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Monsters of Law

Wenn Freies Wissen vor Gericht steht

Dank der Wikipedia ist das Wissen dieser Welt für uns alle jederzeit frei zugänglich. Dass es aber rechtlich riskant sein kann, Wissen im Netz frei zur Verfügung zu stellen, zeigen drei Fälle aus der Rechtsgeschichte von Wikipedia. Darüber diskutierte Wikimedia-Syndika Dr. Saskia Ostendorff mit Expert*innen in der aktuellen Ausgabe von Monsters of Law. Es geht um Loriot und Briefmarken, Drohnen und die älteste bekannte Darstellung des Himmels.

Franziska Kelch

16. Dezember 2024

Wikimedia Deutschland hat Monsters of Law vor zehn Jahren gestartet, um juristische Fragen zu diskutieren, die einen Einfluss auf die Wikimedia-Projekte und den freien Zugang zu Wissen und Daten haben. Neben Wikimedia-General-Counsel Dr. Saskia Ostendorff waren bei dieser Folge mit dabei: Unser langjähriger rechtlicher Partner, der Jurist für Urheber- und Medienrecht Thorsten Feldmann. Moderiert hat das Gespräch Stephanie Beyrich. Sie ist Rechtsanwältin und Host des Podcasts (R)ECHT INTERESSANT! In der aktuellen Folge ging es um drei Fälle aus der Rechtsgeschichte der Wikipedia, die zeigen, dass das Urheberrecht freiem Wissen immer wieder im Weg steht.

Fall 1: Streitobjekt Briefmarken

Die Deutschen sind begeisterte Briefmarkensammler*innen. Eine der „größten und bedeutungsvollsten“ Briefmarkensammlungen der Welt liegt in Deutschland. Im Kommunikationsmuseum in Berlin. In der Wikipedia gibt es zahlreiche Artikel über berühmte Briefmarken. Über die One Penny Black erfahren wir etwa, dass sie 1840 die erste Briefmarke der Welt war. Bekannter dürften wohl die Blaue und die Rote Mauritius sein. Letztere erzielte mit einer Gesamtsumme von 10 Millionen Euro den höchsten Preis, der jemals bei einer Auktion für eine Briefmarke bezahlt wurde. Beide Wikipedia-Artikel zeigen auch Bilder der berühmten Marken. Denn Wissen vermitteln und aufnehmen funktioniert auch über Bilder. In vielen Wikipedia-Artikeln illustrieren daher Fotos die Texte über Personen, Gebäude, Kunstwerke oder Ereignisse.

Bei den „Herren im Bad“ hört der Spaß auf!

In Deutschland gibt die Post immer wieder sogenannte Wohlfahrtsmarken heraus. Mit jedem Kauf tun Menschen Gutes. Denn zum Porto-Wert jeder Marke erhebt die Deutsche Post AG – früher die Deutsche Bundespost – einen zusätzlichen Cent-Betrag. Die gesammelten Erlöse gehen jedes Jahr an Wohlfahrtsverbände. 2011 zierten bekannte Charaktere und Szenen aus Loriot-Comics die Marken: Herren im Bad, Das Frühstücksei, Auf der Rennbahn und Der sprechende Hund. Vicco von Bülow hatte die Motive für die Wohlfahrtmarken zur Verfügung gestellt. Fotos von diesen Marken fanden sich danach auch im freien Medienarchiv Wikimedia Commons. Da war es dann aber mit der Freigebigkeit vorbei. Die Tochter und Erbin des berühmten Satirikers klagte, weil sie ihre Rechte verletzt sah. Im deutschen Urheberrecht ist festgelegt, dass der urheberrechtliche Schutz von Werken erst 70 Jahre nach dem Tod eines oder einer Urheber*in ausläuft. Das heißt, die Erbenden nehmen nach dem Tod der urhebenden Person zunächst die Rechte wahr. Wenn das aber so klar ist, warum hatten die Wikipedianer*innen dann Bilder der Loriot-Marken veröffentlicht?

Die Post – (k)ein Amt?

Bis zum Prozess um die Loriot-Marken waren Gerichte der Ansicht gefolgt: Briefmarken der Deutschen Bundespost sind mit ihrer Veröffentlichung im Bundesanzeiger amtliche Werke, denn sie sind Arbeitsergebnisse einer Behörde. § 5 des Urheberrechtsgesetz besagt, dass amtliche Werke nicht dem Urheberrecht unterliegen. Das machte die Wikimedia Foundation (WMF) im Prozess auch geltend. Sie ist die Betreiberin der Wikimedia Projekte und daher die beklagte Partei. Das Gericht stimmte der WMF jedoch nicht zu. Die Begründung: Es gibt die Deutsche Bundespost nicht mehr. Am 1. Januar 1995 war mit der zweiten Postreform aus der Bundesbehörde eine Aktiengesellschaft geworden. Eine Aktiengesellschaft ist kein Amt und kann daher keine amtlichen Werke produzieren, meinte das Landgericht Berlin. Die Bilder der Marken müssen daher aus Wikimedia Commons und damit auch den Wikipedia-Artikeln entfernt werden.

Fall 2: Streitobjekt Drohnenfotografie

Das freie und offene Medienarchiv Wikimedia Commons führt aktuell über 111 Millionen frei nutzbare Medien. Darunter sind frei lizenzierte Erklärvideos von Terra X, Infografiken zu diversen Themen und vor allem: Fotos. Jede*r kann die Medien für Präsentationen, den Unterricht, eine Webseite, Publikation oder Social Media nutzen.

Gemacht haben diese Bilder Ehrenamtliche, die freiwillig und unentgeltlich verschiedene Medien mit der Welt teilen. So auch eine Gruppe von Wikipedianer*innen vom Lokal K aus Köln, die sich auf Aufnahmen mit Fotodrohnen spezialisiert hat. Denn gerade Gebäude erschließen sich noch einmal ganz anders aus der Vogelperspektive. Andere Elemente oder gestalterische Mittel werden so sichtbar.

Grundsätzlich ist es erlaubt, auch urheberrechtlich geschützte Werke zu fotografieren und diese Fotos zu teilen, wenn die Panoramafreiheit anwendbar ist. Diese Schrankenbestimmung im deutschen Urheberrecht erlaubt es uns allen von öffentlichen Wegen aus Fotos von urheberrechtlich geschützten Werken zu machen und sie zu verbreiten. Die Voraussetzung:  Ein Werk muss dauerhaft in der Öffentlichkeit bleiben – nicht am selben Ort, aber in der Öffentlichkeit.

Der bekannteste Streitfall zu dieser Schrankenbestimmung ist das sogenannte Kussmund-Urteil. Der Hintergrund: Der Reiseveranstalter AIDA wollte einem Ausflugsveranstalter untersagen, ein Foto zu nutzen, das der vom Kussmund auf dem Bug eines AIDA-Schiffs gemacht hatte. Das Urteil: Der Kussmund befindet sich an wechselnden Orten in der Öffentlichkeit, aber er ist auf dem Bug des Schiffs dauerhaft in der Öffentlichkeit. Die Nutzung des Bildes war daher erlaubt.

Was hat Panoramafreiheit mit Wikimedia-Projekten zu tun?

Im Kussmund-Urteil von 2017 befand der Bundesgerichtshof: Die Panoramafreiheit endet dort, wo die gewöhnliche Straßenperspektive aufgegeben wird. Wer ein öffentliches Gebäude also von einer Leiter aus fotografiert, kann sich nicht mehr auf die Ausnahmebestimmung berufen. Die Wikipedianer*innen vom Lokal K haben daher schon vermutet: Diese Grenze der Panoramafreiheit beschneidet auch ihre Freiheit, öffentliche Gebäude aus der Luft zu fotografieren und die Fotos frei zur Verfügung zu stellen. Das Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2024 bestätigt das nun – leider. Die Drohnenfotograf*innen müssen nun im Einzelfall klären, ob ein öffentliches Werk oder Gebäude, das sie von der Straße aus fotografieren können, noch urheberrechtlich geschützt ist und sie es deswegen nicht mit der Drohne fotografieren dürfen.

Wann endet der urheberrechtliche Schutz eines Werkes?

In Deutschland ist das erst 70 Jahre nach dem Tod des oder der Architekt*in der Fall. Weil die Schutzdauer sich auf das Sterbedatum der Person bezieht, kann also auch ein vor rund 100 Jahren fertiggestelltes Gebäude heute noch dem Urheberrecht unterliegen. Bauten aus jüngerer Zeit werden noch für viele Jahrzehnte nur aus dem Blickwinkel fotografiert werden dürfen, den wir jeden Tag selbst von der Straße aus sehen – oder aus Perspektiven, zu denen die allgemeine Öffentlichkeit Zugang hat. Schade!

Fall 3: Streitobjekt Himmelsscheibe von Nebra

Gemeinfreie Werke dürfen ohne Bezahlung für alle Zwecke genutzt werden. Wikipedianer*innen könnten also eigentlich ein Foto eines gemeinfreien Kunstwerks in einem Museum machen, hochladen und für Artikel nutzen. Klingt einfach, oder?

Doch so simpel ist es nicht immer. Von 2015 bis 2018 klagte das Reiss-Engelhorn-Museum bis zum Bundesgerichtshof, um Fotos gemeinfreier Werke aus ihrer Ausstellung auf Wikipedia zu verbieten – mit Erfolg. Der Fall half der Wikimedia-Bewegung aber, auf europäischer Ebene für eine Änderung des Urheberrechts zu argumentieren. Denn wir konnten glaubwürdig machen, dass das BGH-Urteil den Zugang zu gemeinfreiem Kulturerbe erheblich erschwert. Dank europäischer Regelungen, konkret Artikel 14 der DSM-Richtlinie und dann § 68 des deutschen Urheberrechts, ist mittlerweile klar: An Reproduktionen gemeinfreier Werke können keine neuen Rechte entstehen. Alles klar? Keineswegs!

Kuriosität im deutschen Urheberrecht beschränkt Gemeinfreiheit

Die Himmelsscheibe von Nebra, eine der ältesten Himmelsdarstellungen, ist gemeinfrei und im Landesmuseum für Vorgeschichte in Sachsen-Anhalt ausgestellt. Es gibt ein Foto davon, das 2002 von Juraji Liptak im Auftrag des Landes erstellt wurde. Das Land Sachsen-Anhalt untersagt, dass Fotos von diesem Foto auf Wikimedia Commons veröffentlicht werden – obwohl darauf die gemeinfreie Himmelsscheibe zu sehen ist. Und obwohl das Fotografieren gemeinfreier Werke eigentlich erlaubt ist.

Das Land beruft sich aber auf § 71 UrhG: Wer ein gemeinfreies Werk erstmals öffentlich wiedergibt, erhält ein 25-jähriges Verwertungsrecht. Deshalb verschickte Sachsen-Anhalt 2023 eine Takedown Notice an Wikimedia, nachdem ein*e Wikipedianer*in ein Foto vom Foto der Himmelsscheibe in das freie Medienarchiv Wikimedia Commons hochgeladen hatte.

Amtliches Werk oder nicht?

Aber Obacht! Das Foto der Himmelsscheibe trägt den Copyright-Hinweis „Land Sachsen-Anhalt“. Es ist auch in der Liste abgedruckt, in der die Himmelsscheibe als Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes genannt ist. Wikimedia Deutschland argumentiert daher, dass es sich um ein „amtliches Werk“ gemäß § 5 Abs. 2 UrhG handelt. Solche Werke sind gemeinfrei. Amtliche Werke nach § 5 Abs. 2 UrhG sind Werke, die im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht worden sind. Und genau das ist geschehen. Indem das Foto in die UNESCO-Liste mit dem Verweis auf das Land Sachsen-Anhalt aufgenommen wurde, wird deutlich: Das Foto von der Himmelsscheibe von Nebra ist ein Werk, welches im amtliches Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht worden ist

Ob sich ein Gericht dieser Argumentation anschließt? Das ist noch offen.

Sie wollen mehr zu den juristischen Hintergründen der drei Fälle erfahren?

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