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Nationale Bildungsplattform

Neustart oder Reform?

Wikimedia Deutschland hat eine umfassende Studie initiiert, die die Nationale Bildungsplattform der Bundesregierung auf den Prüfstand stellt. Die Ergebnisse wurden am 8. November vorgestellt und durch ein hochkarätig besetztes Podium diskutiert. Damit das 630-Millionen-Euro-Projekt tatsächlich gelingen kann, bleibt abzuwarten, welchen Weg die Projektverantwortlichen für die Weiterentwicklung der Nationalen Bildungsplattform wählen: Neustart oder Reform?

Sarah-Isabella Behrens

Franziska Kelch

16. November 2022

Was ist eigentlich gute Bildung in Zeiten der Digitalisierung? Eine weitgreifende Frage, die je nach Perspektive unterschiedlich beantwortet wird. Problematisch wird es dann, wenn die Frage erst gar nicht gestellt wird, so setzte Christoph Richter, neben Prof. Dr. Felicitas Macgilchrist, den Ton während der Studienpräsentation „Werte und Strukturen der Nationalen Bildungsplattform“ im Einstein Center Digital Future am 8. November 2022. Dadurch eröffnete er den Raum für die bildungstheoretischen Positionierungen, die Analyse technischer Grundlagen bis hin zum Aufzeigen fehlender Governanceprozesse, die im Rahmen der Studie, das Vorhaben zur Nationalen Bildungsplattform der Bundesregierung auf den Prüfstand gestellt haben.

Das Studienteam Dr. Michael Seemann, Prof. Dr. Felicitas Macgilchrist, Christoph Richter, Prof. Dr. Heidrun Allert und Jürgen Geuter haben im Auftrag von Wikimedia Deutschland diese Analyse vorgenommen. Sie leiten daraus Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung der Nationalen Bildungsplattform ab, die in der anschließenden Podiumsdiskussion von Saskia Esken, Marina Weisband, Dr. Johanna Börsch-Supan, Oliver Sachsze und Dr. Christian Humborg diskutiert worden sind.

Gemeinwohlorientierte Governance

“(..) Ich bin dankbar für die Konzeptstudie, auf den Blick von außen und will das auch gerne weiter begleiten.” Dies betonte Saskia Esken, eine der Initiatorinnen der Plattform-Idee, in ihrem Eröffnungsstatement zu Beginn der Podiumsdiskussion. Die Unterstützung kann das ambitionierte Vorhaben, welches die Bildungslandschaft und Bildungsbiografie maßgeblich prägen könnten, gut gebrauchen.

Die Nationale Bildungsplattform soll eine Art Straßennetz schaffen, durch das Lernende, Lehrenden, kommerzielle wie nicht-kommerzielle Anbieter*innen von Lernmaterialien verbunden werden. Mit dieser Metapher beschreibt Johanna Börsch-Supan, als Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) verantwortlich für das Vorhaben, das 630-Millionen-Euro-Projekt. Genauso wenig wie eine Straße das Ziel vorgibt, sondern nur mögliche Richtungen, versteht sie die Rolle des Bundes. Straßen sind jedoch kein rechtsfreier Raum. Und ähnlich wie in der Straßenverkehrsordnung müssen auch für das Agieren der Anbieter*innen von Bildungsmaterialien und die Bildungsreise der Lernenden Regeln gelten. Grundlegende Aspekte der Governance sind im Plattform-Konzept bisher jedoch offen.

Technische Infrastrukturen sind politisch

Christoph Richter weist in der Studienvorstellung auf ein zentrales Problem hin. Man sei im BMBF offenbar der Ansicht, mit der Plattform stelle man lediglich eine Technologie zur Verfügung – und Technologie sei neutral. Ein Irrtum, so Richter, denn jede Pfadentscheidung sei eben das: Eine Entscheidung und damit eine Wertung. Etwa darüber, was ein Bildungserfolg ist, der zertifizierbar und damit nachweisbar sei. Daher müssten Pfadentscheidungen transparent gemacht und die Plattform mit offenem Code und offenen Schnittstellen entwickelt werden.

Partizipation und Transparenz

Die Beteiligung durch die Zivilgesellschaft ist im bisherigen Entwicklungsprozess der Nationalen Bildungsplattform nicht möglich gewesen. Auch das Studienteam wurde im Zuge ihres Forschungsprozesses vor erhebliche Herausforderungen gestellt, denn der Zugang zu  oder Transparenz von Informationen wurde seitens des BMBFs nur eingeschränkt bis gar nicht gewährt. Von möglichen Austauschformaten und Kollaborationen war man also im Vorfeld weit entfernt, obwohl die Plattform selbst genau das für Lernende und Lehrende bieten sollte. Christian Humborg fordert, der Aufbau der Plattform müsse transparent und mit Beteiligung der Zivilgesellschaft erfolgen. “(…) Der Appell geht mit Sicherheit nicht ins Leere (…)”, beschwichtigt Saskia Esken. Die Bereitschaft zu mehr Offenheit und Kollaboration sei seitens des BMBFs gegeben, so führt sie näher aus.

Das ist wünschenswert und auch notwendig, insbesondere wenn man sich die breitgefächerte Diskussion, noch offenen Fragen aus der Studie und aus dem hybriden Publikum bei der Veranstaltung zu Gemüte führt.

Offene Fragen bleiben – ein Merkzettel

Wer soll letztlich auf dieser Plattform agieren? Wie wird Bildung konzipiert? Wie wird das Ganze reguliert? Bleibt ein neoliberales Verständnis der Ausrichtung dieser Plattform im weiteren Entwicklungsprozesses dominant? Wie können Open Educational Resources mit der Nationalen Bildungsplattform zusammen gedacht werden?

Diese Bandbreite an Fragen zeigt, dass die Tragweite und gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieses Vorhabens von den politisch Verantwortlichen unterschätzt wird, so umschreibt es Christoph Richter im Zuge der Studienpräsentation. Wenn dies nicht ein Moment des Wachrüttelns ist, die*der hat die Bedeutung dieses Mammut-Projektes oder was es leisten soll, bisher nicht verstanden, was auch wiederum, bewusst überspitzt, die nachfolgende Frage widerspiegelt:

Neustart oder Reform?

Die Podiumsdiskussion sowie die Studie machen deutlich, wie wichtig es ist, ein derart vielschichtiges Infrastrukturprojekt der Bundesregierung nicht im stillen Kämmerlein zu entwickeln, sondern den Entwicklungsprozess von Beginn an aus verschiedenen Perspektiven heraus zu beleuchten, zu diskutieren und dabei die Zivilgesellschaft aktiv in den Dialog mit einzubeziehen.

In der Studie werden zwei Optionen diskutiert: Neustart oder Reform. Die Version Neustart sollte mit der Ausgangsfrage beginnen: “Was wollen wir für eine Bildung haben?”. Die Version Reform würde weitestgehend mit den bisherigen Setzungen arbeiten und die damit verbundenen Schwierigkeiten berücksichtigen. Unter dem Strich vereinen beide Modelle folgende Fragen: Was soll das Ziel und der Anspruch der Nationalen Bildungsplattform sein? Was ist eine pädagogisch tragfähige Produktvision, an der sich die Weiterentwicklung orientieren kann? Wer sollte wie an der Diskussion beteiligt werden?

So viel steht fest: die Zivilgesellschaft muss aktiv in den Prozess einbezogen werden

Es bleibt spannend und politisch. In der Zwischenzeit heißt es abwarten. Wie werden sich die Verantwortlichen der Nationalen Bildungsplattform entscheiden?

So viel steht fest: Ein Ausschluss der Zivilgesellschaft ist keine Option mehr. An Wikimedia führt kein Weg vorbei, wir werden den weiteren Umsetzungsprozess beobachten und als bildungspolitisches Korrektiv beratend begleiten.

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Mehr Informationen

  • Zum Einstieg in den Artikel wäre es gut gewesen, zu erklären, was die Nationale Bildungsplattform überhaupt ist. Was will sie, wer hat sie initiiert.

    Kommentar von Rehbach Frank am 4. Dezember 2022 um 00:05

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