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Vergabe transformieren

Warum staatliche Vergabe klar auf freie Inhalte setzen sollte

Die Bundesregierung will die Vergabe transformieren. Dabei sollte sie die Beschaffung von prinzipiell freien Inhalten festschreiben, damit von Steuergeldern bezahlte Gutachten, Daten, Studien und Software allen zur Nachnutzung zur Verfügung stehen. Freie Inhalte können wesentlich dazu beitragen, die Ziele soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu erreichen.

Aline Blankertz

1. März 2023

Die öffentliche Vergabe ist ein wichtiger Hebel für die Entwicklung von Inhalten wie Software, Gutachten, Daten, Studien, Beratungsergebnisse und mehr. Allein im ersten Halbjahr 2021 vergaben Bund, Länder und Kommunen knapp 28 Mrd. Euro in Form von Dienstleistungsaufträgen; gleichzeitig ist bekannt, dass knapp drei Viertel des Vergabevolumens für IT-Dienstleistungen und IT-Technik ausgegeben werden. Wikimedia Deutschland setzt sich dafür ein, dass diese zahlreichen in öffentlichem Auftrag erstellten Inhalte möglichst frei verfügbar und nachnutzbar werden. Dies ist insbesondere auch sozial nachhaltig, wie wir in unserer Stellungnahme zum Vergabetransformationspaket des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erläutern. Der Volltext findet sich am Ende dieses Artikels.

Vergabe ökologisch und sozial nachhaltig transformieren mit freien Inhalten

Das Vergabetransformationspaket setzt eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag um mit dem „Ziel, die öffentlichen Vergabeverfahren zu vereinfachen, zu professionalisieren, zu digitalisieren und zu beschleunigen. Die öffentliche Beschaffung und Vergabe soll wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausgerichtet und die Verbindlichkeit gestärkt werden […]“ Ein Fokus liegt dabei auf ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. Freie Inhalte tragen wesentlich zu ökologischer und vor allem auch sozialer Nachhaltigkeit bei, weswegen sie prinzipiell in der Vergabe klar begünstigt werden sollten.

Unsere langjährige Forderung ist, dass öffentliches Geld stets öffentliches Gut hervorbringen sollte, um so das Gemeinwohl zu fördern. Die zentralen Argumente für Verbotsrechte (wie z.B. das Urheberrecht oder die Leistungsschutzrechte), die die Nachnutzung verbieten oder einschränken, greifen für im staatlichen Auftrag erstellte Inhalte nicht: Diese Rechte sollen sicherstellen, dass diejenigen, die Inhalte erstellen, zunächst eine Exklusivität über deren Nutzung erhalten und sich z. B. über den Verkauf von Lizenzen finanzieren können. Eine solche Refinanzierung brauchen Behörden nicht, da sie Steuermittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten. Diese Tatsache sollte bei der Erstellung von Inhalten im Auftrag der öffentlichen Hand berücksichtigt werden. Ausschließlichkeitsrechte und andere Einschränkungen sollten sich daher auf eng definierte Sachverhalte beschränken.

Daten für Linked-Open-Data-Ökosystem weiterverwendbar machen

In der Praxis ist es auch im Jahr 2023 üblicherweise nicht der Fall, dass Behörden die Produkte ihrer Vergabe verfügbar machen. Über die Gründe können wir oft nur mutmaßen: Gibt es unliebsame Ergebnisse, die lieber nicht ans Licht kommen sollen? Will der Dienstleister den gleichen Inhalt an anderer Stelle noch einmal verkaufen? Oder weiß man es nicht so recht und daher ist es bequemer, Inhalte nicht verfügbar zu machen? Jedenfalls zeigen verschiedene Beispiele, dass öffentliche Stellen oft technische oder rechtlich-formale Argumente ins Feld führen, um Inhalte der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Diese Argumente müssen dann in langwierigen Rechtsstreitigkeiten aus dem Weg geräumt werden. Dabei geht es anders: Die Europäische Kommission hat 2019 beschlossen, dass sie ihre eigenen Materialien unter offenen Lizenzen veröffentlicht. Und mit ihrem Projekt kohesio macht sie alle Daten zur EU-Regionalförderung sogar so umfassend nachnutzbar, dass sie Teil des gesamten Linked-Open-Data-Ökosystems werden und dadurch jegliche Dritt-Anwendung, die mit Linked Open Data arbeitet, ohne weiteres auch alle Informationen zu EU-geförderten Projekten integrieren kann.

Der Zugang zu öffentlich beschafften Inhalten sollte nur dort eingeschränkt sein, wo die Vorteile von exklusiven Immaterialgüterrechten die Vorteile des freien Zugangs überwiegen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn Geheimnisschutz erforderlich ist oder auch, wenn im Rahmen von Wirtschaftsförderung die exklusive Vermarktbarkeit von Inhalten erwünscht ist. Allerdings ist auch hier im Einzelfall erforderlich, zu untersuchen, ob die Beschaffung von proprietären Inhalten tatsächlich die effektivere Wirtschaftsförderung ist als die von freien Inhalten, auf deren Grundlage weitere Produkte, Dienstleistungen und Inhalte entstehen können. Führen solche Abwägungen zu einer eingeschränkten Verfügbarkeit, sollte die Begründung möglichst transparent und detailliert veröffentlicht werden.

Freie Inhalte für mehr Nachhaltigkeit

Offene und freie Inhalte sind gut geeignet, um die im Vergabetransformationspaket genannten Ziele zu erreichen: Sie ermöglichen einen sparsamen Umgang mit den Ressourcen, die für die Erstellung dieser Inhalte notwendig sind (Personentage, Produktionskapazitäten, Energie), da sie nur einmal aufgewandt werden müssen. Wenn etwa eine Landkarte nach ihrer öffentlich veranlassten Erstellung frei zugänglich und nachnutzbar ist, muss dieselbe Art von Darstellung für andere Nutzungskontexte nicht noch einmal neu erstellt oder einzeln nachlizenziert werden. Ähnliches gilt für freie und offene Software, die nicht erneut entwickelt werden muss, weil sie beliebig oft eingebunden und nachgenutzt werden kann, oder auch für Bildungsmaterialien, die ohne weiteren Aufwand an Rechteklärung und Nachlizenzierung bzw. – im schlimmsten Falle – Neu-Erstellung vervielfältigt, weitergereicht und iterativ an neue Bedürfnisse angepasst werden dürfen.

Dabei ist es auch sozial nachhaltig, gesellschaftliche Potenziale zu schonen und Inhalte dauerhaft verfügbar zu machen, denn eine solche freie Nachnutzbarkeit gewährt allen gleichermaßen Zugang. Die Zivilgesellschaft und auch finanzschwache Unternehmen können so das in freien Inhalten vermittelte Wissen weiter nutzen, auch wenn sie selbst nicht die Ressourcen haben, um diese Inhalte zu erstellen bzw. für deren Erstellung aufzukommen. Aus ökonomischer Perspektive schafft dies mehr Wettbewerb aufgrund einer für viele zugänglichen Grundlage, was wiederum einer Konzentration von Wissen, von finanziellen Ressourcen und allgemein den Konzentrationstendenzen gerade digitaler Märkte entgegenwirkt. Wenn öffentlich finanzierte Geodaten frei zur Verfügung stehen, können nicht nur große Technologieunternehmen sie für Kartendienste verwenden, sondern auch viele weitere Organisationen, die keine teuren Lizenzen bezahlen können. Diese können alternative Kartendienste oder auch andere Produkte entwickeln, die diese Kartendienste komplementieren.

Vergaberecht nur ein Teil des Puzzles

Eine Anpassung des Vergaberechts ist ein wichtiger Hebel, um öffentlich finanzierte Inhalte frei verfügbar zu machen, doch nicht der einzige. Gleichzeitig setzen wir uns für eine Anpassung von § 5 des Urheberrechtsgesetzes ein, um die von Behörden direkt erstellten Inhalte prinzipiell frei nachnutzbar zu machen. Es gibt somit verschiedene Gesetze, die dazu beitragen können, dass das im öffentlichen Auftrag erstellte Wissen möglichst breit geteilt wird.

Stellungnahme Wikimedia Deutschland zum Transformationsgesetz

Kommentare

  1. Gerhard Seiler
    3. März 2023 um 08:13 Uhr

    Eine sehr wichtige und richtige Initiative! Wenn Ergebnisse/Produkte in Ausnahmefällen nicht frei lizenziert werden sollen, könnte man die öffentlichen Auftraggeber verpflichten, dies ausführlich im Vergabeverfahren zu begründen.

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