich mehrere Objekte gleichzeitig anlegen lassen“, erklärt Cookroach. „Allein in Frankfurt am Main gibt es etwa 2.000 Stolpersteine, jeder davon sollte als Daten-Objekt circa 16 Eigenschaften besitzen, die in einem Schema vereinbart wurden.“ Die entsprechenden Wikipedia-Listen einzeln abzutippen, würde enorm viel Zeit in Anspruch nehmen. „Mit technischen Hilfsmitteln und in gemeinsamer Arbeitsteilung im Team geht es aber voran.“
Seit Cookroach im Mai 2024 begann, die Stolperstein-Datenobjekte anzulegen, „hat sich ihre Zahl in Wikidata auf heute fast 36.000 verdoppelt – und wir haben ja gerade erst begonnen! Das war nur im Team schaffbar“. Das Ziel der ersten Projektphase sei es, etwa 50 Prozent der aktuell rund 116.000 Stolpersteine anzulegen.
Optimierbare Suchergebnisse
Die zweite Phase soll sich – voraussichtlich ab 2026 – auf Wikimedia Commons fokussieren. Das Ziel ist, die vorhandenen und noch hochzuladenden Bilder der Stolpersteine neu zu sortieren und in Kategorien zu ordnen. „Bislang sind die Stolpersteine in Commons nach Städten oder Gemeinden gruppiert. Aber man findet unter 2000 Bildern aus Frankfurt am Main nicht ein bestimmtes“, so Cookroach. Der Plan: „Wir ordnen jedem Bild die strukturierten Daten des zuvor angelegten Wikidata-Objekts zu und geben jedem Stolperstein eine Kategorie, zum Beispiel: ‚Stolperstein für Person X in Stadt Y‘“. Der große Vorteil: Bei einer Namenssuche in Suchmaschinen sind die entsprechenden Bilder dadurch schneller auffindbar.
Die angelegten Commons-Kategorien können dann mit Hilfe der Vorlage „Wikidata Infobox“ mit den dazugehörigen Datenobjekten verbunden werden. Die Vorlage enthält weitere Informationen und Verknüpfungen – zum Beispiel zu Biografien oder Wikipedia-Artikeln. „Das erhöht die Suchrelevanz erheblich und schafft eine Verbindung zwischen den Projekten”, beschreibt Cookroach. Bezüglich der Recherche zu den Biografien ist er optimistisch: „In vielen Orten existieren regionale Vereine und Initiativen, die Informationen zu den Stolpersteinen sammeln und veröffentlichen. Zusätzlich sind wir dabei, ein umfangreiches Quellenverzeichnis zur Recherche zusammenzustellen, das wir dann allen Autoren zur Verfügung stellen können.“ Dazu zählen Websites wie yadvashem.org, arolsen-archives.org oder holocaust.cz.
Zukünftige Wikis mitgestalten
Die dritte Phase soll frühestens Ende 2026 beginnen, sobald auch bei Commons ungefähr 50 Prozent der Stolpersteinbilder kategorisiert und strukturiert sind. Sie umfasst Angebote an die Community zu Verbesserungen in der Wikipedia: „Das Vorlagen-basierte Erstellen von Tabellen steht als Option ebenso zur Diskussion wie Visualisierungen mit Hilfe von Tools und Karten“, so Cookroach. „Selbst eine Webanwendung in Form einer App könnte sich daraus entwickeln – wir sind da offen.“
Jeder Teilabschnitt des Projekts soll transparent via Dashboards dokumentiert werden, was unter anderem zukünftigen Beteiligten helfen kann, sich schnell einzuarbeiten. Denn natürlich sind Mitstreiter*innen willkommen, die sich an den einzelnen Phasen von „Stolpersteine goes Wikidata“ beteiligen wollen. Arbeit gibt es genug: „Neben der Quellenrecherche zu den fehlenden Biografien muss auch einiges händisch erledigt werden, zum Beispiel die Verlinkung der Quellen, die Kontrolle der Koordinaten oder die Verknüpfungen zu bereits vorhandenen Datenobjekten wie Personen, Straßen und Gebäuden”, beschreibt Cookroach. „Wie in der Wikipedia haben auch wir uns im Projekt Qualitätskriterien gesetzt, die es zu erfüllen gilt.“
Worauf es Cookroach und dem mittlerweile 10-köpfigen Projektteam ankommt: „Unser Projekt soll ein Leuchtturm dafür sein, wie man mit der Wiki-Technologie Sinnvolles zu einem Thema entstehen lassen kann. Wir möchten Andere inspirieren, sich mit ihren eigenen Themen ebenso zu engagieren und über den Tellerrand hinauszublicken“. Ob das gelinge, werde sich spätestens zur WikiCon 2027 zeigen, wo die Ergebnisse dann vorgestellt werden sollen. Derweil entwickelt Cookroach schon weitere Ideen: „Warum nicht auch alle Gedenkstätten digital abbilden, oder die Orte der Zwangsarbeit sichtbar machen? Wir haben viele Pläne. Aber jetzt erstmal Schritt für Schritt.“
Meine Mail an die österreichische Organisation »info@steinedererinnerung.net« danke für Ihre Mitteilungen über die Eröffnung von Steinen in Wien, die ich von meinem Domizil in Heidelberg mit Anteilnahme verfolge. Ich möchte Sie auf das Projekt von Wikimedia aufmerksam machen, die Erinnerung an verlegte Steine digital zu vernetzen. Es gibt eine österreichische Wikimedia, die Sie kontaktieren könnten. Ich glaube, dass verschiedene Gedenk-Initiativen in dem Projekt zusammen geführt werden sollten.
Sehr geehrtes Projekt-Team, ich schreibe Ihnen vom Projekt Steine der Erinnerung aus Wien, da ich auf Ihr Projekt hingewiesen wurde. Wir setzen in Wien Gedenksteine, die aber keine Stolpersteine sind angelehnt an das Projekt Stolpersteine, aber nicht ident in der Ausführung. Hätten Sie Interesse unsere Steine ebenfalls in Ihr Projekt zu integrieren? Danke und beste Grüße Daliah Hindler
Sehr geehrte Frau Hindler, herzlichen Dank für Ihre Nachricht. Das Projekt wird von ehrenamtlichen Wikipedia- und Wikidata-Editierenden betrieben. Wir, als Wikimedia Deutschland, unterstützen und fördern die Projekte, sind jedoch inhaltlich nicht beteiligt. Ihr Anliegen haben wir dennoch gerne weitergeleitet. Außerdem können Sie auf der Diskussionsseite des Projekts mit den Ehrenamtlichen in Kontakt treten:https://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:Cookroach/Projekt:Stolpersteine Die Diskussionsseite finden Sie direkt hinter der Artikelseite, wenn Sie den zweiten Reiter öffnen. Mit besten Grüßen