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Die Datenstrategie der Bundesregierung: Ein Schritt in Richtung Gemeinwohl?

Mit ihrer neuen Datenstrategie versucht die Bundesregierung eine Antwort auf die Frage zu geben, wie Daten verantwortungsvoll genutzt werden können. Die Strategie umfasst vielversprechende Punkte wie eine Bildungsoffensive für mehr Datenkompetenz, nachhaltige Dateninfrastrukturen und eine verbesserte Datenbereitstellung. Eine konsequente Gemeinwohlorientierung ist jedoch nicht zu erkennen. Unsere Vorschläge für die Umsetzung.

Lilli Iliev

Frank Böker

27. Januar 2021

Die Bundesregierung hat erkannt, dass die datenpolitischen Weichenstellungen von heute wichtig für das Gemeinwohl von morgen sind. 200 Einzelmaßnahmen auf über 100 Seiten zeigen verschiedenste Handlungsstränge auf. Von Datenlaboren über „Chief Data Scientists“ in Ministerien bis zu einer Bildungsoffensive für Datenkompetenz: Die Datenstrategie schafft Grundlagen für einen bewussten Umgang mit öffentlichen Daten. Ein „Datenraum Gemeinwohl“ fehlt bislang jedoch. Er hätte in Ergänzung zu den weiteren thematischen Datenräumen die Vision einer gemeinnützigen, übergreifenden Datenkultur gestärkt.

Zu den vier Handlungsfeldern der Datenstrategie haben wir konkrete Ideen:

1. „Dateninfrastrukturen leistungsfähig und nachhaltig ausgestalten“

Daten-Ökosysteme müssen durch sichere und interoperable Dateninfrastrukturen und den erleichterten Zugang zu Daten der öffentlichen Verwaltung unterstützt werden. Das ist auch ein erklärtes Ziel der Datenstrategie. Zentrale Fragen bleiben jedoch ungeklärt: Etwa die nach mehr Rechtssicherheit beim Umgang mit Daten, nach dem Potenzial pseudonymisierter und synthetischer Daten und nach Chancen und Risiken des Ansatzes unabhängiger Datentreuhänder. Zu Anonymisierung und technischem Datenschutz werden Vorhaben beschrieben, aber noch keine Lösungen.

Das Linked-Open-Data-Projekt Wikidata ist mit inzwischen über 78 Millionen Datensätzen die weltweit größte offene und frei editierbare Datenstruktur ihrer Art. Das Schwesterprojekt von Wikipedia dient schon heute vielen Anwendungen als wichtige Grundlage. In dieser Form maschinenlesbar vorliegendes, verknüpfbares Wissen kann von Stadtteil-Initiativen genauso genutzt werden wie im Katastrophenschutz, kann der Erstellung von Bildungsmaterialien dienen oder Pendlergemeinschaften ermöglichen. Datenkooperationen zwischen Open-Data-Communitys und öffentlichen Institutionen können den Weg in eine gemeinwohlorientierte Datenpolitik aufzeigen.

Möglich wird das nur, wenn miteinander gearbeitet wird statt gegeneinander, wenn Interoperabilität hergestellt wird statt Daten-Silos, und wenn nicht zuletzt die Politik sich für offene Standards in der Datenökonomie einsetzt.

2. „Innovative und verantwortungsvolle Datennutzung steigern“

Bei neuen Gesetzgebungsvorhaben soll künftig geprüft werden, ob und in welchem Umfang der Forschung Zugang gewährt werden kann (sog.Forschungsklauseln) – ein wichtiger Schritt! Bei personenbezogenen Daten mag der Schutzgedanke überwiegen. Bei Daten ohne Personenbezug ist das anders. Wir meinen: Dort, wo es dem Datenschutz nicht entgegensteht, sollte der Zugang offen sein.

Forschung und zivilgesellschaftlich orientierte Akteure haben nur dann eine Chance, Wissen aus Daten zu generieren und Anwendungen zu erarbeiten, wenn die Daten frei zugänglich sind. Es mag notwendige Ausnahmen geben, etwa aus Datenschutzgründen. Und doch: Jede Registrierung, Anmeldung, Bezahlschranke, jeder Kooperationsvertrag macht es für kleine, finanzschwache oder gemeinnützige Akteure schwierig, an Daten zu gelangen. Open bei Default sollte daher der Grundsatz für Datenzugang sein.

3. „Datenkompetenz erhöhen und Datenkultur etablieren“

Ein Schwerpunkt der Datenstrategie ist die Förderung digitaler Kompetenzen. Hier können auch Freiwilligen-Communitys ihr Wissen etwa als Datenpatinnen und -paten weitergeben und tun dies auch bereits an vielen Stellen.

Doch ohne eine Verankerung im öffentlichen Bildungssektor wird es nicht gelingen, alle Menschen gleichermaßen mit den nötigen Kompetenzen zu versorgen, die im digitalen Zeitalter längst notwendig sind. Warum Informationstheorie und Datenkunde nicht nur als Schulfächer, sondern als Grundbausteine auf allen Stufen des Bildungssystems einschließlich Fortbildung, lebenslangem Lernen und Erwachsenenbildung denken?

Auch das bürgerschaftliche Engagement braucht mehr Förderung von Experimentierräumen, wie sie derzeit etwa die Initiative „Jugend hackt“ oder die bundesweiten „Code for Germany“-Labs zu bieten versuchen.

4. „Den Staat zum Vorreiter machen“

Digitale Kompetenzen werden auch in der Politik gebraucht, denn Daten sind nur die transportable Form von etwas viel Grundlegenderem: Information. Darum ist die kommende „Datenstrategie“ in Wirklichkeit eine „Informationsstrategie“. Die Bundesregierung muss stets im Blick behalten, dass sie damit im Zweifel in die Informationsfreiheit eingreift und selten bloße Standortpolitik betreibt. Mit diesem Verständnis wird deutlich, welche große Verantwortung die öffentliche Hand bei der Implementierung von Datenzugangs-, Intermediär- oder Treuhandmodellen trägt. Es geht darum, den Nutzen für das Gemeinwohl sicherzustellen und zugleich keine ungleichen Chancen beim Zugang zu Information entstehen zu lassen.

Offene Verkehrs- und demografische Daten für eine nachhaltige und sichere Stadtplanung etwa nützen allen Bürgerinnen und Bürgern. Zumindest dann, wenn alle eine echte Chance haben, an den Daten teilzuhaben – und nicht nur einige wenige. Anreizmechanismen für die Datenteilung müssen daher so gestaltet sein, dass sie immer auch auf das Gemeinwohl ausgerichtet sind, und das muss unabhängig überprüfbar sein. Dass dann auch die Unternehmensgewinne, die durch digitale informationsgetriebene Geschäftsmodelle entstehen, über angemessene Besteuerung zum Erhalt des Gemeinwesens beitragen müssen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

Zivilgesellschaftliche Expertise bei der Umsetzung gefragt!

Jetzt sind auch und gerade zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure gefragt, ihre Erfahrung und Expertise bei der Umsetzung der Strategie aktiv einzubringen. Denn neben Ideenwettbewerben und Hackathons gibt es noch andere Wege, um die Partizipation zu fördern.

Aus Sicht gemeinnütziger Initiativen sollte die öffentliche Hand die Freiwilligenarbeit erleichtern und das bereits lebendige digitale Ehrenamt politisch mitdenken. Freiwilligen-Communitys zeigen seit vielen Jahren, wie kollektiv kuratierte Daten- und Wissensbestände durch lebendigen Austausch mit öffentlichen Einrichtungen unser aller Leben bereichern können.

Freiwillige etwa der Wikimedia-Projekte heben gemeinsam mit Kultureinrichtungen gemeinfreie Datenschätze für Wikipedia, über Kooperationen wie „GND meets Wikibase“ mit der Deutschen Nationalbibliothek bringen sie immer mehr Linked Open Data zusammen, und das auch als „Game-Changer des freien Wissens“ bezeichnete Community-Projekt Wikidata schafft Grundlagen, auf denen alle Interessierten nachhaltig aufbauen können. Eine Datenstrategie, die auf diese Ansätze einzahlt, ist ein guter Schritt Richtung gemeinwohlorientierte Datenpolitik.

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