Seit mehr als einem Jahrzehnt prägt Lydia Pintscher die Entwicklung von Wikidata, einer offenen Wissensplattform, die heute Millionen von Daten verbindet und weltweit genutzt wird. Ihre Arbeit bei Wikimedia Deutschland hat dazu beigetragen, dass aus einer wertvollen Lösung für Wikipedia-Verlinkungen eine zentrale Datenquelle für Menschen und Maschinen geworden ist. Für ihr herausragendes Engagement wurde sie nun mit dem European Open Source Award in der Kategorie Advocacy and Awareness geehrt. Ihr Antrieb: Wissen frei zugänglich machen, Monopole aufbrechen und Open Source als Grundlage für eine transparente digitale Zukunft stärken.

Hallo Lydia, kannst du für unsere Leser*innen kurz erklären, was Wikidata ist?

Wikidata ist ein offener, frei zugänglicher Wissensgraph, der Wissen in strukturierter Form speichert. Im Gegensatz zu einer herkömmlichen Datenbank, die Daten oft isoliert erfasst, setzt Wikidata Informationen in Beziehung zueinander. So speichert Wikidata Konzepte und ihre Eigenschaften, wie „Berlin – Einwohnerzahl – 3.782.202“, und Verknüpfungen zwischen ihnen wie „Deutschland – Hauptstadt – Berlin“. Man kann sich das wie eine riesige, vernetzte Wissenslandkarte vorstellen, in der Fakten nicht isoliert, sondern miteinander verbunden sein können. Diese Struktur macht Wikidata besonders wertvoll – sie hilft nicht nur, Wikipedia in verschiedenen Sprachen aktuell zu halten, sondern wird auch für Apps, Services und spannende Abfragen genutzt – zum Beispiel: Welche Tier- und Pflanzenarten sind nach berühmten Persönlichkeiten benannt? Wikidata wird von einer engagierten Community aus Ehrenamtlichen gepflegt, die täglich neue Informationen hinzufügen.

Die Europäische Open Source Akademie nennt Wikidata eines der einflussreichsten Open-Data-Projekte Europas. Was macht es so besonders?

Wikidata lebt von seiner ehrenamtlichen Community. Jeder Mensch dieser Welt kann beitragen, wodurch die Daten vielfältig und gleichzeitig sehr präzise sind – denn jede Information wird von Menschen geprüft. Es gibt täglich hunderttausende Bearbeitungen auf Wikidata, alle aus persönlichem Engagement, nicht aus kommerziellem Interesse. Das ist unbezahlbar und macht Wikidata zu einer verlässlichen und einzigartigen Wissensquelle. Ohne die ehrenamtliche Community wäre Wikidata nicht das, was es heute ist. Daher gebührt der Open Source Award auch ihr!

Unsere Daten sind darüber hinaus in vielen Sprachen verfügbar, unter einer freien Lizenz (CC-0) nutzbar und in zahlreiche Anwendungen integriert – zum Beispiel in digitale Assistenten auf Smartphones.

Die Open Source Akademie möchte die Bedeutung von Open-Source-Projekten für Demokratie, Innovation und Sicherheit stärker ins Bewusstsein rücken. Warum betrifft Open Source nicht nur Entwickler*innen, sondern uns alle?

Der digitale Raum prägt unser Leben mehr denn je. Freie Software ist der Schlüssel zur digitalen Selbstbestimmung. Sie ermöglicht es, Programme zu nutzen, zu verstehen, weiterzugeben und gemeinsam zu verbessern. Dabei ist Transparenz essenziell. Ohne Einblick in digitale Systeme fehlt uns die Grundlage, um ihre Auswirkungen zu verstehen und mitzugestalten. Ein Beispiel: Die Algorithmen großer sozialer Netzwerke entscheiden, welche Inhalte wir in unserem News Feed sehen – doch ihr genauer Mechanismus bleibt oft verborgen. Das ist ein Problem für unsere Demokratie, denn ohne Transparenz fehlt uns die Grundlage, um informierte Entscheidungen darüber zu treffen, ob wir diese Systeme so akzeptieren wollen.

Offene Daten sind genauso entscheidend. Bei Wikidata und anderen Wikimedia-Projekten kann jeder nachvollziehen, wie Inhalte entstanden sind, Fehler korrigieren und so zur Qualität freier Wissensressourcen beitragen. Offenheit bedeutet Mitgestaltung und Teilhabe – und das ist die Grundlage einer demokratischen digitalen Zukunft.

Preisträger*innen der European Open Source Awards 2025 in Brüssel
Preisträger*innen der European Open Source Awards 2025 in Brüssel

Welches sind neben Wikidata deine zwei Lieblingsprojekte und warum sind sie nützlich?

Neben Wikidata liegt mir KDE sehr am Herzen – was sich auch in meinem Ehrenamt als Vizepräsidentin des KDE e.V. niederschlägt. KDE ist eine Community, die seit fast 30 Jahren erstklassische Freie Software für Endnutzer*innen produziert, darunter Krita, ein Programm zum Zeichnen, Kdenlive, ein Videoeditor und KDE Itinerary, ein Reiseassistent. Die Vision dahinter: „Eine Welt, in der jeder die Kontrolle über sein digitales Leben hat und Freiheit und Privatsphäre genießt.“

Zusätzlich würde ich noch VideoLAN nennen, die unter anderem den großartigen Mediaplayer VLC veröffentlichen und damit so manchen Videoabend gerettet hab

Europa gilt als Vorreiter bei Open Source. Ist das Potenzial schon ausgeschöpft? Wie sähe eine ideale Software-Landschaft der Zukunft aus?

Nein, Open Source kann noch viel mehr. In meiner idealen Zukunft wären soziale Medien, Kommunikationsplattformen und öffentliche IT-Infrastrukturen viel stärker durch Open Source geprägt. Wichtig wäre auch eine bessere Unterstützung: Open-Source-Projekte brauchen mehr organisatorische und finanzielle Förderung sowie gesellschaftliche Anerkennung. Viele Menschen würden sich gern ehrenamtlich engagieren, haben aber durch Job oder Care-Arbeit keine Zeit. Damit Open Source sein volles Potenzial entfalten kann, müssen wir Strukturen schaffen, die Beteiligung für alle erleichtern – sei es durch mehr Freiräume, flexiblere Mitwirkungsmöglichkeiten oder mehr Sichtbarkeit für ehrenamtliche Arbeit.

Welche Vision verfolgt Wikimedia Deutschland für Wikidata?

Wikidata ist aus der Überzeugung heraus entstanden, dass grundlegende Daten über die Welt – Daten, die unser aller Leben beeinflussen – offen und frei zugänglich sein müssen. Seit über zwölf Jahren bauen wir mit Wikidata eine nachhaltige und offene Datenquelle auf. Unsere aktuellen Herausforderungen: Skalierbarkeit, Stabilität und Nutzerfreundlichkeit – Wikidata soll für möglichst viele Anwendungen einfach zu nutzen sein. Ein besonderes Anliegen ist es auch, unterrepräsentiertes Wissen sichtbarer zu machen und die entsprechenden Communitys zu fördern.

Außerdem wollen wir Wikibase, die Software hinter Wikidata, weiter ausbauen. Damit ermöglichen wir Institutionen, ihre eigenen offenen Wissensdatenbanken zu erstellen und gemeinsam ein starkes Netzwerk frei zugänglichen Wissens zu schaffen.

Was würdest du Entwickler*innen und Entscheidungsträger*innen raten? Warum lohnt es sich, mit Wikidata zu arbeiten?

Wikidata ist eine fantastische Datengrundlage für viele Applikationen. Wer also einen Grundschatz an offenen, mehrsprachigen, verifizierten und aktuellen Daten über die Welt für seine Software braucht, ist bei Wikidata genau richtig. Die Plattform verlinkt Einträge auch zu vielen anderen Ressourcen, etwa von Bibliotheken oder Archiven, und öffnet damit den Zugang zu noch mehr wertvollen Informationen.

Und wer eine Lücke in Wikidata entdeckt, kann sie direkt schließen. Das verbessert nicht nur die eigene Anwendung, sondern stärkt die Qualität der globalen Wissensbasis.

Vielen Dank für das Gespräch!

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