Corinna Schuster
Christoph Diepes
13. Januar 2022
Das Fach- und Netzwerktreffen geht in die zweite Runde
FemNetz ist ein Netzwerk- und Fachtreffen zu feministischen Anliegen in der Wikipedia – von Wikipedianerinnen für Wikipedianerinnen im gesamten deutschsprachigen Raum. Autor*innen sollen sich besser vernetzen und so gemeinsam ihre Ziele voran bringen können. Die Wikipedia-Aktiven Iva Berlin und Grizma sind Mitgründerinnen von FemNetz. In diesem Interview berichten sie über die Hintergründe und die Entwicklungen.
Beim ersten FemNetz-Treffen Anfang 2021 waren über 60 Teilnehmer*innen mit dabei. Was hat sich seitdem getan? Welche Ziele konnten erreicht werden und wo war es schwierig, Fortschritte zu machen?
Unsere Netzwerkliste funktioniert nach wie vor sehr gut. Per Mail bleiben wir über interessante Veranstaltungen im Austausch und finden uns zu gemeinsamen Projekten zusammen oder diskutieren einfach. Toll war, dass eine der vier Arbeitsgruppen, die wir im Rahmen von FemNetz angeboten haben, die AG4 “Gesicht zeigen – Sichtbarkeit, Ideen und Expertise von Frauen in Wikipediaprojekten und für die Wikipedia-Community“ dank Leserättin kontinuierlich übers Jahr darauf hingearbeitet hat, bei der WikiCon 2021 Präsenz zu zeigen. Wir waren mit vielen Vorträgen und zusätzlichen Teilnehmerinnen dort vertreten, die sich allein, also ohne Frauen*netzwerk im Rücken, sicher nicht hingetraut hätten. Uns hat das großen Spaß gemacht und ich glaube, wir haben die WikiCon auch noch etwas bunter gemacht. Daran wollen wir auf jeden Fall festhalten.
Sehr nachhaltig für unser Netzwerk ist auch, dass wir mit der Online-Workshop-Reihe „60 Minuten – Gender & Diversity in der Wikipedia“ (kurz: WP:60) ein Format haben, bei dem Interessierte jeden Monat zusammenkommen, um inhaltlich Themen aus dem Bereich Gender und Diversität zu diskutieren, zum Teil gespeist aus den Reihen von FemNetz, zum Teil von anderen. Das stärkt den überregionalen Zusammenhalt und die Themen, die uns umtreiben, werden kontinuierlich weiterentwickelt. Möglich wurde das, weil es im Zuge der Pandemie „auf einmal“ ein breites technisches Angebot für Online-Veranstaltungen gab und auch viele bereit waren, Online-Veranstaltungen auszuprobieren.
„Wir brauchen noch mehr Frauen* in Wikipedia und wir brauchen Frauen*, die neben der Artikelarbeit Lust haben, sich auch strukturell und organisatorisch einzubringen.“Iva Berlin und Grizma, Mitgründerinnen von FemNetz
Schwierig war es, die Arbeit der anderen initiierten Arbeitsgruppen zu verstetigen. Unsere zeitlichen Kapazitäten sind beschränkt. Viele von uns sind voll berufstätig, zum Teil auch selbstständig. Wir haben die noch auf der Agenda und werden sie sicher auch nach und nach angehen. Aber klar ist: wir brauchen noch mehr Frauen* in Wikipedia und wir brauchen Frauen*, die neben der Artikelarbeit Lust haben, sich auch strukturell und organisatorisch einzubringen, sprich: Verantwortung zu übernehmen. Im Moment ist die Last auf einige wenige Schultern verteilt, da ist eine natürliche Belastungsgrenze erreicht.
Rund um den 20. Geburtstag der Wikipedia im vergangenen Jahr gab es viel Medienberichterstattung, in der auch der Gendergap aufgegriffen wurde. Was ist euch beim Umgang der Medien mit dem Thema aufgefallen?
Was uns wirklich oft ärgerte: Zum Teil recht ausführliche und differenzierte Stellungnahmen von uns zum Gendergap in Wikipedia wurden am Ende verkürzt wiedergegeben. Zum einen waren die Fragen oft sehr darauf ausgerichtet, eine „einfache” Antwort darauf zu erhalten, weshalb es deutlich weniger Frauen*biografien und Autorinnen als Biografien von Männern und männliche Autoren gibt. Sie waren also darauf ausgerichtet, ein bestimmtes Ergebnis zu erhalten: Auf die Vergangenheit gerichtet, statt nach vorne zu schauen, wie konkret sich der Gendergap verkleinern lässt oder was sich in den letzten Jahren bereits getan hat.
Oft dann noch kausal verknüpft: „Weil es weniger Autorinnen* gibt, gibt es auch weniger Frauen*biografien und Artikel über Themen, die Frauen* betreffen.“ Das Fazit ist dabei immer: Die Wikipedia ist frauenfeindlich. Nur leider liegt der Fall nicht ganz so einfach und das wissen auch alle, die sich vertieft mit der Thematik befassen.
Darüber hinaus fiel der Blick auf die gelegentlichen Kommunikationsfails Einzelner, die bisweilen ja auch ihren Weg an die Öffentlichkeit finden. Aus dem Grund wollen wir in diesem Jahr bei FemNetz 2022 einen Workshop veranstalten, der hoffentlich in eine kontinuierliche Arbeitsgruppe mündet. Dort wollen wir uns damit befassen, wie wir dieses Narrativ in der Presse zum einen aktiv steuern können (etwa durch Umlenken der Frage auf die Themen, die WIR transportieren wollen) oder durch Tipps für die Vorbereitung solcher Gespräche, wenn die entsprechende Wikipedianerin* noch nie ein Interview gegeben hat.
Sei es hinsichtlich Diskussionskultur oder den Relevanzkriterien – bei Wikipedia kann es zu Problemen kommen. Etwa wenn eine nicht binäre Person den Namen ändert und dieser dann von anderer Seite mit der Begründung, dass es nicht genug Belege gäbe, wiederholt zurückgesetzt wird. Was für Schwächen am Regelwerk seht ihr? Was sollte geändert werden?
Da spielen verschiedene Aspekte zusammen. Zum einen haben wir als Lexikon natürlich ein Interesse daran, offizielle Namensänderungen auch abzubilden. Zum anderen gibt es aber unzählige Formen der Geschlechtsidentität: da gibt es nicht nur nichtbinär und trans und fertig, sondern Varianten, die jeweils individuell angesehen werden müssen.
Facebook bietet 60 verschiedene Geschlechtsidentitäten an, an dem Spektrum lässt sich ablesen, wie bunt und vielfältig Menschen sich identifizieren. Die eine Person hat große Probleme mit der Erwähnung ihres früheren Namens (Deadname), die andere nicht. Die eine Person hat unter dem alten Namen Werke publiziert, die andere nicht. Es ist eine Gratwanderung, die für Wikipedia stets individuell ausgelotet werden muss. Dazu kommt, dass wir eine verlässliche Quelle brauchen, um Namensänderungen als gesichert dokumentiert zu verstehen. Wikipedia bildet ja nur ab, fasst zusammen, strukturiert Informationen, die bereits vorhanden sind, Wikipedia schafft keine neuen Tatsachen (Theoriefindung).
Die hinter der Vornamensänderung stehenden individuellen Geschichten in ein allgemeingültiges Regelwerk zu gießen, ist einigermaßen schwierig. Es wäre wichtig, hier Informationen zusammenzutragen und die Erkenntnisse daraus einmal auf die Frage abzuklopfen, wie eine allgemeingültige Regel aussehen könnte, ehe mensch auch nur darüber nachdenken kann, das in ein Meinungsbild zu gießen und als Regel zur Abstimmung zu bringen. Sowas will wohlvorbereitet sein. Es ist in dem Sinne weniger eine Schwäche im Regelwerk als vielmehr etwas, was vor knapp 15 Jahren, als das Regelwerk zunehmend die heutige Form annahm, deutlich weniger im Fokus stand. Da muss sicherlich nachgebessert werden, denn zwischenzeitlich ist die Gesellschaft offener im Umgang mit diversen Identitätsmodellen geworden. Ansonsten sehen wir natürlich andere Schwächen im Regelwerk, die hier zu vertiefen viel zu ausführlich würde!
Vom 28. – 30. Januar findet das zweite Online-Netzwerktreffen FemNetz statt. Was sind eure Ziele und an wen richtet sich das Treffen?
FemNetz ist ein Netzwerk von unterschiedlichen Wikipedianer*innen. Was uns verbindet, ist ein feministisches Anliegen und der Wunsch nach Vernetzung und Unterstützung. Wir engagieren uns gegen strukturelle Ausschlüsse, damit Wikipedia auch für Menschen repräsentativ wird, die einerseits auf den Wikipediaseiten häufig nicht sichtbar sind oder andererseits hinter den Kulissen aktiv sind.
„Das Treffen richtet sich an vernetzungsinteressierte Wikipedianer*innen aller Geschlechter.“Iva Berlin und Grizma, Mitgründerinnen von FemNetz
Das Treffen richtet sich daher an vernetzungsinteressierte Wikipedianer*innen aller Geschlechter mit Wikipedia-Erfahrung. Wir sind mit ganz vielfältigen Themen vertreten, so wird der Auftaktvortrag bei der bevorstehenden Netzwerktagung von Tilman Bayer gehalten, der auch für den englischsprachigen Signpost schreibt, das Äquivalent zum deutschsprachigen Kurier. Er wird uns einen Überblick über den Stand der Forschung zum Gendergap/Bias in der Wikipedia geben. Darüber hinaus sind wieder Arbeitsgruppen und eine Podiumsdiskussion geplant.
Auch FemNetz 2022 findet pandemiebedingt online statt. Wie konntet ihr bislang mit den Herausforderungen umgehen, die die Pandemie bei der Vernetzung und gemeinsamen Arbeit verursacht hat?
Als wir uns auf den Monat Januar als Rahmen für FemNetz verständigt haben, haben wir zunächst auf den Wikipedia-Kalender geschaut: Welcher Monat ist noch frei von größeren Veranstaltungen, wie schnell können wir so eine Tagung organisieren. Das war im Herbst 2020, da hatten wir gerade erst ein halbes Jahr Pandemieerfahrung. Nun zeichnet sich ja ab, dass diese Pandemie sich nicht so schnell von selbst in Luft auflösen wird und dass der Januar vor diesem Hintergrund ein ausgesprochen ungünstiger Monat ist, in dem die Infektionszahlen offenbar immer in die Höhe schnellen. Es gibt Überlegungen, den Termin zukünftig eher in den Frühling oder Sommer zu verlegen.
Problematisch war die Doppelbelastung, dass wir nun zweimal für eine Live- oder Hybrid-Veranstaltung geplant haben, was durchaus zeitaufwendig war, und dann doch wieder auf das Online-Format ausweichen mussten. Zum Glück wurden wir bei vielen Fragen sehr kompetent von Magda aus der Geschäftsstelle unterstützt, die uns Kostenrecherchen und Buchungsplanungen für Unterkünfte und Veranstaltungsort abgenommen hat.
Abgesehen davon wäre es wirklich toll, sich endlich mal nicht nur im virtuellen Raum zu begegnen, sondern von Angesicht zu Angesicht. Etwa für gemeinsame kulturelle Aktivitäten und auch ein bisschen zwangloses Socializing. Das fehlt uns allen.
Gibt es noch etwas, das ihr den Leser*Innen mit auf den Weg geben wollt?
Die Möglichkeit, sich online zu treffen, bietet die Chance, ohne viel Aufwand auch nur an einem Teil der Veranstaltung mitzuwirken. Niemand muss von Freitagabend bis Sonntagmittag teilnehmen. Und wenn ihr an dem Wochenende keine Zeit habt, vielleicht habt ihr Lust, euch in einem Projekt oder einer Arbeitsgruppe zu engagieren oder ein Thema, das für WP:60 spannend sein könnte oder die nächste FemNetz. Dann registriert euch am besten für unsere Netzwerkliste und bleibt auf dem Laufenden!
„Nur zusammen sind wir stark und können Dinge bewegen, die wir als Einzelne für unverrückbar halten.“Iva Berlin und Grizma, Mitgründerinnen von FemNetz
Denn: Nur zusammen sind wir stark und können Dinge bewegen, die wir als Einzelne für unverrückbar halten. Außerdem sind wir ein total netter Haufen und vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit, sich bei der nächsten WikiCon oder einem Edit-a-thon mal auszutauschen.
Alle Informationen im Überblick
FemNetz 2022 ist ein Online-Netzwerk- und Fachtreffen zu feministischen Anliegen, das vom 28. bis 30. Januar 2022 stattfindet. Zu den Organisatorinnen zählen neben engagierten Einzelpersonen unter anderem Gruppen wie WomenEdit, Who writes his_tory? und Art+Feminism, die sich seit Jahren für mehr Diversität in Wikipedia einsetzen. Das Programm beinhaltet Workshops, Vorträge und eine Podiumsdiskussion.
Umgang mit Barrieren: FemNetz bietet zum ersten Mal eine Live-Audiotranskription an, die einen besseren Zugang und die Teilnahme von Menschen mit Hörbehinderung ermöglichen soll.
Anmeldung: https://w.wiki/4g88
Abonnement E-Mail-Netzwerkliste: https://mailing.wikimedia.de/wikipedia.de/info/femnetz
Weitere Veranstaltungen/Projekte/Gruppen zum Thema
#100womendays
Bis zum Internationalen Frauentag am 8. März 2022 sollen im Rahmen der Initiative #100womendays mindestens 100 neue Frauenbiografien für Wikipedia entstehen.
WomenEdit
Seit mehr als acht Jahren treffen sich Frauen regelmäßig mit dem Ziel, Wikipedia-Artikel zu verfassen und zu veröffentlichen oder zu bearbeiten, zu korrigieren und zu ergänzen.
Who writes his_tory?
Who writes his_tory? ist ein kollaboratives Projekt, das die Reproduktion von Wissen und struktureller Diskriminierung im Internet und vor allem auf Wikipedia hinterfragt.
Art+Feminism
Art+Feminism ist ein Edit-a-thon mit dem Ziel, in Wikipedia Inhalte über Frauen in der Kunst hinzuzufügen sowie Frauen zur Mitarbeit an der Wikipedia zu befähigen.