Unterstützung benötigt
Die Rechtsprechungsdatenbank OpenJur bangt um ihre Zukunft
Franziska Kelch
17. August 2023
600.000 Urteile stehen auf openJur allen zur Verfügung, die zum Beispiel wissen wollen, in welchen Prozessen vor deutschen Gerichten Popmusik eine Rolle gespielt hat. Nutzende finden hier Informationen zu Rechtsprechung im Allgemeinen bis hin zu einzelnen Urteilen im Speziellen. Denn die Betreibenden von openJur erfassen nicht nur Urteile aus gerichtlichen Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht. Die Urteile sind auch im Volltext durchsuchbar.
Wie funktioniert openJur?
OpenJur möchte als „zuverlässige Quelle juristischer Fachinformationen“ zur Verfügung stehen. Die Betreibenden veröffentlichen Gerichtsentscheidungen, Gesetzestexte und -materialien sowie Kommentierungen oder Fachbeiträge. Juristische Fachbeiträge werden in einem Peer-Review-Prozess ausgewählt und dann veröffentlicht – ähnlich wie es wissenschaftliche Fachzeitschriften auch handhaben. Allerdings können Interessierte die Beiträge auf openJur kostenfrei lesen.
Gerichte in Deutschland machen immerhin einen kleinen Teil ihrer Urteile öffentlich. Es gibt aber keine zentrale Datenbank, in der diese Urteile kostenfrei auffindbar, durchsuchbar und lesbar sind. Digitale Urteilssammlungen, wie sie Kanzleien häufig nutzen, sind kostenpflichtig. Und allgemein zugängliche Urteile sind auf Datenbanken in verschiedenen Bundesländern verstreut. Weil die Jurist*innen und Informatiker*innen von openJur aber der Ansicht sind, dass juristisches Wissen allen zentral zugänglich sein sollte und es für das Verständnis rechtsstaatlicher Prozesse notwendig ist, gerichtliches Handeln transparent zu machen, machen sie in gemeinnütziger Tätigkeit eben dieses Wissen zugänglich. Und das nicht nur für Jurist*innen oder juristisch Interessierte. Auch Forschende, die Zugang zu juristischen Daten brauchen, um rechtsstaatliche Prozesse zu erforschen, können die Datenbank nutzen – und dann zum Beispiel empirisch untersuchen, wie häufig Gerichtsurteile sich mit Popmusik, Popmusik Schaffenden oder Popmusik Vermarktenden befassen.
Warum droht openJur das Aus?
In der Klage gegen openJur geht es um das Urteil eines Verwaltungsgerichts, das bereits in der Datenbank eines Bundeslandes veröffentlicht wurde. OpenJur hat es im Nachinein in die eigene Datenbank übernommen. Offenbar hatte das Gericht (oder der Betreiber der Datenbank des Bundeslandes) an mindestens einer Stelle den Namen der beklagten Person nicht anonymisiert. Mit der Veröffentlichung auf openJur wurde diesdann übernommen. Weil die Jurist*innen und Informatiker*innen davon ausgegangen waren, dass entweder das Gericht oder das zuständige Bundesland seiner Verpflichtung zur datenschutzkonformen Veröffentlichung nachgekommen sei. Die beklagte Person verlangte von openJur die „Beseitigung der Namensnennung“ – die von den Betreibenden der Datenbank schnell vorgenommen wurde. Doch damit ist das Verfahren noch nicht zu Ende. Die openJur-Betreibenden fürchten nun, dass sich Prüfungspflichten für sie ergeben, die weder personell noch finanziell umsetzbar sind. Bereits das laufende Verfahren belastet die Vereinskasse. Mehr zu dem Verfahren und wie man helfen kann, ist auf der Seite des Vereins nachzulesen.
OpenJur bietet einfachen Zugang zu Gerichtsurteilen – eine wichtige Grundlage für juristisches Wissen für alle. OpenJur muss darum jetzt Unterstützung erfahren.Christian Humborg, Geschäftsführender Vorstand Wikimedia Deutschland e. V.
Und wie ist das nun mit der Popmusik?
Die Suche nach Popmusik ergab 65 Treffer in der juristischen Datenbank. Der älteste gerichtliche Beschluss datiert vom 6. November 1979. Es handelt sich um eine Beschwerde am Bundesverfassungsgericht, die zurückgewiesen wurde. Um Popmusik geht es darin zugegebenermaßen nur am Rande. Aber dank der Volltextsuche gibt die Datenbank auch dieses Urteil aus.
Wie ein Wirtschaftskrimi liest sich hingegen ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2000. Darin werden die Widersprüche beschieden, die ein vielfach wegen Steuerdelikten verurteilter Unternehmer, der „seit 1971 ein Konzertbüro für Popmusik- und später auch Klassikkonzerte“ geführt hat, eingelegt hat. In vorheriger Instanz war der Konzertveranstalter unter anderem verurteilt worden, weil er 1993 das Land Baden-Württemberg mit einer fingierten Abrechnung über die Zahl der verkauften Eintrittskarten eines im Schloßgarten von Schwetzingen durchgeführten Konzerts“ getäuscht hatte. Deutlich hochkarätiger – und für den Veranstalter sicherlich lukrativer – ist ein weiterer Vorwurf: „Für die in den Jahren 1996 und 1997 vom Angeklagten veranstaltete weltweite Konzerttournee der drei Tenöre Luciano Pavarotti, Placido Domingo und Jose Carreras verwendete der Angeklagte eine schwer zu durchschauende Konstruktion von Verträgen und Geldflüssen zwischen in- und ausländischen Firmen, um die wahren Leistungsbeziehungen zwischen den von ihm geleiteten Firmen und den drei Tenören zu verschleiern und um sich seinen steuerlichen Verpflichtungen zu einem erheblichen Teil zu entziehen.“ Wer wissen möchte, wie das Verfahren ausging, muss selbst auf die Suche nach „Popmusik“ gehen – so lange es openJur noch gibt.