Franziska Kelch
29. September 2022
Für die aktuelle Ausgabe von „Wissen. Macht. Gerechtigkeit.“, die in Kooperation mit Deutschlandfunk Kultur entsteht, haben wir drei Expertinnen mit viel Erfahrung im Bereich Netzpolitik zum Gespräch gebeten. Es diskutierten die stellvertretende Vorsitzende des Digitalausschusses, Anna Kassautzki (SPD), die netzpolitische Referentin der Fraktion Die Linke im Bundestag, Anne Roth, und die Mitbegründerin des feministischen Tech-Think-Tanks SUPERRR Lab, Elisa Lindinger. Moderiert wurde das Gespräch von Christine Watty.
Gerechtigkeit und Digitalisierung sollten in der Digitalpolitik zusammengedacht werden. Das hat sich die Bundesregierung in der jetzigen Legislaturperiode auch vorgenommen. Ein wichtiger Impuls! Wir meinen: Dafür muss die Zivilgesellschaft einbezogen werden, denn von ihr gehen wertvolle Impulse aus.
Digitalpolitik = Gesellschaftspolitik
Oft kommen gesellschaftspolitische Fragen in digitalpolitischen Debatten zu kurz. Dabei werden alle Lebensbereiche von der Digitalisierung geprägt. Sie beeinflusst, wie wir arbeiten, kommunizieren oder Wissen erzeugen und verbreiten. Daher fordert Wikimedia Deutschland: Digitalpolitik muss auch darauf hinwirken, dass gesellschaftliche Probleme und strukturelle Machtgefälle im digitalen Raum nicht weiter reproduziert oder verstärkt werden. Eine feministisch geprägte Digitalpolitik kann dazu beitragen. Was heißt das konkret?
- Öffentliche Sicherheit: Staatliche Akteure müssen die Sicherheit aller Bürger*innen auch in digitalen Räumen gewährleisten Dort sind besonders häufig Frauen oder Minderheiten von Bedrohungen, Gewalt oder Diskriminierung betroffen. Um dagegen vorzugehen, braucht es eine stärkere Sensibilisierung in Polizei und Justiz, angepasste Straftatbestände und entsprechende personelle Ressourcen in den Behörden.
- Diskriminierungsfreie Algorithmen: Automatisierte Entscheidungssysteme regeln, wer Zugang zu staatlichen Leistungen, Waren, Bildung oder zu beruflichen Positionen erhält – und wer nicht. Dabei werden häufig Frauen und ethnische Minderheiten benachteiligt, zeigen Studien. Das sollte zu einer Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes führen. Es braucht eine Transparenzpflicht für diejenigen, die automatisierte Entscheidungssysteme entwickeln und nutzen.
- Mehr Vielfalt in der IT: Damit Technologien für möglichst viele Menschen nützlich sind und möglichst wenige Menschen ausschließen, brauchen wir mehr Frauen und mehr Minderheiten in der IT. Denn Technologien sind nicht neutral. Sie sind immer geprägt von denen, die sie produzieren und die Daten auswählen, mit denen sie gefüttert werden. Um den Gender-Gap in den IT-Berufen zu schließen, braucht es eine MINT-Förderung in Kindergärten und Schulen, die Jungen und Mädchen und nicht-binäre Personen gleichermaßen anspricht.
Was tut Wikimedia Deutschland?
Wikimedia Deutschland setzt sich seit Jahren dafür ein, dass Digitalpolitik als Gesellschaftspolitik begriffen wird. Wir engagieren uns für mehr Gemeinwohl in der Digitalpolitik indem wir daran arbeiten, dass unsere Kernforderung Öffentliches Geld – Öffentliches Gut! Realität wird. Außerdem strebt Wikimedia nach mehr Wissensgerechtigkeit. Denn mit dem „Wikimedia 2030“-Strategieprozess hat sich das Wikimedia Movement das Ziel gesetzt, mehr Vielfalt und damit mehr (Geschlechter-)Gerechtigkeit in den Wiki-Projekten zu fördern. Weil Machtunterschiede dazu führen, dass Wissen von und über marginalisierte Gruppen in Enzyklopädien und Datenbanken unterrepräsentiert ist. Wir arbeiten daran, das künftig zu ändern. Auch in der deutschsprachigen Wikipedia-Community gibt es Initiativen wie das FemNetz, die mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Wikipedia fördern wollen. Auch die Digitalpolitik muss Ungleichgewichte in digitalen Räumen im Blick haben und auf mehr Geschlechtergerechtigkeit hinwirken.
Auch die drei Expertinnen unserer Diskussionsrunde bei „Wissen. Macht. Gerechtigkeit.“ waren sich einig, dass feministische Perspektiven in der Digitalpolitik wichtig sind. Elisa Lindinger von SUPERRR Lab lobte, dass die Bundesregierung „Digitalisierung und Machtverhältnisse kritisch durchleuchten” wolle. Abzuwarten bleibe nun aber, „was an Projekten” folgt. Anne Roth merkte an, dass feministische Digitalpolitik „nur an einer Stelle” in der Digitalstrategie auftaucht. „Es reicht nicht, wenn es, überspitzt gesagt, ein kleines Eckchen gibt und da kriegen die Feministinnen auch was”, so die Politikwissenschaftlerin.
Was ist feministische Digitalpolitik eigentlich?
Ganz grundsätzlich, erklärte Elisa Lindinger, sei für sie feministische Digitalpolitik analog zur feministischen Außenpolitik ein „übergeordnetes Wertekonstrukt, kein konkreter Maßnahmenkatalog”. Auch „Klassenfragen und Fragen von Herkunft und Hautfarbe” spielen ihrer Ansicht nach dabei eine Rolle. Ähnlich äußerte sich Anne Roth. Für sie sei es wichtig, feministische Digitalpolitik nicht als eine Art Spezialdisziplin innerhalb des Politikfeldes zu betrachten. Sie mache Digitalpolitik immer aus einer feministischen Perspektive, erklärte die Netzaktivistin. Es müsse auch darum gehen, (feministische) Digitalpolitik als Querschnittsthema zu begreifen, sagte Roth. Sie verdeutlichte das am Beispiel häusliche Gewalt. Davon seien mehrheitlich Frauen betroffen – und es habe eine unterbelichtete digitale Komponente. Denn Messenger-Apps oder smarte Geräte im Haushalt können, so wie sie derzeit konzipiert sind, auch zur Überwachung und Kontrolle der Partnerin genutzt werden. Dafür fehle in der Politik und bei den Tech-Konzernen häufig das Bewusstsein, so Roth.
Machtungleichheiten in den Blick nehmen
Für Anna Kassautzki wirkt eine feministische Digitalpolitik darauf hin, dass die „Repräsentanz von Frauen im digitalpolitischen Bereich” zunimmt. Sie gründe daher gerade mit Politiker*innen die „allererste Frauenvernetzung der demokratischen Fraktionen” im Digitalausschuss, berichtete die Politikerin. Die Gründung eines analogen Netzwerks für digitale Politik ist für die junge Abgeordnete auch ein Beispiel dafür, dass man „gesellschaftliche Probleme nicht löst, indem man Technik drauf schüttet”. Viel zu häufig gelte Technologie, gelte KI als eine Art „Wunderwaffe”. Dabei gehe es immer noch darum, Geschlechterstereotype abzubauen und in Kitas und Schulen digitale und technische Kompetenz geschlechtsunabhängig zu fördern. Das unterstrich Elisa Lindinger, indem sie darauf verwies, dass in den „sogenannten Bindestrich-Informatiken” mittlerweile zwar immerhin mehr Frauen studieren als in der „klassischen Informatik”, das aber dazu führe, dass diese Disziplinen oft mit dem Begriff „Mädcheninformatik” abgewertet würden.