Vom 24. bis 30. Oktober 2016 findet bereits zum achten Mal die internationale Open Access Week statt. Zahlreiche Veranstaltungen weltweit bieten Gelegenheit, sich über den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen und Daten zu informieren, sich mit Aktiven aus der Open-Science-Bewegung zu vernetzen und so die Öffnung der Wissenschaft voranzutreiben. Diese Woche ist also ein guter Zeitpunkt einmal zu schauen, was sich im Bereich Open Access in der jüngeren Vergangenheit so getan hat und aktuell tut. Dies ist ein Gastbeitrag von Leonhard Dobusch.
Erst vor wenigen Wochen hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein neues Strategiepapier veröffentlicht und Bundesforschungsministerin Johanna Wanka betont, dass der freie Zugang zu Wissen ein Sprungbrett für die gesellschaftliche Entwicklung sei. In der Pressemitteilung fordert sie:
Wichtig ist mir, dass die Ergebnisse von Forschung, die mit Steuergeld gefördert wurde, für die Allgemeinheit unentgeltlich verfügbar werden. Wissenschaftliche Erkenntnisse können heute leichter publik gemacht werden. Die digitalen Medien ermöglichen dies und wir müssen es schaffen, dass diese Chancen stärker ergriffen werden.
Das BMBF vertritt in seiner Strategie die These, eine komplette Umstellung auf Open Access sei denkbar. Dafür notwendig sei vor allem ein Paradigmenwechsel bei der Verwendung der Bibliotheksetats. Dabei verweist es auf Untersuchungen der Max-Planck-Gesellschaft.
Diese hatte im März diesen Jahres die Initiative „Open Access 2020“ gestartet, um Open Access auf breiter Front zum Standard zu machen („large-scale transition to open access“). Der Grund für die neue Initiative ist, dass bisheriger Bekenntnisse und entsprechender (auch: finanzieller) Unterstützung für Open-Access-Zeitschriften und -Publikationen zum Trotz der Umstieg nur langsam vorankommt. Eingefahrene Publikationspfade zwingen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den meisten Disziplinen dazu, in etablierten, nicht-offenen Zeitschriften zu publizieren, wenn sie weiterhin im Wissenschaftssystem verbleiben bzw. Drittmittel einwerben wollen. Was zählt, ist die wissenschaftliche Reputation einer Zeitschrift und nicht, ob ihre Beiträge frei online zugänglich sind.
Der vielversprechendste Weg wäre deshalb, bereits etablierte Zeitschriften zu Open-Access-Zeitschriften zu machen, sie also quasi zu „befreien“. Vergangenes Jahr wurde genau das vom Herausgeberkreis einer führenden sprachwissenschaftlichen Zeitschrift versucht. Der Verleger Elsevier verweigerte sich jedoch nicht nur dessen Ansinnen, sondern verbreitete auch noch Unwahrheiten über die (ehemaligen) Herausgeber. Letztlich entschied sich das gesamte Herausgeberkollektiv für eine Neugründung unter dem Namen „Glossa“.
Zahlungsströme umlenken
Die Initiative „Open Access 2020“ will die Umstiegslast von den Schultern individueller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen und möchte „die Mehrheit der heute per Subskription erscheinenden wissenschaftlichen Fachzeitschriften auf das Publizieren per Open Access (OA)“ umstellen, wie es in einer Presserklärung der Max-Planck-Gesellschaft heißt. Der Umstieg soll wie folgt gelingen:
Dieser Wandel soll erreicht werden, indem die ‚Mittel, die aktuell für Abonnements von Subskriptionszeitschriften genutzt werden, zur Finanzierung nachhaltiger OA-Geschäftsmodelle eingesetzt werden‘.
Der Schlüssel für den Umstieg auf Open Access sind demnach die Bibliotheken, die ihre „Rolle, Verantwortlichkeiten, Profil und Arbeitsprozesse“ weiterentwickeln sollen. Im Zentrum der „Roadmap“ zum Umstieg stehen die vorhandenen Zahlungsströme, die hin zu Open Access umgelenkt werden sollen.
Zu den ersten Unterstützern der Initiative zählen die größten Wissenschaftsfinanzierer in Deutschland und Österreich, konkret die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF). Die Chancen stehen angesichts derart (finanz-)starker Unterstützer also gut, dass im Ergebnis tatsächlich eine Vielzahl an Zeitschriften auf Open-Access-Modelle umstellen wird.
Konkret kann dieses Umlenken finanzieller Mittel auf verschiedene Weise erfolgen. Ein Weg wäre eine verstärkte Koordination öffentlicher Einrichtungen bei der Beschaffung von Zeitschriften, um so Druck auf etablierte Verlage zur Umstellung auf Open-Access auszuüben. Parallel gilt es gemeinsam mit Bibliotheken professionell-digitale Publikationsplattformen – idealerweise auf Open-Source-Basis – für Open-Access-Zeitschriften bereitzustellen. Auf diese Weise würden Bibliotheken ihre zentrale Rolle als Wissensinfrastrukturprovider auch im digitalen Zeitalter ausbauen und gleichzeitig den Umstieg auf Open-Access-Modelle für Herausgeberkreise attraktiver machen.
Überhaupt geht der Trend in Richtung institutionell finanzierter Open-Access-Plattformen, wie auch das Beispiel der 2015 gestarteten „Open Library of Humanities“ belegt. Nach Vorbild der eher naturwissenschaftlich orientierten Public Library of Science (PLoS) bietet diese einerseits ein disziplinenübergreifendes „Mega-Journal“ für den Bereich der Geisteswissenschaften und andererseits ein kostenloses und mehrsprachiges Hosting für Open-Access-Zeitschriften. Im Unterschied zu PLoS fallen aber keine Autorengebühren (article processing charges, kurz APC) an – die Finanzierung erfolgt über Beiträge von Bibliotheken und Wissenschaftsorganisationen. Dieser Punkt ist besonders wichtig, wenn Open Access nicht nur für die Leserinnen und Leser, sondern auch für Autorinnen und Autoren gelten soll.
Open auch im Bereich der Lehre?
Angesichts dieser Dynamik im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens stellt sich allerdings auch die Frage, warum sich im Bereich der universitären Lehr- und Lernmaterialien bislang im deutschsprachigen Raum kaum vergleichbare Entwicklungen zeigen. Offen lizenzierte Lehr- und Lernmaterialien (Open Educational Resources, kurz OER) sind in Deutschland und Österreich vor allem im Schulbereich ein Thema, kaum jedoch im Bereich universitärer Lehre.
Eine Ursache für die bislang eher schleppende Verbreitung von OER im Bereich universitärer Lehre im deutschsprachigen Raum mag sein, dass Studierende hierzulande weniger unter Preisen für Lehrbücher leiden als zum Beispiel in den USA. Dort müssen Studierende neben oft beträchtlichen Studiengebühren auch noch bisweilen horrende Summen für Lehrbücher ausgeben; entsprechend populär sind deshalb politische Initiativen wie jene Kaliforniens oder in British Columbia in Kanada, die sich von der Einrichtung zentraler OER-Lehrbuchplattformen auch eine Senkung von Lernmittelkosten erhoffen.
Aber nicht nur die Politik, auch Universitäten sind im angelsächsischen Raum aktiver als ihre deutschen Pendants. Bereits vor über 15 Jahren begannen US-Eliteunis wie das Massachusettes Institute of Technology (MIT) die Unterlagen ganzer Kurse als „Open Courseware“ offen lizenziert ins Netz zu stellen – anfänglich allerdings noch unter vergleichsweise restriktiven Lizenzbedingungen, die eine kommerzielle Nutzung ausschlossen. Inzwischen geht der Trend in Richtung noch offenerer und damit Wikipedia-kompatibler Lizenzen (v. a. Creative Commons Namensnennung, CC-BY) und eine Reihe von britischen Universitäten hat sich mittlerweile eine OER-Policy verordnet. Im Rahmen ihrer OER-Policy fordern diese Universitäten ihre Lehrenden dazu auf, Lernunterlagen nach Möglichkeit offen lizenziert und in offenen Formaten zu veröffentlichen (vgl. z. B. kürzlich die Universität Edinburgh). Vergleichbare Beispiele gibt es im deutschsprachigen Raum jenseits der gerade im Aufbau befindlichen Hamburg Open Online University noch nicht.
Open Access – wo geht die Reise hin?
Es tut sich was, auch auf politischer Ebene. Erst letzte Woche erinnerte der EU-Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation, Carlos Moedas, auf der Frankfurter Buchmesse an die Anfänge von Open Access, als vor 25 Jahren der US-amerikanische Physiker Paul Ginsparg mit der Erfindung des Preprint-Archivs ArXiv den Grundstein für einen freien Austausch wissenschaftlicher Artikel über das Internet legte. Moedas bedankte sich bei all jenen, die dazu beigetragen haben, dass in Europa nun der Tipping Point erreicht ist und mehr als 50 Prozent aller wissenschaftlichen Artikel Open Access erscheinen. Zugleich stellte er heraus, dass es 25 Jahre gedauert habe, bis man an diesem Punkt stehe, und man nicht weitere 25 Jahre warten könne, bis alle Artikel frei verfügbar seien. Auch er formulierte das Ziel, bis 2020 die gesamte mit öffentlichen Geldern geförderte Forschung Open Access zu publizieren.
Auch wenn die politischen Bekenntnisse zu Open Access auf europäischer Ebene und seitens des BMBF begrüßenswert sind, fehlt es bislang an konkreten Festlegungen und viele Fragen bleiben offen: Wie gelingt es, aus dem bestehenden Subskriptionsmodell möglichst kostenneutral auszusteigen? Wie lässt sich Open Access zu einem gemeinschaftlich anerkannten Standard entwickeln, ohne die Wissenschaftsfreiheit einzuschränken? Der Großteil der Verantwortung dieser Transformation bleibt bei den einzelnen wissenschaftlichen Einrichtungen und ihren Akteurinnen und Akteuren
An diesem Punkt setzt das Fellow-Programm Freies Wissen an, welches 2016 von Wikimedia Deutschland und dem Stifterverband initiiert wurde. Indem es Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler dabei unterstützt, ihre Forschung im Sinne von Open Science zu gestalten und diesen Gedanken in ihren Institutionen und Netzwerken zu verbreiten, trägt es dazu bei, Wissenschaft und Forschung weiter zu öffnen. Denn neben politischen Signalen ist für die aktuelle Entwicklung von Open Access entscheidend, dass das Wissen darüber geteilt wird, wie Wissenschaft ganz praktisch offen gestaltet werden kann, etwa durch die Nutzung freier Lizenzen für die eigenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Wie das Beispiel von ArXiv zeigt, wo heute mehr als eine Million Artikel frei verfügbar sind, sind es gerade auch die vielen einzelnen Aktiven aus der wissenschaftlichen Open-Science-Community, die den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen und Daten entscheidend voranbringen.
Dieser Artikel ist eine überarbeitete und deutlich erweiterte Fassung eines Beitrags bei netzpolitik.org.
Zum Autor:
Leonhard Dobusch ist Professor für Betriebswirtschaftslehre am Institut für Organisation und Lernen der Universität Innsbruck. Zu den Schwerpunkten seiner Forschung gehört das Thema Urheberrechtsregulierung. Im Mai 2016 wurde er als Vertreter der Interessensgruppe „Internet“ in den ZDF-Fernsehrat berufen. Er bloggt regelmäßig zu netzpolitischen Fragen auf Netzpolitik.org, iRights und seinem eigenen Blog Leonido.