Das Fellow-Programm Freies Wissen wurde 2016 von Wikimedia Deutschland und dem Stifterverband initiiert, um junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei zu unterstützen, ihre eigene Forschung und Lehre im Sinne von Open Science zu öffnen und damit für alle zugänglich und nachnutzbar zu machen. In diesem Gastbeitrag stellt die Stipendiatin Melanie Tietje ihr Projekt vor, welches sie im Rahmen des Fellow-Programms durchführt.
Ich bin Biologin am Museum für Naturkunde und beschäftige mich mit dem Aussterberisiko von Amphibien. In meiner Doktorarbeit erforsche ich, welche Faktoren über das Überleben oder Aussterben einer Art entscheiden. Dabei konzentriere ich mich auf Amphibien, da diese aktuell die am stärksten gefährdete Gruppe von Landwirbeltieren bilden [1] und deshalb von großem Interesse für den Naturschutz sind. Ich arbeite hierfür sowohl mit dem Fossilbericht ausgestorbener Arten als auch mit Daten von lebenden Arten. Das Verständnis der zum Aussterben führenden Mechanismen und dafür, welche Faktoren sich als nachteilig für das Überleben einer Art erweisen, sind von enormer Bedeutung für das Fällen von Entscheidungen im Naturschutz, wenn es um die Aufteilung von Ressourcen wie Arbeitszeit und finanziellen Mitteln geht.
In meinem Projekt im Fellow-Programm Freies Wissen erstelle ich ein auf dem Fossilbericht von Amphibien basierendes Modell, welches wichtige artspezifische Merkmale identifiziert, die das Aussterberisiko einer Art beeinflussen. Dieses Modell wird anschließend auf lebende Amphibienarten angewendet und das prognostizierte Aussterberisiko mit der Einschätzung der IUCN Roten Liste verglichen. Um meine Arbeit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, werde ich zwei Aspekte aus dem breiten Spektrum von Open Science in meine Arbeit integrieren: Reproduzierbarkeit und Community Feedback.
Modellierung
Die Nutzung des Fossilberichts von bereits ausgestorbenen Amphibienarten (aber natürlich auch anderer Gruppen) hat den Vorteil, dass wir tatsächlich wissen, wie lange eine Art mit bestimmten Merkmalen überlebt hat. Man berechnet einfach die Länge des Zeitraums zwischen dem ältesten und jüngsten Vorkommen im Fossilbericht. Je länger dieser Zeitraum ist, desto länger hat die Art überlebt und desto geringer war entsprechend ihr Aussterberisiko. Für lebende Arten benötigen wir dagegen eine andere Methode um ihre Gefährdung zu bestimmen, da ihre Lebensspanne noch nicht abgeschlossen ist – sie sind noch nicht ausgestorben. Diverse Merkmale haben sich bisher bei der Abschätzung der Gefährdung als nützlich erwiesen [2,3], z.B. morphologische Merkmale wie die Körpergröße oder das Ausmaß der geographischen Verbreitung einer Art. Bis die Art jedoch tatsächlich ausgestorben ist, besteht keine Sicherheit darüber, ob diese Einschätzungen auch richtig sind. Indem man den Fossilbericht von Arten mit ähnlichen Merkmalen betrachtet, lässt sich das Wissen über die Auswirkungen dieser Merkmale auch auf rezente Arten erweitern. Mein Modell verbindet daher die Lebensspanne bereits ausgestorbener Arten aus dem Fossilbericht mit einem Set unterschiedlicher artspezifischer Merkmale, um den Einfluss dieser Merkmale auf das Aussterberisiko zu ermitteln. Im nächsten Schritt wird das Modell auf die gleichen Merkmale lebender Arten angewendet, um ihren Grad der Gefährdung zu bestimmen.
Um ein passendes Modell für meine Daten zu finden, habe ich bisher mit unterschiedlichen Modelltypen experimentiert, darunter einfache generalisierte lineare Modelle, zero-inflated Modelle, und auch methodisch unterschiedliche Ansätze wie Random Forest, welches ein Modell aus dem Bereich maschinelles Lernen ist.
Open Science in der Praxis
In meiner Arbeit verwende ich viele Daten, und ein großer Teil dieser Daten stammt aus frei zugänglichen Quellen wie z.B. der Paleobiology Database, einer umfangreichen Datenbank zu Fossilien, die vor kurzem eine CC BY 4.0 Lizenz erhalten hat. Da viele meiner Daten bereits frei zugänglich sind, möchte ich dieses Konzept bei meiner Arbeit ebenfalls beibehalten. Dies beinhaltet das Verwenden von frei verfügbarer Open Source Software zur Datenanalyse wie R, sowie anschließend die Veröffentlichung der Ergebnisse in einer frei zugänglichen (Open Access) Fachzeitschrift. Ein weiterer Aspekt aus Open Science, den ich in meinem Projekt realisieren möchte, ist das Community Feedback in einem frühen Stadium des Projekts, wovon ich mir neue Perspektiven und Hilfe bei Entscheidungen zu technischen Fragen meiner Arbeit erhoffe.
Als erstes habe ich mich in meinem Projekt mit der Frage beschäftigt, welche Richtlinien Fachzeitschriften aus meinem Bereich zum Umgang mit Vordrucken (preprints) von Manuskripten haben. In meinem wissenschaftlichen Umfeld ist die Veröffentlichung von preprints noch sehr selten, daher war ich überrascht zu sehen, dass nahezu alle Verlage, deren Zeitschriften ich regelmäßig lese, preprints nicht nur erlauben sondern explizit befürworten und die Nutzung von preprint-Servern unterstützen.
Der nächste Schritt in meinem Projekt war die Frage, wie ich Community Feedback möglichst unkompliziert in meinen Arbeitsablauf einfließen lassen kann. Dazu war es zunächst nötig, einen Teil der Arbeit öffentlich zugängig zu machen. GitHub als eine der vermutlich bekanntesten Optionen für kollaboratives Arbeiten und Programmieren hat sich hierfür angeboten, und ich habe einen Teil meiner Arbeit zu dem Projekt (R-Skripte und einen Teil der Daten) in einem online repository zugänglich gemacht. Jede Veränderung an meinen R Skripten wird über die Git Versionskontrolle dokumentiert und die neueste Version kann online gelesen, kommentiert oder auch heruntergeladen werden, um die Analyse einmal selbst auszuprobieren. Während ich mich mit Git und GitHub vertraut gemacht habe, entdeckte ich ebenfalls GitHub Pages. GitHub Pages stellt Speicherplatz für eine Website bereit und ist dabei mit dem GitHub Konto des Nutzers verbunden, eine sehr praktische Möglichkeit, um eine Website zu einem Projekt zu erstellen. Die Einrichtung der Website ist hierbei sehr einfach und benötigt keinerlei fortgeschrittene HTML-Kenntnisse, da das Erstellen der Website mit RMarkdown Syntax möglich ist. Der Code für die Website wird in einem Git-Repositorium abgelegt und kann entsprechend kopiert und für den Eigengebrauch modifiziert werden, da das Repositorium frei zugängig ist.
In der nächsten Phase meines Projekts möchte ich einen ersten Entwurf der Ergebnisse als Manuskript auf einem preprint Server wie z.B. bioRxiv veröffentlichen, um von Feedback profitieren zu können, noch bevor das eigentlich Peer Review Verfahren stattfindet.
Ein Plädoyer für Open Science
Durch das Fellow-Programm habe ich bereits eine Menge Einsichten in das Spektrum von Open Science erhalten. Zu Beginn des Projekts fühlte ich mich zunächst ein wenig überwältigt von der Menge an Dingen, die sich theoretisch in den Arbeitsablauf integrieren ließen, um die eigene Forschung offener zu gestalten. Publish or perish ist die unangenehme Realität für die meisten Naturwissenschaftler, und der konstante Zeitdruck, den viele von uns erleben, kann leicht zu dem Gefühl führen, man könne nichts Zusätzliches in den Arbeitsablauf integrieren. Der zunehmende Leistungsdruck ist ein anderer Faktor, der zu diesem Gefühl beitragen kann. Wir finden uns in einer Situation wieder, in der wir als Wissenschaftler in direkter Konkurrenz zueinander stehen, wenn es um spärlich vorhandene Fördergelder geht. Einige meiner Kolleginnen und Kollegen haben daher Bedenken geäußert, ihre Ideen oder auch Daten frei verfügbar zu machen, da jemand anderes diese Daten oder Ideen zuerst umsetzen und publizieren könnte. Diese Punkte können, neben dem zeitlichen Aufwand, Gründe sein, dem Thema Open Science skeptisch gegenüberzustehen und die bestehenden Möglichkeiten nicht zu nutzen.
Während es wahrscheinlich unmöglich ist, etwas Neues in den Arbeitsablauf zu integrieren ohne etwas Zeit darauf zu verwenden, sich mit der Technik vertraut zu machen, bleibt immer die Möglichkeit klein und wenig zeitaufwendig zu beginnen. Ein erster Schritt kann schon die Wahl der Zeitschriften sein, in denen man seine Arbeiten veröffentlichen möchte. Open Access Zeitschriften können von jedem gelesen werden und tragen damit deutlich zur Verfügbarkeit und damit Verbreitung der eigenen Forschung bei. Die Gewährleistung der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse ist nicht nur gute wissenschaftliche Praxis, sondern trägt ebenfalls zur Verbreitung der eigenen Forschung bei und ermöglicht es anderen Wissenschaftlern, auf bestehendem Wissen aufzubauen. Eine Möglichkeit, einen ersten Schritt Richtung Open Science zu gehen, kann die Auswahl eines einzelnen Aspekts der eigenen Arbeit und der Versuch, diesen zu verbessern, sein. Die Vienna principles bieten einen breiten Überblick über die verschiedenen Gebiete wissenschaftlichen Arbeitens und können hier als erste Inspirationsquelle dienen.
Forschung frei verfügbar zu machen erhöht die Sichtbarkeit und den Einfluss der Arbeit, was wiederum zu neuen Kooperationen und Ideen führen kann. Die Nutzung von preprints kann zu einem frühzeitigen Feedback führen und so gegebenenfalls den Review Prozess beschleunigen.
Wer Interesse daran hat, wie so eine Projektwebsite aussehen kann, oder auch wie meine Modellierungen ablaufen und was man von fossilen Amphibien lernen kann, kann meine Website hier finden.
Zur Autorin
Melanie Tietje ist Biologin mit einem Master in Organismischer Biologie und Evolution der Humboldt Universität zu Berlin und interessiert sich für Paläobiologie und Möglichkeiten der Anwendung auf aktuelle Fragestellungen. Sie promoviert seit 2014 am Museum für Naturkunde in der Arbeitsgruppe Herpetologie. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit dem Aussterberisiko von Amphibien und den verschiedenen Merkmalen, welche dieses beeinflussen. Hierfür verbindet sie Daten fossiler und rezenten Arten. In ihrem Projekt im Rahmen des Fellow-Programms modelliert sie Aussterberisiken rezenter Amphibien basierend auf Informationen aus dem Fossilbericht aus Open Access Datenbanken.
[1] Baillie, J. E. M., Griffiths, J., Turvey, S. T., Loh, J. & Collen, B. 2010 Evolution Lost: Status and trends of the world’s vertebrates. Zoological Society of London.
[2] Sodhi, N. S., Bickford, D., Diesmos, A. C., Lee, T. M., Koh, L. P., Brook, B. W., Sekercioglu, C. H. & Bradshaw, C. J. A. 2008 Measuring the meltdown: drivers of global amphibian extinction and decline. PLoS One 3, e1636. (doi:10.1371/journal.pone.0001636)
[3] Harnik, P. G. 2011 Direct and indirect effects of biological factors on extinction risk in fossil bivalves. Proc. Natl. Acad. Sci. U. S. A. 108, 13594–13599. (doi:10.1073/pnas.1100572108)
Ich bin (bekanntermaßen für Einige) kein Freund dieses Programmes. Weder der eingekauften Forschung, noch der in meinen Augen unmenschlich niedrigen Dotierung. Aber das Ergebnis hier finde ich sehr gut.