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Digitalprogramm des Bundes

Gute Richtung, aber wenig mutige Impulse

Am 28. April stellte das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) seine digitalpolitischen Ziele vor. Darin skizziert das Ministerium die „wesentlichen Herausforderungen“ der Digitalisierung in fünf Themenfeldern sowie die dazugehörigen Kernvorhaben. Details sind kaum zu erfahren, dennoch zeigen die genannten Schwerpunkte eine erste Richtung. An mehreren Stellen hätten wir uns mutigere Signale gewünscht. Wir nehmen das Programm unter die Lupe.

Lilli Iliev

Friederike von Franqué

5. Mai 2022

„Souverän. Sicher. Bürgerzentriert.“ – Der Fokus auf die Bedürfnisse von Bürger*innen steht nicht nur im Titel des neuen Digitalprogramms. Auch bei der Vorstellung der digitalpolitischen Ziele und Maßnahmen ihres Ministeriums bis 2025 hob Bundesinnenministerin Nancy Faeser hervor, dass die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen Nutzer*innen in den Mittelpunkt stellen soll. In fünf Themenfeldern definiert das BMI die „wesentlichen Herausforderungen“ der Digitalisierung und nennt dazu Kernvorhaben. Weil es sich um dem BMI unterstellte Bereiche handelt, ist vor allem von der Weiterführung des Onlinezugangsgesetz (OZG), Registermodernisierung, Digitalen Identitäten und verbesserter Cybersicherheit zu lesen. Die Umsetzung des Digitalprogramms koordiniert Bundes-CIO Dr. Markus Richter, der die Vorhaben im Austausch mit den Ländern und Kommunen umsetzen möchte. Details sind in dem zwölfseitigen Papier kaum zu erfahren, dennoch zeigen die genannten Schwerpunkte immerhin eine Richtung auf, in die es in den nächsten Jahren gehen könnte. 

Wir haben die fünf Schwerpunkte im Digitalprogramm unter die Lupe genommen:

1. „Staatliche Leistungen für Menschen und Unternehmen digitalisieren“

Unter dieser Überschrift soll vor allem das OZG „nutzerorientiert“ weitergeführt werden. Das aktuelle Gesetz läuft Ende des Jahres aus; die flächendeckende Umsetzung gilt bereits jetzt als gescheitert. 

Wenn das BMI nun verspricht, „qualitative Erfolgsindikatoren“ einsetzen zu wollen und die Umsetzung der Leistungen nach Bedarf der Nutzer*innen zu priorisieren, scheint hier eine Ausweitung der bisher gemessenen Erfolgskriterien vorzuliegen. In der neuen Strategie wird Nutzer*innenorientierung übersetzt mit „einfach, jederzeit, transparent und an jedem Ort nutzbar“. Aus Sicht von WMDE gehört auch eine konsequente Ausrichtung an der Zufriedenheit der Nutzer*innen digitalisierter Dienstleistungen zur Erfolgsmessung. Dieses Kriterium wird allerdings nicht genannt.

Fazit: Was genau umgesetzt werden soll, bleibt  vage, Zeiträume oder präzise Maßnahmen fehlen. An der konkreten Ausgestaltung und Vergabe wird man sehen, wie stark die Nutzer*innen-Zentrierung tatsächlich ausfällt.

2. „Staat modernisieren“

Die digitale Modernisierung des Staates soll durch „neue Formen der Zusammenarbeit und Arbeitsteilung“ erfolgen. Diese Zusammenarbeit bezieht sich aber auf föderale und kommunale Zusammenarbeit, nicht auf Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. Das ist schade, denn hier werden Ressourcen liegen gelassen und auf mehr Transparenz verzichtet. 

Es bleibt zu hoffen, dass zivilgesellschaftliche Expertise u.a. beim Digitalcheck für Gesetze sowie zur Stärkung der Informationssicherheit abgefragt wird. Auch die geplanten ressortübergreifenden Projektteams und Innovationseinheiten – „GovLab.DE“ genannt – können von Erfahrungen aus der Zivilgesellschaft profitieren. Umgekehrt könnten die Angebote der Digitalakademie zur Weiterbildung der Bundesverwaltung auch für viel mehr Menschen interessant sein. Diese öffentlich finanzierten Bildungsformate müssen der Allgemeinheit frei verfügbar gemacht werden.

Fazit: Wir wünschen uns eine breitere Einbindung der Zivilgesellschaft bei der digitalen Modernisierung des Staates und eine systematische Weiterbildungsoffensive für alle Ebenen der Verwaltung – mit besonderem Fokus auf die Vorteile von Open Source und Nachhaltigkeit.

3. „Cybersicherheitsarchitektur modernisieren und harmonisieren“

Angesichts der zahlreicher werdenden Angriffe auf staatliche und kommunale Infrastruktur liegt es nahe, dass sich das BMI der Cybersicherheitsarchitektur annimmt. Die erprobte Expertise des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu einer Zentralstelle auszubauen, kann nur begrüßt werden. Umso besorgniserregender ist, dass mit der expliziten Nennung der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITIS) als Teil der „Weiterentwicklung von Cyberfähigkeiten“ nur gemeint sein kann, dass auf Hackbacks nicht verzichtet werden soll.

Fazit: Hier hätten wir uns nach dem Führungswechsel im BMI deutlich mutigere Signale erwartet, vor allem weil im Koalitionsvertrag die Ablehnung von Hackbacks klar festgelegt ist. Immerhin steht auch die „Weiterentwicklung des Informationssicherheitsrechts“ auf dem Plan, allerdings ohne Klarstellung, in welche Richtung dieses entwickelt werden soll.

4. „Daten rechtssicher erschließen und nutzen“

In diesem Vorhaben konzentriert sich das BMI auf bessere Datenqualität, die Einrichtung eines Dateninstituts, ein Datengesetz sowie das Vorantreiben der Datenstrategie der Bundesregierung (s. dazu auch den Blogbeitrag „Datenstrategie- Von Wikipedia & Co lernen?“). Wünschenswert wäre hier eine Vereinheitlichung in Form offener Standards, um Daten wirklich in der Fläche verfügbar zu machen. Nicht nur WMDE fordert schon lange, dass öffentliche Einrichtungen ihre Daten für alle zugänglich, maschinenlesbar und frei nutzbar zur Verfügung stellen müssen. Hier hätte sich das BMI schon festlegen können.

Fazit: Unklar bleibt, was „rechtssicheres“ und „verantwortungsvolles Nutzen und Teilen“ von Daten genau bedeuten sollen. Mit Blick auf den Koalitionsvertrag kann das nur heißen, dass auf Grundlage eines Rechtsanspruchs auf Open Data (siehe dazu Beitrag „Rechtsanspruch auf Open Data: Jetzt muss es endlich losgehen“) eine flankierende Gesetzgebung erfolgen soll, die Standards sichert und De-Anonymisierung von Daten unter Strafe stellt. Diese Rechtssicherheit bietet eine gute Grundlage für das im Koalitionsvertrag festgelegte Vorhaben, die Potentiale von Daten „gemeinsam mit Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft“ heben zu wollen. 

5. „Digitale Souveränität festigen und interoperable Infrastruktur schaffen“

In diesem für WMDE zentralen Handlungsschwerpunkt sollen Fähigkeiten und Möglichkeiten von Individuen und Institutionen gestärkt werden, damit sie ihre Rolle(n) in der digitalen Welt selbstständig, selbstbestimmt und sicher ausüben können. Digitale Souveränität wird hier ähnlich verstanden wie im Koalitionsvertrag, der diese unter anderem durch ein Recht auf Interoperabilität und Portabilität sowie den Einsatz offener Standards, offener Schnittstellen, Open Source und europäischer Ökosysteme sicherstellen möchte. 

Nutzer*innen könnten hier entscheidend profitieren. Wenn etwa Gatekeeping-Plattformen wichtige Aspekte ihrer Dienste interoperabel machen, kann Nutzer*innen verschiedener Dienste die Möglichkeit gegeben werden, sich miteinander zu verbinden oder ihre Identität zwischen den Diensten zu übertragen. Gleichzeitig können öffentliche APIs oder freier Zugang zu aggregierten Daten nicht nur Abhängigkeiten von einzelnen Anbieter*innen minimieren, sondern auch Wettbewerb fördern. Wenn Behörden freie Lizenzen verwenden und einen besseren Zugang zu Informationen ermöglichen, können sie die Verfestigung von Gatekeeping-Positionen verhindern. 

Ein interessanter Baustein ist hier die Bekräftigung des BMI zum Aufbau einer gemeinsamen Open-Source-Plattform für die öffentliche Verwaltung (Open CoDE). Auf dem Code Repository können Interessierte aus Bund, Ländern und Kommunen offene Quellcodes ihrer verwaltungsrelevanten Software-Projekte ablegen und mit anderen Entwickler*innen zusammenarbeiten. Das Projekt wurde vom BMI sowie von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen initiiert. Das BMI betont hier Vorteile wie Unabhängigkeit von einzelnen Technologieanbieter*innen.

Fazit: Der Weg zur Digitalen Souveränität bleibt derselbe: Er führt über das Recht auf Open Data, über Open Source, offene Schnittstellen und offene Standards, und zwar gemeinsam mit Ländern und Kommunen.

Wikimedia Deutschland steht zur Begleitung bereit

Wikimedia Deutschland steht bereit, um die Umsetzung der geplanten Maßnahmen gut zu begleiten. Auf fragdenstaat.de/koalitionstracker können Interessierte transparent mitverfolgen, wie weit die Arbeit der Bundesregierung etwa zum Rechtsanspruch auf Open Data und weiteren Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag fortgeschritten ist.