Wikimedia Deutschland: Du bist seit 2014 im Präsidium, dieses Mal kandidierst Du nicht mehr. Wie fühlt sich das für Dich an?
Warum Wikimedia? Wie bist Du zum Verein gekommen?
Meine Arbeit befasst sich seit langem mit der Frage, wie wir eine gute und resiliente digitale Gesellschaft aufbauen können. Wikipedia war da für mich tatsächlich immer schon ein wunderbares Role Model für alles Gute, was Menschen mit dem Internet hervorbringen können. Gleichzeitig ist es auch ein Beispiel für die Herausforderungen und Gefährdungen, denen ein offenes, partizipatives System ausgesetzt ist – wie sichert man sich gegen Beeinflussung, wie kann man offen sein aber trotzdem Struktur und Richtung haben.
Ich hatte schon über Wikipedia als offenes System geschrieben. Ich war auf einer wissenschaftlichen Tagung zu einem Vortrag über Wikipedia eingeladen. Als dann die Präsidiumswahl 2014 anstand, fragten mich verschiedene Leute aus dem Umfeld von Wikimedia, ob ich für das Amt kandidieren möchte. Das fand ich interessant, weil ich von sehr unterschiedlichen Gruppierungen angesprochen worden bin.
Wie hast Du Deine Rolle im Präsidium wahrgenommen und gefunden?
Die Vereinsmitglieder geben uns als Präsidium das Mandat, aufzupassen, dass gute Entscheidungen getroffen werden. Ich habe meine Aufgabe im Präsidium immer so verstanden, dass wir uns mit den Fragen befassen müssen, auf die es eben noch keine fertigen Antworten gibt. Wir müssen uns ja fragen: Wo geht es hin? Was brauchen wir, damit es auch in 10 oder 20 Jahren eine lebendige Wikipedia gibt, damit dieser ganze Gedanke von freiem Wissen für alle eine Zukunft hat? Als Wikimedia Deutschland haben wir das Privileg, dass wir genug Ressourcen haben, um uns auch mit diesen dicken Brettern zu befassen. Dann können wir, was wir gelernt haben, weltweit an andere weitergeben.
Ich habe mich auch immer als Brückenbauerin verstanden, zwischen dem Verein, der Community, der Gesellschaft, dem Movement. Das System Wikimedia-Wikipedia-Global Movement ist ja sehr komplex. Ich schaue mir dann sehr genau alle Seiten an und höre zu. So konnten wir im Präsidium Verbindungen zwischen den Communitys und dem Verein, zur Gesellschaft und zu den internationalen Communitys herstellen: Wer immer nur auf seiner Seite bleibt, kann keine Brücke bauen.
Welche Besonderheiten siehst Du in der Wikipedia?
Wikipedia ist die Wissensreferenzquelle Nummer 1. Alle, die etwas wissen wollen, landen bei Wikipedia. Alle haben eine große Verantwortung, darauf gut aufzupassen. Offene Systeme sind durchlässig, aber auch verletzlich. Die Wikipedia braucht kluge, sich immer wieder anpassende Strukturen, damit sie nicht manipuliert und beeinflusst werden kann. Gerade jetzt in diesen Zeiten ist valides, vertrauenswürdiges Wissen unglaublich wichtig.
Gab es schwierige Situationen in deinen Amtszeiten?
2014 war der Verein noch ganz anders aufgestellt, Controlling- und Reporting-Mechanismen haben wir erst eingeführt. Wir haben die Governance-Struktur unserem Wachstum angepasst und es gab vier Vorstandspersonen, fünf jetzt mit Franziska. Wir hatten also genug zu tun und natürlich auch Kontroversen. Aber wir haben immer wertschätzende Auseinandersetzungen geführt. Das finde ich wichtig. Oft bin ich mit einer anderen Meinung aus Diskussionen herausgekommen, als ich reingegangen bin. Das finde ich ein gutes Zeichen.
Am schwierigsten waren für mich als Präsidiumsmitglied die letzten zwei Jahre Pandemie. Ich höre wahnsinnig gern zu, in lokalen Räumen, auf Stammtischen und auf den Wiki-Konferenzen in Deutschland und der Welt. Das alles war unter pandemischen Bedingungen nicht mehr möglich. Auch fast alle unsere Sitzungen und Klausuren haben digital stattgefunden. Da fehlt etwas. Das persönliche Gespräch und die Bindungen haben unter der Pandemie gelitten.
Was hast Du durchsetzen wollen?
Das Projekt Wikipedia zukunftssicher zu machen! Open source generierte Systeme wie Wikipedia, Wikidata, Wikibase haben eine große Bedeutung für die Entwicklung einer digitalen Zivilgesellschaft. Es muss für die Gesellschaft sichtbar werden, dass es eine dem Gemeinwohl verpflichtete digitale Kultur gibt, die wir fördern müssen.
Als Präsidiumsmitglied war mir auch immer sehr wichtig, wie der Verein klug und nachhaltig wächst. Wachstum an sich ist ja kein Selbstzweck, wir wollen ja damit etwas erreichen.
Wichtig ist mir auch ein gutes Selbstverständnis. Nach welchen Werten handeln wir warum? Was sind unsere Aufgaben und Rollen? Wie können der Verein und die Community gut zusammenwirken? Wie können wir uns gut ergänzen und unterstützen? Es ist schön, dass es uns in den letzten acht Jahren immer mehr gelungen ist, Verbindungen zu schaffen.
Hast Du Wünsche für die zukünftige Arbeit des Präsidium? Was gibst Du den neuen Mitgliedern mit auf den Weg?
Ich wünsche mir, dass das neue Präsidium die große Verantwortung fühlt und wünsche ihm dafür alles Gute. Es ist eine schöne und wichtige Aufgabe, auch wenn es häufig keine schnellen Antworten gibt auf die Fragen des Vereins, des Movements und der digitalen Gesellschaft. Letztlich geht es um die Frage, prototypisch an einer resilienten Gesellschaft zu arbeiten. Und genau da entsteht Zukunft: wo es noch keine fertigen Antworten gibt.