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Digitalisierung im Kultur- und Forschungsbetrieb – das Europäische Hansemuseum

Ein Interview mit dem Europäischen Hansemuseum und der Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums über Digitalisierung, digitale Kompetenzen und Coding da Vinci.

Alex Möller

2. November 2021

Als teilnehmende Institutionen beim Kultur-Hackathon Coding da Vinci haben wir mit dem Europäischen Hansemuseum und der Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums darüber gesprochen, was Digitalisierung in ihrem Alltag bedeutet.

Im Interview sprechen Dr. Angela Huang und Sören Affeldt über Chancen der Digitalisierung bei Vermittlung und Forschung, Improvisation im Lockdown und der Notwendigkeit von digitalen Kompetenzen im Museum.

 

Worin sehen Sie die Notwendigkeit für Digitalisierung in ihren Tätigkeitsfeldern?  

Angela Huang: „Notwendigkeit“ ist das eine, „Chancen“ sind das andere. Eine Notwendigkeit sehe ich gerade in dem Zugang zu digitalisiertem Quellenmaterial, das die Forschung deutlich befördern kann und gerade Forscher:innen ohne größere Budgets die Möglichkeit gibt, etwa Archivmaterialien umfangreich zu nutzen. 

Eine große Chance besteht darin, dass wir ganz andere Analysemöglichkeiten hätten. So nutzen wir an der Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums nicht nur die freie Texterkennungssoftware Transkribus, um Archivmaterial zur Hansegeschichte online für Forschung und Lehre (und alle anderen auch!) zugänglich zu machen, sondern beschäftigen uns zunehmend mit der digitalen Textanalyse auch historischer Quellen der Vormoderne. Können wir etwa tausende Seiten digital aufbereitete Originalquellen danach befragen, wie sich bestimmte Themen über die Zeit entwickeln? Das wäre für einzelne Forscher*innen und selbst für Teams „händisch“ etwa bei 300 Jahren hansischem Versammlungswesen kaum in einem sinnvollen Zeitrahmen für ein Forschungsprojekt zu leisten. 

Nicht zuletzt bin ich selbst fasziniert von den Möglichkeiten, Bürger*innen in die historische Arbeit mit einzubeziehen. Damit wollen wir nicht einfach nur Kosten für Fachkräfte einsparen, sondern ich glaube, dass so eine Beteiligung am Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens stattfinden kann, ein Austausch zwischen Bürger*innen und Forscher*innen. Die eigentliche Forschung oder das Training von Freiwilligen erfordert trotzdem immer Fachpersonal mit besonderen Fähigkeiten, aber ich glaube, dass wir gemeinsam weiterkommen können. 

Seit Juli 2017 leitet Dr. Angela Huang die Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums (FGHO) am Europäischen Hansemuseum.

Dr. Huang arbeitet zu Themen der Hansegeschichte, der nordeuropäischen Wirtschaftsgeschichte, zur Textilgeschichte sowie zur vergleichenden Stadtgeschichte. (Foto: Olaf Malzahn)

Sören Affeldt studierte Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie, Betriebswirtschaftslehre und Erziehungswissenschaften in Hamburg und Frankfurt am Main. Für das Archäologische Museum Hamburg entwickelte er museumspädagogische Angebote. 2017 kam er an das Europäische Hansemuseum Lübeck und übernahm die Leitung der dortigen Bildung & Vermittlung. Seit Januar 2021 ist er für die gesamte Kommunikation des Hauses verantwortlich. (Foto: Olaf Malzahn)

Sören Affeldt: Einmal sollten natürlich auch Museen möglichst effizient und modern Arbeiten, da bringt – glaube ich – die Digitalisierung viele Möglichkeiten mit sich.

Die Aufgabenfelder von Museen sind Sammeln, Bewahren, Erforschen und Vermitteln unseres kulturellen Erbes. Da das Europäische Hansemuseum Lübeck keine Sammlung hat, spielen die ersten beiden Aufgaben für das Haus eine untergeordnete Rolle. Die Sicht der Forschung wird hier von Seiten der Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums durch Frau Dr. Huang bearbeitet, deshalb gehe ich auf die Vermittlung ein.

Museale Vermittlung will kulturelles Erbe – egal ob materiell oder immateriell – erst einmal erklären und im Idealfall möglichst vielen Menschen zugänglich machen. Ein Museum sollte aber auch ein Ort zum Austausch über aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen sein. In der Auseinandersetzung z.B. mit dem Thema „Hanse“ sollen Nutzer*innen unseres Museums angeregt werden über ihre Lebenswelt zu reflektieren. Also wir wollen Bilden und Inspirieren.

Jeder Mensch lernt auf eine eigene Weise; es gibt verschiedene Lerntypen und hier kann Digitalisierung helfen. Moderne Techniken ermöglichen ein immer stärker individualisiertes Lernen. Eine KI z.B. wird einen Museumsbesuch für jede*n Besucher*in abstimmen können und so zu einem besseren Lernergebnis führen. Auch die Verknüpfung von formellen und informellen Bildungssituationen wird wahrscheinlich einfacher werden. Schulische Inhalte, die digital aufbereitet sind können leichter auch in Museen zum lernen genutzt werden. Die Museen werden sich stärker in den digitalen Raum öffnen und so mehr Menschen erreichen, die vorher durch Distanz oder Öffnungszeiten abgehalten worden sind.

Das sind einige Chancen, welche die Digitalisierung mit sich bringt. Die Notwendigkeit für Museen sich mit der Digitalisierung zu beschäftigen sehe ich allerdings woanders: Die immer stärkere Nutzung von Computern in all unseren Lebensbereichen ändert ganz grundsätzlich die Wahrnehmung und das Lernverhalten der Menschen. Sehgewohnheiten ändern sich; Bildung funktioniert immer weniger über Texte und immer mehr über Videos, Audios, Animationen und hybride Formate. Dies zwingt auch die Museen ihre Vermittlung anzupassen.

Was sind die größten Herausforderungen für Sie im Bereich der Digitalisierung?

Angela Huang: Langzeitlagerung ist ein deutliches Problem – hier hat sich Papier bewährt, da muss man immerhin kein Update machen. Scherz beiseite: Datenformate entwickeln sich stetig, vor allem aber fehlen gute Infrastrukturen und zentrale Schnittstellen. Das gilt insbesondere für kleinere Einrichtungen wie uns, die selbst auf gar keinen Fall eine solche Infrastruktur aufbauen kann. 

Außerdem fehlt es uns Geisteswissenschaftler*innen oft an technischem Know How. Was ist möglich, was ist nötig, was ist nachhaltig? Ich bin in diesen Bereichen zwar interessiert, aber nicht spezialisiert. Da brauche ich fähige Ansprechpartner:innen, um gute Entscheidungen in meiner Projektplanung machen zu können. 

Insgesamt ist es einfach wichtig, dass Initiativen wie die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) sich zügig weiterentwickeln. Das Schaffen von Grundlagen und Lösungen, die breit genutzt werden können, das gemeinsame Lernen und der Austausch müssen ebenso wichtig sein, wie kürzer ausgelegte, von aktuellen Forschungstrends motivierte Projekte. 

Nicht zuletzt müssen wir das Personal für die Zukunft ausbilden – nicht selten gibt es Stellen, aber kaum Bewerber, die (für die gebotenen Bedingungen) diese besetzen können. Wenn wir sie heute nicht ausbilden, dann wird es sie morgen auch nicht geben.

„Langzeitlagerung ist ein deutliches Problem – hier hat sich Papier bewährt, da muss man immerhin kein Update machen.“Dr. Angela Huang

Sören Affeldt: Ich denke, hier spielen vor Allem fehlende Kompetenzen und mangelnde Erfahrungen eine Rolle. Vielfach ist gar nicht zu überschauen welche Möglichkeiten es heute gibt und was die Vorteile von stärker digitalisierten Arbeitsweisen sind. Es bedarf der Beschäftigung mit neuen Techniken und Angeboten, um entscheiden zu können welche sinnvoll sind und daran anschließend braucht es umfangreiche Fortbildungen, für ein solches Vorgehen fehlen aber meist die Ressourcen.

Was wären Ihre Wünsche, um ihre Digitalisierung noch besser umzusetzen?

Angela Huang: Es braucht Fördergelder für eine gemeinsame Infrastruktur. Zusammenarbeit muss hier belohnt werden, auch wenn Vielfalt bei der noch jungen Digitalisierung in der Geschichtswissenschaft eine gute Sache ist. Vor allem aber muss klar sein, dass digitale Angebote einer permanenten Pflege durch geeignetes Personal bedürfen. Strategie braucht Grundlagen und Langzeitperspektiven und nicht nur einzelne, befristete Projektförderungen. Zentrale „Player“ wie die Landesbibliothek, die Kompetenzen mitbringen, Aufgaben übernehmen und Projekte zur Vernetzung durchführen, helfen sicherlich auch. 

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Viabundus war ein Projekt der Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums bei Coding da Vinci Schleswig-Holstein 2021: Ein digitaler Atlas historischer Handelsstraßen.
„Das sind tolle Daten, die wir in einer Zusammenarbeit verschiedener kleinerer Teilprojekte schon in wenigen Jahren geschaffen und öffentlich bereitgestellt haben. Sie ließen sich in Wissenschaft und Kultureinrichtungen vielseitig nutzen – nun müssen wir nur sehen, dass wir die Nutzer:innen an die Arbeit damit heranführen. Wichtig ist hier aber, dass wir eine internationale Community aufbauen konnten, die sich gerne an der Weiterführung des Projektes – konzeptionell wie praktisch – beteiligen will. Hier erfahren wir im digitalen Raum echt kooperative Wissenschaft, das ist beeindruckend.“ sagt Angela Huang.

Wie war für Sie die Teilnahme am Kultur-Hackathon „Coding da Vinci“?

Angela Huang: „Coding da Vinci“ ist einfach eine faszinierende Initiative, da sie Schnittstellen schafft zwischen Öffentlichkeit, digitaler Kompetenz, Kultureinrichtungen und Wissenschaft. Wir erhofften uns von einer Teilnahme durch die FGHO (hier auch in Stellvertretung des Hansemuseums) ganz verschiedene Dinge: Natürlich wollen wir die Hansegeschichte in die Öffentlichkeit bringen und hier auch neue Formen der Umsetzung und Vermittlung erkundigen. Darüber hinaus ist das Projekt eine tolle Möglichkeit gewesen, andere Kulturträger/ Datengeber*innen der Region kennenzulernen und im Austausch zu stehen mit der Landesbibliothek, die ja in den kommenden Jahren zu Fragen der Digitalisierung im Kulturbereich in SH wichtige Ansprechpartnerin sein wird. Und überhaupt ist es spannend, so ein Projekt zumindest am Rande von Anfang bis Ende zu begleiten.

Coding da Vinci – Der Kultur-Hackathon wird gefördert im Programm Kultur Digital der Kulturstiftung des Bundes als gemeinsames Projekt der Deutschen Digitalen Bibliothek, des Forschungs- und Kompetenzzentrums Digitalisierung Berlin (digiS), der Open Knowledge Foundation Deutschland und Wikimedia Deutschland.

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