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So helfen Wiki-Projekte bei der Öffnung von Kunst und Kulturgut

Ein Wochenende, über 70 Teilnehmende aus der Provenienzforschung und aus Wiki-Projekten, rund 15 Barcamp-Sessions, ein Roundtable und die Frage: Wie können Provenienzforschende offene und freie Wiki-Projekte wie Wikidata, Wikibase oder Wikipedia nutzen, um Kulturdaten zu organisieren, zu vernetzen und für uns alle zu öffnen? Das diskutierten Provenienzforschende und Wiki-Aktive bei der „Provenance loves Wiki“ Konferenz. Und einige Beispiele aus der Praxis gab es gleich mit dazu.

Franziska Kelch

18. Januar 2024

Provenienzforscher*innen erkunden die Biografien von Kunstwerken und Kulturgütern. Dabei enthüllen sie nicht selten Kriminalfälle oder bringen Geschichten von unrechtmäßiger Enteignung, Raub und kolonialer oder nationalsozialistischer Gewalt ins öffentliche Bewusstsein. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hat mit dem Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter entscheidende Impulse für eine Dekolonialisierung von Museen geleistet. Die Kunsthistorikerin Meike Hopp forscht zum Kunsthandel im Nationalsozialismus. Sie war Mitglied der Taskforce Schwabinger Kunstfund, die erforscht hat, welche Werke aus der Sammlung Gurlitt zur NS-Raubkunst gehören. Aber wie können Museen, Archive oder Bibliotheken die vielen Daten, die von Provenienzforscher*innen zusammengetragen werden, öffentlich und zugänglich machen?

Das Ende der Geheimnistuerei

Diese und andere Fragen diskutierten die Provenienzforscherinnen Hopp und Savoy gemeinsam mit Wikimedia-Präsidiumsmitglied und Kuratorin Larissa Borck, Provenienzforscherin Lynn Rother und dem Computerwissenschaftler Tobias Matzner beim Roundtable: Part of a Global Cultural Commons? Provenance Research in 2024. Er bildete den Auftakt für die zweitägige Workshopreihe zur Öffnung von Provenienzdaten, die eine Initiative der AG Kunstwissenschaften + Wikipedia ist und mit Wikimedia Deutschland realisiert wurde.

„Wir haben die Veranstaltung organisiert, um Kunstwissenschaftlerinnen mit Protagonistinnen der Wikimedia-Projekte zusammenzubringen. Ein Austausch von und Expertisen und das gemeinsame Arbeiten an konkreten Fallstellungen zu digitalen Provenienzdaten standen im Vordergrund. Zudem haben wir mit dem manifesto 24 internationale Empfehlungen für den Umgang mit Provenienzdaten entlang der FAIR-Prinzipien formuliert.“
Waltraud von Pippich, AG Kunstwissenschaften + Wikipedia

Die Digitalisierung habe für die Provenienzforschung alles verändert, sagte Bénédicte Savoy. „Sie führt dazu, dass es eine größere Sichtbarkeit von Sammlungsbeständen gibt. Das Wissen der Museen über sich selbst ist kein Familiengeheimnis mehr.“ Aber warum sind nicht alle Sammlungsdaten der staatlichen Museen in Europa offen zugänglich? Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht. Bei NS-Raubkunst sei jede Erforschung ein kompliziertes Puzzle aus Quellen verschiedenster Archive, Museumsdaten und Informationen aus privaten Quellen, erklärt Meike Hopp. Und es liege auch nicht nur an den Kulturinstitutionen, betont Larissa Borck. „Museen sind unterfinanziert, ihnen fehlen oft die personellen Ressourcen und dann können sie das Urheberrecht als Begründung nennen, warum Informationen nicht zugänglich sind.“ Lynn Rother verweist aus ihrer Erfahrung im Museum of Modern Art darauf, dass es in Europa zudem eine ganz andere Kultur gebe als in den USA. „Die amerikanischen Museen haben in den frühen 2000er Jahren Sammlungsdaten öffentlich gemacht und auch die Lücken in der Überlieferung offengelegt.“ Sie hob aber auch hervor, dass  amerikanische Museen oft über ganz andere personelle Ressourcen verfügen.

Einig waren sich die Diskutierenden darüber, dass der Status quo sich ändern soll – und dass Projekte wie Wikidata, Wikibase, die Wikipedia oder Wikimedia Commons und die Expertisen aus der Freiwilligen-Community dazu beitragen können.

Kulturinstitutionen müssen eine langfristige Strategie für die Zusammenarbeit mit Online-Communitys besitzen, damit man gemeinsam zielführend an Kulturinhalten in Wiki-Projekten arbeiten kann. Dabei müssen interne Ressourcen zur Verfügung stehen, die in den Austausch mit Wikimedianer*innen treten können. Außerdem muss man sich im Klaren sein, dass in Wikiprojekten wie Wikidata, Wikipedia oder Wikimedia Commons eigene Regeln wie offene Lizenzen und enzyklopädische Relevanz gelten – auf diese muss man sich einlassen.”
Larissa Borck, Wikimedia-Präsidiumsmitglied und Kuratorin im Sörmlands Museum

Anmerkung: Den Livestream des Roundtables finden Sie hier.

Wikidata für Kulturdaten: Beispiele aus der Praxis

Bevor es ans Barcampen ging, erhielten die Teilnehmenden Eindrücke davon, wie man mit Wikidata Kulturdaten offen zugänglich, vernetzen oder diverser machen kann.

Maarten Dammers, in der Wikipedia- und Wikidata-Community besser bekannt als Multichill, berichtete über das Freiwilligen-Projekt SOAP – Sum of all Paintings (Die Summer aller Bilder). Das Ziel: In Wikidata sollen Informationen zu jedem bekannten Kunstwerk frei und offen verfügbar sein. Seit bald zehn Jahren arbeiten die Freiwilligen daran, Sammlungsdaten, die Museen digital zur Verfügung stellen, oder Wissen aus gedruckten Katalogen in Wikidata einzubringen. Wikidata enthält aktuell mehr als 108 Millionen Datensätze, die miteinander verknüpfbar sind. Ein Datensatz zu einem Kunstwerk kann also mit unglaublich vielen Informationen verbunden werden: Das kann der Maler*innenname sein, das Genre des Bildes, die Identifikationsnummer in anderen Datenbanken, Aussagen über das Material oder Gegenstände und Orte im Bild, wann es Besitzer*innen gewechselt hat und vieles mehr.

Yann LeGall berichtete den Teilnehmenden von seiner Arbeit mit Wikidata im Rahmen des Forschungsprojekts The Restitution of Knowledge. Darin rekonstruieren die Forschenden, wie Kulturgüter ab dem Ende des 19. Jahrhunderts bei sogenannten Strafexpeditionen aus Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent nach Europa verschleppt wurden. Es geht ihnen darum, sichtbar zu machen, dass mit dieser Art des „Sammelns“ Geschichten der Gewalt, des Raubes oder der Unterdrückung verbunden sind. Beim Überführen von Forschungsergebnissen in Wikidata haben Lucy Patterson, Projektmanagerin digitales Kulturgut, und Cin Pietschmann, Projektmanager*in marginalisiertes Wissen von Wikimedia Deutschland Yann LeGall unterstützt.

Wir haben LeGall und das Forschungsteam beraten, wie sie ihre Forschungsergebnisse in Wikidata einbringen können. Es gab eine Einführung dazu, wie man in Wikidata editiert und mehrere Workshops. Zudem haben wir untersucht, wie koloniale Geschichte und Artefakte derzeit in Wikidata dargestellt werden, und stellten fest, dass die antikoloniale Perspektive oft noch fehlte.
Dr. Lucy Patterson, Projektmanagerin digitales Kulturgut bei Wikimedia Deutschland

Mit Unterstützung von Wikimedia Deutschland konnte LeGall sich mit der Wikidata-Community vernetzen. Gemeinsam mit Sabine von Mering (Museum für Naturkunde Berlin) und Mohammed Sadat Abdulai (Dagbani Wikimedia Nutzer*innengruppe) entwickelte LeGall Ideen dafür, wie er seine Forschungsergebnisse in Datensätze einfügen oder verknüpfen kann – etwa zu Akteuren oder Ereignissen des anti-kolonialen Widerstands. Am Beispiel der Ngonnso’ Figur aus Kamerun, heute im Ethnologischen Museum Berlin, verdeutlichte LeGall die Möglichkeiten einer offenen Datenbank. Im musealen Kontext wird Ngonnso’ üblicherweise schlicht als Statue bezeichnet. In der Realität der kamerunischen Nso ist die Skulptur aber zugleich ein Objekt und eine Gottheit. Durch die Ergänzung der Bezeichnung „deity“ (Gottheit) im Datenbankeintrag spiegelt dieser nun nicht nur die westliche Perspektive auf Ngonnso’ wieder, sondern auch die der Nso. Solche Ergänzungen tragen dazu bei, Wissen diverser zu machen.

Die Forschenden ergänzten den Wikidata-Eintrag zu dem Objekt außerdem mit der Information „geplündert bei der Nso Expedition 1902“.  Sie machten so deutlich, dass die Skulptur im Zuge einer gewalttätigen Niederschlagung von anti-kolonialem Widerstand nach Europa verschleppt wurde. Solche Ergänzungen, aber auch das Anlegen bisher nicht vorhandener Eigenschaften (Properties), tragen dazu bei, dass koloniale Kontexte sichtbar werden.

Unter dem Titel Towards Wikidata: How to Transform Provenance with AI sprach Fabio Mariani über seine aktuelle Forschung zum Einsatz von sogenannter Künstlicher Intelligenz und Provenienzdaten. Er befasst sich damit, wie Informationen zur Herkunft eines Kunstwerks, die in Textform vorliegen, mit KI in Einzelinformationen getrennt und gelesen werden können. Die KI kann darauf trainiert werden, Logiken und Zeichensetzungen von Texten zu verstehen und diese dann in einzelne Informationen zu splitten. Was das mit Wikidata zu tun hat? Die KI kann keine fehlenden oder unvollständigen Daten ergänzen oder Fehler korrigieren. Um die aus den Texten extrahierten Daten anzureichern und zu erweitern, ergänzt Mariani diese daher mit dem Wissen aus Wikidata.

„Kann man euch dabei irgendwie helfen?”

Dieser Satz war bei der Konferenz immer wieder zu hören. Die Unterstützungsangebote kamen von den Teilnehmenden, die sich ehrenamtlich in Wiki-Projekten wie Wikidata oder Wikipedia engagieren oder Wikibase nutzen. So wurde bereits zu Beginn der Konferenz deutlich: Die Ehrenamtlichen aus den Wiki-Communitys haben ein großes Interesse daran, Provenienzforschende dabei zu unterstützen, Wikidata oder Wikibase zu nutzen. Als es darum ging, Barcamp-Sessions zu entwickeln, wurden direkt offene Fragen von Forschenden zu Wikidata und Wikibase bearbeitet.

Einige der Themen lauten:

  • Wie funktionieren Datenbankabfragen in Wikidata?
  • Wie können Kulturinstitutionen offene Datensätze im Ganzen in Wikidata importieren?
  • Wie entwickelt man fortgeschrittene Datenmodelle?
  • Welche Wikimedia-Werkzeuge, etwa für Datenbankabgleiche, gibt es?

Was motiviert diese Hilfsbereitschaft? Das ist sicherlich bei allen Wiki-Aktiven unterschiedlich. Daniel Mietchen, der in der Wikipedia-, Wikidata- und Wikibase-Community aktiv ist und das Werkzeug Scholia mit entwickelt hat, beschreibt sie so:

Im Wiki-Ökosystem beschäftige ich mich ja primär mit Sachen, die mich auch interessieren. Ich bin also fast nur in den Bereichen unterwegs, wo es Spaß macht und da habe ich auch Spaß, mit anderen zu interagieren und Wissen weiterzugeben – zum Beispiel zu SPARQL-Abfragen in Wikidata. Ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, als ich das auch mal nicht konnte. Und als Wissenschaftler bin ich sowieso an Problemlösungen und Zusammenarbeit interessiert.
Dr. Daniel Mietchen, aktiv in der Wikipedia-, Wikidata- und Wikibase-Community und Mitentwickler des Werkzeugs Scholia

Wikibase für Sammlungsdaten-Management?

Ein  Wiki-Projekt, das auf der Konferenz vielfach diskutiert wurde, war Wikibase. Das ist die Software hinter Wikidata. Sie kann dank freier Lizenzierung von jedem und jeder benutzt werden, um eine eigene Datenbank anzulegen – deren Daten man wiederum mit Wikidata verknüpfen und so neues Wissen sichtbar machen kann.

In der Barcamp Session Best Practice for Wikibase: the Adolphe Schloss Collection sprach die Kunsthistorikerin Ruth von dem Busche über die Vorteile, die Wikibase aus ihrer Sicht für die Arbeit mit Provenienzdaten bietet. 1943 hatten die Gestapo und das französische sogenannte Judenreferat die Bilder des französisch-jüdischen Sammlers Adolphe Schloss beschlagnahmt. Einige Kunstwerke wurden verkauft, andere gingen in das sogenannte Führermuseum in Linz und in den Louvre. Im Rahmen des Projektes sollte deutlich gemacht werden, wer, wann und wo welches Kunstwerk beschlagnahmte, übergab, verkaufte oder aufkaufte.

Ein Vorteil, so Busche, bestand darin, dass sie mit Wikibase ihr eigenes Datenmodell entwickeln und so für dieses Projektziel maßschneidern konnte.

Sie hat außerdem die Erfahrung gemacht, dass Wikibase gut geeignet für das Zusammentragen großer Datenmengen, aber auch für die Arbeit mit granularen Daten ist. Für die Verbindung von Geschichte und Daten sei es aus ihrer Sicht zudem hilfreich, dass man die Datensätze mit Bildern und Scans anreichern und mit Wikipages, also mit Informationen zu Personen, Ereignissen oder Orten verbinden könne.

 

Nach zwei Tagen ist der Auftakt für eine Vernetzung von Provenienzforschenden, Ehrenamtlichen aus den Wiki-Projekten und Wikimedia Deutschland gelungen. Neue Ideen wurden angestoßen und an einigen offenen Fragen oder Problemen konnte sogar direkt vor Ort gearbeitet werden.

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