zurück

Interview mit Kim Gerlach

„Das Atmen hat keine Privilegien“

Mit dem Programm re·shape fördert Wikimedia Deutschland zehn Projekte, die dem Wissen von marginalisierten Communitys Raum und Sichtbarkeit geben. Eines der Projekte ist die Wūpó Collective Library von Kim Gerlach und Mandy Lan. Die Bibliothek fördert die Sichtbarkeit von BIPoC-Heiler*innen und stellt empowernde Werkzeuge für die Community bereit. Der Fokus liegt dabei besonders darauf, Körperweisheit und kognitive Intelligenz zu würdigen. Im Interview erzählt Kim von ihrer Arbeit und stellt die Wūpó Collective Library vor.
Mandy Lan (links) und Kim Gerlach (rechts) von der Wūpó Collective Library.

Mersiha Kalajdzija

13. Februar 2024

Kim, auf deinem Instagram-Profil bezeichnest du dich als „multidisciplinary artist using scent and breath”. Was macht deine Arbeit aus?

Ich habe 8 bis 10 Jahre als Projektmanagerin im Bereich Social Impact gearbeitet, bevor ich mich in den Bereichen Breathwork, Duft- und Aromatherapie selbständig gemacht habe. Das alles mit dem Ziel, Menschen mehr zu sich zu bringen und ihnen zu helfen, ihre innere Mitte zu finden. Mandy habe ich über eine BIPoC-Community kennengelernt. Wir beschäftigen uns beide mit Aktivismus und Wellbeing. Im Rahmen der Atemarbeit biete ich Gruppen- und Einzelsessions für alle Menschen an. Es gibt aber auch Formate speziell für FLINTA oder BIPoC. Diese Sitzungen kann man sich wie Yogastunden vorstellen: Wir sitzen zusammen und atmen zusammen.

Warum beschäftigst du dich mit dem Atem?

Breathwork hat mir als Methode bei meiner eigenen Traumaaufarbeitung geholfen. Ich praktiziere schon seit Jahren Meditation und Yoga und bin durch Zufall in einem Atem-Workshop gelandet. Als es mir schlecht ging, half nichts außer Therapie und Atemarbeit. Vor ein paar Jahren habe ich mich dann entschieden, mein Wissen zu teilen. Der Atem ist ein zugängliches und inklusives Tool: Er ist immer bei dir. So passt die Arbeit auch zu meinem politisierten oder aktivistischen Hintergrund. Ich möchte etwas teilen, das einfach ist. Ich sage immer: Der Atem kam zu mir.

Was hat dein Wirken mit Freiem Wissen zu tun? Warum hast du dich für re·shape beworben?

Das Atmen hat keine Privilegien-Barrieren. Es ist sozusagen freies Wissen, das wir bei uns tragen, aber nicht immer sehen oder spüren, weil wir so verkopft sind. Die Praktizierenden, mit denen wir arbeiten, leiten Menschen mehr in ihren Körper. Uns war es wichtig, sichtbar zu machen, dass es in Berlin Healers of Color gibt, um es BIPoC zu ermöglichen, sichere und relevante Räume zu finden. Wir haben mit einem Glossar an Heiler*innen angefangen und dann mit re·shape überlegt, was wir frei zur Verfügung stellen können. Uns war es wichtig, dass die Wūpó Collective Library barrierearm erreichbar ist. Niemand muss Geld zahlen oder aus dem Haus gehen, um darauf zuzugreifen.

Bitte stell uns die Bibliothek näher vor.

Wir haben Videos aufgenommen, in denen die Heiler*innen aus unserem Glossar ihr Wissen und ihre Kompetenzen teilen. Sie helfen den Nutzer*innen, also den BIPoC oder Allies, sich auszuprobieren und herauszufinden, von welchen Praktizierenden sie sich angesprochen fühlen. Und sie sehen auch, was sie hier lernen können. Es ist ein Setting, in dem sich die Nutzer*innen in ihrer BIPoC-Identität mehr gesehen fühlen. Die Videos werden auf Instagram ausgestrahlt, auf unsere Website gepackt und in einem nächsten Schritt dann hoffentlich auch mit der Community auf Telegram geteilt. Auch unser Glossar und ein Eventkalender werden auf der Website zu finden sein.

Worin besteht die Arbeit von Heiler*innen?

Der Definition nach sind Heiler*innen Menschen aus dem nichtmedizinischen, alternativen und spirituellen Kontext. Darunter fallen sehr verschiedene Disziplinen. Der Großteil ihrer Arbeit ist körperbasiert, aber es gibt auch kognitive Disziplinen, wie zum Beispiel Sprachtherapie. Die Spanne reicht von weniger wissenschaftlichen Ansätzen wie Reiki oder Astrologie bis zu klassischer Tanztherapie. Dabei sind z.B. Heilpraktiker*innen, Geburtshelfer*innen oder Heiler*innen, die sich mit Glaubenssätzen beschäftigen. Da Wikipedia sehr akademisch und wissenschaftsbasiert ist, war uns nicht klar, wie wir Beiträge hinzufügen können, die in die Nische der alternativen Medizin oder des Wellbeing fallen. Dazu gibt es nicht so viele Quellen, weil viele Medien, mit denen unsere Heiler*innen arbeiten, nicht aus dem akademischen Kontext stammen. Umso mehr hat es uns gefreut, dass wir von re·shape angenommen wurden und der Impact und die Relevanz gesehen wurden.

Mit eurem Projekt wollt ihr ein kostenfreies Video-Repositorium, genannt „Wiki des Körperwissens für QBIPoC“, entwickeln. Was finden die Nutzer*innen dort?

Unsere Videos dauern 2 bis 4 Minuten. Ich habe zum Beispiel ein Video geteilt, in dem es darum geht, Wut auszuatmen. Wut ist eine Emotion, die wir als BIPoC oft nicht rauslassen können. Diese Wut akkumuliert sich über Alltagsrassismus, der immer wieder Triggerpunkte setzt. Mandy hat ein Video über das Setzen von Grenzen aufgenommen, speziell für Menschen mit Migrationshintergrund und großen Familienzusammenhängen, besonders auch solche, die eine starke Erwartungshaltung seitens ihrer Eltern spüren. Beim Aufnehmen der Videos mit den Praktizierenden lernen wir auch selbst viel Neues.

Es geht euch mit dem Projekt auch darum, Werkzeuge zu teilen, die eine nachhaltige Wirkung haben…

Die Videos und die Bibliothek sind eine Toolbox, weil verschiedene Methoden und Personen gezeigt werden. Hier wird Wissen geteilt, das du selber auswählen und danach auch ohne das Video selbst anwenden kannst. Die Videos sind wie ein Buffet an Methoden, mit denen wir uns als BIPoC sicherer fühlen und die dabei helfen, sich selbst tiefer kennenzulernen.

Ihr wollt außerdem Behind the Scenes Videos zu den Absichten und Praktiken der Heiler*innen zur Verfügung stellen. Warum ist es euch wichtig, diese Einblicke zu teilen?

Das ist eine vertrauensbildende Maßnahme. Wir wollen, dass die Nutzer*innen ein Gefühl dafür bekommen, wer die Praktizierenden sind und danach entscheiden können, wem sie sich anvertrauen wollen. Nur weil die Community BIPoC ist, haben nicht alle dieselben Erwartungen und denselben Grad an Politisierung oder Aktivismus. Bei der Wūpó Collective Library schwingt das Aktivistische mit, wir machen dieses Projekt, um mehr Sichtbarkeit zu schaffen und um unserer Community Tools zur Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhang ist es uns wichtig, dass die Praktizierenden ein gewisses Verständnis der eigenen Identität oder eine Positionierung in der Gesellschaft haben.

Was ist seit dem Start von re·shape konkret passiert? Wo steht ihr jetzt, was sind eure nächsten Schritte?

Wir haben eine Website aufgebaut und etwa 25 Videos aufgenommen, die sich noch in der Postproduktion befinden. Das kostet viel mehr Zeit, als gedacht. Die Telegram-Gruppe haben wir im kleinen Kreis bereits angeteasert, um zu sehen, was die Community braucht. Wir haben viele Praktizierende getroffen, Interviews geführt und Videos aufgenommen. Die nächsten Schritte werden der Launch und die Kommunikation sein.

Bei re·shape werden alle Projekte von Mentor*innen aus dem Bereich des freien Wissens begleitet. Wie läuft die Zusammenarbeit mit eurem Mentor?

Essam is a darling! Wir treffen uns regelmäßig, mindestens einmal im Monat. Am Anfang waren wir unsicher, was die Erwartungshaltung für re·shape ist und wie wir ein Teil des Wikiverse sein können. Ist der Anspruch, dass wir Artikel schreiben? Nein, hat er uns beruhigt, das ist nicht der Grund, warum ihr gefördert wurdet. Wir waren auch eingeschüchtert von der Diskussion um alternative Medizin. Mandy und ich sind ja nicht die Heilenden selbst, wir versuchen nur Sichtbarkeit zu schaffen. Er hat uns gesagt, wir sollten uns auf das fokussieren, was den Impact generiert. Das hat total geholfen.

Körperweisheit steht im Fokus eures Projekts. Was versteht ihr darunter – und welche Rolle spielt Körperweisheit in Bezug auf freies Wissen?

Nehmen wir mich selbst. Ich habe 32 Jahre Lebenserfahrung, die sich in diesem Körper, diesem Geist, dieser Seele, wie auch immer du es nennen möchtest, akkumuliert hat. Darunter sind positive und negative Erfahrungen, Weisheiten, die ich gelernt habe, Traumata und Emotionen. All das hat sich in den Körper eingeschrieben. Und darüber würde ich Körperweisheiten definieren. Für mich gehört dazu auch der Aspekt von Repräsentanz. Wenn ich in eine Yogaklasse gehe und merke, da ist eine Person of Color, die versteht, wo Yoga herkommt – dann macht das auch Körperweisheit aus. Wenn man sieht, dass man auf dem gleichen Level mit den Praktizierenden ist, öffnen sich Zugänge und man fühlt sich gesehen, sicherer und wohler.

re·shape

Ein Wikimedia-Programm zur Förderung von Wissensgerechtigkeit

Was Eingang in Wissensbestände und offizielle Erzählungen findet, ist in starkem Maße durch Fragen von Macht bestimmt. Das prägt, wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen, welche Perspektiven und Interessen wir zentrieren und welche als weniger wichtig oder irrelevant deklariert werden.

 

Mit re•shape – Ein Wikimedia-Programm zur Förderung von Wissensgerechtigkeit möchte Wikimedia Deutschland in Zusammenarbeit mit den neuen deutschen organisationen – das postmigrantische netzwerk e.V. dazu beitragen, marginalisiertem Wissen mehr Raum und Sichtbarkeit zu verschaffen. Dabei wendet sich das Programm explizit an Menschen und Communitys, die Rassismus erfahren.

In der Bewerbungsphase haben sich fast 90 Projekte auf re·shape beworben. Das Kuratorium und je eine Vertreterin von den neuen deutschen organisationen e. V. und Wikimedia Deutschland e. V. haben daraus zehn Projekte ausgewählt.

Kommentare

  1. Christopher Schwarzkopf
    15. Februar 2024 um 19:33 Uhr

    Hallo, danke für die bisherigen Kommentare und das Feedback zu unserem Programm re•shape und dem dort geförderten Projekt Wūpó Collective Library . Wie Sänger bereits schrieb, gibt es inzwischen eine lebhafte Diskussion dazu im Wikipedia:Kurier. Dominik Scholl (Leiter Kultur & Marginalisiertes Wissen bei Wikimedia Deutschland) hat an dieser Stelle inzwischen eine entsprechende Stellungnahme seitens Wikimedia Deutschland veröffentlicht, auf die ich hiermit hinweisen möchte: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia_Diskussion:Kurier#c-Dominik_Scholl_(WMDE)-20240215182400-Schwurbelalarm

    1. Sänger
      15. Februar 2024 um 22:05 Uhr

      Eine Stellungnahme???
      Ein nichtssagendes Geschwurbel, ohne jede konkrete Aussage.
      Loriot hat es mal so gesagt: “Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal”.
      In der Antwort, für die er sich extra Zeit erbeten hat, steht nichts greifbares, keinerlei Eingehen auf die genannten Fragen und Probleme, vollkommene Ignoranz gegenüber denjenigen, die mit ihrer Arbeit die ganzen Spenden ermöglichen.

  2. Ralf Lotys
    15. Februar 2024 um 12:45 Uhr

    Wikimedia fördert soetwas? Ernsthaft? Astrologie ist nicht “weniger wissenschaftlich” sondern Hokuspokus.

  3. Sänger
    15. Februar 2024 um 09:19 Uhr

    Moin!
    Was hat das hier mit freiem Wissen zu tun?
    Warum wird hier unwissenschaftlicher Schwurbelkram gefördert?
    Bitte beteiligt Euch mit [[WP:Q]]-konformen Belegen, warum das für das Wikiversum irgendwie sinnvoll sein könnte an der Diskussion.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Kurier#Schwurbelalarm wäre der entsprechende Artikel, in dem der Förderung von Schwurbelzeug deutliches Unverständnis entgegengebracht wird.

    Bzw.: Wo ist den die wikikonforme Seite hierzu, auf der darüber diskutiert werden kann, also außerhalb des deWP-Kurier?

    Grüße vom Sänger

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert