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Fediverse

Zurück in die Zukunft: für ein freies, offenes Internet

Seitdem Elon Musk Twitter übernommen hat, erlebt das dezentrale Netzwerk Mastodon großen Zulauf. Eine Chance für das Netz und die Demokratie – denn es führt vor Augen, dass es neben den kommerziellen Plattformen auch den Wunsch nach einem freien, offenen Internet gibt.

Franziska Heine

Dr. Christian Humborg

19. Januar 2023

Zurück zu den Wurzeln. So fühlt es sich in diesen Tagen an, Mastodon zu benutzen – und bestimmt geht es vielen anderen vor 1980 Geborenen ganz ähnlich. Mastodon erinnert daran, wie es war, als noch nicht fast alle Inhalte früher oder später unweigerlich auf den großen Plattformen landeten. Als das World Wide Web noch ein Ort der Visionen war und nicht Spielplatz von Inkubatoren und Investoren. Ein freies, offenes Internet – es zeigt sich jetzt deutlicher als je zuvor, dass wir mehr von diesem Geist brauchen.

Elon Musks Umgang mit Twitter markiert einen Höhepunkt des Techno-Feudalismus, ein Begriff, den Michael Moorstedt in der Süddeutschen Zeitung verwendete. Der reichste Mensch der Welt behandelt Angestellte in tayloristischer Tradition wie Produktivvieh, legt strategische Achterbahnfahrten hin und lässt uns noch staunend an seinen Überlegungen teilhaben. Leider auch an seiner politischen Einschätzung.

Ob Twitter überleben wird oder nicht und ob der Zusammenbruch demokratietheoretisch gut oder schlecht wäre, darüber gibt es kluge Debatten. Zweifelsfrei ist der Twitter-Crashkurs von Elon Musk aber eine großartige Chance – für das Netz und für die Demokratie. Es liegt an uns allen, diese Chance zu nutzen. Lasst uns umziehen in diesen freieren Teil des Internets. Lasst uns gemeinsam etwas gestalten, statt nur zu nutzen, was die kommerziellen Plattformen uns anbieten.

Software, die niemandem gehört

Mastodon bietet jetzt die Möglichkeit, das Versprechen eines gemeinschaftlichen, freien und offenen Internets auf weitere Bereiche auszudehnen. Eugen Rochko hat als Entwickler des Microblogging-Dienstes nicht nur erkannt, wie wichtig ein nicht kommerziell kontrollierter globaler Kommunikationsraum ist, sondern auch die praktischen Grundlagen dafür geschaffen. Mastodon und Twitter unterscheiden sich im Kern nicht dadurch, dass das eine mit Werbung ist und das andere ohne. Sondern durch die Eigentumsfrage. Mastodon ist eine freie Software, die niemandem gehört, und deren Dienst dezentral betrieben wird. Ihre vielen verschiedenen Instanzen werden von den vielfältigsten Personen und Körperschaften betrieben.

Mastodon ist Teil des Fediverse, also eines ganzen Netzwerkes unterschiedlicher Dienste, die alle auf freier Software basieren und im Rahmen einer Föderation verknüpft werden können. Eine Föderation ist das Gegenstück zu einer zentralen Organisation und zeichnet sich durch die Eigenständigkeit ihrer Teile aus. Diese sind weitgehend autonom und arbeiten gleichberechtigt zusammen. Auch andere Projekte nutzen dieses Prinzip. Wikimedia Deutschland hat Wikibase entwickelt, eine freie Software zur Verwaltung strukturierter Daten, in enger Abstimmung mit den Ehrenamtlichen.

Sowohl bei Mastodon als auch bei Wikibase können Vereine und Einzelpersonen ihre eigenen Instanzen anbieten. Trotz ihrer Autonomie können sich alle Nutzenden von Mastodon eine Timeline zusammenstellen, die Inhalte aus verschiedenen Instanzen enthält. Genauso können die Nutzenden von Wikidata alle Daten über sämtliche Wikibase-Instanzen hinweg verarbeiten.

Die Community moderiert selbst

Diese Dezentralität und Freiheit führen auch dazu, dass auf unterschiedlichen Mastodon-Instanzen unterschiedliche Regeln gelten können. Der Betrieb einer Instanz erfordert Serverkapazität und Moderation. In der aktuellen Debatte steht die Kostenübernahme für Serverkapazitäten im Vordergrund, während die Moderation größtenteils ehrenamtlich betrieben wird. Längst gibt es ein großartiges Beispiel dafür, dass die Moderation von Inhalten durch eine Community möglich ist – und dass sie sogar besser und zügiger funktionieren kann als bei den globalen Techkonzernen: Wikipedia.

Zur Moderation gehören Regeln und ihre Durchsetzung. Wer sich nicht an die Regeln hält, kann von der Mastodon-Instanz verbannt werden. Eugen Rochko hat im Interview mit dem Time Magazine einen sehr wichtigen Aspekt der Meinungsfreiheit hervorgehoben: “If you allow the most intolerant voices to be as loud as they want to, you’re going to shut down voices of different opinions as well. So allowing free speech by just allowing all speech is not actually leading to free speech, it just leads to a cesspit of hate”.

Zum besseren Verständnis von dem, was da gerade passiert, lohnt sich ein Blick auf die rechtspolitische Diskussion, was das Objekt staatlicher Regulierung bei Hate Speech und Volksverhetzung im Fediverse ist: die Föderation oder die einzelne Instanz? Je nach Betrachtungsweise differieren die Nutzendenzahlen und damit die sehr unterschiedlichen Regulierungsverpflichtungen. Da in der Föderation die Macht verteilt und nicht zentralisiert ist, sind wir für eine Regulierung auf Instanzenebene. Denn selbst wenn eine einzelne Instanz alles außerhalb des klar Verbotenen zulässt, können andere Instanzen entscheiden, die Verbindung zu dieser zu kappen.

Schwer nachvollziehbar sind die Klagen über die unzureichende Usability bei der Registrierung auf Mastodon. Die wenige Minuten dauernde Wahl einer Instanz geht als Zeitinvestition gegen Null angesichts der langen Nutzungsdauer. Das Verhältnis entspricht vermutlich der Zeitdauer des Wählens im Verhältnis zur Legislaturperiode der Gewählten.

Monopole werden demokratisiert

Am Interessantesten am aktuellen Twitter-Drama ist Musks Idee einer Finanzierung durch die Nutzenden anstatt einer reinen Werbefinanzierung. Die Entscheidung darüber, wie Technik und Moderation künftig finanziert werden, könnte sich zu einem Schlüsselmoment des digitalen Gerechtigkeitsdiskurses entwickeln. Die Werbefinanzierung ermöglicht allen mit digitalen Endgeräten und entsprechender Bandbreite den Zugang, zum Preis des Abflusses umfassender persönlicher Daten. Hingegen schafft die Finanzierung durch die Nutzenden selbst einen Exklusivitätsraum, in dem allerdings auch weniger Hass und Toxizität geduldet wird.

Das Fediverse kommt ohne Werbung aus und setzt noch viel auf Ehrenamt. Die vielen Instanzen machen das Internet bunt. Das ist ein zentraler Entwicklungsschritt in der Demokratisierung des Internets. Denn dieser Schritt zur bunten Vielfalt löst die Monarchien ab und kann eine neue Entwicklungsstufe im digitalen demokratischen Prozess bedeuten. Die Wahl der Mastodon-Instanz und ihre Nutzung sind ein Freiheitsrecht von Bürgerinnen und Bürgern im demokratischen Internet, das hoffentlich viele wahrnehmen.

Übrigens: Wikimedia Deutschland ist jetzt auch auf Mastodon. Exklusiv für Mitarbeitende des Vereins haben wir eine eigene Mastodon-Instanz eingerichtet – und auf unserem Account @wikimediaDE@social.wikimedia.de informieren wir über Neuigkeiten aus dem Verein und rund um Freies Wissen. Folgt uns gern und tauscht euch mit uns aus!

Kommentare

  1. Josef Gilles
    20. Januar 2023 um 07:42 Uhr

    Das eine Registrierung auf Mastodon einfach ist, sehe ich nicht. Vielleicht für die Programmierer nicht, aber ich habe schon einige Probleme. Ich bin erst einmal an meinem E-Mail Account gescheitert. Da Mastodon meinen Anbieter nicht mag. Warum? Mit einer sinnvollen Begründung und möglichen Anbietern könnte ich handeln. So bleib ich erst einmal draußen. Der Begriff Anzeigename ist mir neu wie Anderen vermutlich auch. Da wird angezeigter Name , Nickname und evtl ein Hilfesatz besser.
    Was sollte der interessierte Nutzer unter Instanz verstehen. Die Sprache sollte sich an den interessierten Anwenderkreis orientieren. Die Struktur erscheint mir als zahlendes Wikimedia Mitglied vertrauenswürdig. Die Verschachtelung der Struktur ist aber so, da müßte ein Organigramm der Beteiligten angeboten werden, Ich habe mir prinzipiell angewöhnt Strukturen die ich nicht halbwegs verstehe zu meiden.

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