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Monsters of Law Nr. 5: Wiki-Immunity – Bleibt die Wikipedia in Deutschland rechtlich geschützt?

Lilli Iliev

12. März 2015

Dies ist ein Gastbeitrag von Lukas Mezger (Benutzer:Gnom), Präsidiumsmitglied von Wikimedia Deutschland e. V.

Foto von Christopher Schwarzkopf, CC-BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Wikipedia beschreibt nicht nur archäologische Stätten, U-Bahnhöfe und Leuchttürme – die deutschsprachige Version enthält mittlerweile weit über eine halbe Million Biografien. Aber was kann ich eigentlich tun, wenn eine unzutreffende Behauptung in “meinem” Wikipedia-Eintrag steht? Was, wenn dieser vermeintlich durch Quellen belegte Fakt mein Ehrgefühl verletzt oder negative Konsequenzen für mein Berufs- oder Privatleben bedeutet? Und wie kann geprüft werden, was im öffentlichen Interesse in der Wikipedia stehen sollte und ab wann die Grenze zur Übertretung der Privatsphäre erreicht ist?

Wer kann für Falschbehauptungen in Wikipedia belangt werden?

Am 5. März sprach Jan Mönikes, Rechtsanwalt und Experte für Urheber-, Medien- und IT-Recht, über die heutige rechtliche Situation und mögliche Veränderungen der Haftung für die deutschsprachige Wikipedia. Mönikes befasst sich bereits seit Jahren mit Durchsetzbarkeit von äußerungsrechtlichen Urteilen “gegen Wikipedia”. Er erklärte, dass sich bei der Beantwortung der Frage, wer zur Rechenschaft gezogen werden kann, wenn in einem Eintrag getroffene Aussagen zum Gegenstand einer juristischer Prüfung werden, das Phänomen der “Wiki-Immunity” ergibt (hier die Vortragsfolien).

 Die Ausgangssituation ist schnell beschrieben: Ein anonymer, freiwilliger Wikipedia-Nutzer begeht – entgegen den Regeln der Autorengemeinschaft – eine Persönlichkeitsrechtsverletzung in einem Artikel. Das kann durch Falschbehauptungen oder aber auch durch wahre, aber dennoch rechtsverletzende, weil private Informationen geschehen. Gegen diesen Autor kann der Betroffene nicht vorgehen, wenn ihm seine Identität nicht bekannt ist. Auch der Verein Wikimedia Deutschland e.V. ist kein geeigneter Anspruchsgegner, weil er auf Wikipedia selbst keinen Einfluss hat und damit nicht als so genannter Störer in Frage kommt.

Jan Mönikes sprach über die heutige rechtliche Situation und mögliche Veränderungen der Haftung für die deutschsprachige Wikipedia, Foto von Christopher Schwarzkopf, CC-BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Der gute Wille unter der Sonne Kaliforniens

Der Betroffene muss rechtlich gegen die Betreiberin der Wikipedia, die Wikimedia Foundation mit Sitz in den USA vorgehen – dabei stellt sich als erste Frage, ob er dies in Deutschland oder in Kalifornien tun sollte. An beiden Orten gibt es zuständige Gerichte und auf den Fall anwendbares staatliches Recht.

Geht man von der näher liegenden Variante einer Klage in Deutschland aus, so müsste ein entsprechendes Urteil eines hiesigen Gerichts dann in den USA vollstreckt werden. Dazu müsste das deutsche Urteil von einem kalifornischen Gericht anerkannt werden. Dies scheitert aber daran, dass das amerikanische Recht ein umfassendes Providerprivileg kennt, nach dem der individuelle Nutzer und eben nicht der Website-Provider als Störer in Anspruch genommen werden muss. Im Ergebnis hängt die Erfüllung des vor dem deutschen Gericht rechtskräftig festgestellten Anspruchs also vom “guten Willen” der Wikimedia Foundation ab.

Von Vollstreckungsabkommen und Klarnamenspflicht

Die Alternative, eine Klage nach amerikanischem Recht vor einem Gericht in Kalifornien müsste daher im ersten Schritt auf Herausgabe der Nutzerdaten durch die Wikimedia Foundation lauten, aufgrund dieser man dann den Nutzer in Deutschland über seinen Internetanbieter ermitteln und verklagen könnte. Auch hier müsste ein deutsches Gericht das ausländische Urteil anerkennen. Das wird es jedoch nicht tun, denn das deutsche Presserecht gestattet in diesem Fall – anders als im Urheberrecht – die Herausgabe von Nutzerdaten nicht. Dem Betroffenen verbleibt wieder nur, auf den “guten Willen” der Autorengemeinschaft bei der Korrektur des Artikels zu hoffen.

In der Folge gewinnt der Betroffene also sowohl bei einer Klage in den USA als auch bei einer Klage in Deutschland, kann sie aber in beiden Fällen nicht vollstrecken – diese Situation nennt Jan Mönikes “Wiki-Immunity”. Ein solches Scheitern der Durchsetzung des Rechts ist freilich  rechtsstaatlich nicht hinnehmbar. Der Vortrag diskutierte daher verschiedenste Möglichkeiten zur Lösung des Problems: von Vollstreckungsabkommen über Netzsperren und eine Klarnamenspflicht im Internet bis hin zur Ausweitung der Störerhaftung nach dem Vorbild der Google-Spain-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.

Fazit und Ausblick

Abschließend betonte Jan Mönikes die Verantwortung der Wikipedia-Autorengemeinschaft zur Selbstregulierung und damit zum Schutz der Rechte der Betroffenen. So könne Wikipedia als Online-Enzyklopädie als vertrauenswürdige und rechtssichere Institution erhalten bleiben. Im Anschluss ergab sich insbesondere zur Frage der Vollstreckung in Deutschland eine interessante Diskussion.

Die Veranstaltung in voller Länge kann hier angeschaut werden:

Die nächste Veranstaltung von Monsters of Law findet am Donnerstag, den 28. Mai statt.

Referent wird Dr. Ansgar Koreng sein.

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