Interview zum Jubiläum
20 Jahre Wikimedia Commons: Das sagt der Mitgründer Erik Möller heute
Patrick Wildermann
7. September 2024
Nicht nur Wikimedia Deutschland feiert in diesem Jahr sein 20. Jubiläum, auch die freie Wissensdatenbank Wikimedia Commons ging vor zwei Jahrzehnten an den Start. Mittlerweile umfasst die größte freie Mediensammlung der Welt über 100 Millionen gemeinfreie und frei lizenzierte Fotos, Audio- und Videodateien. Die Inhalte können nicht nur in allen Wiki-Projekten wie der Wikipedia eingebettet, sondern von uns allen überall und jederzeit genutzt werden.
Erik Möller ist freier Journalist, Buchautor und Softwareentwickler. Er engagierte sich seit 2001 als Autor und ehemals als Entwickler für die Online-Enzyklopädie Wikipedia und ihre Schwesterprojekte. Ab September 2006 war er Mitglied im Vorstand der in San Francisco ansässigen Wikimedia Foundation, bis er anschließend von Anfang 2008 bis April 2015 als stellvertretender Geschäftsführer fungierte.
Erik, die Mediensammlung Wikimedia Commons umfasst heute über 108 Millionen Dateien unter freier Lizenz, Tendenz steigend. Unter anderem bezieht die Wikipedia daraus ihre Fotos, Grafiken, Audio- und Videodateien. Was hat damals den Impuls zum Start des Projekts gegeben?
ERIK MÖLLER: In der ersten Version der Wikipedia-Software gab es noch gar keine Funktion, um Bilder hochzuladen. Wer ein Foto in der englischsprachigen Wikipedia einstellen wollte, musste es per Mail an einen Mitarbeiter von Jimmy Wales schicken. Diese Uploadfunktion wurde dann zwar recht schnell eingeführt, im Jahr 2002. Allerdings hatte jede Sprachausgabe ihre eigene Funktion. Wenn also ein Bild in der englischsprachigen Ausgabe hochgeladen war, zum Beispiel von einem Prominenten oder einer Sehenswürdigkeit, stand es nicht automatisch in den Artikelversionen der deutschen oder französischen Wikipedia zur Verfügung, sondern musste dort erneut eingestellt werden.
Klingt reichlich kompliziert…
Zu der Zeit war es auch noch so, dass jede Wikipedia ihre eigene Nutzerdatenbank hatte. Wer ein Bild aufgenommen hatte und es in zehn verschiedene Sprachversionen einbinden wollte, musste sich zehn Benutzerkonten anlegen – für jede Sprachversion ein eigenes. Die Software war einfach nicht dafür gedacht, ein so großes, mehrsprachiges Projekt zu unterstützen. Als Freiwillige der Wikipedia haben wir uns deshalb dafür eingesetzt, den Bilder-Upload zu zentralisieren. Es gab dazu verschiedene Vorschläge, ich habe einen davon geschrieben und ihn Wikimedia Commons genannt.
Was beinhaltete Dein Vorschlag? Wie sollte Wikimedia Commons aussehen?
Ich habe gleich angeregt, dass sich diese Datenbank nicht nur auf Bilder beschränken, sondern alle Arten von Medieninhalten wie Audio- oder Videodateien zur Verfügung stellen sollte – unter freier Lizenz. Die freie Lizenzierung war aus meiner Sicht ein notwendiger Schritt. Die englischsprachige Wikipedia erlaubte damals – und erlaubt es übrigens auch heute noch – dass zum Beispiel Buchcover oder Screenshots verwendet werden, die unter den Urheberrechtsschutz fallen. Da greift dann die Copyright-Ausnahme „Fair Use“, die aber nur für spezifische Anwendungen gedacht ist. Bei einer Datenbank mit Inhalten, die jeder downloaden und nutzen können soll, fehlt dieser Kontext. Deswegen habe ich dafür plädiert, dass nur frei lizenzierte Inhalte erlaubt sind.
Wie wurde Deine Commons-Idee aufgenommen?
Die meisten Community-Diskussionen fanden zu der Zeit auf Mailinglisten statt. Ich habe die Idee also im März 2004 in der Liste der Wikipedia-l eingereicht – vergleichbar mit der heutigen Wikimedia-l – und durchaus positive Resonanz bekommen. Mein Vorschlag war allerdings ein bisschen zu kompliziert, ich wollte ursprünglich, dass wir Wikimedia Commons nur starten, wenn wir auch die Benutzerkonten zentralisieren und die Benutzer-Schnittstelle für den Bilder-Upload aufbauen. Dafür gab es allerdings gar nicht die technischen Ressourcen.
Wie und in welcher Form ist Wikimedia Commons dann gestartet?
Am direkten Launch war ich nicht beteiligt. Tim Starling hat die Datenbank aufgesetzt, koordiniert wurde das Projekt von Angela Beesley, die damals gerade ins Board der Wikimedia Foundation berufen worden war. Aber dann habe ich gesehen, wie viele Freiwillige sich schon in den ersten Tagen an Wikimedia Commons beteiligt haben – trotz des Fehlens der beschriebenen Funktionen. Das war für mich der entscheidende Hinweis, dass es sich lohnt, weiter Zeit zu investieren. Also habe ich begonnen, Software-Funktionen für die Datenbank zu schreiben.
Welche zum Beispiel?
Mit am Wichtigsten war sicher, dass ich die Möglichkeit geschaffen habe, Bilder aus Wikimedia Commons in die anderen Wikimedia-Projekte einzubetten. Als das Projekt startete, konnte man die Bilder nicht automatisch in der Wikipedia verwenden, sie lagen einfach in der Datenbank. Erst im Oktober 2004 gab es diese Grundfunktion.
Wie schnell ist Wikimedia Commons gewachsen?
Ziemlich schnell. Ich selbst habe einen Bot geschrieben, der beispielsweise aus Flickr die cc-lizenzierten Werke automatisch herunter- und bei Commons hochlädt. Wir haben auch in den ersten Jahren schon große Bilderspenden bekommen. Wegen einer erhalte ich heute noch Nachrichten auf meiner Tag Page. Ein DVD-Hersteller hatte uns eine Bilddatenbank mit 10.000 Gemälden unter Public Domain geschenkt. Allerdings nicht in bester Qualität. Manchmal schreiben mir noch Leute, dass sie ein Werk aus dieser Spende durch eine hochauflösendere Version ersetzt haben (lacht).
Wie lange hast Du das Projekt begleitet?
Ich bin im Dezember 2007 Mitarbeiter der Wikimedia Foundation geworden und war bis 2015 stellvertretender Geschäftsführer. Als Festangestellter hat sich meine Beziehung zu den Wikimedia-Projekten natürlich etwas verändert, aber ich war weiterhin an der Einführung von bestimmten Software-Verbesserungen beteiligt, darunter der Upload Wizard, ein Assistent zum Hochladen von Dateien.
Ist Wikimedia Commons das geworden, was Du Dir damals vorgestellt hast?
Allein die Zahl von frei lizenzierten Werken, die man dort heute in hoher Qualität findet, ist erstaunlich. Ich finde es auch toll, welche GLAM-Partnerschaften mit Museen und anderen Kultureinrichtungen entstanden sind. Oder dass Wettbewerbe der Communitys wie Wiki Loves Monuments und Wiki Loves Earth auf Wiki Commons aufbauen.
Wo siehst Du trotz allem noch Verbesserungspotenzial?
Wiki Commons fristet im Vergleich zur Wikipedia immer noch ein Schattendasein, viele werden auf die Datenbank nur aufmerksam, wenn sie sich bei Wikipedia beteiligen und ihnen vorgeschlagen wird, ein Bild hochzuladen. Und auch bezüglich der Wikipedia-App sehe ich noch Potenzial. Zumindest in der Android-Version sehe ich keine direkte Einladung, ein Foto einzustellen. Man könnte noch viel mehr Menschen erreichen und Ihnen Lust darauf machen, ihr eigenes Umfeld zu dokumentieren.
Trägst Du selbst heute noch zu Wikimedia Commons bei?
In den vergangenen Jahren habe ich regelmäßig alte Postkarten aus Chicago hochgeladen. Ein Freund, der eine enge Beziehung zu dieser Stadt hat, schickt sie mir, ich scanne sie ein, beschreibe sie und stelle sie bei Commons zur Verfügung. Das symbolisiert für mich das Potenzial einer freien Datenbank: jede und jeder kann dazu beitragen, dass Geschichte festgehalten und die Welt dokumentiert wird. Das finde ich nach wie vor spannend.
Diesen engagierten Menschen aus der Gründungs- und ersten großen Entwicklungsphase von Wikipedia, Wikimedia Commons und den anderen Wiki-Projekten haben wir sehr viel zu verdanken; samt jenen, die zum Beispiel mit der Ausgestaltung von Creative Commons-Lizenzen die organisatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für “Freies Wissen” geschaffen haben.
Mich beeindruckt vor allem ihre Weitsicht, dass Wissen uns allen “gehören” sollte und dass die gemeinsame Arbeit an einer Enzyklopädie wie Wikipedia samt deren Betriebssystem auch ohne unmittelbare Anerkennung von Außen stattfindet. Das gibt Hoffnung, dass Gemeinschaftliches stärker sein kann als immer das Modell “homo oeconomicus”, das ansonsten oft im WWW zu finden ist. Ich hoffe und wünsche allen, die an Wiki-Projekten mitwirken, insbesondere den Freiwilligen, dass sie – gerade auch in diesen Zeiten von zunehmenden Anfeindungen – weiterhin genug Freude dabei empfinden, um weiter machen. Danke²!