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Digitalpolitik

Internationale Digitalstrategie – Digitale Commons kommen zu kurz!

Die Bundesregierung hat am 7. Februar ihre "Strategie für die Internationale Digitalpolitik" veröffentlicht. Sie fügt sich nun ein in die insgesamt 13 Strategien zu technologiepolitischen Zielen. Neben bekannten Anliegen und einigen neuen Absichtsbekundungen gibt es eine schmerzhafte Leerstellen: Die Förderung digitaler Commons kommt viel zu kurz.

Friederike von Franqué

Lilli Iliev

9. Februar 2024

Die von der Bundesregierung veröffentlichte “Strategie für die Internationale Digitalpolitik” bindet im Vergleich zum Referentenentwurf die vielen Aktionsflächen internationaler Digitalpolitik kohärenter ein. Sie fügt sich nun ein in die insgesamt 13 Strategien zu technologiepolitischen Zielen, die miteinander in Beziehung stehen, u.a. die Digitalstrategie, Datenstrategie, KI-Strategie, Klimaaußenstrategie, Gigabitstrategie, Fachkräftestrategie, Raumfahrtstrategie, Zukunftsstrategie und Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie.

Es ist müßig darüber zu streiten, ob hier eine Strategie im Sinne einer langfristigen, strukturierten Planung vorliegt oder eher eine Aufzählung von Absichten und Positionen. Wir haben uns das Dokument angeschaut und vermissen vor allem detaillierte Punkte zu digitalen Commons, nichtkommerziellen digitalen Öffentlichkeiten und offenen Infrastrukturen. Diese sind essenzielle Bausteine, um den großen Herausforderungen der Zukunft – der Übermacht von Technologiekonzernen, strategisch motivierter Desinformation, einer autoritären Wende vielerorts – gerecht werden zu können.

Multilaterale Prozesse, offene Basistechnologien: gute Absichten und Zielbilder

Erfreulich ist die Neuordnung der digitalpolitischen Grundsätze: Während wertebasierte Technologiepartnerschaften im Referentenentwurf noch an erster Stelle standen, findet sich dort ein klares Bekenntnis zum Schutz von Menschenrechten online und offline sowie an zweiter Stelle das globale, offene, freie und sichere Internet.  Regeln für Datenschutz, Interoperabilität und Datensicherheit sollen “gefördert” werden. Konkret soll die “anlasslose und grundrechtswidrige Überwachung” koordiniert mit den europäischen und internationalen Gremien abgewehrt werden. Das von vielen zivilgesellschaftlichen Beteiligten geforderte Recht auf Verschlüsselung und Anonymisierung hat es leider nicht konkret in die Strategie geschafft.

Die “ethischen Herausforderungen” der Technologienutzung, etwa ausbeuterische Arbeitsbedingungen gering geschützter und bezahlter Click-Worker, werden leider nur sehr indirekt benannt, wenn sich die Strategie für gute und faire Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in einer globalisierten digitalen Wirtschaft einsetzen möchte. Ob faire Wettbewerbsbedingungen – die faire Arbeitsbedingungen beinhalten müssen –  alleine Monopolbildung vermeiden kann, wird sich zeigen. In der Strategie wird KI Regulierung nicht ausgeschlosssen, eine freiwillige Selbstverpflichtung bleibt als “zusätzliches Instrument” erwähnt.

“Hohe Priorität” genießen in der Strategie  Multi-Stakeholder-Formate und -Foren. Sie werden als “essentiell” eingestuft. Ihre “aktive” Unterstützung konkretisiert sich beispielsweise darin, dass das Internet Governance Forum (IGF) “unterstützt” und dessen Mandat “zeitgemäß fortentwickelt” werden soll. Auch an anderen Stellen findet sich ein erkennbarer Wille, Deutschland hier stärker einzubringen und zivilgesellschaftliche Akteur*innen in diesem Rahmen zu stärken. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr zeigt, dass es in den Beteiligungsprozessen zur internationalen Digitalstrategie zugehört hat, denn die Bundesregierung möchte nun etwa Doppelstrukturen vermeiden. Dies kann helfen, um unter anderem zivilgesellschaftliche Akteure vor Überlastung durch zeit- und ressourcenintensiven Sitzungen in internationaler Gremienarbeit zu schützen und sich am Kapazitätsaufbau für zivilgesellschaftliche Organisationen im Globalen Süden beteiligen. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe wird angestrebt. Auch soll es eine Politik der Abrüstung im Digitalen geben. Überwachungstechnologien sollen nicht an repressive Regime gehen, allerdings wird dieses Bekenntnis aus dem Referentenentwurf nun mit einem Absatz relativiert, der digitalen Techniken eine “Schlüsselrolle” einräumt, Menschenrechtsverstöße zu entdecken und zivilgesellschaftliches Engagement zu ermöglichen.

Bei der Betrachtung der globalen digitalen Infrastruktur sind Nachhaltigkeitsaspekte hinzugekommen. Die aktuellen Erfahrungen mit den Realitäten des Krieges schlagen sich in dem Bemühen nieder, geschützte Kommunikation aufzubauen, Kreislaufwirtschaft zur Vermeidung von Abhängigkeiten auszubauen und den Weltraum als Interessensphäre einzubeziehen.

Eine erfreuliche leichte Veränderung ist auch in der Haltung zu kritischer Technologie erkennbar: Zwar möchte sich Deutschland nach wie vor schützen gegen den  “Abfluss” dieser Technik und Wissen, aber in Abstimmung mit der EU und internationalen Partnern und zugleich sollen Deutschland und Europa “stärker von relevanten, neu entstehenden Wissensquellen profitieren können”. Es wird sich zeigen, inwiefern offenes, freies Wissen gemeint ist.

Instrumente der Zensur wie Netzsperren werden abgelehnt und die Repräsentation von Partnerländern im Globalen Süden in Internet Governance Foren soll gefördert werden. Begrüßenswert sind zudem das Bekenntnis zum Abbau des Digital Gap sowie zum Einsatz für umwelt- und klimafreundliche Entwicklung, Produktion, Nutzung, Reparatur und Entsorgung digitaler Produkte und Dienstleistungen.

Besonders erfreulich ist, dass die Bedeutung offener Basistechnologien anerkannt und entsprechende Unterstützung angestrebt wird. Hier kann auf den guten Erfahrungen mit dem Sovereign Tech Fund als beispielgebendem Instrument aufgebaut werden.

Unklar bleibt, wie sich die handlungsleitende Rahmung aus Grundsatz 5, Vertrauenswürdige und sichere grenzüberschreitende Datenflüsse – in der Praxis auswirken wird. Hier wird nun sehr konkret “ungerechtfertigte und willkürlich verhängte Datenlokalisierungsvorgaben und Einschränkungen des Datenverkehrs” abgelehnt. Aus Sicht von Wikimedia wäre die freie Nutzung von Videodaten ohne geolokale Beschränkung ein Schritt in die richtige Richtung. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass der europäische Datenschutz gemeint ist, wenn von “willkürlichen” Einschränkungen des Datenverkehrs die Rede ist. Dafür spricht auch die klare Unterstützung des EU-US Data Privacy Framework und des “Data Free Flow with Trust (DFFT) sowie die eher vagen Ambitionen, die “Standards” für Datenaustausch zu erhöhen.

Die Förderung breiterer Beteiligung ist ein wichtiges Anliegen. Allerdings sind dafür konkrete Unterstützungsstrukturen und Anreize nötig, um ein aktives, nachhaltiges Engagement gerade wenig ressourcenstarker Akteur*innen zu ermöglichen. Hier fehlen konkrete Ansätze und es bleibt fraglich, wie die Beteiligung realisiert werden soll.

Schlüsselfaktor für die Zukunft des guten Internets: Digitale Commons

Aus Sicht des Freien Wissen sind vier Leitsätze aus der Strategie besonders gewichtig:

  1. Wir schützen die Grund- und Menschenrechte online wie offline.
  2. Wir treten für ein globales, offenes, freies und sicheres Internet ein.
  3. Wir stärken eine sichere und nachhaltige globale digitale Infrastruktur.
  4. Wir fördern menschenzentrierte und innovationsfreundliche Regeln für den digitalen Raum.

Doch für diese Punkte und die erklärte Absicht, ein “globales, freies und offenes Internet” zu gestalten, ist die politische Förderung digitaler Commons unverzichtbar.

Die nationale und internationale Förderung von Open Source-Basistechnologien und die Befürwortung der Schaffung von öffentlichen digitalen Gütern sind Schlüsselfaktoren für ein inklusives, offenes und gerechtes Netz. Die Strategie möchte “Freiheitsräume in der digitalen Welt erhalten, erweitern und neu erschließen”. Digitale Commons sind ein essentieller Teil dieser Freiheitsräume. Erfreulich ist, dass digitale öffentliche Güter explizit befürwortet werden, allerdings eher auf allgemeiner Ebene, im Rahmen der Vereinten Nationen. Das lässt darauf schließen, dass ich die Bundesregierung bei den Verhandlungen zum GDC besonders in diesem Kapitel engagieren möchte. Eigene Initiativen wären aber auch erfreulich gewesen.

Freies Wissen als Schlüssel für die Bekämpfung digitaler Desinformation

Ein Schwerpunkt internationaler Digitalpolitik sollte auch auf der Eindämmung digitaler Desinformation liegen, insbesondere durch die gemeinsame Entwicklung internationaler Standards zur Kennzeichnung von Authentizität, Bearbeitung und Herkunft digitaler Inhalte. Auf diese Weise können gezielt manipulierte Inhalte identifiziert und konsequent sanktioniert werden, anstatt dass sie unbeachtet von Trollgruppen künstlich verbreitet werden.

Ein wichtiges Instrument, das als Gegengewicht zu Desinformationsdynamiken wirken kann, taucht nicht auf: Freies Wissen und offene Informationsquellen wie Wikipedia. Frei zugängliche Information hat es leichter, von Informationssuchenden genutzt zu werden. Wikipedia gehört zu den Top 10 der am meisten genutzten Webseiten weltweit und ist auch in den populärer werdenden Large Language Modellen eine der stützenden, seriösen Wissensquellen. Gerade Wikipedia erweist sich im Umgang mit Desinformation weltweit vielfach als schneller, flexibler und weniger fehleranfällig als die großen Plattform-Unternehmen. Denn Wikipedia und ihre Schwesterprojekte setzen auf die Weisheit der Vielen. Damit leistet freies Wissen einen wichtigen Beitrag im weltweit verfügbaren Informationsangebot.

Auf Initiative von Wikimedia Deutschland wurden im Rahmen eines Bündnisses aus zivilgesellschaftlichen Organisationen Vorschläge für wünschenswerte Ziele mit Blick auf das UN-Projekt Global Digital Compact erarbeitet. Beim Internet Governance Forum Deutschland 2023 wurden diese im Auswärtigen Amt übergeben.

 

Folgenden Punkte sollten aus zivilgesellschaftlicher Sicht und Perspektive Freien Wissens nun ausgearbeitet werden 

  1. Menschen- und Bürger*innenrechte im Digitalen müssen gestärkt und weiterentwickelt werden.
    Digitalpolitische Vorhaben müssen auf ihre Vereinbarkeit mit Menschenrechten geprüft werden. Entsprechend sollten Menschenrechtsprinzipien bei technischen und politischen Lösungen berücksichtigt werden.
  2. Globale digital commons sollten die starke Zielvision werden.
    Gemeinschaftliche Güter, gemeinwohlorientierte Prozesse und Werte: Auch im Digitalen sollte es öffentliche Räume wie Parks geben, als sichere, anlasslose Treffpunkte, um die „civic fabric” der globalen Gesellschaft zu stützen. Sie ermöglichen Lern- und Emanzipationsprozesse, in denen Menschen unabhängig von einer Markt- und Konsumlogik Eigeninitiative entwickeln und Verantwortung für die Zukunft übernehmen.
  3. Eine gerechte und inklusive globale digitale Transformation fußt auf offenen Infrastrukturen, Codes und Standards.
    Zu den entscheidenden Instrumenten für selbstbestimmte und lebenslange Bildung und menschliche Entwicklung gehören der Zugang zu allen Arten von Datenbanken, zu Bibliotheken und Medien, aber auch offene digitale Infrastrukturen, offene Technologien und Codes mit möglichst offener Lizenzierung von Daten nach Standards der Creative Commons. Dies sollte im künftigen GDC konkretisiert und vorangetrieben werden.
  4. Menschenrechtliche und unternehmerische Sorgfaltspflichten und Regulierungsmöglichkeiten etwa von Plattformen müssen deutlicher und konkreter angesprochen werden.
    Damit Menschenrechte im digitalen Raum gewahrt werden, braucht es bestimmte Voraussetzungen – etwa Verschlüsselung und Anonymisierung. Staaten sollten ihrer Pflicht zur Wahrung von Menschenrechten nachkommen. Sie sollten ihre politischen Instrumente auch dafür nutzen, den Privatsektor zur Verantwortung zu rufen, mit technischen Möglichkeiten zur Wahrung von Menschenrechten beizutragen.
  5. Die zivilgesellschaftliche Beteiligung und der Multi-Stakeholder-Ansatz müssen im weiteren Prozess konsequent gestärkt werden.
    Die effektive Beteiligung von Zivilgesellschaft, Tech-Community und Wissenschaft angesichts der rasanten technischen Entwicklungen und ihrer komplexen Auswirkungen wichtiger als zuvor, um gemeinschaftlich und für das Gemeinwohl eine bessere Zukunft zu gestalten. Hier braucht es konkrete Lösungen, um wirksame Beteiligung aktiv zu gestalten.

Veranstaltungshinweis

Buchvorstellung und Diskussion “Der Kampf um das Internet: Wie Wikipedia, Mastodon und Co. die Tech-Giganten herausfordern” von Stefan Mey bei Wikimedia Deutschland

Montag, 11. März, 19:30-22:00, Wikimedia Deutschland, Tempelhofer Ufer 23-24

Gäste:

– Konstantin von Notz, MdB, Bündnis 90 / Die Grünen

– Stefan Mey, Journalist und Autor des Buches

– Katharina Nocun, Bürgerrechtlerin und Publizistin

Moderation: Geraldine de Bastion, Politikwissenschaftlerin und Beraterin

Eine Aufzeichnung wird nach der Veranstaltung zur Verfügung gestellt.

Weitere Informationen und die Anmeldung finden Sie hier.

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