Digital Services Act
Internet-Gesetze im Check: So schützt der Wikipedia-Test digitale Gemeingüter


Franziska Kelch
11. September 2025
Der Digital Services Act (DSA) der EU verpflichtet Konzerne, die Online-Marktplätze wie Amazon, Shein und Temu betreiben oder Social Media Plattformen wie Instagram und TikTok, illegale Inhalte zu bekämpfen, transparent zu sein in Bezug auf Werbung und Empfehlungssysteme oder den Kinderschutz und die Moderation zu verbessern – stets im Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Schutzinteressen.
Wikipedia ist auch von den Regularien des DSA betroffen. Sie gilt wie große kommerzielle Plattformen als Very Large Online Platform (VLOP) – allein wegen ihrer Reichweite von über 45 Millionen Nutzenden im Monat. Denn der DSA definiert Regeln für VLOPs nicht nur danach, was sie tun, sondern wie groß sie sind.
Inhaltlich hat Wikipedia jedoch nichts mit Instagram, Amazon oder Google gemein. Das merkt jede*r, der oder die Wikipedia nutzt und danach durch den Instagram-Feed scrollt. Die Online-Enzyklopädie stellt quellenbasiertes Wissen frei zur Verfügung. Die Sprache ist sachlich und Inhalte werden von einer Community nach klaren Regeln erstellt und moderiert. Und verkauft oder beworben wird auf Wikipedia nichts – im Gegenteil, die weltweite Community teilt Wissen ehrenamtlich und kostenfrei.
Neben den großen, kommerziellen Plattformen existieren viele dieser offenen, communitygetriebenen Projekte, die auf Teilhabe und Transparenz setzen. Sie können durch Gesetze, die primär auf Konzerne zielen, die Wissen und Daten verschließen, statt sie frei zugänglich zu machen oder die Massenüberwachung ermöglichen, gefährdet werden.
Die Lösung? Ein Test, mit dem Gesetzgebende vorab prüfen, ob ein geplantes Gesetz gemeinschaftliche Projekte schützen oder schädigen: der Wikipedia-Test.
Was ist der Wikipedia-Test?
Der Test basiert auf einer einfachen Leitfrage: Macht das vorgeschlagene Gesetz es einfacher oder schwerer, zur Wikipedia beizutragen, sie zu nutzen oder ihr zu vertrauen?
Wikipedia ist dabei nur das Beispiel für die guten Seiten des Internets. Sie steht für offene und transparente Plattformen, die gemeinsam gestaltet und moderiert werden – wie die digitale Bibliothek Project Gutenberg oder die OpenStreetMap. Oder für frei zugängliche Daten-Repositorien wie Landsat 8, oder AMDS, die in der Gesundheits- und Klimaforschung wichtig sind. Aber auch für offene Code-Repositorien wie OpenCodE, die für die freie Entwicklung von Software und Plattformen genutzt werden können.
Die Idee ist also: Wenn Wikipedia durch ein neues Gesetz Schaden nehmen könnte, dann könnten auch andere digitale Gemeingüter in Gefahr sein. Der Test hilft dabei, die gesamte Bandbreite der Internet-Projekte in den Blick zu nehmen und Gesetzgebungsvorschläge auf diese Gefahr hin zu überprüfen.
So funktioniert der Wikipedia-Test
Indem sie sieben Fragen beantworten, können Gesetzgebende und Verwaltungen feststellen: Führt das geplante Gesetz oder die Richtlinie dazu, dass digitale Gemeingüter gestärkt oder beschädigt werden.
- Freie Entfaltung
Können sich aus dem Gesetz rechtliche Risiken oder hohe Kosten für das Hosting von gemeinschaftlich betriebenen Projekten wie Wikipedia ergeben? - Zugang zu Informationen
Kann das Gesetz oder die Richtlinie den Zugang zu oder die Weitergabe von Informationen und frei lizenzierter, gemeinfreien oder urheberrechtlich geschützten Werken erschweren? - Privatsphäre und Sicherheit
Kann das Gesetz die Privatsphäre gefährden, weil es die Erfassung sensibler Informationen zu Alter, Klarname oder Kontaktdaten der Beitragenden und Lesenden von Wikipedia vorschreibt? - Freie Meinungsäußerung
Macht das Gesetz Überwachungsmaßnahmen möglich oder verpflichten, die Menschen davon abhalten können, Wikipedia zu lesen oder zu bearbeiten? - Privatsphären und Sicherheit
Kann durch das Gesetz die Nutzung oder Bearbeitung von Inhalten auf Wikipedia riskanter werden, weil durch Informationserfassung über Redakteur*innen oder Leser*innen Identifikation und Einschüchterung möglich wird?
- Freie Entfaltung
Kann das Gesetz die Fähigkeit ehrenamtlicher Redakteur*innen einschränken, die Inhalte und Richtlinien von Wikipedia eigenständig zu verwalten?
- Zugang zu Information
Kann das Gesetz den freien Informationsfluss über Grenzen hinweg einschränken und damit den Zugang zu Wikipedia und seinen Inhalten potentiell einschränken?
Ob als Teil politischer Kampagnen, bei parlamentarischen Anhörungen oder in öffentlichen Debatten – der Wikipedia-Test kann helfen, rechtzeitig problematische Regelungen zu erkennen und Alternativen aufzuzeigen.
Denn nur gemeinsam können wir sicherstellen, dass das Internet ein Raum bleibt, in dem Menschen Wissen teilen und frei nutzen können, in dem freie und offene Software entwickelt werden kann und offene Daten zu mehr Forschung und Innovation beitragen können.