Barcamp Open Science 2025
Heute brauchen die Daten uns – Erkenntnisse aus dem Barcamp Open Science 2025


Patrick Wildermann
30. Juli 2025
Ob Klimawandel oder Covid-19-Pandemie – offene Wissenschaftsdaten sind von enormer Bedeutung, wenn es darum geht, die Wikipedia als Informationsquelle aktuell und verlässlich zu halten. Freie Forschungsdaten helfen aber auch bei der Aufarbeitung von historischen Kapiteln wie der Kolonialzeit. Sie ermöglichen beispielsweise eine bessere Provenienzforschung zu Kunstwerken, oder Projekte wie enslaved.org – eine mit Wikibase betriebene Plattform, die die Biografien versklavter Menschen sichtbar macht. Open Science demokratisiert Wissen und holt die Forschung aus dem Elfenbeinturm.
Allerdings gerät die Offenheit der Wissenschaft in vielen Ländern zunehmend unter Druck. Das war auch ein zentrales Thema beim diesjährigen Barcamp Open Science in Berlin – zum fünften Mal gehostet und mitorganisiert von Wikimedia Deutschland. Schon zwischen 2016 und 2021 hat sich WMDE mit dem Fellow-Programm Freies Wissen für Open Science stark gemacht, um den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu stärken – mit einem Fokus auf Diversität und Chancengerechtigkeit. Schließlich gehört zum Prinzip der Offenheit, dass Zugänge geschaffen werden.
„Heute brauchen die Daten uns“
Den Impulsvortrag beim Barcamp Open Science 2025 hielt in der Geschäftsstelle von Wikimedia Deutschland Henrik Schönemann, digitaler Historiker und Mitarbeiter am Interdisziplinären Zentrum Digitalität und Digitale Methoden der Humboldt-Universität zu Berlin. Unter dem Titel „On the Value of Being Unorthodox: Resilience in a Time of Hostility against Arts and Sciences“ sprach Schönemann über die zunehmenden Attacken auf die Infrastrukturen für Wissenschaft, Forschung und Kulturerbe, wie sie aktuell besonders in den USA zu beobachten sind. Der Historiker beschrieb die Vielzahl von Bedrohungen für Open Science. Darunter sind Angriffe auf Themen wie Klimawandel oder Gleichstellungsfragen. Oder die „radikalen Kürzungen von Budgets und Fördermitteln“, gegen die zuletzt auch die American Academy of Arts & Sciences in einem Statement protestiert hat.
Schönemann führte aber auch aus, was in seinen Augen trotzdem Mut macht: die Kraft von Communitys, die sich eigeninitiativ für die Verteidigung der offenen Wissenschaft engagieren. Er selbst ist Initiator des Projekts Safeguarding Research & Culture, das unter anderem freie US-amerikanische Forschungsdaten vor der Vernichtung bewahrt (hier geht es zu einem Interview mit Schönemann zu diesem Thema). Um den Paradigmenwechsel im gegenwärtigen Diskurs zu beschreiben, zitiert er die Forscherin und Open-Aktivistin Kathy Reid: „As researchers, we often say, ‚we need the data.‘ Today, the data needs us“ – als Wissenschaftler*innen sagen wir oft, wir brauchen die Daten. Heute brauchen die Daten uns.

Vom Horrorszenario lernen
In einer Vielzahl von parallelen Sessions – die nach dem Barcamp-Prinzip zu Beginn der Veranstaltung gemeinsam festgelegt wurden – diskutierten die Teilnehmenden anschließend in Gruppen über verschiedene Facetten der Herausforderungen für Open Science. In der Session von Ilona Lipp wurde etwa zu einem Gedankenexperiment eingeladen: Welche Argumente lassen sich gegen Open Science vorbringen – und wie sind sie zu entkräften? Ein Beispiel: Offene Wissenschaftsdaten könnten für den Bau von KI-gesteuerten Kriegsrobotern missbraucht werden, so das Horrorszenario. Ein anderes Negativbeispiel: Open Science produziert unter Umständen eine Informationsflut ohne ausreichende Qualitätskontrolle. Die vorgeschlagene Abhilfe: Höhere Schwellenwerte und Standards für die Veröffentlichung von Ergebnissen festlegen. Eine spannende Übung im Out-of-the-Box-Denken.
In der Session von „Resilience of Open Science Communitys“ des Niederländers Jeroen Bosman stand wiederum die Frage im Zentrum, mit welchen Strategien sich die offene Forschung verteidigen lässt – und welche Communitys in diesem Zusammenhang relevant sind. Die Spanne – so das gemeinschaftliche zusammengetragene Ergebnis – reicht von kleinen Gemeinschaften, die Solidarität und mentale Unterstützung für angegriffene Forscher*innen bieten, über Communitys, die sich gegen autoritäre Regierungen wehren – bis hin zu Gemeinschaften, die offene Infrastrukturen schützen, wenn diese finanziell ausgehungert, gelöscht oder von KI-Bots attackiert werden.
Die Bedeutung von marginalisiertem Wissen
„Offenheit gerade in der Wissenschaft ist ein Baustein für eine funktionierende Demokratie“, betonte eine Teilnehmerin der Session. „Nur wenn Wissen frei bleibt, können wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln“, so ein anderer Teilnehmer.
Einen weiteren wichtigen Aspekt brachte Christopher Schwarzkopf – Mitorganisator der Veranstaltung und Projektmanager Marginalisiertes Wissen bei Wikimedia Deutschland – in seinem Abschlussvortrag zum Barcamp Open Science ein. In der gegenwärtigen Situation bedeute die Verteidigung von Open Science mehr als nur Open Access zu veröffentlichen: „Es bedeutet, für die Wahrheit, für gemeinschaftsorientiertes Wissen, für das Recht auf Zugang zu Wissen und dessen Mitgestaltung einzutreten – unabhängig von Herkunft oder Budget“, betonte Schwarzkopf. Wir sollten uns der Tatsache bewusst sein, dass sogenannte „wissenschaftliche Standards” und „Neutralität” auch dazu benutzt würden, Menschen auszuschließen.
„Offenheit allein“, so sein Fazit, „reicht nicht aus“. Wenn wir Ausgrenzung nicht aktiv bekämpften, werde „Offenheit“ weiterhin dieselben Ungleichgewichte widerspiegeln, die überall zu beobachten seien. „Deshalb muss Open Science auch bedeuten: marginalisierte Stimmen zu verstärken, Wissenssysteme zu dekolonisieren und diejenigen zu schützen, die in feindseligen Umgebungen die Wahrheit sagen.“
